Nachruf von Matthias Hagedorn - neheims-netz.de
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LEBENSZEIT ALS BELICHTUNGSZEIT - EIN NACHRUF AUF DEN KÜNSTLER PETER MEILCHEN - VON MATTHIAS HAGEDORN<br />
Das trifft auf die Bil<strong>de</strong>r <strong>von</strong> Peter Meilchen zu, <strong>de</strong>ssen betonte Gleichartigkeit nicht <strong>de</strong>r<br />
Einfallsarmut, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Konzentration auf ein Thema entspringt, in beson<strong>de</strong>rem<br />
Maße zu. Er inszeniert lokale Eskalationen, <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Umgebung unbeachtete kreatürliche<br />
Exzesse, Momente <strong>de</strong>s Kontrollverlusts und <strong>de</strong>r energischen Entfaltung, in <strong>de</strong>nen<br />
sich das Archaische inmitten urbaner Architekturen gegen je<strong>de</strong>n Ordnungswillen Bahn<br />
bricht. Einer Gesellschaft, die wi<strong>de</strong>rstandslos auf <strong>de</strong>n Fortschritt einschwenkt, so diagnostiziert<br />
<strong>de</strong>r Künstler, machen das kulturelle Unbewusste, die verdrängte Naturzugehörigkeit,<br />
<strong>de</strong>r Körper, ein Wachstums– und Entfaltungswille <strong>de</strong>n verdienten Strich<br />
durch die Rechnung. Die Bil<strong>de</strong>r <strong>von</strong> Peter Meilchen zwingen die Welt in <strong>de</strong>n Paarlauf,<br />
unversöhnlich und untrennbar in eins. So sind all die Zwillinge o<strong>de</strong>r Doppelgänger nur<br />
eine Übertreibung <strong>de</strong>s Wunsches, auf Er<strong>de</strong>n nicht ganz alleine zu sein.<br />
Peter Meilchens Kunst war die literarische Negativ– und Doppelbelichtung. Gestochen<br />
scharf wirken seine imaginären Erinnerungsbil<strong>de</strong>r aus Linz am Rhein, doch pulst in ihnen<br />
auch <strong>de</strong>r Schrecken. Seine skeptisch–ironische Weltsicht einerseits, sein poetisches<br />
Engagement an<strong>de</strong>rseits bringen viele Werke hervor, die verschie<strong>de</strong>ne Positionen<br />
beziehen. Sowohl als bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Künstler, wie auch als Autor ist Peter Meilchen ein Beobachtungsvirtuose,<br />
<strong>de</strong>r viele Preziosen zu bieten hat, Wahrnehmungen, die vielleicht<br />
nicht unbedingt lebenswichtig sind, aber gera<strong>de</strong> in ihrer Fokussierung <strong>de</strong>s Nebensächlichen<br />
<strong>de</strong>m Leser Aha–Erlebnisse und Wie<strong>de</strong>rerkennungseffekte verschaffen. Er nimmt<br />
sich und seinen Figuren kein Blatt vor <strong>de</strong>n Mund, die Brutalitäten in Wort und Bild können<br />
uneingeschränkt <strong>de</strong>filieren. Auch das gehört spätestens seit Rabelais zur Lust am<br />
Grotesken, dieses <strong>de</strong>struktiv–schöpferische Sich–gehen–Lassen, die verbale Ausschweifung.<br />
Reich an Adjektiven, an Partizipien und an sich win<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, immer in neue<br />
Ecken spähen<strong>de</strong>n Sätzen sind diese ausgefeilten Stücke. Vor allem Farbeindrücke<br />
nehmen darin breiten Raum ein. Zwischen Schwarz und Grün bewegt sich eine »Beobachtung<br />
eines Unsichtbaren«. Die Rückkehr ins Rheinland steht bei »Schimpfen« im<br />
Zeichen <strong>von</strong> Gelbtönen, die so schnell vom Satt–Schönen ins Erdige umschlagen. Und<br />
natürlich geht es bei »Texte«, die so intensiv und bil<strong>de</strong>rreich das Ineinan<strong>de</strong>rgreifen <strong>von</strong><br />
gegenwärtigen und vergangenen Sinneswahrnehmungen ausleuchtet, auch um die<br />
Augenblicke, da das Wahrnehmen in das Verlangen umschlägt, das Wahrgenommene<br />
schreibend zu fixieren. Wenn Peter Meilchen spazieren geht, begegnet ihm ein Übermaß<br />
an Welt. Das muß er bewältigen – mit Sprache, mit Sätzen und Satzfragmenten, in<br />
<strong>de</strong>nen die Welt weiter mäan<strong>de</strong>rt, vibriert und manchmal auch herausbrüllt. Er porträtiert<br />
in seinem Werk eine untergehen<strong>de</strong> Welt – und überwand sie. Opulenz, Wür<strong>de</strong> und Gesellschaftsanalyse<br />
verbin<strong>de</strong>t er wie kein an<strong>de</strong>rer. Wenn wir Romantik als Autonomie<br />
<strong>de</strong>s Imaginären verstehen, dann han<strong>de</strong>lt es sich hier durchaus um romantische »Texte«,<br />
die sich aus <strong>de</strong>r Spannung zwischen Realität und Imagination, Besitzen und Begehren<br />
ergeben. Es sind Texte ohne Gedächtnis, allein <strong>von</strong> Erinnerungen an Bil<strong>de</strong>r, Gerüche,<br />
Gefühle getragen und auf <strong>de</strong>r Suche nach einer zu erzählen<strong>de</strong>n Geschichte. Das ist<br />
keine instrumentale Sprache, die ihren Gedanken schon umschlossen hält und dadurch<br />
auch für nichts Neues und Überraschen<strong>de</strong>s mehr zur Verfügung stehen kann,<br />
son<strong>de</strong>rn eine Sprache <strong>de</strong>s Suchens und Unterwegsseins, <strong>de</strong>r Ahnungen und einer immensen<br />
Lust am Ent<strong>de</strong>cken. Wer <strong>von</strong> seinem Leben erzählt, erzählt immer eine Erfolgsgeschichte.<br />
Wer erzählt, lebt. Schon das ist ein Triumph. Wer erzählt, ist <strong>de</strong>r gewor<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>r erzählen kann. Wer erzählt, ist nicht allein. Er gehört in eine Welt, die seine<br />
Welt gewor<strong>de</strong>n ist. Ganz auf die Ablagerungen <strong>de</strong>r eigenen Biographie setzend und<br />
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