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Nachruf von Matthias Hagedorn - neheims-netz.de

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LEBENSZEIT ALS BELICHTUNGSZEIT - EIN NACHRUF AUF DEN KÜNSTLER PETER MEILCHEN - VON MATTHIAS HAGEDORN<br />

nur die Welt, son<strong>de</strong>rn auch die Bil<strong>de</strong>r heischen nach Erklärung, so scheint es. Was a-<br />

ber, wenn das Geheimnis zum Rätsel schrumpft und die Oberfläche sich im Vexierspiel<br />

<strong>de</strong>r Täuschung ergeht<br />

Peter Meilchen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Photografie beruht auf <strong>de</strong>m gestalterischen Grundsatz, wonach<br />

das Know–how – die Beherrschung <strong>de</strong>r Mittel – wertlos ist ohne Know–why, ohne<br />

das Interesse an seinem Motiv. Auf <strong>de</strong>m Weg über unsere Netzhaut verän<strong>de</strong>rt sich ein<br />

Bild, und was es in uns auslöst, wenn es auf unser inneres Auge trifft, kann weit da<strong>von</strong><br />

entfernt sein, was es in Wirklichkeit zur Anschauung bringt. Denn ähnlich wie Proust<br />

mit Büchern ergeht es uns mit Bil<strong>de</strong>rn. Sie rühren uns an, weil wir uns in ihnen wie<strong>de</strong>r<br />

erkennen. Was wir dann sehen, ist eine Fortsetzung <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s mit narrativen Mitteln.<br />

Wie viel Ratio erträgt <strong>de</strong>r Mensch, ist die alte und neue Frage. Zwischen <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung<br />

einer Nötigung <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>r Warnung vor Hirngespinsten oszilliert selbst<br />

Kant. Der Grat ist schmal, das Thema hochsensibel, zutiefst nicht nur in <strong>de</strong>r Erkenntnis,<br />

son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r Erfahrung angesie<strong>de</strong>lt. Das ist eine nicht unbedingt sichere Basis,<br />

jedoch die unausweichliche Bedingung <strong>de</strong>s künstlerischen Tuns. Im Netz fin<strong>de</strong>t sich<br />

ein an<strong>de</strong>res Leuchten in <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn, eine visuelle Kultur <strong>de</strong>r Schnappschüsse. Die Organisation<br />

eines Wahrnehmungsfel<strong>de</strong>s mün<strong>de</strong>t in eine Strategie <strong>de</strong>r Wahrnehmung.<br />

Das Zerstreute zwingt zu konzentrierter Aufmerksamkeit: Es gibt keine Bil<strong>de</strong>r ohne <strong>de</strong>finiertes<br />

Ziel. Die Qualität <strong>de</strong>r Authentifikation eines Ereignisses, eine klare Unterscheidung<br />

<strong>von</strong> Realität und Fiktion wird durch mediales Pathos verunmöglicht. Die Oberfläche<br />

<strong>de</strong>r Welt verän<strong>de</strong>rt sich stark, es sind neue Blickwinkel nötig, um sie zu sehen.<br />

Das Verhältnis kehrt sich um: Die Realität wird zum Abbild <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r. Wenn diese Photographie<br />

lebensecht erscheint, dann sollte man sich überlegen, was es be<strong>de</strong>utet, hier<br />

und jetzt zu leben. Photographie ist die Malerei <strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts gewor<strong>de</strong>n. Peter<br />

Meilchen Bil<strong>de</strong>r verdichten und bün<strong>de</strong>ln, offenbaren und <strong>de</strong>chiffrieren. Er zeigt uns, daß<br />

er es nicht nur mit <strong>de</strong>n Formaten <strong>de</strong>s Abstrakten Expressionismus, son<strong>de</strong>rn auch mit<br />

<strong>de</strong>r Figurenchoreografie eines Rembrandt o<strong>de</strong>r Tintoretto aufnehmen kann. Er gibt <strong>de</strong>n<br />

Experten neue Aufgaben. Peter Meilchen betreibt Photographie als Nach<strong>de</strong>nken über<br />

die Grundfragen <strong>de</strong>s Mediums selbst: Es geht um das Verhältnis <strong>de</strong>r Photographie zur<br />

Zeit und zur Realität. Während um ihn herum die Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m digitalen Co<strong>de</strong> verfallen,<br />

bleibt er <strong>de</strong>r Entwicklerlösung treu: ein nostalgiefreier Bewahrer <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne. Peter<br />

Meilchen ist verschärft daran interessiert, alle Medien in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e zu stellen.<br />

Unter <strong>de</strong>n Schichten gibt es lauter kleine Geschichten zu ent<strong>de</strong>cken. Ich mag diese I-<br />

<strong>de</strong>e, daß da etwas unter <strong>de</strong>r Oberfläche ist. Erst wenn wir diese begrifflich bisher kaum<br />

erschlossene Logik <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r verstehen, verstehen wir, daß es auch ein Denken <strong>de</strong>s<br />

Auges gibt und die Bil<strong>de</strong>r mit ihrem dichten Schweigen längst über unseren visuellen<br />

Zugang zur Welt entschie<strong>de</strong>n haben. Kunstmachen selbst produziert Entscheidungsprozesse,<br />

und die kann man versuchen zu verstehen und zu eigenen Kriterien <strong>de</strong>s Betrachtens<br />

in Beziehung setzen. Künstler sind <strong>de</strong>shalb so empfindsame Menschen, weil<br />

sie nicht irgen<strong>de</strong>in Produkt in die Welt setzt, son<strong>de</strong>rn sich ganz und gar selbst in ihr<br />

Werk begeben. Es ist immer ein schmaler Grat zwischen Kritik an einem Werk und Kritik<br />

an einem Menschen. Es klafft eine riesige Lücke zwischen <strong>de</strong>m spezialisierten A-<br />

vantgar<strong>de</strong>diskurs und einem an komplizierteren Dingen null interessierten Populärdiskurs,<br />

<strong>de</strong>r fast ausschließlich über Gesichter, Auktionszahlen und das Lifestyledrumherum<br />

läuft. Deshalb <strong>de</strong>r Versuch, ein paar Schneisen ins Kunstfeld zu schlagen, eine Art<br />

Navigationsinstrument, nicht mehr und nicht weniger. In Werkstattgalerien wie »Der<br />

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