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Nachruf von Matthias Hagedorn - neheims-netz.de

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LEBENSZEIT ALS BELICHTUNGSZEIT - EIN NACHRUF AUF DEN KÜNSTLER PETER MEILCHEN - VON MATTHIAS HAGEDORN<br />

war. Nichts als die Photografie selbst spricht: über die Atmosphäre <strong>de</strong>r Zeit, über <strong>de</strong>n<br />

Werkprozess, über <strong>de</strong>n Künstler, welcher das Vergehen <strong>de</strong>r Zeit selbst als sein Material<br />

ent<strong>de</strong>ckt hat. Peter Meilchen arbeiteten meist nicht für einen Auftraggeber, son<strong>de</strong>rn als<br />

passionierter Begleiter, die sich am Ort <strong>de</strong>s Geschehens einfin<strong>de</strong>t. Träumen ist das<br />

wahre Wachsein. Und das Fantastische ist das Wirkliche. Im Medium <strong>de</strong>r Photografie<br />

produziert dies Paradoxon nicht nur Bil<strong>de</strong>r sui generis, son<strong>de</strong>rn hat auch die Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>r Verbreitung in Magazinen und Zeitschriften. Durch das lange Warten auf seine<br />

Sichtbarkeit verdichteten sich im analogen Bild wesentlich mehr Momente, und außer<strong>de</strong>m<br />

erhöhte die zeitliche Distanz auch seine Autorität: Denn wenn wir das Bild endlich<br />

in Hän<strong>de</strong>n hielten, kam uns seine Aussage über einen Moment oft wesentlich präziser<br />

vor als unsere Erinnerung daran. Seit <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne beklagte Verlust <strong>de</strong>s<br />

richtigen, weil einzig <strong>de</strong>nkbaren Blicks hat sich mit <strong>de</strong>r digitalen Photografie also<br />

nochmals ver<strong>de</strong>utlicht.<br />

Durch die Digitaltechnik sind die Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Amateurphotografen wahrscheinlich qualitativ<br />

besser gewor<strong>de</strong>n, gleichzeitig hat die Hobby–Praxis an Romantik eingebüsst.<br />

Heute sind die Bil<strong>de</strong>rjäger meist mit kleinsten Apparaten unterwegs, die Weltdaten in<br />

Form <strong>von</strong> Pixeln registrieren, und sie versprechen sich, daß sie alle Gestaltungen o<strong>de</strong>r<br />

Korrekturen dann am Rechner vornehmen wer<strong>de</strong>n. Einst mußten die wichtigsten Bil<strong>de</strong>ntscheidungen<br />

vor Ort schon gefällt wer<strong>de</strong>n, wenn Tage später, die Resultate in Hän<strong>de</strong>n<br />

hielt, war es oft, als begegne man einem seltsam frem<strong>de</strong>n, faszinieren<strong>de</strong>n Stück<br />

Welt, das auf atemberauben<strong>de</strong> Weise mit <strong>de</strong>m eigenen Leben zu tun hat. Manche Panne<br />

kam einem wie Kunst vor, manch unglückliche Perspektive hatte einen seltsam wil<strong>de</strong>n<br />

Charme. Fehler können unbeabsichtigt auftreten und konserviert o<strong>de</strong>r bewußt provoziert<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Attraktion <strong>de</strong>s Fehlers hat damit zu tun, daß sich in ihm ein letzter<br />

Rest jenes subjektiv und arbiträr verfahren<strong>de</strong>n Künstlersubjekts bewahrt, das ja in je<strong>de</strong>r<br />

Überantwortung an ein wie auch immer geartetes (permutatives o<strong>de</strong>r aleatorisches)<br />

System eigentlich preisgegeben wird. Analog hergestellte Bil<strong>de</strong>r repräsentieren die<br />

vergangene Zeit auf eine materielle, physische Weise, wie es digitale Bil<strong>de</strong>r nicht tun.<br />

Dem mechanischen Bild haftete immer etwas Verbindliches an, das digitale Bild wirkt<br />

dagegen unverbindlich. Jenseits aller Tricks und Korrekturen glaubte man <strong>de</strong>m analogen<br />

Bild, ja selbst ein<strong>de</strong>utig gestellte Photografien behaupteten stets: „So ist es gewesen“<br />

(Barthes). Das digitale Bild drückt immer etwas an<strong>de</strong>res aus: Selbst wenn es offensichtlich<br />

ganz unverstellt ein Stück Realität abbil<strong>de</strong>t – immer folgt ihm <strong>de</strong>r Gedanke,<br />

daß es auch an<strong>de</strong>rs gewesen sein könnte, daß man es vielleicht an<strong>de</strong>rs darstellen<br />

müßte. Peter Meilchens Bil<strong>de</strong>r halten fest, was nicht festzuhalten ist: die Erscheinung<br />

einer Landschaft, eines Gegenstands, eines Menschen. In seinen Bil<strong>de</strong>rn zeigt sich <strong>de</strong>r<br />

gestalterische Wille das Chaotische <strong>de</strong>r Welt erfolgreich zu bannen. Der Geist, <strong>de</strong>r sie<br />

bestimmt, stammt aus Zeiten <strong>de</strong>r analogen Erzeugung bildnerischer Wun<strong>de</strong>r. In<strong>de</strong>m<br />

seine Photografie <strong>de</strong>n Zeitfluss unterbricht, vollzieht sie eine Inventarisierung <strong>de</strong>r<br />

Sterblichkeit. Seine Bil<strong>de</strong>r springen ins Auge. Auch wenn die Mittel bekannt und so beschaffen<br />

sind, daß digitale Laboranten wohl die Nase rümpfen müssen: Die Ergebnisse<br />

treten als ganz individuelle Entschei<strong>de</strong>, als einzigartige Schöpfungen auf. Es sind bildnerische<br />

Lösungen, Formulierungen mit <strong>de</strong>m Alphabet <strong>de</strong>r analogen Photografie. Am<br />

zutreffendsten ist für sie das Eigenschaftswort packend. Seine Schland–Stücke ergreifen<br />

uns. Ein Fingerdruck genügt, um <strong>de</strong>m Augenblick eine postume Ironie zu verleihen.<br />

Das Motiv <strong>de</strong>s "Tieferhängens" versteht Peter Meilchen ganz wörtlich: Das Kunstwerk<br />

soll <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Höhe, in <strong>de</strong>r es sich in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen i<strong>de</strong>alistischen und romantischen<br />

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