Grundschule aktuell 129
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Thema: Zum Umgang mit Leistungen<br />
Ulrich Hecker<br />
Kinder zeigen, was sie können<br />
und was sie gelernt haben<br />
Der Anspruch der <strong>Grundschule</strong>, eine Schule für alle Kinder zu sein, bedeutet:<br />
Die Verschiedenheit der Kinder respektieren und individuelles Lernen fördern;<br />
die Gemeinsamkeit der Verschiedenen ermöglichen und als »Lernquelle« nutzen;<br />
ein sinnstiftender Lern- und Lebensort für Kinder und Pädagogen sein.<br />
Der größte Stolperstein auf diesem<br />
Weg aber gleicht oft einem<br />
Felsen: Die rechtlichen Grundlagen<br />
sind noch nicht ausreichend auf<br />
einen veränderten Unterricht abgestimmt.<br />
Ein Beispiel: »Welchen Sinn<br />
macht es z. B., die Arbeiten zum gleichen<br />
Zeitpunkt zu schreiben?«, fragt die<br />
Grundschullehrerin Maike Gotta aus<br />
Hessen in der »Grundschulzeitschrift«:<br />
»Weil die für mich unerlässlichen Leistungsnachweise<br />
nach jedem Thema von<br />
den Kindern zu unterschiedlichen Zeitpunkten<br />
geschrieben werden, dürfen sie<br />
nicht als Klassenarbeit gelten. Darin<br />
kann ich keinen Sinn erkennen.« Und –<br />
seien wir ehrlich – oft liegen Stolpersteine<br />
auch noch in den Köpfen von Lehrerinnen<br />
und Schulleitungen. Manchmal<br />
wirkt der Ballast des Herkömmlichen<br />
wie eine Barriere gegen den pädagogischen<br />
Umgang mit schulrechtlichen<br />
Vorgaben – gerade auch beim Umgang<br />
mit Leistungen.<br />
Von »Heterogenität« ist in den letzten<br />
Jahren fast bis zum Überdruss immer<br />
wieder die Rede. Es ist allerdings kein<br />
Fremdwort, sondern (manchmal auch<br />
mehr schlecht als recht gestalteter) pädagogischer<br />
Alltag. Eine Schulklasse:<br />
Anfangs 24, inzwischen 26 Kinder. Davon<br />
5 Kinder mit »besonderem« (»sonderpädagogischem«)<br />
Förderbedarf. Jedenfalls<br />
26 verschiedene Lebens- und<br />
Lern-Geschichten.<br />
Heterogenität zu berücksichtigen,<br />
heißt endgültig Abschied zu nehmen<br />
vom »falschen Mythos der sieben G’s«.<br />
Ingvelde Scholz pointierte den Irrglauben<br />
an das gleichschrittige Lernen so:<br />
»Die gleichen Schüler lösen beim gleichen<br />
Lehrer im gleichen Raum zur gleichen<br />
Zeit im gleichen Tempo die gleichen<br />
Aufgaben mit dem gleichen Ergebnis.«<br />
1<br />
Der pädagogische Umgang mit Heterogenität<br />
erfordert eine neue Lernkultur:<br />
Selbstbestimmtes Handeln und<br />
gemeinsames Arbeiten bei aufmerksamer<br />
Lernbegleitung in einer Arbeitsatmosphäre<br />
gegenseitiger Wertschätzung,<br />
das ist das Ziel von Unterrichtsentwicklung.<br />
Der didaktische Schlüssel dazu ist<br />
das gemeinsame Thema, das gemeinsame<br />
Projekt. Es muss so angelegt sein,<br />
●●<br />
dass Kinder auf unterschiedlichen<br />
Niveaus daran arbeiten können,<br />
●●<br />
dass jedes Kind mit seinen Möglichkeiten<br />
zur gemeinsamen Thematik beitragen<br />
kann.<br />
●●<br />
Die Differenzierung findet im Thema<br />
statt, nicht außerhalb.<br />
●●<br />
Die Bearbeitungen und Erfahrungen<br />
werden präsentiert und kommunikativ<br />
ausgetauscht. 2<br />
Die neue Lernkultur einer zeitgemäßen<br />
(inklusiven) Schule erfordert eine pädagogische<br />
Leistungskultur. Leistungsbewertung<br />
bedeutet darin vor allem: Beobachten<br />
und erkunden, um Begabungen<br />
und Lernpotenziale aufzuspüren,<br />
um das individuelle Lernen zu verbessern<br />
und den Unterricht darauf abzustimmen.<br />
Eine förderliche Leistungsbewertung<br />
unterstützt eigenständiges und selbstreguliertes<br />
Lernen: das Erkennen von<br />
Stärken und Lernpotenzialen, individuelles<br />
Feedback verbunden mit Lernanregungen<br />
und Förderangeboten, Selbstund<br />
Partnereinschätzung.<br />
Leistungsbewertung kann und darf<br />
nicht mehr »von oben herab« erfolgen,<br />
sie wird zum Gegenstand des Gesprächs<br />
und der Vereinbarungen zwischen<br />
Lehrpersonen, Eltern und Kindern.<br />
Stichwort: Heterogenität<br />
Förderkonzept<br />
Dazu gehört ein kompetenzorientiertes<br />
Förderkonzept, gegründet auf ein Verständnis,<br />
das Fördern als Kernauftrag<br />
von Schule begreift und realisiert. Horst<br />
Bartnitzky hat das mit den folgenden<br />
Gegenüberstellungen knapp charakterisiert:<br />
»Statt Defizitblick:<br />
Orientierung an den Kompetenzen;<br />
statt isoliertem Abarbeiten:<br />
sinnvolles Lernen in belangvollen<br />
Zusammenhängen;<br />
statt Vereinzelung:<br />
kommunikative Einbettung;<br />
statt Hilflosigkeit unterstützen:<br />
individuelle Könnenserfahrungen<br />
ermöglichen.«<br />
nach: Mechthild Pieler, Was ist ein Portfolio? 3<br />
Stichwort: Unterrichtsentwicklung<br />
Im Konzept »Pädagogische Leistungskultur«<br />
geht es um die Realisierung von<br />
vier konkreten Arbeitsaspekten für die<br />
Praxis: Lernstände feststellen, Lernentwicklungen<br />
bestätigen, Lerngespräche<br />
führen und eigene Lernwege beschreiben.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>129</strong> • Februar 2015<br />
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