Zeit zum Vatersein - Webducation
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ZEIT ZUM VATERSEIN<br />
Menschen Arbeitswelt und Freizeit bzw. privater Lebensraum örtlich<br />
getrennt. Viele Väter üben Berufe aus, von denen ihre Kinder gar<br />
nichts mehr zu sehen bekommen, selbst wenn sie noch (<strong>zum</strong> Beispiel<br />
am "Tochtertag") durch die Sicherheitsschleusen der Unternehmensgebäude<br />
hindurchgelassen werden. In unseren Berufsfeldern hat eine<br />
tief greifende Virtualisierung stattgefunden, sodass die berufliche<br />
Arbeitstätigkeit immer seltener sicht- und greifbar ist.<br />
Zu einem weiteren evolutionsgeschichtlichen Aspekt: Menschen bringen<br />
Nachwuchs zur Welt, der zunächst sehr dürftig ausgestattet und<br />
extrem hilflos ist. Menschliche Kinder brauchen also<br />
Nahrung und wirtschaftliche Versorgung (Existenzsicherung),<br />
Schutz gegen Wetter, Katastrophen und Aggression,<br />
emotionale Versorgung (Fürsorge, Geborgenheit, Zuhause) sowie<br />
förderliche soziale und kulturelle Entwicklungsbedingungen<br />
(Sozialisation, Identität).<br />
Diese Grundbedürfnisse waren in einer agrarisch geprägten und auf<br />
Eigenversorgung angelegten (Subsistenz-)Wirtschaft noch unmittelbar<br />
erfahrbar und wurden direkt gestillt. Die industrialisierte, globalisierte<br />
und logistisch vernetzte Welt schafft hingegen völlig neue<br />
Voraussetzungen bezüglich der Zufriedenstellung der Grundbedürfnisse<br />
bzw. der Grundversorgung.<br />
In seiner historischen Analyse des Vaterkonzeptes in Europa (Dieter<br />
Lenzen, Transformationen des Vaters – zur Geschichte des<br />
Vaterkonzeptes in Europa, 2002, S.23) kommt Dieter Lenzen <strong>zum</strong><br />
Schluss, dass Väterlichkeit einstmals "etwas Ganzes aus werden lassen<br />
und Bestand erhalten" war, dass diese Funktion im Laufe der<br />
Geschichte jedoch zwischen Kirche, Staat und leibhaftiger Vaterrolle<br />
jeweils unterschiedliche Aufteilungen erfahren habe. In einem sukzessiven<br />
Pro-zess wurde die Rolle der Kirche wegrationalisiert, jene der<br />
leibhaftigen Väter demontiert und diejenige des Staates konsolidiert.<br />
Der Staat beanspruche heute eine allmächtige Position, die den<br />
Vätern lediglich noch eine Stützungsfunktion ("Steuern durch den<br />
Preis der Lebenszeitopferung in Gestalt von Arbeit beiliefern") zubillige.<br />
Dass damit wesentliche Dimensionen und Aspekte individueller<br />
und greifbarer Väterlichkeit an den Staat übergegangen seien,<br />
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