10.11.2012 Aufrufe

# 31 | März 2008 readmypony.com | Göttingen | im Frühling Punk ...

# 31 | März 2008 readmypony.com | Göttingen | im Frühling Punk ...

# 31 | März 2008 readmypony.com | Göttingen | im Frühling Punk ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Platte am Anfang<br />

Why? Alopecia<br />

Anticon | Tomlab | Indigo<br />

Seit sich der Grenzen sprengende<br />

Sound des Electronica-Folk-HipHop-<br />

Labels Anticon als »typisch« etabliert<br />

hat, ist es ziemlich ruhig um das Kollektiv<br />

aus San Francisco geworden. Weshalb man durchaus<br />

gespannt sein darf, wie das vierte Album von<br />

Why? aufgenommen wird. Denn obgleich Yoni Wolf,<br />

dessen Bruder Josiah und Doug McDiarmid <strong>im</strong>mer<br />

schon die Popper unter den hauseigenen Tüftlern<br />

waren, gehen sie mit »Alopecia« noch einen Schritt<br />

weiter. Was möglicherweise insofern interessant ist,<br />

als auch die Musiker des Sound- und Stilgrenzen<br />

überschreitenden An<strong>im</strong>al Collectives die letzten Jahre<br />

zunehmend transparenter, songorientierter, poppiger<br />

geworden sind. (Indie-)Pop hat derzeit einen<br />

weit besseren Lauf als verschrobenere Musiksorten<br />

– eine Information, die offensichtlich auch An<strong>im</strong>al<br />

Collective und Why? nicht entgangen ist.<br />

Angefangen haben Why? 2003 mit leicht dissonanten<br />

Folk-HipHop-Miniaturen, zu denen Yoni<br />

Wolf expressiv versponnene Lyrics zu einem endlosen<br />

Band knüpfte, indem er pausenlos Rapidiome<br />

und traditionellen Gesang verband. Das macht er<br />

zwar heute noch, doch hat seine St<strong>im</strong>me durch die<br />

für Label-Verhältnisse ausgewiesen kraftvolle Produktion<br />

erheblich an Volumen und Energie gewonnen,<br />

was sie wiederum in einem aggressiveren Licht<br />

erscheinen lässt.<br />

Refrainorientiert arbeiteten Why? spätestens seit<br />

2005, seit »Sanddollars« und »Elephant Eyelash«,<br />

doch so ohrwurmverliebt wie auf »Alopecia« agierten<br />

sie noch nie. Wir hören Klaviernoten, Orgelsounds,<br />

variable Rhythmen aus einfallsreich programmierten<br />

Drum<strong>com</strong>putern, folkige Gitarrenläufe und hübsche<br />

Choräle. Und eigentlich ist das alles wunderschön,<br />

deep, zupackend und dunkel sch<strong>im</strong>mernd,<br />

und durch Wolfs unverkennbare, leicht nasale Art zu<br />

rappen vielleicht sogar ein einzigartiger Indiepop-Hip-<br />

Hop-Hybrid. Wenn, ja wenn da nicht jene Songs wären,<br />

in denen sich das Trio ausgerechnet berechenbar<br />

konventionellem Breitwandpop verschreiben musste.<br />

Man sollte wohl darüber hinweghören. Und weil es so<br />

viele Stücke nicht sind, gelingt das auch. Michael Saager<br />

No Kids Come Into My House<br />

Tomlab | Indigo<br />

Dieses Trio aus Vancouver kommt<br />

scheinbar aus dem Nichts. Doch die<br />

Geschmeidigkeit ihres Debüts lässt absolute<br />

Profis erkennen. Obwohl die<br />

Musik einfach und eingängig daherkommt, entpuppt<br />

sich »Come Into My House« be<strong>im</strong> Hören über<br />

die vollen 41 Minuten Spielzeit hinweg als meisterhafte<br />

Verzahnung von Detailverliebtheit und Reduktion<br />

aufs Wesentliche.<br />

Trotz Flirt mit Easy Listening, W<strong>im</strong>p Pop, Beach<br />

Boys und Broadway-Melodien aus den zwanziger<br />

Jahren gelingt es den No Kids, hoch komplexe Pop-<br />

Arrangements extrem locker aus dem Ärmel zu<br />

schütteln. Die Stücke wurden mit bis zu neun Gastmusikern<br />

eingespielt, wirken aber an keiner Stelle<br />

überladen. Das beliebte Prinzip, alle Spuren mit<br />

Streichern und gedämpften Bläsern zuzuklatschen,<br />

haben No Kids vorbildlich vermieden. Und doch<br />

gibt es sie, die süßlichen Streicher und gedämpften<br />

Bläser – jedoch nur als leichte Tupfer.<br />

Im Graubereich von zeitgenössischem R’n’B,<br />

Burt-Bacharach und Belle & Sebastian ist den No<br />

Kids kluger Pop gelungen, der seine Klugheit nicht<br />

übermäßig zur Schau stellen muss. Diese Bescheidenheit,<br />

Zitate nicht meterdick kennzeichnen zu<br />

müssen, unterscheidet sich wohltuend vom plumpen<br />

Referenz-Pop eines Adam Green. Originalität ist<br />

hier sowieso gegeben, also muss sie auch nicht permanent<br />

bewiesen werden. »Come Into My House«,<br />

benannt nach einer Single von Queen Latifah, zelebriert<br />

Weichheit als Stärke und Dekadenz als Überlebensstrategie.<br />

Mehr kann man von gutem Pop wirklich<br />

nicht erwarten. Martin Büsser<br />

Carl Craig Sessions<br />

!k7 | Rough Trade<br />

Es ist auch mal Zeit für ein bisschen<br />

Überblick über all die seit Jahren raus<br />

gehauenen Carl-Craig-Veröffentlichungen.<br />

Seit Mitte der 80er Jahre liefert<br />

der Typ aus der zweiten Detroiter Schule diese<br />

Momente auf dem Techno-Floor, die zunächst unscheinbar,<br />

hinterher aber wie die Droge mit Retard-<br />

Effekt wirken. Carl Craig macht die Höhepunkte, die<br />

kriegt man gar nicht richtig mit. Da seine Liste bei<br />

discogs.<strong>com</strong> längst gegen unendlich tendiert, freue<br />

ich mich über: »Sessions«. Eine Doppel-Mix-CD.<br />

Die Sammlung aus klassischen Craig-Tracks in<br />

neuem Gewand, aus bisher unveröffentlichtem Material<br />

und den ultrabeliebten Remixen speist zum<br />

Beispiel der Hit des vergangenen Jahres, Craigs Remix<br />

von »Like A Child« der Junior Boys oder die<br />

nicht minder beliebte Bearbeitung von Theo Parrishs<br />

»Falling Up« in die Mix-Session ein. Dazu<br />

neue, bisher unveröffentlichte Versionen von Techno-Klassikern<br />

diverser Craig-Pseudonyme wie »Bug<br />

In The Bass Bin« vom Innerzone Orchestra oder<br />

»Throw« von den Paperclip People.<br />

Craig ist versatil. Er produziert und remixt mit<br />

dem Ziel einer elektronischen Körpermusik. Er kommuniziert<br />

nicht über den Weg der Mythenbildung.<br />

Alles kommt aus dem Equalizer: Musik zum Tanzen,<br />

Musik zum Glücklichsein oder -werden. Musik<br />

zum Rezensionenschreiben. Die gute Nachricht für<br />

die Fans heißt »Psychobeat« und besteht in einem<br />

Track des frühen Craig-Pseudonyms 69: Bei einem,<br />

der <strong>im</strong> gesamten Jahr 2007 keine eigenen Tracks produziert<br />

hat, ist es doch gut zu wissen, dass noch frische<br />

Stücke in den digitalen Archiven lagern. Der<br />

fricklige Nervenkitzel »Psychobeat« hätte auch gerade<br />

eben entstanden sein können. Christoph Braun<br />

Mark Stewart Edit<br />

Crippled Dick Hot Wax | SPV<br />

Der linksradikale Netzwerker Mark<br />

Stewart (The Pop Group) war <strong>im</strong> letzten<br />

Jahrzehnt reichlich aus dem Blick<br />

geraten. Erst das grassierende Post-<br />

<strong>Punk</strong>-Revival führte zum Erinnerungsalbum »Kiss<br />

The Future« (auf Soul Jazz Records), war als »Best<br />

of« unkonzentriert und willkürlich zusammengestellt,<br />

bot aber dafür drei neue Tracks, die aus der<br />

Zeit nach »Control Data« (1996) stammten. Gerüchte!<br />

Ein neues Album sollte folgen. Jetzt ist »Edit« da<br />

und erscheint – ausgerechnet – auf CDHW, dem<br />

Lieblingslabel für Incredibly Strange Musik und<br />

Obskures.<br />

»Edit« legt selbstbewusst wenig Wert auf hippe<br />

Zeitgenossenschaft, sondern bohrt stoisch weiter<br />

alte Bretter. Was toll ist, denn das neue Album<br />

kommt gefährlich grobmotorisch und bollerig daher,<br />

voller Rock-Riffs (»Ghostbusters!«), Dub-<br />

Effekte, geschichteten Industrial-Sound-Wänden,<br />

tiefer als der Marianengraben, verfremdeten St<strong>im</strong>men,<br />

die schwer verständlich Parolen streuen. Man<br />

vergleiche nur die beiden Versionen von »The Puppet<br />

Master« auf »Kiss the Future« und »Edit«, um<br />

zu verstehen, wie konzise gegen den Zeitgeist die<br />

Sounds von »Edit« produziert sind. Verglichen mit<br />

dem technoaffinen »Control Data« ist »Edit« fast<br />

schon rootsy, voller altmodischer Sounds, die aus<br />

der Zeit gefallen scheinen – und durch diese Fremdheit<br />

die Gegenwart be<strong>im</strong> Schlaffitchen packen.<br />

Mark Stewart bewegt sich mit seiner Polit-Parolen-Paranoia<br />

am entgegen gesetzten Ende des Spektrums<br />

wie Manu Chao, doch beide Musiker fungieren<br />

als Transmitter des globalen »Radio Freedom«.<br />

Mindestens zwei Hits hat es auf »Edit«: »Strange<br />

Cargo« hat eine solide Gr<strong>im</strong>e-Basis und handelt von<br />

Sklaverei, »Mr. You´re A Better Man Than I« ist ein<br />

Yardbirds-Cover und eine ausgesprochen gelungene<br />

Coop mit Ari Up (The Slits), High Ideals & Crazy<br />

Dreams Version 08. Ulrich Kriest<br />

Sons & Daughters This Gift<br />

Domino | Rough Trade<br />

Die musikalische Formel der Glasgower<br />

Sons & Daughters ist nicht besonders<br />

originell, aber sehr effektiv. Das<br />

hatte dereinst auch der Kopf von Franz<br />

Ferdinand so gesehen, sie kurzerhand zur Lieblingsband<br />

erklärt und mit auf Tour genommen. Inzwischen<br />

sind Alex Kaprano und seine Jungs weg vom<br />

Fenster. Das gemischtgeschlechtliche Quartett indessen<br />

mischt die Retro-Tanzszene erneut auf.<br />

Tatsächlich lässt es sich gut herumhüpfen zu<br />

»This Gift«, wenn man sich mit der Tatsache angefreundet<br />

hat, dass ihr refrainverliebter Country-<br />

Rock’n’Roll-<strong>Punk</strong> erstens produktionstechnisch aufgeblasen<br />

worden ist, es zweitens etwas geradliniger<br />

zur Sache geht und drittens aus Sixties-<strong>Punk</strong> teilweise<br />

Sixties-Pop wurde. Dennoch: Schlagzeugspiel, Gitarrenriffs<br />

und Basslicks treffen derart punktgenau<br />

in den Magen, dass es eine schöne Wucht ist und die<br />

reine Freude würde, wenn Adele Bethel und Scott Paterson<br />

nun noch ihren hingerotzt coolen Gesang anst<strong>im</strong>mten,<br />

als Duett. Warum also, würde man gerne<br />

wissen, lässt Bethel ihren Lebenspartner eigentlich<br />

kaum noch ans Mikro? Michael Saager<br />

26 Platten Platten<br />

27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!