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EISENBAHNER ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE Antonín Tichý<br />
18 19<br />
Die erste tschechoslowakische Seilbahn führte<br />
1928 zum Černá hora bei Janské Lázně.<br />
Entschlossene Seilbahnbauer auf dem Černá hora.<br />
Die ausgebreiteten Flügel zierten schon immer die Lokräder über dem<br />
Schildchen der französischen Mützen und auch späteren Brigadiermützen<br />
der Mitglieder der blauen Armee. Aber beim Seilbahnpersonal hatten sie in<br />
Anbetracht des ungewöhnlichen Jobs in Wind und Wetter mehr als nur symbolische<br />
Bedeutung. Das respektable 55-jährige Jubiläum des Seilbahnbe-<br />
triebs zum höchsten Gipfel der Tschechischen Republik provoziert zu einem<br />
Rückblick ins vergangene Jahrhundert, in dem die Geburtsstunde beider, von<br />
der Tschechischen Staatsbahn betriebenen bekanntesten Seilbahnen des<br />
Ostriesengebirges schlug.<br />
Der gewaltige Reiseverkehrsboom nach dem I. Weltkrieg und Aufschwung<br />
aller Verkehrsmittel beeinflusste auch die Bahn. Kein Ort zu abgelegen und<br />
kein Gipfel zu hoch, um hinzukommen. Es ging ums Prestige. Wo man keine<br />
Schienen legen kann, kann man immer noch Seile ziehen. In den europäischen<br />
Bergen schossen Seilbahnen wie Pilze aus dem Boden. Aber das tschechische<br />
Primat kann der Kabinenseilbahn von Janské Lázně auf den Berg<br />
Černá hora, deren Betrieb nach nur 15 Monaten Bauzeit am 31. Oktober 1928<br />
aufgenommen wurde, niemand mehr streitig machen. Dieses Riesengebirgs-,<br />
republikweite und praktisch auch mitteleuropäische Primat wurde durch die<br />
Rekordlänge von 3 174 Metern bei Überwindung eines Höhenunterschieds<br />
von 644 Metern noch vertieft. Nach 50 Jahren Betriebszeit war sie sogar<br />
die älteste Seilbahn der Welt, die ohne Rekonstruktion in Betrieb war. Nach<br />
dem Projekt der ausführenden Firma „František Wiesner, Maschinenfabrik<br />
Chrudim“ war die Seilbahn im Pendelverkehr mit zwei Zugseilen und zwei<br />
Kabinen in der Lage, 120 Personen pro Stunde in eine Richtung zu befördern.<br />
Die heutige Bahn zum Gipfel des Černá hora mit ihren viersitzigen Kabinen<br />
führt seit dem 1. März 1980 auf einer anderen Strecke entlang. An die erste<br />
Riesengebirgsseilbahn erinnert heute nur noch die von weitem sichtbare<br />
breite Schneise der Abfahrtspiste, die neuerdings mit einem kompletten<br />
Beschneiungssystem ausgestattet ist. Ein interessanteres Andenken an die<br />
solide Arbeit der Chrudimer Firma ist die nahezu auf dem Gipfel des Černá<br />
hora stehende und nicht zu übersehende Stahlkonstruktion des einstigen<br />
Stützmasts Nr. 8, die 1998 zum oft aufgesuchten Panorama-Aussichtsturm<br />
umfunktioniert wurde.<br />
Die gleiche Maschinenbaufirma, nun aber schon als Volksbetrieb Transporta<br />
Chrudim, baute nach dem II. Weltkrieg die typenmäßig völlig andere Seilbahn<br />
zur Schneekoppe. Während die Schwebebahn zum Schwarzen Berg von allen<br />
Bevölkerungsschichten ausnahmslos mit Begeisterung aufgenommen worden<br />
war, ist der Bau auf der Schneekoppe für manche Kreise ein ungewünschtes<br />
Kind. Trotzdem hatten beide technische Einrichtungen viel mehr gemeinsam,<br />
als nur den gleichen Hersteller. Das technische System mit unendlichem Seil<br />
und eingehängten Sesseln wurde bei uns das erste Mal schon im Jahre 1940<br />
bei Pustevny in den Beskyden angewendet. Beim Sessellift zur Schneekoppe<br />
wurde aber erstmals in der Tschechoslowakei die Lizenz der Schweizer<br />
Firma Von Roll mit auskuppelbaren zweisitzigen Sesseln verwendet, die ein<br />
Einsteigen bei stehenden Sesseln ermöglicht und darüber hinaus auch die<br />
Transportgeschwindigkeit der Seile erheblich erhöht. Die Vermessungsarbeiten<br />
für die Strecke mit ihren beiden Abschnitten und drei Stationen begannen<br />
Ende April 1947. Die Gesamtlänge der Seilbahn von Pec pod Sněžkou (890<br />
ü.M.) über den Rosenberg (Růžova horu - 1 334 ü.M.) dicht unter den Gipfel<br />
der Schneekoppe (1 594 ü.M.) beträgt 3 527 m. Diese Entfernung wird bei<br />
einer durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeit von 2,5 Metern pro Sekunde in<br />
zirka 25 Minuten überwunden. Die Kapazität von 250 pro Stunde beförderten<br />
Personen ist vom Wetter abhängig. Besonders in ihrem zweiten Abschnitt ist<br />
die Seilbahn angesichts der hier vorherrschenden extremen Witterungsbedingungen<br />
im Durchschnitt 152 Tage pro Jahr in Betrieb. Von Pec zum Růžova<br />
hora fährt man seit dem 15. Januar 1949. Der zweite Abschnitt wurde am 10.<br />
November 1949 versuchsweise in Betrieb genommen, dauerhaft dann am<br />
1. Juli 1950. Auf der Sněžka wurde, genauso wie schon 20 Jahre früher auf<br />
dem Černá hora, auf der gerodeten Schneise zuerst eine Behilfsseilbahn für<br />
den Materialtransport gebaut. Auch hier wurden die Beschäftigten mit der Zeit<br />
zum Seilbahnfanclub, der seiner Seilbahn nichts nachsagen lässt. Bis heute<br />
wechselten sich an der Seilbahn zur Schneekoppe insgesamt 270 Mitarbeiter<br />
ab. Manche von ihnen arbeiteten länger als ein Vierteljahrhundert in den verschiedensten<br />
Positionen.<br />
Der Černá hora hatte seinen Václav Číha, der schon beim Bau der Seilbahn<br />
im Jahre 1928 eingestellt wurde und sich bis zum Stationsvorsteher<br />
hocharbeitete. Inklusive Kriegspause arbeitete er mehr als 30 Jahre als<br />
Seilbahnangestellter. Die Schneekoppe wiederum hatte ihren Michal Floriš<br />
mit seinen 36 Dienstjahren. Er war schon im April 1948, also kurz nach Inbetriebnahme<br />
zur Seilbahn gestoßen und übernahm nach sechs Jahren die<br />
verantwortliche Funktion des Stationsvorstehers. Im April 1984 ging er dann<br />
als lebende Seilbahnlegende in Rente, zur Trauer der Mitarbeiter und Freunde<br />
der Seilbahn. Nach der Privatisierung im Jahre 1997 wurde die Tschechische<br />
Staatsbahn von der AG Lanová dráha Sněžka abgelöst, unter deren Obhut und<br />
Pflege unsere längstbetriebene Seilbahn stolz und in alter Frische ihren 55.<br />
Geburtstag feiern kann.<br />
Historische Seilbahn von Pec zur Schneekoppe, täglich in<br />
Betrieb, laut Winterfahrplan verkehrt sie jede volle Stunde von<br />
8 bis 18 Uhr. Der untere Abschnitt zum Berg Růžova hora ist<br />
regelmäßig in Betrieb, der Betrieb im oberen Abschnitt kann wegen<br />
starkem Wind oder Vereisung eingeschränkt sein. Aktuelle<br />
Informationen erhalten Sie unter den Rufnummern 00420 499<br />
895 137 oder 499 895 110.<br />
Lanová dráha Sněžka a.s., 542 21 Pec pod Sněžkou 230, Direktor<br />
Ing. Jiří Martinec, Tel., Fax 499 895 138, e-Mail: info@snezkalanovka.cz,<br />
www.snezkalanovka.cz.<br />
STATIONSVORSTEHER STŘIHAVKA<br />
- DER BÄREN SCHRECK<br />
Der Kampf von Antonín Střihavka, eines langjährigen Seilbahnangestellten<br />
auf dem Černá hora, mit einem wütenden Bären, lassen so manche Erinnerungen<br />
an den Abstieg vom sturmgepeitschten Berg aufkommen. Es war wohl<br />
im Dezember des Jahres 1965, als im Getöse eines tagelangen Sturms, der<br />
Fichten und Tannen entwurzelte, im Klausengrund der letzte Riesengebirgsbär<br />
in seinem Winterlager wach wurde. Mürrisch und schlecht gelaunt machte er<br />
sich auf den Weg zum Büfett an der oberen Seilbahnstation, um zu betteln.<br />
Dieses war aber, wie auch die Seilbahn selbst, wegen des schlechten Wetters<br />
geschlossen. Mitten in einer Windbö stieß er auf den Schaffner Střihavka, der<br />
durch den tiefen Schnee stapfte, um den Neujahrserlös nach Janské Lázně<br />
zu bringen. Dieser hatte solch eine Angst um den Rucksack voller Geld, dass<br />
er sich entschloss, mit dem gemeinen Räuber zu kämpfen. Im Schneesturm<br />
übersah er völlig, mit wem er es zu tun hatte. Er fasste den vermeintlichen Dieb<br />
an seinem zottigen Kragen, rammte ihm die Fahrkartenlochzange ins Maul und<br />
warf ihn mit einem geschickten Griff auf den Rücken. Der verwirrte Räuber war<br />
so perplex, dass er auf allen Vieren im verschneiten Jungholz das Weite suchte.<br />
Der Zufall wollte es, dass gerade in diesem Augenblick der im Schneesturm<br />
herumirrende Fotograf František Celba auf Skiern vorbeifuhr. Trotz totaler<br />
Erschöpfung gelang es ihm, geistesgegenwärtig den Fotoapparat aus dem<br />
Rucksack zu ziehen und die Schlägerei zu fotografieren. Střihavka wollte Celba<br />
um nichts auf der Welt glauben, dass er gerade mit einem Bären gekämpft<br />
hatte. Zwei Tage später bekam er vom Fotograf das entwickelte Foto - und fiel<br />
in Ohnmacht. Während Celba den Schaffner wiederbelebte, bemächtigte sich<br />
ein wartender Passagier des Fotos und verkaufte es noch am gleichen Tage<br />
ans kommerzielle Fernsehen. So kam das Foto in die Abendnachrichten und<br />
die großen Bahnvorsteher aus Prag ernannten Antonín Střihavka zum Seilbahnvorsteher<br />
auf dem Černá hora. Im Ermächtigungsdekret stand wortwörtlich:<br />
„Wer mit einem Bären fertig wird, der kann auch eine Seilbahn kutschieren!“<br />
Kaum zu glauben, nicht wahr? Kein Wunder, die Sache hat sich wohl doch<br />
anders abgespielt. Der Bär war nämlich ausgestopft. Lange hatte er im Schloss<br />
von Vrchlabí herumgestanden, erlegt wohl von den hiesigen Herrschaftsbesitzern<br />
aus dem Geschlecht der Czernin-Morzin. 1940 zog er ins Schloss von<br />
Horní Maršov um, wo er 1945 durch Dekret des Präsidenten der Republik verstaatlicht<br />
wurde. Moralisch verunsichert irrte er herum und versteckte sich letztendlich<br />
im Naturkundekabinett der Schule in Horní Maršov. Insgesamt lang-<br />
weilte er sich, nur an den feuchtfröhlichen Lehrertagen und Weihnachtsfeiern<br />
zu Jahresende kam er auf seine Kosten. Da krochen ihm die Glasaugen aus<br />
den Höhlen! Hier und da bekam er auch mal einen Schluck ab oder konnte an<br />
einer Zigarette ziehen. Aber dann ging es erbarmungslos zurück zwischen die<br />
Bälge. Alles änderte sich mit der Ankunft des Fotografen Celba. Nach langem<br />
Der Sessellift fährt schon 55 Jahre lang<br />
von Pec in Richtung Schneekoppe.<br />
Einreden händigte ihm der Direktor den Bären aus, und Celba machte ihn kurz-<br />
um zu seinem Kompagnon. Jeden Tag machten sie sich nun gemeinsam<br />
zum Černá hora auf, um Kinder zu erschrecken, Fräuleins zu belustigen und<br />
amüsiert naturwissenschaftlichen Erwägungen von Senioren zu lauschen.<br />
Dabei wurde unermüdlich fotografiert - auf der Flucht vor einem Bären, in den<br />
Armen einer Bestie, Fütterung gefährlicher Tiere, gemeinsam auf Skiern und<br />
auch Gruppenbilder. Einmal kam wohl auch der Schaffner Antonín Střihavka<br />
vorbei und sein Freund František Celba machte ihm ein hübsches Foto. Gratis,<br />
nur so zum Spaß für beide. Aber gut arrangiert war die Sache schon. Wie das<br />
damals nun wirklich war, ist nicht mehr festzustellen. Fotograf Celba, Schaffner<br />
Střihavka und Bär tummeln sich schon lange in den ewigen Jagdgründen des<br />
Riesengebirges. -pk-