Geld neu erfinden Die visionären - Wir - Menschen im Wandel
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Politik & <strong>Wir</strong>tschaft Politik & <strong>Wir</strong>tschaft<br />
Deutschland – u.a. aufgrund<br />
seines vergleichsweise<br />
hohen Ressourcenverbrauchs<br />
– insgesamt<br />
nur auf Platz<br />
51 landet. Damit<br />
stellt der Happy Planet<br />
Index das Verhältnis<br />
von Wohlstand und Wohlbefinden<br />
<strong>im</strong> wahrsten Sinne des Wortes auf<br />
den Kopf, denn die Länder, die am glücklichsten<br />
sind, erreichen verglichen mit<br />
Deutschland lediglich zehn bis max<strong>im</strong>al<br />
30 Prozent des hiesigen BIPs. Überspitzt<br />
formuliert könnte man zu dem Schluss<br />
kommen, dass <strong>Geld</strong> nicht nur nicht glücklich<br />
macht, sondern dem Glück sogar entgegensteht.<br />
Vom individuellen zum gesellschaftlichen<br />
Glück Ganz so einfach ist es dann<br />
doch nicht, denn der Teufel steckt <strong>im</strong><br />
Detail. So kritisiert Dr. Stefan Berghe<strong>im</strong>,<br />
Direktor des Zentrums für gesellschaftlichen<br />
Fortschritt, dass der Happy Planet<br />
Index verschiedene Skalen vermischt,<br />
was zu Verzerrungen führt. Während die<br />
Lebenszufriedenheit mit einer fixierten<br />
Skala gemessen wird, die bei 10 endet, ist<br />
das BIP eine nach oben prinzipiell offene<br />
Größe. »Reihen mit solch unterschiedlichen<br />
Eigenschaften in einen Analysetopf<br />
zu werfen, ist statistisch unzulässig. Darüber<br />
hinaus passen <strong>Menschen</strong> ihre Erwartungen<br />
an einmal erreichte Niveaus<br />
von Lebensqualität an. Eine stabile Lebenszufriedenheit<br />
bedeutet auch aus<br />
diesem Grund noch lange nicht, dass das<br />
Leben nicht besser geworden ist«, so<br />
Berghe<strong>im</strong>. Der Volkswirt hat messbare<br />
Faktoren evaluiert, die zentral sind für<br />
das Wohlbefinden in »glücklichen« Ländern<br />
und daraus einen Fortschrittsindex<br />
entwickelt, der das Nettonationaleinkommen<br />
(das <strong>im</strong> Gegensatz zum BIP weitgehend<br />
dem tatsächlichen Volkseinkommen<br />
entspricht), die Lebenserwartung,<br />
den Bildungsstand und den ökologischen<br />
Fußabdruck berücksichtigt, also »Maße<br />
für Wohlstand und Fortschritt, die vieles<br />
von dem enthalten, was das Leben<br />
lebenswert macht«. Der Vorteil der Kombination<br />
dieser Faktoren liegt darin, dass<br />
Wohlbefinden hier nicht auf individuelles<br />
Glück reduziert wird, sondern in seinen<br />
Das Thema Lebensqualität erscheint längst auch auf dem Radar der Politik. So preschte der französische Ministerpräsident Nicolas<br />
Sarkozy bereits 2008 nach vorne und forderte, dass nicht nur das <strong>Wir</strong>tschaftswachstum, sondern auch das Glück der Bevölkerung<br />
zum Maßstab der gesellschaftlichen Entwicklung werden müsse. <strong>Die</strong> von ihm initiierte »Kommission zur Bemessung von wirtschaftlicher<br />
Leistungskraft und sozialem Fortschritt«, der die <strong>Wir</strong>tschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen angehörten,<br />
entwickelte daraufhin ein Rahmenwerk, das neben finanziellen Faktoren auch Aspekte gesellschaftlicher Entfaltung berücksichtigt.<br />
Inspiriert von diesem Beispiel hat Anfang 2011 auch der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission ins Leben gerufen, die unter<br />
dem Motto »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem <strong>Wir</strong>tschaften<br />
und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft« einen<br />
entsprechenden Index erarbeiten soll. »<strong>Wir</strong> wollen den Blick weiten von einer reinen<br />
Wachstumsfixierung hin zur Frage, wie wir Lebensqualität für die <strong>Menschen</strong> in unserem<br />
Land gestalten können«, sagt Daniela Kolbe (SPD), die Vorsitzende der Kommission.<br />
Ihr Kollege Dr. Matthias Z<strong>im</strong>mer (CDU/CSU), stellvertretender Vorsitzender der<br />
Kommission, geht noch einen Schritt weiter und warnt – in Anlehnung an den indischen<br />
Bildungsreformer Rabindranath Tagore – vor einem »graduellen Selbstmord durch das<br />
Schrumpfen der Seele«, wenn Entwicklung nur mit rein wirtschaftlichen Indikatoren<br />
gemessen werde. »<strong>Wir</strong> müssen die Frage nach dem guten Leben stellen und das Grundprinzip<br />
der Nachhaltigkeit, verstanden als Solidarität, <strong>neu</strong> füllen«, sagt Z<strong>im</strong>mer. Dabei<br />
gehe es nicht zuletzt auch um die Förderung einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung.<br />
Was macht <strong>Menschen</strong> ganz konkret zufrieden?<br />
Hohe Lebenszufriedenheit · Hohes Vertrauen in die Mitmenschen · Niedrige Korruption · Niedrige Arbeitslosigkeit · Hohes Bildungsniveau<br />
Hohes Einkommen pro Kopf · Hohe Beschäftigungsquote Älterer · Kleine Schattenwirtschaft · Hohe wirtschaftliche Freiheit · Hohe Geburtenrate<br />
(Quelle: Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt)<br />
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und<br />
politischen Bedingtheiten begreifbar<br />
wird. So liegt für Stefan Berghe<strong>im</strong> auf der<br />
Hand, dass ganz konkrete Maßnahmen<br />
wie eine Erhöhung der Hochschulabsolventenquote<br />
auf 40 Prozent, eine Senkung<br />
der Arbeitslosigkeit auf vier Prozent,<br />
mehr direkte Demokratie und eine Stärkung<br />
der Sozialversicherungssysteme<br />
die Lebensqualität in Deutschland nachweisbar<br />
steigern könnten.<br />
Sinngebung durch bewusst handelnde<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>Die</strong>ses Bild des Wohlbefindens<br />
mag auf den<br />
ersten Blick etwas<br />
technokratisch anmuten,<br />
da das Indivi-<br />
Bundestag fragt nach Lebensqualität Der Fortschrittsindex <strong>im</strong> Überblick<br />
Foto: Deutscher Bundestag / Anke Jacob<br />
»<strong>Wir</strong> wollen Lebensqualität gestalten.«<br />
Daniela Kolbe, Vorsitzende der Enquete-<br />
Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität<br />
duum als fühlendes und soziales Wesen<br />
zunächst in den Hintergrund tritt. Der<br />
vermeintliche Widerspruch löst sich jedoch<br />
auf, wenn man sich vergegenwärtigt,<br />
dass die Systeme, auf die sich der Fortschrittsindex<br />
beruft, letztlich <strong>im</strong>mer von<br />
<strong>Menschen</strong> gemacht sind. »<strong>Die</strong> <strong>Wir</strong>tschaft<br />
ist eines der Glieder des gesellschaftlichen<br />
Organismus. Sie bedarf in ihrer Ausrichtung<br />
der ethischen Begründung durch<br />
eine Sinngebung. <strong>Die</strong>s setzt selbstständig<br />
denkende und bewusst handelnde<br />
<strong>Menschen</strong> voraus«, sagt etwa der Gründer<br />
der Bio-Lebensmittelkette Alnatura<br />
Götz Rehn, der sich seit Jahrzehnten mit<br />
der anthroposophischen <strong>Wir</strong>tschaftslehre<br />
Rudolf Steiners beschäftigt. Rehn<br />
bringt die von Steiner entwickelte »Drei-<br />
»Eine stabile Lebenszufriedenheit<br />
bedeutet nicht, dass das Leben nicht<br />
besser geworden ist.«<br />
Dr. Stefan Berghe<strong>im</strong>, Direktor des Zentrums für<br />
gesellschaftlichen Fortschritt<br />
Platz Einkommen Lebenserwartung Bildung Fußabdruck Gesamtindex<br />
1 Norwegen Japan Finnland Portugal Norwegen<br />
2 USA Schweiz Dänemark Neuseeland Schweden<br />
3 Schweden Italien Neuseeland Japan Finnland<br />
4 Niederlande Australien Korea Korea Japan<br />
5 Großbritannien Schweden Griechenland Schweiz Neuseeland<br />
6 Österreich Spanien Spanien Großbritannien Niederlande<br />
7 Kanada Frankreich Norwegen Frankreich Korea<br />
8 Dänemark Kanada Niederlande Deutschland Griechenland<br />
9 Finnland Norwegen Schweden Italien Frankreich<br />
10 Irland Österreich USA Schweden Schweiz<br />
11 Belgien Neuseeland Irland Griechenland Italien<br />
12 Schweiz Deutschland Belgien Österreich Spanien<br />
13 Australien Niederlande Australien Norwegen Australien<br />
14 Deutschland Belgien Frankreich Spanien Irland<br />
15 Frankreich Griechenland Italien Niederlande Österreich<br />
16 Japan Großbritannien Kanada Finnland Großbritannien<br />
17 Italien Finnland Japan Irland Kanada<br />
18 Griechenland Irland Portugal Australien Deutschland<br />
19 Korea Korea Österreich Kanada Dänemark<br />
20 Spanien Portugal Großbritannien Belgien USA<br />
21 Neuseeland Dänemark Deutschland USA Belgien<br />
22 Portugal USA Schweiz Dänemark Portugal<br />
<strong>Wir</strong> – <strong>Menschen</strong> <strong>im</strong> <strong>Wandel</strong> 01 | 2011 <strong>Wir</strong> – <strong>Menschen</strong> <strong>im</strong> <strong>Wandel</strong> 01 | 2011<br />
Foto: Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt<br />
(Quelle: Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt)<br />
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