rot-graue blätter - Schriftleitung
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Vielerlei Unangenehmes zu verarbeiten, Schicksalsschläge durchzustehen<br />
und mit der eigenen Unvollkommenheit auszukommen, auch dazu qualifizierten<br />
ihn Reflexionen im Geiste der Stoa in besonderem Maße:<br />
„Rührt ein Übel von dir selbst her, warum tust du’s? Kommt es von einem<br />
andern, wem machst du Vorwürfe? Etwa den Atomen oder den Göttern? Beides<br />
ist unsinnig. Hier ist niemand anzuklagen. Denn, kannst du, so bessere den<br />
Urheber; kannst du das aber nicht, so bessere wenigstens die Sache selbst;<br />
kannst du aber auch das nicht, wozu frommt dir das Anklagen? Denn ohne<br />
Zweck soll man nichts tun.“ (VIII, 17)<br />
„Empfinde keinen Ekel, laß deinen Eifer und Mut nicht sinken, wenn es dir nicht<br />
vollständig gelingt, alles nach richtigen Grundsätzen auszuführen; fange vielmehr,<br />
wenn dir etwas mißlungen ist, von neuem an und sei zufrieden, wenn die<br />
Mehrzahl deiner Handlungen der Menschennatur gemäß ist, und behalte das<br />
lieb, worauf du zurückkommst.“ (V, 9)<br />
Mitunter ist kritisch gegen Mark Aurels Selbstbetrachtungen eingewandt worden,<br />
dass sie der philosophischen Originalität entbehrten. Dabei wurde in<br />
der Regel außer Acht gelassen, dass ein Anspruch auf Originalität im<br />
gemeinten Sinne mit den Aufzeichnungen Mark Aurels zweifellos gar nicht<br />
verbunden war. Der Kaiser hat sie für sich geschrieben, nicht für die Philosophiegeschichte.<br />
Einarbeitung in die Regierungsgeschäfte<br />
Eine bessere Vorbereitung auf politische Verantwortungsübernahme, als sie<br />
Mark Aurel durchlaufen hat, ist kaum vorstellbar. Bis zum Antritt der eigenen<br />
Herrschaft hatte er 23 Jahre lang (138–161) die umfassend genutzte Gelegenheit,<br />
sich auf die Anforderungen des Amtes einzustellen, sich in die Verwaltungsstrukturen<br />
des Römischen Reiches einzuarbeiten und alle wichtigen<br />
Bewerber und Inhaber einflussreicher Ämter kennen zu lernen. Er erlangte<br />
dabei einen so sicheren Blick für die menschliche und aufgabenbezogene<br />
Eignung der Amtsträger und Postenkandidaten, dass Antoninus Pius sich<br />
schließlich in allen Stellenbesetzungsfragen auf das Urteil des Marcus stützte.<br />
Die von Hadrian aufeinander Verwiesenen harmonierten auch von ihrem<br />
ganzen Naturell her. Die Charakterisierung des Antoninus, die Mark Aurel im<br />
Ersten Buch der Selbstbetrachtungen gibt, dürfte sowohl die Vorbildfunktion<br />
wie auch die Wesensverwandtschaft zum Ausdruck bringen, die den Jüngeren<br />
mit seinem Adoptivvater verbunden hat:<br />
„An meinem Vater bemerkte ich Sanftmut, verbunden mit einer strengen<br />
Unbeugsamkeit in seinen nach reiflicher Erwägung gewonnenen Urteilen. Er<br />
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