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10 AUGUST 2010<br />
INITIATIVEN<br />
Vom Sinn medizinischer Hilfe<br />
in Entwicklungsländern<br />
Von Irina und Hubert Hayek,<br />
Kinderärzte aus Schwanebeck,<br />
die ihre Berufserfahrung in Tansania<br />
weitergaben<br />
ist ein gutes »Spender-<br />
D eutschland<br />
land«. Die meisten Menschen, die<br />
spenden, möchten auch wissen, ob das<br />
Geld ankommt und sinnvoll eingesetzt<br />
wird. Genauso ist es bei direkter medizinischer<br />
Hilfe: Ärzte und Schwestern, die<br />
sich entschließen, bei hohem persönlichen<br />
Risiko (Gesundheit, Familie, Arbeitsplatz)<br />
mit oder ohne Honorar in<br />
Entwicklungsländern zu arbeiten, wollen<br />
möglichst schon vorher wissen, ob ihre<br />
Dienste gebraucht werden und/oder<br />
dauerhaft helfen. Wir möchten aufgrund<br />
eigener Erfahrungen bei aktuellen Einsätzen<br />
in Tansania kritische Anmerkungen<br />
zur Sinnhaftigkeit solcher Einsätze<br />
abgeben, die vielleicht auch für andere<br />
Länder Gültigkeit haben könnten.<br />
Beispiel Tansania: Tansania ist ein Entwicklungsland:<br />
Entwicklungshilfe ist<br />
notwendig und wird von vielen Institutionen<br />
und Einzelpersonen begrüßt und<br />
geschätzt. Die Tansanier versuchen jedoch,<br />
vieles selbst in die Hand zu nehmen,<br />
was allerdings nicht immer klappt.<br />
Möglicherweise spielt die einheitliche<br />
Sprache (Kisuaheli) im Land eine große<br />
Rolle dabei, dass Tansania relativ sicher<br />
und für ein Entwicklungsland auch relativ<br />
gut entwickelt ist – jedenfalls im Vergleich<br />
zu Nachbarstaaten. Stammesfehden<br />
haben geringere Bedeutung, wenn<br />
man eine gemeinsame Sprache spricht.<br />
Weiße, auch Europäer sind willkommen:<br />
Die Einstellung zu deutschen Helfern ist<br />
überdurchschnittlich positiv. Das hängt<br />
auch damit zusammen, dass die Grzimeks<br />
und die Zoologische Gesellschaft<br />
Frankfurt nicht nur in der Serengeti<br />
Bemerkenswertes geleistet haben und<br />
noch leisten.<br />
Tansania wurde 1964 durch den Zusammenschluss<br />
von Tanganjika und Sansibar<br />
gegründet. Bis 1961 war Großbritannien<br />
die Mandatsmacht. Davor gab es die Kolonie<br />
Deutsch-Ostafrika, viele Tansanier<br />
haben das eigentlich vergessen. Den Briten<br />
steht man etwas reservierter gegenüber<br />
– nicht aber den Deutschen.<br />
Mwanza ist mit mehr als 500 000 Einwohnern<br />
die zweitgrößte Stadt Tansanias. Sie<br />
liegt etwas südlich des Äquators am Victoriasee<br />
in etwa 1 000 m Höhe. Seit 2003<br />
gibt es dort eine medizinische Universität,<br />
das Bugando Medical Centre. Bugando<br />
liegt auf einer Anhöhe – nahe dem<br />
Stadtzentrum. Wir waren 2008 und 2010<br />
jeweils im Mai/Juni in Mwanza. Nach<br />
dem Prinzip »teach the teacher« haben<br />
wir an der Ausbildung von Kinderärzten<br />
teilgenommen und Spezialwissen (Ultraschalldiagnostik<br />
bei Kindern) vermittelt.<br />
Der Aufenthalt war frei, 2008 wurde ein<br />
Teil der Flugkosten erstattet.<br />
Probleme bei der Ausbildung<br />
von Spezialisten<br />
Man muss wissen, dass es in Tansania<br />
mit 36 Mio Einwohnern nur rd. 100 Kinderärzte<br />
gibt (Deutschland: 11 000!). Das<br />
Land braucht nicht nur Ärzte, ganz besonders<br />
werden immer wieder auch Spe-<br />
zialisten gesucht. Das läuft üblicherweise<br />
folgendermaßen: Dr. X aus Tansania wird<br />
nach London/Rom oder Berlin geschickt<br />
– finanziert über eine Stiftung oder privat.<br />
Nach der Ausbildungszeit bleibt Dr. X<br />
aber im Ausbildungsland, bekommt ein<br />
Stipendium für die USA oder lernt einen<br />
Partner aus einem anderen Land kennen,<br />
jedenfalls kehrt Dr. X nie mehr in sein<br />
Heimatland zurück. Das Problem besteht<br />
nicht nur bei Medizinern und ist auch<br />
durch spezielle Verträge schwer oder gar<br />
nicht zu lösen. So werden die wenigen<br />
Ressourcen, die Entwicklungsländer<br />
überhaupt haben, durch die Industrieländer<br />
auch noch abgeschöpft.<br />
Die Idee eines deutschen Kinderarztes<br />
war, Ärzte (Spezialisten unterschiedlicher<br />
Fachgebiete) aus verschiedenen<br />
Ländern, vorwiegend aus Deutschland,<br />
aber auch aus Tansania nach Mwanza zu<br />
bringen, um eine Gruppe von Ärzten zu<br />
Kinderfachärzten auszubilden. Die tansanischen<br />
Ärzte bleiben also von vorn<br />
herein im Land. Nach zwei Jahren gut organisierter<br />
Ausbildung und nach strengen<br />
Prüfungen waren die ersten beiden<br />
Fachärzte ausgebildet, sie sind im Hospital<br />
geblieben und helfen nun bei der Ausbildung<br />
der nächsten Fachärzte mit. In<br />
diesem Jahr werden die nächsten fertig …<br />
Die Dozenten hatten für ihre mehrwö -<br />
chige Tätigkeit jeweils Kost und Logis frei<br />
und erhielten einen Flugkostenzuschuss<br />
über eine Stiftung. Der zitierte Kinderarzt<br />
war von einer christlichen karitativen<br />
Einrichtung vier Jahre bezahlt worden.<br />
Hilfreich dabei war auch die Tatsache,<br />
dass Einrichtungen aus Würzburg – der<br />
Partnerstadt von Mwanza – mit eingeschaltet<br />
waren. Nach der Rückkehr des<br />
Kollegen nach Deutschland konnte das<br />
Projekt in dieser Form nicht weiter -<br />
geführt werden. Das Medical Centre<br />
hatte den Kooperationspartner gewechselt:<br />
Es wurde ein römisches Krankenhaus<br />
gewählt. Auch von dort kommen<br />
regelmäßig Dozenten für die Ausbildung<br />
der Kinderärzte.<br />
Ärzte im eigenen<br />
Land ausbilden<br />
Aus Deutschland ist jetzt noch auch eine<br />
Kinderärztin vor Ort, die mit Erfolg einen<br />
Fachbereich für herzkranke Kinder gegründet<br />
hat und sich darum kümmert,<br />
dass diese Kinder, wenn es notwendig ist,<br />
im Ausland operiert werden. In Tansania<br />
ist dies noch nicht möglich. Kooperationspartner<br />
sind hier Kenia (!) und Israel –<br />
in Palästina hat die Kollegin vorher gewirkt<br />
und kann das dort aufgebaute Netzwerk<br />
jetzt für tansanische Kinder nutzen.<br />
Diese Operationen müssen natürlich bezahlt<br />
werden. Spender können direkt erfahren,<br />
wofür das Geld ausgegeben wird.<br />
Dr. Hubert Hayek bei der Ausbildung<br />
am Ultraschall-Gerät.<br />
Auch wir haben unlängst bei einer Geburtstagsfeier<br />
für Spenden geworben. Es<br />
kam immerhin so viel Geld zusammen,<br />
dass es für eine Herzkatheteruntersuchung<br />
eines Kindes in Kenia reicht. Die<br />
Spender wussten genau, es soll einem<br />
herzkranken Kind aus Tansania zugute<br />
kommen und nicht im »Spendensumpf«<br />
versickern (wer direkt für Katheteruntersuchungen<br />
spenden will – Kontakt über<br />
Dr. H. Hayek: hayek@onlinehome.de)<br />
Unserer Meinung nach ist es für Entwicklungsländer<br />
besser, einheimische Ärzte<br />
m eigenen Land auszubilden, als Krankenhäuser<br />
mit Ausländern zu unterhalten.<br />
Diese leisten zwar sicher gute Arbeit<br />
– aber was kommt danach? Nur wenn die<br />
Entwicklungsländer sich selbst »mühen«,<br />
kann der Erfolg von Dauer sein. Man sollte<br />
das eigene System (Gesundheit, Ausbildung)<br />
nicht anderen Ländern überstülpen<br />
und sich dann wundern, wenn es<br />
auf Dauer nicht klappt.<br />
Besuch bei Karin Weber,<br />
Damen-Maßschneidermeisterin<br />
aus Karow<br />
Von Jörg-Peter Malke<br />
Wenn die kleine Karin Weber geb. Kempf<br />
»puppelte«, dann war alles in bester Ordnung.<br />
Weltvergessen tauchte das Mädchen ab,<br />
vertiefte sich in ihr Spiel, kostümierte, frisierte<br />
und drapierte an Puppen und Teddys herum.<br />
»Puppeln« – das war für Karin jener Zustand<br />
phantasieumwobener Glückseligkeit, den zu<br />
erleben wohl nur Kindern in vollem Maße vergönnt<br />
ist. Viel Zeit dazu hatte sie aber nicht.<br />
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab<br />
es im Teltower Land viel harte Arbeit, nicht nur<br />
für die Erwachsenen. Eines Tages passierte es.<br />
Ein schwerer Unfall riss das erst 13-jährige<br />
Mädchen jäh aus ihrer Kindheit. Ein Wimpernschlag<br />
nur, ein kurzer unachtsamer Moment,<br />
Karin fiel von der Deichsel und geriet unter den<br />
schwer mit Obst beladenen Erntewagen. In<br />
dem winzigen Zeitabschnitt zwischen dem ersten<br />
Rad, das soeben über ihren Körper hinweg<br />
gerollt war, und dem zweiten, dass nun unweigerlich<br />
folgen würde, zog ihr junges Leben im<br />
Geiste an ihr vorbei. Noch heute erinnert sich<br />
Karin Weber an jenen Augenblick, als sei alles<br />
erst gestern passiert. Damals hatte sie unsagbares<br />
Glück im Unglück. Schwer verletzt, aber immer<br />
noch ansprechbar, brachte man das Mädchen<br />
ins Krankenhaus. Die Diagnose fiel düster<br />
aus: beidseitige Schlüsselbeinfraktur, Schädelbasisbruch,<br />
Quetschungen des Schädels sowie<br />
eine Vielzahl anderer Läsionen und Prellungen.<br />
Ohrfeige – nein danke!<br />
Die Folgen des Unfalls beeinflussten das weitere<br />
Leben Karin Webers nachhaltig. Besonders<br />
die schweren Verletzungen am Kopf machten<br />
ihr lange zu schaffen. Aufenthalte in direkter<br />
Sonne waren von nun an tabu. Statt Feldarbeit<br />
galt es im Haushalt zu helfen. Die Schule musste<br />
sie bereits mit 15 beenden. Bei der Wahl einer<br />
geeigneten Lehrstelle musste niemand in der<br />
Familie lange überlegen. Wer so viel »puppelt«<br />
wird natürlich Schneiderin. Karin war nicht unzufrieden,<br />
ging jedoch weiter zur Abendschule.<br />
Ihr Leben war jetzt dreigeteilt und anstrengend;<br />
einerseits die Lehre, andererseits die Abendschule<br />
und natürlich die Hilfe auf dem elter -<br />
lichen Hof, die sie nach wie vor zu leisten hatte.<br />
Mit 18, als fertige Schneidergesellin, fing Karin<br />
Weber in einem renommierten Berliner Modegeschäft<br />
in der Friedrichstraße an. Hier bekam<br />
sie erstmals Kontakt zu Leuten aus dem Bühnen-Milieu.<br />
Besonders die Schauspieler und<br />
Sänger, die mit ihrem exzentrischen Auftreten<br />
das Personal des Modehauses gut in Atem zu<br />
halten wussten, sind ihr in bester Erinnerung.<br />
Die junge Frau stand mit Herz und Seele im Beruf,<br />
stellte sich immer wieder Aufgaben, die<br />
weit über ihren Arbeitsbereich hinaus gingen.<br />
Zusätzlich absolvierte sie die Zuschneide-<br />
Schule, eine der Grundbedingungen zum Erwerb<br />
des Meister-Titels.<br />
Als das Geschäft in der Friedrichstraße schließen<br />
musste, wechselte Karin Weber in einen<br />
vornehmen Modesalon in der Fasanenstraße<br />
im Westteil Berlins. Nachdem ihr jedoch die<br />
dortige Chefin bei einer Meinungsverschiedenheit<br />
eine Ohrfeige anbot, zog das selbstbewusste<br />
Mädel sofort die Konsequenzen und kündigte<br />
umgehend. In einer Kreuzberger Firma, die<br />
Brautkleider herstellte, durfte sie sich richtig<br />
»austoben« in ihrem Beruf, der mehr und mehr<br />
künstlerisch-kreative Züge annahm. Der Besitzer<br />
der Firma erkannte schnell das Talent seiner<br />
neuen Kraft. Er vertraute ihrem Können so sehr,<br />
dass er die komplette Urlaubsgarderobe für<br />
seine Ehefrau von ihr entwerfen ließ.<br />
Mitten unter uns<br />
Petra Roy (r. im Kostüm einer Frau Kommerzienrat),<br />
Geschäftsführerin der Pflegeeinrichtung<br />
Advivendum in Karow, bedankt sich bei Karin Weber<br />
für die Inszenierung der begeisternden Jahrhundert-<br />
Modenschau während des Hoffestes am 5. Juni 2010.<br />
Die Chef-<br />
Ankleiderin<br />
Konzentriert verfolgt Karin Weber eine<br />
Probe in der Komischen Oper Anfang der<br />
80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts.<br />
Der berufliche Erfolg verhalf Karin Weber auch<br />
privat zu ein paar Annehmlichkeiten. Sie machte<br />
den Führerschein, kaufte einen Motorroller<br />
und fuhr damit im Sommer 1961 zur Insel Usedom.<br />
Ein Unfall zwang sie, ihren Urlaub länger<br />
als geplant auszudehnen und so erlebte Karin<br />
Weber den für Deutschland schicksalhaften<br />
13. August in einem Krankenhaus an der Ostsee.<br />
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Meisterschule<br />
besann sich die junge Frau auf ihre Wurzeln<br />
im Teltower Land. Obwohl es DDR-Bürgern<br />
in jener Zeit nicht gerade leicht gemacht<br />
wurde, sich selbstständig zu machen, versuchte<br />
Karin Weber es dennoch. Weil sie ortsansässig<br />
war und bleiben wollte, erhielt sie schließlich<br />
die begehrte Gewerbegenehmigung. 1963 heiratete<br />
sie den jungen Goldschmiedemeister<br />
Joachim Weber, den sie in einer Tanzschule<br />
kennengelernt hatte, und zog nach Berlin. Jetzt<br />
musste eine Entscheidung her. Zwei Selbständige<br />
innerhalb einer Familie waren dem Arbeiter-<br />
und Bauern-Staat zu viel. Karin Weber verzichtete<br />
auf ihren Schneiderbetrieb. Zu Hause<br />
bleiben wollte sie jedoch nicht. Bei einem Herrenausstatter<br />
in der Frankfurter Allee behielt sie<br />
Kontakt zu den Menschen und blieb fachlich<br />
auf dem Laufenden.<br />
Während Joachim Weber seinen Wehrdienst absolvierte,<br />
machte sich seine Frau in Berlin auf<br />
die Suche nach geeigneten Gewerberäumen, in<br />
denen die beiden nach dem Ende seiner Armeezeit<br />
ein Goldschmiede- und Schmuckgeschäft<br />
zu führen begannen. Als junge Mutter<br />
des gemeinsamen Sohnes Guido und »mithelfende<br />
Ehefrau« hatte Karin Weber fortan nur<br />
noch sehr begrenzt Gelegenheit, ihr erlerntes<br />
Handwerk auszuüben. Meist waren es kleinere<br />
Aufträge auf privater Basis. Der sich zunehmend<br />
verschlechternde Gesundheitszustand<br />
ihres Mannes zwang das Ehepaar, die gemeinsame<br />
Berufsplanung zu überdenken. Fast<br />
könnte man von »höherer Fügung« reden, als es<br />
sich ergab, dass einer ihrer Schmuck-Kunden<br />
an der Komischen Oper Berlin arbeitete. Er<br />
wusste von Karin Webers eigentlicher Profes -<br />
sion und machte ihr den Vorschlag, im Kostümbereich<br />
tätig zu werden.<br />
Gastspiele in aller Welt<br />
Beim Einstellungsgespräch wurde sie durch<br />
den riesigen Kostümfundus der Oper geführt.<br />
Die unzähligen, aufwändigen und teils sehr<br />
wertvollen Kleider ließen sie sofort wieder ihre<br />
starke Liebe zu ihrem erlernten Handwerk spüren.<br />
Am 1. Januar 1976 nahm sie als stellvertretende<br />
Chef-Ankleiderin an der Oper ihre Arbeit<br />
auf. In dieser Eigenschaft unterstanden ihr<br />
rund 20 Leute. Naturgemäß führte dies zu einiger<br />
Skepsis. Schnell jedoch erkannten die Mit-<br />
arbeiter die hohe berufliche Kompetenz ihrer<br />
neuen Kollegin. Mit Bravour bestand Karin Weber<br />
noch im Jahre 1976 ihre ersten Auslandsgastspiele<br />
nach Moskau und Venedig. Gastspielreisen<br />
sollten fortan ihren beruflichen<br />
Alltag prägen. Als sie 1978 den Chef-Ankleiderposten<br />
übernahm, gehörte es zu ihren Aufgaben,<br />
das Ensemble zu begleiten. Das Haus gastierte<br />
u. a. in Italien, Bulgarien, mehrfach in<br />
der UdSSR, in Japan und in England. Dermaßen<br />
viel von der Welt sehen zu dürfen, war zweifellos<br />
ein Privileg, ganz besonders in einem Land<br />
wie der DDR. Aufgrund der politischen Weltsituation<br />
kamen nur »ausgewählte Kader« für<br />
Einsätze im »NSA« (nichtsozialistisches Ausland)<br />
infrage. Bei Karin Weber gab es diesbezüglich<br />
nie Probleme, der Staat behielt ja ihren<br />
Mann und ihr Kind als »Pfand«. Die strengen<br />
Reise-Auswahlkriterien hatten zur Folge, dass<br />
sie vor jedem Gastspiel um den personellen<br />
Umfang ihrer Kostüm-Crew kämpfen musste.<br />
Oft gingen die Streichungen über das erträg -<br />
liche Maß hinaus, unter welchem ein zuverlässiges<br />
Arbeiten ihrer Abteilung möglich war.<br />
Mit Schrecken erinnert sich die einstige Chef-<br />
Ankleiderin an Australien. Dort führte das Ensemble<br />
sieben Wochen lang an mehreren Spielorten<br />
»Schwanensee« auf. Im normalen<br />
Opernbetrieb standen ihr 17 Ankleider zur Verfügung.<br />
Ganze zwei von ihnen durfte sie nach<br />
Australien mitnehmen. Gesehen habe sie vom<br />
fünften Kontinent damals jedenfalls nicht allzu<br />
viel, erinnert sie sich ein wenig betrübt.<br />
Ihrem Charakter entsprechend, ließ sich Karin<br />
Weber auch vom frühen Tod ihres Mannes im<br />
Jahre 1991 nicht ihren Lebensmut nehmen. Sie<br />
stürzte sich um so mehr in ihre Arbeit. Privat<br />
beschloss sie, auf dem gemeinsamen Wochenendgrundstück<br />
in Berlin-Karow ganz und gar<br />
sesshaft zu werden. Nach vielen Jahren engagierter<br />
Arbeit nahm sie im Dezember 2003<br />
schließlich ihren Abschied vom Opernbetrieb.<br />
Nun endlich hatte sie Zeit für jene Ideen, die in<br />
ihrem Kopf bislang ein Schattendasein führen<br />
mussten. So verfasste sie ein eigenes Kinderstück,<br />
komplett ausgestattet mit von ihr meist<br />
selbst geschneiderten Kostümen. Das Stück<br />
hatte seine Premiere beim Tag der offenen Tür –<br />
natürlich in der Komischen Oper Berlin.<br />
Kreativer Ruhestand<br />
Für das allgemeine Geschehen in ihrem Wohnumfeld<br />
nimmt sich Karin Weber ebenfalls viel<br />
Zeit. Vehement setzt sie sich im Rahmen der<br />
Bürgerstiftung Karow für die Interessen ihrer<br />
Mitmenschen ein. Auch in den Räumen der Albert<br />
Schweizer Stiftung in Blankenburg ist sie<br />
ein gern gesehener Gast. Ihre inzwischen über<br />
90-jährige Mutter verbringt dort ihren Lebensabend.<br />
Sie war es auch, die ihrer Tochter Karin<br />
unbewusst den Anstoß zu einer »Jahrhundert-<br />
Modenschau« gab. Kleider und Kostüme der<br />
Ära 1900 bis 2000, präsentiert von den Mitarbeitern,<br />
den Angehörigen und von den Bewohnern<br />
der Einrichtung, die trotz ihrer teils schweren<br />
Handicaps einen Heidenspaß an der Sache hatten.<br />
Das Ganze sprach sich herum und so gab<br />
es alsbald eine zweite Auflage der Schau bei einem<br />
Hoffest der Advivendum-Pflegeeinrichtung<br />
in Karow (s. »BB« Juli 2010).<br />
Karin Weber war es vergönnt, ihr freuden -<br />
reiches Kinderspiel in ein langes, erbauliches<br />
Berufsleben zu verwandeln, bis hin zum aktiven<br />
Ruhestand; ein Glück, das nicht alle Menschen<br />
haben, dessen ist sie sich voll bewusst.<br />
Wenn man sich die vielen halbfertigen und fertigen<br />
Kostüme ansieht, die überall im Haus auf<br />
Ständern, Bügeln und Tischen verteilt sind, und<br />
wenn man dazu in Karin Webers leuchtende<br />
Augen schaut, während sie ihre Geschichten zu<br />
den einzelnen Stücken erzählt, dann hört und<br />
sieht man ganz deutlich die ehemalige Chef-<br />
Ankleiderin der Komischen Oper Berlin. Aber –<br />
und das ist das eigentlich Bemerkenswerte –<br />
man hört und sieht auch das kleine Mädchen,<br />
das nie mit dem »Puppeln« aufgehört hat.<br />
EXTRA-TIPPS: In den nächsten Wochen gibt es<br />
gleich zwei Gelegenheiten, die von Karin Weber<br />
inszenierten Jahrhundert-Modenschauen zu<br />
bewundern: Am 18. 9. beim Erntefest der Bürgerstiftung<br />
Karow und am 25. 9. um 14 Uhr in<br />
der Albert Schweizer Stiftung – Wohnen & Betreuen<br />
in der Blankenburger Bahnhofstr. 32.<br />
FOTOS: ENDRUWEIT, LAGENPUSCH, HAYEK, SPITZ