EWU PREMIERE - Erste Westernreiter Union Deutschland e.V.
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20<br />
frei sein<br />
Frei Sein<br />
Mein Weg durch die Wildnis zu mir!<br />
»Kai«<br />
Von Vaile Fuchs<br />
Ich war allein mit mir und der Stille und den<br />
Pferden. Ohne Pfl ichten. So ein Tag kann unvorstellbar<br />
lang sein. Jetzt hatte ich Zeit zum Grübeln.<br />
Über mich. Und über Kai.<br />
Die ersten Tage waren so aufregend, so aufreibend<br />
gewesen, dass er mir gar nicht in den<br />
Sinn gekommen war. Doch nun war ich nicht<br />
mehr so erschöpft. Und ließ die Gedanken wandern.<br />
Meine Beziehung zu Kai war so furchtbar<br />
kompliziert. Eigentlich war es gar keine Bezie-<br />
hung im Sinne von Liebesbeziehung. Oder<br />
doch? Konnte es das noch werden? Kai war ein<br />
einziges Fragezeichen für mich. Dabei kannten<br />
wir uns schon fast drei Jahre.<br />
* * *<br />
Zum ersten Mal begegnet waren wir uns bei<br />
einem Casting. Mit 13 hatte ich begonnen,<br />
erste Songtexte zu schreiben. Dann bekam ich<br />
ein Keyboard zum 14. Geburtstag und meine<br />
Schwester ein elektrisches Klavier. Das Spielen<br />
hatten wir uns selbst beigebracht und bald darauf<br />
eine Mädchenband gegründet. Unsere Musik<br />
war laut und sicher gewöhnungsbedürftig.<br />
Wir waren vier Bandmitglieder, und ich war die<br />
Sängerin. Wir hatten uns natürlich auch neue<br />
englische Namen zugelegt. Die sollten cooler<br />
klingen, gerade richtig für unsere Erfolgsstory<br />
– wir stellten uns vor, wie wir in Amerika auf<br />
Tour gehen würden. Ich probierte viele Namen<br />
durch, bis ich auf Vaile (eine Abwandlung von<br />
englisch veil = Schleier) kam. Bald nannten<br />
mich alle so, und ich meldete Vaile, die Schleierhafte,<br />
als meinen offi ziellen zweiten Vornamen<br />
an. Seitdem steht in meinem Personalausweis<br />
Karolin Vaile Fuchs.<br />
Und nun stand dieses Casting an. Für eine Mädchenband.<br />
Ich war Bandmitglied. Und Kai war<br />
der Musikproduzent. Ich war 15 und er 29. Ich<br />
arbeitete damals gelegentlich für eine Kindermodelagentur<br />
bei Modeschauen in Einkaufszentren.<br />
Die hatten mich auf der Straße entdeckt.<br />
Über sie hätte ich beinahe meine erste Filmrolle<br />
bekommen, doch das war daran gescheitert,<br />
dass ich noch nicht 16 war.<br />
Die Agentur hatte mir und den »Changing<br />
Minds«, so hieß meine Band, im Gegenzug etwas<br />
Gutes tun wollen. So vermittelten sie mir<br />
WESTERNREITER – März 2011<br />
die Einladung zu diesem Casting. Ich erfuhr davon<br />
abends durch eine Message auf unserem<br />
Anrufbeantworter. Doch erst am nächsten Morgen<br />
in der Schule, mitten im Spanischunterricht,<br />
fi el es mir wieder ein. Ich sprang auf, unterbrach<br />
meine Lehrerin mitten im Satz: Ich muss dringend<br />
sofort telefonieren! Ich glaube, die schiere<br />
Unverschämtheit gab meiner Bitte den nötigen<br />
Nachdruck. So wie ich mich aufführte, dachte<br />
meine Lehrerin wahrscheinlich, es ginge um<br />
mein Leben. Und in gewisser Weise tat es das<br />
ja auch.<br />
Im Nachhinein habe ich oft gedacht: Vielleicht<br />
sollte ich ihr schreiben, wie glücklich mich ihr<br />
Verständnis für meine Unverschämtheit gemacht<br />
hat – wer weiß, wie alles gekommen<br />
wäre, wenn sie gesagt hätte: »Setzen, sechs!«<br />
Ich bin also aus der Klasse gestürmt und unten<br />
im Hof zum Münztelefon gelaufen. Ja, zur Telefonzelle!<br />
Handys gab es noch nicht für kleine<br />
Schulmädchen. Ob ich mit meiner Band zu einem<br />
Casting wolle? Na klar!<br />
Es war wie im Fernsehen. Wir mussten in Kais<br />
Studio vorsingen. Eine Choreografi n tanzte mit<br />
uns, und Christian, Kais blonder Geschäftspartner,<br />
spielte den Animateur. Kai stand die ganze<br />
Zeit an der Tür und schaute zu. Ich nahm ihn<br />
gar nicht richtig wahr. Er war mir total egal,<br />
ein erwachsener Kerl eben. Nur seine schwarzen<br />
Dreadlocks fi elen mir auf. Ich war nicht auf<br />
Männerjagd, wollte keinen Freund wie die anderen<br />
in meiner Klasse. … Kurz darauf besuchte<br />
Christian ein Konzert unserer Band und erzählte<br />
Kai, die Sängerin sei gut, die Musik schauderhaft.<br />
Daraufhin rief Kai mich an. Er wolle mit<br />
mir arbeiten, habe aber kein Interesse an den<br />
anderen Musikerinnen. Das war keine Überra