Nachruf von Matthias Hagedorn - neheims-netz.de
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LEBENSZEIT ALS BELICHTUNGSZEIT - EIN NACHRUF AUF DEN KÜNSTLER PETER MEILCHEN - VON MATTHIAS HAGEDORN<br />
Tradition <strong>de</strong>r Kunstbetrachtung befun<strong>de</strong>n hat, abgenommen und auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>s<br />
Betrachters wie<strong>de</strong>r angebracht wer<strong>de</strong>n. Die in <strong>de</strong>r Rezeption durch die hochhängen<strong>de</strong>n<br />
Bil<strong>de</strong>r eingeübte und durch viele Kunstkommentare weitergegebene Machtgeste, daß<br />
<strong>de</strong>r Kunst per se höhere Autorität zukomme, erkennen sie nicht an. Im Zug <strong>de</strong>r Autonomwerdung<br />
<strong>von</strong> Kunst setzte nicht einfach eine Befreiung <strong>von</strong> Regeln, son<strong>de</strong>rn eine<br />
Verschiebung ein: Die Regelpoetiken konnten sich zwar nicht mehr halten, statt<strong>de</strong>ssen<br />
aber wur<strong>de</strong> die Rezeption <strong>von</strong> Kunst geregelt. Der Künstler wur<strong>de</strong> in seinem Schaffen<br />
frei, <strong>de</strong>r Betrachter dagegen hatte sich unter <strong>de</strong>ssen Genius zu stellen.<br />
Es zunächst egal, ob die Formulierung einer Landschaft im klassischen Tafelbild o<strong>de</strong>r<br />
im Computer geschieht. Das Problem <strong>de</strong>r Bildfindung, ist bei<strong>de</strong> Male das gleiche. Bezieht<br />
man Überlegungen zur traditionellen Theorie <strong>de</strong>r inventio mit in die Betrachtungen<br />
ein, so muß angesichts <strong>de</strong>r hier besprochenen Arbeit ein an<strong>de</strong>res überraschen. Peter<br />
Meilchens Photografisches Auge tastet sich tief in die Landschaft vor, die Bil<strong>de</strong>r sprechen<br />
<strong>von</strong> jener Distanznahme als Form <strong>de</strong>r Annäherung, die weniger <strong>de</strong>r Wirklichkeit<br />
verpflichtet ist als einer überzeitlichen Neuordnung <strong>de</strong>r perspektivisch zusammengezurrten<br />
Gegend. Seine Arbeit kommt <strong>de</strong>r Bildwahrheit am nächsten, insofern er gar<br />
nicht erst vorgibt, Realität zu repräsentieren. Beim seinen Bil<strong>de</strong>rn weiß man immer, daß<br />
sie gemacht sind. In einem Strom medialer Informationen sind diese Bil<strong>de</strong>r eine Art<br />
Haltestelle. Im Rahmen einer Fehlinterpretation <strong>de</strong>r Poetik <strong>von</strong> Horaz hatte man durch<br />
die gesamte Neuzeit unter <strong>de</strong>r potestas au<strong>de</strong>ndi, <strong>de</strong>r Kraft zum Wagnis, die Möglichkeit<br />
mit eingeschlossen, Ungekanntes und Ungesehenes im Bild darzustellen. Ebenfalls<br />
aus <strong>de</strong>r Antike war bekannt, daß die Naturnachahmung jenes hervorbringe, was aus<br />
<strong>de</strong>r Anschauung bekannt sei, die Phantasie aber jenes, was bis anhin noch nie gesehen<br />
wor<strong>de</strong>n sei. Kunstschaffen wird dann zu wahrer Kunst, wenn es sich in <strong>de</strong>m Maß<br />
<strong>von</strong> <strong>de</strong>r Natur löst, wie es eine Entstellung zur Realität erfor<strong>de</strong>rlich macht. Kunst ist<br />
mithin nicht Nachahmung <strong>de</strong>r Natur, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren getreue Abbildung durch Überzeichnung.<br />
Es fragt sich angesichts solcher Differenzierungen, ob die mimetische Kraft<br />
eines neuen Mediums wie <strong>de</strong>s Computers sich darin erschöpft, eine zwar fingierte und<br />
dadurch beson<strong>de</strong>rs idyllische Landschaft hervorzubringen, die aber in je<strong>de</strong>m ihrer Bestandteile<br />
schon visuell geläufig ist. Ist das Wie<strong>de</strong>rerkennen, das seit Aristoteles als<br />
Grundlage für das ästhetische Vergnügen bei <strong>de</strong>r Bildbetrachtung gilt, auch hier das<br />
höchste Ziel<br />
In <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r Photografie erschienen auf <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn mitunter seltsame Geister.<br />
Wie Abgesandte aus <strong>de</strong>m Reich einer doppelt belichteten Wirklichkeit verstärkten sie<br />
das heimliche Grausen, das dieser Technik in ihrem Beginn noch eigen war. Viel ist<br />
seit<strong>de</strong>m geschehen, um die Gespenster zu bannen und <strong>de</strong>r sichtbaren Realität die<br />
Bildhoheit einzuräumen. Doch die Ungewissheit, daß man nicht genau planen konnte,<br />
was auf einer Photografie schließlich zu sehen sein wür<strong>de</strong>, ist erst mit <strong>de</strong>n digitalen<br />
Kameras ganz verschwun<strong>de</strong>n. Mit ihr entschwand die Angewiesenheit <strong>de</strong>r Abbildung<br />
auf die Wirklichkeit überhaupt. Was be<strong>de</strong>utet es, wenn die Spanne, in <strong>de</strong>r das Negativ<br />
<strong>de</strong>r Realität in <strong>de</strong>r Dunkelkammer sich zu einem Bild entwickelte, völlig verloren geht<br />
Weil das Gesehene entzifferbar ist, kann es weitergeschrieben wer<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>s Bild ein<br />
Trompe–l'Śil, ein Palimpsest. Die Bil<strong>de</strong>r, die wir uns <strong>von</strong> Bil<strong>de</strong>rn zu machen gewohnt<br />
sind, sind selten ein<strong>de</strong>utig. Wir haben gelernt, Kunstwerke als eine Art Geheimnis zu<br />
betrachten, <strong>de</strong>ren wahrer Sinn sich hinter <strong>de</strong>r Oberfläche <strong>de</strong>r Zeichen verbirgt. Nicht<br />
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