Lebenserinnerungen - BAS Services Schiel
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angesehenen Weimarer Gesamtausgabe) sich seine wissenschaftlichen Sporen<br />
redlich verdient hatte. Was er dann aber später, etwa auch in der<br />
„Geheimwissenschaft“, dem kritischen Leser mitunter zumutete, überschritt allzu oft<br />
die Grenze zu einer möglichen intellektuellen Akzeptanz und schwebte in meinen<br />
Augen als unbewiesenes und deshalb unglaubwürdiges Wunschdenken weit über<br />
unser aller Wirklichkeit,- blieb für mich also nicht nachvollziehbar, ja reizte (vor<br />
allem, was seine Sprache betraf) sogar meine Spottlust. Unmittelbar daneben<br />
vermittelte er dann wieder Einsichten in pädagogische Einstellungen und Konzepte,<br />
die mich überzeugten und die selbst anzuwenden ich für erstrebenswert hielt.<br />
Allerdings kam hinzu, dass mir die Menschen, die sich der Waldorf-Pädagogik<br />
verschrieben hatten, sehr zusagten in ihrer unkomplizierten Offenheit, glaubhaften<br />
Herzlichkeit, auch in ihrer Toleranz und vor allem in ihrer unermüdlichen Hingabe<br />
an diese selbst gewählte Aufgabe. In nur zwei Jahren habe ich sehr viel von ihnen<br />
gelernt und die in mich eingedrungenen Impulse während der dreieinhalb Jahrzehnte<br />
meines weiteren schulischen Wirkens immer wieder aufgegriffen und erfolgreich<br />
angewendet,- ohne diese Zeit an der Waldorf-Schule wäre ich ein ganz anderer<br />
Lehrer geworden, sicher kein besserer.<br />
Die äußeren Verhältnisse waren kümmerlich. Neben und über dem Goethe-Saal, der<br />
auch von der Anthroposophischen Gesellschaft und der Christengemeinschaft<br />
genutzt wurde, gab es einige schlichte Klassenzimmer, daneben standen im Hof zwei<br />
uralte Baracken mit je zwei Unterrichtsräumen,- und das alles in einem von großen<br />
Wohnhäusern umstandenen Innenhof des (zerbombten) Hauses Leopoldstraße 48.<br />
Gemessen an der Schulhaus-Kultur der öffentlichen Schulen geradezu ärmlich; obgleich<br />
die meisten Schülerinnen und Schüler aus ausgesprochen gehobenem Milieu<br />
einer sich in den westdeutschen Wohlstand hinein entwickelnden Gesellschaft kamen.<br />
Nur wenige Eltern waren selber Anthroposophen; die meisten Väter nahmen<br />
recht gehobene Stellungen im Bankwesen und in freien Berufen ein,- sie mieden<br />
bewusst die staatlichen Anstalten, brachten dafür dieser Schule großes Vertrauen<br />
entgegen und waren an einer gelingenden Entwicklung ihrer Kinder in höchstem<br />
Maße interessiert,- ein trefflicher Ansporn für die hier wirkenden Lehrer, das ihre<br />
beizutragen. Das fürsorgliche Interesse der Eltern hatte sich ja ohnehin schon im<br />
vorschulischen Alter sehr günstig auf die Begabung und die Umgangsformen der<br />
Kinder ausgewirkt; diese brachten also aus der bürgerlichen Kultur der Elternhäuser<br />
manches mit, was die Arbeit (besonders die eines Germanisten / Historikers) erleichterte.-<br />
Was es in diesem Milieu und zur damaligen Zeit noch gar nicht gab, war<br />
der ansonsten übliche zähe Kampf um gute Noten sowie der rasche und möglichst<br />
reibungslose Erwerb gewisser Abschluss-Qualifikationen.<br />
Dass es eine Schule ohne Schulleiter gäbe, war mir bislang nicht vorgekommen. Wer