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November 07 - Das Magazin für Kunst, Architektur und Design

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8 o.T. Thema<br />

BLINDE FLECKEN<br />

PLASTIKEN UND MOSAIKEN WAREN NOCH VOR WENIGEN JAHRZEHNTEN DIE ÄSTHETISCHE ZIER VON SCHULEN.<br />

HEUTE WERDEN SIE KAUM NOCH BEACHTET. CHARLOTTE BRINKMANN GEHT DER FRAGE NACH<br />

„BRAUCHEN WIR NOCH KUNST AUF DEM SCHULGELÄNDE?“<br />

Selbstbewusst stehen sie da, die beiden „Girlies“ in ihren kurzen Sommerkleidern,<br />

<strong>und</strong> sind in eine Diskussion vertieft. Mit ihren frechen<br />

Haarschnitten könnten sie aus dem heutigen Othmarschen stammen,<br />

doch es handelt sich hier um in Bronze gegossene junge Frauen<br />

aus dem Jahre 1959. <strong>Das</strong> <strong>Kunst</strong>werk mit dem Titel „<strong>Das</strong> Gespräch“ von<br />

Maria Pirwitz wurde seinerzeit <strong>für</strong> den Neubau des „Gymnasiums <strong>für</strong><br />

Mädchen“ am Hochrad im Rahmen der „<strong>Kunst</strong> am Bau“-Verordnung<br />

angekauft. Pirwitz hatte bei Edwin Scharff an der Landeskunstschule<br />

studiert <strong>und</strong> war eine der wenigen Frauen, die bis zu ihrem Tod<br />

1984 regelmäßig Aufträge erhielt. Dreißig Jahre, von 1951 bis 1981,<br />

war die Verwaltungsanordnung in Hamburg in Kraft. Sie wurde nach<br />

dem Krieg von Künstlerverbänden eingefordert <strong>und</strong> verpflichtete die<br />

Bauverwaltung, einen Teil ihrer Hochbausumme (etwa zwei Prozent)<br />

<strong>für</strong> <strong>Kunst</strong> zu auszugeben. Als staatliches Beschäftigungsprogramm ermöglichte<br />

sie damit einer ganzen Generation an lokalen <strong>Kunst</strong>schaffenden<br />

ein relativ sicheres Einkommen.<br />

Die <strong>Kunst</strong>mittel flossen nicht nur in Freiplastiken, die bis heute im<br />

räumlichen Kontext von öffentlichen Gebäuden, Garten- <strong>und</strong> Wohnungsbauanlagen<br />

zu sehen sind, sondern auch in Wandgestaltungen<br />

<strong>und</strong> architektonisch-künstlerische Konzepte. „<strong>Kunst</strong> am Bau“ an Schulen<br />

waren vor allem farbige Mosaike oder figurale Plastiken, meist<br />

Kinder- <strong>und</strong> Tierdarstellungen aus Bronze <strong>und</strong> Stein (50/60er Jahre).<br />

In den 70er Jahren wurden – wie insgesamt in der Stadt - zunehmend<br />

ungegenständliche, konstruktivistische Objekte aus Edelstahl, Stein<br />

oder Beton aufgestellt. Selbstredend wurde eine Erziehungsfunktion<br />

der bildenden <strong>Kunst</strong> angenommen, deren räumliche Nähe moralische<br />

Wert- <strong>und</strong> Lebensorientierung vermittele. Trotz dieser hehren Ziele<br />

gibt Gabriele Hatting, in der Schulbehörde Fachreferentin <strong>für</strong> Bildende<br />

<strong>Kunst</strong>, zu bedenken: „So tiefgehend hat man damals wohl nicht<br />

nachgedacht, als man beklemmende Mosaike beauftragte, vor denen<br />

Kinder sogar Angst haben.“ Weniger dramatisch, aber nicht weniger<br />

traurig ist, was sie an sich selbst beobachtet: Jahrelang ist sie als<br />

Lehrerin des Gymnasiums Hochrad an der Figurengruppe von Maria<br />

Pirwitz vorbeigegangen, ohne sie als <strong>Kunst</strong>werk wahrzunehmen. „Sie<br />

wurde auch von den Schülern nur benutzt, um ihre Taschen dran zu<br />

hängen, oder sie diente als Hintergr<strong>und</strong> <strong>für</strong> Gruppenfotos.“ Gegenstand<br />

von <strong>Kunst</strong>betrachtung wurden diese Objekte demnach selten,<br />

bestenfalls waren sie – wie die Abnutzungsspuren an zahlreichen<br />

Bronzeplastiken verraten – Kletter- <strong>und</strong> Spielobjekte. Schließlich:<br />

„Für Schüler, die 1996 geboren sind, ist das Uralt-Kram.“<br />

Erstaunlich modern | Maria Pirwitz „<strong>Das</strong> Gespräch“ von 1959, Haupteingang zum Gymnasium Hochrad<br />

Hat es <strong>für</strong> die Betroffenen dann überhaupt noch einen Sinn, Schulen<br />

mit <strong>Kunst</strong> zu bestücken, wenn sie bestenfalls zu blinden Flecken werden?<br />

In Hamburg wird seit 1981 mit der Aufhebung der „<strong>Kunst</strong> am<br />

Bau“-Regelung ohnehin da<strong>für</strong> keine mehr angekauft, im Gegensatz<br />

zu Nachbarländern wie Schleswig-Holstein <strong>und</strong> Niedersachsen. Frau<br />

Hatting sieht zwar die Chancen von Gegenwartskunst – „die würde<br />

besser funktionieren, weil es andere <strong>Kunst</strong> ist, die sich vielleicht unmittelbarer<br />

mit den Alltag der Schüler auseinandersetzt“ – <strong>und</strong> weiß<br />

doch, dass auch diese ein Verfallsdatum hat: „Irgendwann ist jede<br />

<strong>Kunst</strong> nicht mehr zeitgenössisch.“ Die größte Befriedigung hinsichtlich<br />

Prozess <strong>und</strong> Produkt sieht sie <strong>für</strong> alle Beteiligten in Kooperationsprojekten<br />

zwischen Künstlern <strong>und</strong> Schülern. Darin seien wertvolle<br />

Anteile ästhetischer Bildung vermittelbar: Demokratisierung, Anteilnahme,<br />

ein modernes Verständnis von <strong>Kunst</strong>. Insbesondere hier kommen<br />

reale, nachhaltige Gespräche zu Stande.<br />

FOTO: © CHARLOTTE BRINKMANN

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