Journal - Allianz
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<strong>Allianz</strong> <strong>Journal</strong> 3/2012 | Seite 11<br />
MEINUNGEN<br />
Wie hat sich in den letzten Jahren die Lage der Bevölkerung entwickelt?<br />
Der Lebensstandard ist nach 1992, also nach dem Übergang zur Marktwirtschaft, geradezu abgestürzt. In den 90er<br />
Jahren unter Jelzin ging es der Masse der Bevölkerung extrem schlecht, etwa 30 Prozent lebten unter dem Existenzminimum.<br />
Inzwischen ist dieser Anteil auf etwa zehn Prozent gesunken. Doch gibt es auch heute noch eine große<br />
Schicht der Bevölkerung, die nur knapp über dem Existenzminimum lebt. Sie leidet besonders darunter, wenn zum<br />
Beispiel die Heizungsabgaben steigen. Im Juli sind die Gaspreise im Land um fünf Prozent erhöht worden. Insgesamt<br />
ist dadurch die Inflationsrate im Vergleich zu den Vormonaten fühlbar höher. Und dabei wird es nicht bleiben.<br />
Im Moment gibt es bei Gazprom einen deutlichen Unterschied zwischen Inlands- und Auslandspreisen. Nach dem<br />
Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO ist das nicht mehr statthaft. Es ist also abzusehen, dass die Gaspreise<br />
im Inland weiter steigen werden – und damit auch die für kommunale Dienstleistungen. Die Regierung muss<br />
die Auswirkungen durch höhere Renten, bessere Sozialleistungen und steigende Einkommen abfedern. Das kann<br />
sie aber nur, wenn der Ölpreis auf hohem Niveau bleibt. Alles hängt vom Ölpreis ab. Im Moment kalkuliert die Regierung<br />
mit 100 Dollar pro Barrel, doch wenn der Preis einbricht, könnte es zu sozialen Spannungen kommen. Es ist ein<br />
Vabanque-Spiel, das auf dem Ölpreis basiert.<br />
Gibt es Tendenzen der Abschottung gegen den Westen? Wird er als Bedrohung gesehen?<br />
Natürlich gibt es solche Stimmen, die hat es schon immer gegeben. Manch einer vermutet, der Westen sei an Russland<br />
nur als Rohstofflieferant interessiert, will das Land ansonsten aber klein halten. Doch es gibt auch eine gegenläufige<br />
Tendenz, vor allem unter den Jüngeren in der Bevölkerung. Sie reisen, sie lernen Fremdsprachen und viele orientieren<br />
sich am Westen.<br />
Das Verfahren gegen die Punkband Pussy Riot<br />
hat im Westen scharfe Kritik hervorgerufen.<br />
Wie wird das in der russischen Bevölkerung<br />
wahrgenommen?<br />
Auch in Russland gab es heftige Kritik an den Urteilen,<br />
insbesondere von der Opposition. Allerdings hat eine<br />
große Mehrheit der Bevölkerung den Auftritt in der<br />
Kathedrale verurteilt. Von denen sprach sich zudem<br />
ein beachtlicher Teil für eine schwere Strafe aus. Das<br />
heißt, das Gericht und diejenigen in der Kirche und in<br />
der politischen Führung, die das Gericht dazu ermutigt<br />
haben, diese Urteile zu fällen, können sich darauf berufen,<br />
eine Mehrheit zu repräsentieren.<br />
Stichwort Kirche: Welche Rolle spielt sie für Putins<br />
Herrschaft?<br />
Die russisch-orthodoxe Kirche ist sicher kein klassisches<br />
Herrschaftsinstrument. Aber sie ist neben der Armee<br />
nach wie vor die Institution, der die Russen das größte<br />
Vertrauen entgegenbringen. Die Kirche verkörpert für<br />
viele Menschen russische Identität – gleichgültig, ob sie<br />
gläubig sind oder nicht. Man muss sich vergegen- >