dérive - Stadt erforschen - Wissenschaftskompass Wien
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komp-früh-7 16.03.2004 13:50 Uhr Seite 29<br />
AnhängerInnen stellte. Besonders<br />
in der liberalen Presse<br />
und deren Verwicklungen in Korruptionsfälle<br />
fand Kraus’ ein Objekt<br />
seiner beißenden Kritik, legendär<br />
ist seine Auseinandersetzung<br />
mit dem Herausgeber der<br />
Neuen Freien Presse, Moriz Benedikt,<br />
den Kraus in den Letzten<br />
Tagen der Menschheit in der Rolle<br />
des „Herrn der Hyänen“ auftreten<br />
ließ. Die Neue Freie Presse<br />
ihrerseits strafte Kraus mit konsequenter<br />
Ignoranz. Noch heftiger<br />
waren wohl nur die Auseinandersetzungen<br />
mit dem, an der<br />
Grenze der Kriminalität arbeitenden,<br />
Zeitungsherausgeber<br />
Emmerich (Imre) Bekessy, über<br />
den Kraus das bekannte Urteil<br />
„Hinaus aus <strong>Wien</strong> mit dem<br />
Schuft!“ 2 fällte.<br />
Kraus war alles andere als<br />
ein Freund der Habsburger-Monarchie,<br />
doch noch mehr verachtete<br />
er die bürgerliche Gesellschaft,<br />
der er selbst die Aristokratie vorzog.<br />
Einige Zeit stand Kraus der<br />
Sozialdemokratie nahe, sprach<br />
bei Maiaufmärschen und ähnlichen<br />
Gelegenheiten, wandte<br />
sich aber in den dreißiger Jahren<br />
enttäuscht von der Partei ab. Unter<br />
dem Eindruck der Bedrohung<br />
durch den Nationalsozialismus<br />
unterstützte Kraus den Austrofaschismus<br />
– wenn auch ohne Be-<br />
+++ RECHERCHE +++<br />
geisterung. Die 1933 bereits fertiggestellte,<br />
von Kraus jedoch zurükkgehaltene<br />
Ausgabe der Fackel, die<br />
erst 1953 unter dem Titel „Die dritte<br />
Walpurgisnacht“ erschien, gibt<br />
darüber Auskunft. Beachtenswert<br />
an dieser Schrift sind jedoch vor allem<br />
Kraus hellsichtige Warnungen<br />
vor dem Nationalsozialismus, dessen<br />
mörderische Zielsetzung der<br />
Schriftsteller durchschaute.<br />
In seinem bekanntesten<br />
Werk den Letzten Tagen der<br />
Menschheit hat Kraus in der Figur<br />
des Nörglers, der die Verrohung<br />
des Geistes und der Sprache nicht<br />
weniger beklagt, als den massenhaften<br />
Mord auf den Schlachtfeldern,<br />
auch sich selbst als Bewohner<br />
der „Versuchsstation des Weltunterganges“<br />
3 verewigt. – sm<br />
1 Kraus, Karl (1971). In dieser großen Zeit.<br />
München. S 599 („Entlarvt durch Bekessy“,<br />
Vorlesung vom 25.06.1925)<br />
2 ebd. S 638<br />
3 Kraus, Karl (1986). Die letzten Tage der<br />
Menschheit. Frankfurt am Main. S 495<br />
worldwideweb<br />
www.karl-kraus.net<br />
> Karl Kraus: <strong>Wien</strong>er Stätten;<br />
www.ub.fu-berlin.de/internetquellen/fachinformation/germanistik/autoren/multi_ijk/kraus.h<br />
tml > Umfangreiche<br />
Linksammlung<br />
<strong>Wissenschaftskompass</strong> WIEN | 02 | 2004 29