4 Alban Berg: „Drei Orchesterstücke“ er schrieb, dass man sich auf mich nicht verlassen kann.“ Wenig später ließ er seinen ehemaligen Lehrer wissen: „Sonst verging die letzte Zeit mit Arbeit an den Orchesterstücken, deren Schicksal mich natürlich unaufhörlich beunruhigt. Muß ich mich doch immer fragen, ob das, was ich da ausdrücke, über welche Takte ich oft tagelang sitze – auch besser ist als die zuletzt gemachten Dinge...“ Berg vergrub sich in Trahütten, dem steirischen Gut seiner Schwiegereltern Nahowski, in die Arbeit. Doch der Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 unterbrach den Schaffensprozess. Berg konnte die Partitur bis zum Geburtstag Schönbergs nicht fertig stellen, lediglich das erste und das dritte Orchesterstück erreichten den ehemaligen Lehrer in Berlin. In seinem Begleitbrief erklärte Berg: „Ich habe mich ja wirklich bemüht, mein Bestes zu geben, allen Ihren Anregungen und Rathschlägen Folge zu leisten, wobei mir die unvergesslichen, ja umwälzenden Erfahrungen der Amsterdamer Proben [der Orchesterstücke op. 16 Schönbergs] und das eingehende Studium Ihrer Orchesterstücke unendliche Dienste leisteten und meine Selbstkritik immer mehr schärften. Dies ist auch der Grund, warum ich die Fertigstellung des zweiten der ‚Drei Stücke‘, ,Reigen‘, nicht zu dem mir vorgesetzten Termin erzwang und sie auf später hinaus schob, wo es mir wahrscheinlich gelungen sein dürfte, die mir bis jetzt noch nicht klar gewordenen Fehler zu verbessern.“ Gustav Mahler als symphonisches Vorbild Das kompositorische Ergebnis ist, wie von Schönberg vorgeschlagen, eine Folge musikalischer Charakterstücke, die „Präludium“, „Reigen“ und „Marsch“ überschrieben sind. Gleichzeitig ist es eine Art Konzentrat der Gattung „Symphonie“, wobei das „Präludium“ dem Kopfsatz entspricht, der „Reigen“ Scherzo und langsamem Satz (in dieser Reihenfolge) und der „Marsch“ dem Finale. Neben den Orchesterstücken op. 16 von Arnold Schönberg ist es vor allem die Musik Gustav Mahlers, eines der Idole Alban Bergs, die in den „Drei Orchesterstücken“ ihre Spuren hinterlassen hat. Der „Marsch“ nimmt eindeutig Bezug auf das symphonische Schaffen Mahlers, insbesondere auf dessen 6. Symphonie, die Berg besonders schätzte. Doch auch in den anderen Stücken des Zyklus ist der Einfluss Mahlers allenthalben greifbar. Bereits 1910 hatte Berg an seine damalige Braut Helene Nahowski geschrieben: „Ich habe wieder einmal die IX. Mahlers durchgespielt: Der erste Satz ist das Allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat. Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu dieser Erde, die Sehnsucht, in Frieden auf ihr zu leben, sie, die Natur, noch auszugenießen bis in ihre tiefsten Tiefen – bevor der Tod kommt. […] Was ihm und wie lang ihm die Erde noch ihre Schätze bietet, will er genießen: er will fern von allem Ungemach in freier – dünner Luft des Semmerings sich ein Heim schaffen – um diese Luft – diese reinste Erdenluft, in sich zu saugen mit immer tiefern Zügen – immer tiefern Zügen, dass sich das Herz, dieses herrlichste Herz, das je unter Menschen geschlagen hat, sich weitet – immer mehr sich
Arnold Schönberg: Alban Berg (um 1912) 5