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21.August - Bucher Bote

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10 AUGUST 2010<br />

INITIATIVEN<br />

Vom Sinn medizinischer Hilfe<br />

in Entwicklungsländern<br />

Von Irina und Hubert Hayek,<br />

Kinderärzte aus Schwanebeck,<br />

die ihre Berufserfahrung in Tansania<br />

weitergaben<br />

ist ein gutes »Spender-<br />

D eutschland<br />

land«. Die meisten Menschen, die<br />

spenden, möchten auch wissen, ob das<br />

Geld ankommt und sinnvoll eingesetzt<br />

wird. Genauso ist es bei direkter medizinischer<br />

Hilfe: Ärzte und Schwestern, die<br />

sich entschließen, bei hohem persönlichen<br />

Risiko (Gesundheit, Familie, Arbeitsplatz)<br />

mit oder ohne Honorar in<br />

Entwicklungsländern zu arbeiten, wollen<br />

möglichst schon vorher wissen, ob ihre<br />

Dienste gebraucht werden und/oder<br />

dauerhaft helfen. Wir möchten aufgrund<br />

eigener Erfahrungen bei aktuellen Einsätzen<br />

in Tansania kritische Anmerkungen<br />

zur Sinnhaftigkeit solcher Einsätze<br />

abgeben, die vielleicht auch für andere<br />

Länder Gültigkeit haben könnten.<br />

Beispiel Tansania: Tansania ist ein Entwicklungsland:<br />

Entwicklungshilfe ist<br />

notwendig und wird von vielen Institutionen<br />

und Einzelpersonen begrüßt und<br />

geschätzt. Die Tansanier versuchen jedoch,<br />

vieles selbst in die Hand zu nehmen,<br />

was allerdings nicht immer klappt.<br />

Möglicherweise spielt die einheitliche<br />

Sprache (Kisuaheli) im Land eine große<br />

Rolle dabei, dass Tansania relativ sicher<br />

und für ein Entwicklungsland auch relativ<br />

gut entwickelt ist – jedenfalls im Vergleich<br />

zu Nachbarstaaten. Stammesfehden<br />

haben geringere Bedeutung, wenn<br />

man eine gemeinsame Sprache spricht.<br />

Weiße, auch Europäer sind willkommen:<br />

Die Einstellung zu deutschen Helfern ist<br />

überdurchschnittlich positiv. Das hängt<br />

auch damit zusammen, dass die Grzimeks<br />

und die Zoologische Gesellschaft<br />

Frankfurt nicht nur in der Serengeti<br />

Bemerkenswertes geleistet haben und<br />

noch leisten.<br />

Tansania wurde 1964 durch den Zusammenschluss<br />

von Tanganjika und Sansibar<br />

gegründet. Bis 1961 war Großbritannien<br />

die Mandatsmacht. Davor gab es die Kolonie<br />

Deutsch-Ostafrika, viele Tansanier<br />

haben das eigentlich vergessen. Den Briten<br />

steht man etwas reservierter gegenüber<br />

– nicht aber den Deutschen.<br />

Mwanza ist mit mehr als 500 000 Einwohnern<br />

die zweitgrößte Stadt Tansanias. Sie<br />

liegt etwas südlich des Äquators am Victoriasee<br />

in etwa 1 000 m Höhe. Seit 2003<br />

gibt es dort eine medizinische Universität,<br />

das Bugando Medical Centre. Bugando<br />

liegt auf einer Anhöhe – nahe dem<br />

Stadtzentrum. Wir waren 2008 und 2010<br />

jeweils im Mai/Juni in Mwanza. Nach<br />

dem Prinzip »teach the teacher« haben<br />

wir an der Ausbildung von Kinderärzten<br />

teilgenommen und Spezialwissen (Ultraschalldiagnostik<br />

bei Kindern) vermittelt.<br />

Der Aufenthalt war frei, 2008 wurde ein<br />

Teil der Flugkosten erstattet.<br />

Probleme bei der Ausbildung<br />

von Spezialisten<br />

Man muss wissen, dass es in Tansania<br />

mit 36 Mio Einwohnern nur rd. 100 Kinderärzte<br />

gibt (Deutschland: 11 000!). Das<br />

Land braucht nicht nur Ärzte, ganz besonders<br />

werden immer wieder auch Spe-<br />

zialisten gesucht. Das läuft üblicherweise<br />

folgendermaßen: Dr. X aus Tansania wird<br />

nach London/Rom oder Berlin geschickt<br />

– finanziert über eine Stiftung oder privat.<br />

Nach der Ausbildungszeit bleibt Dr. X<br />

aber im Ausbildungsland, bekommt ein<br />

Stipendium für die USA oder lernt einen<br />

Partner aus einem anderen Land kennen,<br />

jedenfalls kehrt Dr. X nie mehr in sein<br />

Heimatland zurück. Das Problem besteht<br />

nicht nur bei Medizinern und ist auch<br />

durch spezielle Verträge schwer oder gar<br />

nicht zu lösen. So werden die wenigen<br />

Ressourcen, die Entwicklungsländer<br />

überhaupt haben, durch die Industrieländer<br />

auch noch abgeschöpft.<br />

Die Idee eines deutschen Kinderarztes<br />

war, Ärzte (Spezialisten unterschiedlicher<br />

Fachgebiete) aus verschiedenen<br />

Ländern, vorwiegend aus Deutschland,<br />

aber auch aus Tansania nach Mwanza zu<br />

bringen, um eine Gruppe von Ärzten zu<br />

Kinderfachärzten auszubilden. Die tansanischen<br />

Ärzte bleiben also von vorn<br />

herein im Land. Nach zwei Jahren gut organisierter<br />

Ausbildung und nach strengen<br />

Prüfungen waren die ersten beiden<br />

Fachärzte ausgebildet, sie sind im Hospital<br />

geblieben und helfen nun bei der Ausbildung<br />

der nächsten Fachärzte mit. In<br />

diesem Jahr werden die nächsten fertig …<br />

Die Dozenten hatten für ihre mehrwö -<br />

chige Tätigkeit jeweils Kost und Logis frei<br />

und erhielten einen Flugkostenzuschuss<br />

über eine Stiftung. Der zitierte Kinderarzt<br />

war von einer christlichen karitativen<br />

Einrichtung vier Jahre bezahlt worden.<br />

Hilfreich dabei war auch die Tatsache,<br />

dass Einrichtungen aus Würzburg – der<br />

Partnerstadt von Mwanza – mit eingeschaltet<br />

waren. Nach der Rückkehr des<br />

Kollegen nach Deutschland konnte das<br />

Projekt in dieser Form nicht weiter -<br />

geführt werden. Das Medical Centre<br />

hatte den Kooperationspartner gewechselt:<br />

Es wurde ein römisches Krankenhaus<br />

gewählt. Auch von dort kommen<br />

regelmäßig Dozenten für die Ausbildung<br />

der Kinderärzte.<br />

Ärzte im eigenen<br />

Land ausbilden<br />

Aus Deutschland ist jetzt noch auch eine<br />

Kinderärztin vor Ort, die mit Erfolg einen<br />

Fachbereich für herzkranke Kinder gegründet<br />

hat und sich darum kümmert,<br />

dass diese Kinder, wenn es notwendig ist,<br />

im Ausland operiert werden. In Tansania<br />

ist dies noch nicht möglich. Kooperationspartner<br />

sind hier Kenia (!) und Israel –<br />

in Palästina hat die Kollegin vorher gewirkt<br />

und kann das dort aufgebaute Netzwerk<br />

jetzt für tansanische Kinder nutzen.<br />

Diese Operationen müssen natürlich bezahlt<br />

werden. Spender können direkt erfahren,<br />

wofür das Geld ausgegeben wird.<br />

Dr. Hubert Hayek bei der Ausbildung<br />

am Ultraschall-Gerät.<br />

Auch wir haben unlängst bei einer Geburtstagsfeier<br />

für Spenden geworben. Es<br />

kam immerhin so viel Geld zusammen,<br />

dass es für eine Herzkatheteruntersuchung<br />

eines Kindes in Kenia reicht. Die<br />

Spender wussten genau, es soll einem<br />

herzkranken Kind aus Tansania zugute<br />

kommen und nicht im »Spendensumpf«<br />

versickern (wer direkt für Katheteruntersuchungen<br />

spenden will – Kontakt über<br />

Dr. H. Hayek: hayek@onlinehome.de)<br />

Unserer Meinung nach ist es für Entwicklungsländer<br />

besser, einheimische Ärzte<br />

m eigenen Land auszubilden, als Krankenhäuser<br />

mit Ausländern zu unterhalten.<br />

Diese leisten zwar sicher gute Arbeit<br />

– aber was kommt danach? Nur wenn die<br />

Entwicklungsländer sich selbst »mühen«,<br />

kann der Erfolg von Dauer sein. Man sollte<br />

das eigene System (Gesundheit, Ausbildung)<br />

nicht anderen Ländern überstülpen<br />

und sich dann wundern, wenn es<br />

auf Dauer nicht klappt.<br />

Besuch bei Karin Weber,<br />

Damen-Maßschneidermeisterin<br />

aus Karow<br />

Von Jörg-Peter Malke<br />

Wenn die kleine Karin Weber geb. Kempf<br />

»puppelte«, dann war alles in bester Ordnung.<br />

Weltvergessen tauchte das Mädchen ab,<br />

vertiefte sich in ihr Spiel, kostümierte, frisierte<br />

und drapierte an Puppen und Teddys herum.<br />

»Puppeln« – das war für Karin jener Zustand<br />

phantasieumwobener Glückseligkeit, den zu<br />

erleben wohl nur Kindern in vollem Maße vergönnt<br />

ist. Viel Zeit dazu hatte sie aber nicht.<br />

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab<br />

es im Teltower Land viel harte Arbeit, nicht nur<br />

für die Erwachsenen. Eines Tages passierte es.<br />

Ein schwerer Unfall riss das erst 13-jährige<br />

Mädchen jäh aus ihrer Kindheit. Ein Wimpernschlag<br />

nur, ein kurzer unachtsamer Moment,<br />

Karin fiel von der Deichsel und geriet unter den<br />

schwer mit Obst beladenen Erntewagen. In<br />

dem winzigen Zeitabschnitt zwischen dem ersten<br />

Rad, das soeben über ihren Körper hinweg<br />

gerollt war, und dem zweiten, dass nun unweigerlich<br />

folgen würde, zog ihr junges Leben im<br />

Geiste an ihr vorbei. Noch heute erinnert sich<br />

Karin Weber an jenen Augenblick, als sei alles<br />

erst gestern passiert. Damals hatte sie unsagbares<br />

Glück im Unglück. Schwer verletzt, aber immer<br />

noch ansprechbar, brachte man das Mädchen<br />

ins Krankenhaus. Die Diagnose fiel düster<br />

aus: beidseitige Schlüsselbeinfraktur, Schädelbasisbruch,<br />

Quetschungen des Schädels sowie<br />

eine Vielzahl anderer Läsionen und Prellungen.<br />

Ohrfeige – nein danke!<br />

Die Folgen des Unfalls beeinflussten das weitere<br />

Leben Karin Webers nachhaltig. Besonders<br />

die schweren Verletzungen am Kopf machten<br />

ihr lange zu schaffen. Aufenthalte in direkter<br />

Sonne waren von nun an tabu. Statt Feldarbeit<br />

galt es im Haushalt zu helfen. Die Schule musste<br />

sie bereits mit 15 beenden. Bei der Wahl einer<br />

geeigneten Lehrstelle musste niemand in der<br />

Familie lange überlegen. Wer so viel »puppelt«<br />

wird natürlich Schneiderin. Karin war nicht unzufrieden,<br />

ging jedoch weiter zur Abendschule.<br />

Ihr Leben war jetzt dreigeteilt und anstrengend;<br />

einerseits die Lehre, andererseits die Abendschule<br />

und natürlich die Hilfe auf dem elter -<br />

lichen Hof, die sie nach wie vor zu leisten hatte.<br />

Mit 18, als fertige Schneidergesellin, fing Karin<br />

Weber in einem renommierten Berliner Modegeschäft<br />

in der Friedrichstraße an. Hier bekam<br />

sie erstmals Kontakt zu Leuten aus dem Bühnen-Milieu.<br />

Besonders die Schauspieler und<br />

Sänger, die mit ihrem exzentrischen Auftreten<br />

das Personal des Modehauses gut in Atem zu<br />

halten wussten, sind ihr in bester Erinnerung.<br />

Die junge Frau stand mit Herz und Seele im Beruf,<br />

stellte sich immer wieder Aufgaben, die<br />

weit über ihren Arbeitsbereich hinaus gingen.<br />

Zusätzlich absolvierte sie die Zuschneide-<br />

Schule, eine der Grundbedingungen zum Erwerb<br />

des Meister-Titels.<br />

Als das Geschäft in der Friedrichstraße schließen<br />

musste, wechselte Karin Weber in einen<br />

vornehmen Modesalon in der Fasanenstraße<br />

im Westteil Berlins. Nachdem ihr jedoch die<br />

dortige Chefin bei einer Meinungsverschiedenheit<br />

eine Ohrfeige anbot, zog das selbstbewusste<br />

Mädel sofort die Konsequenzen und kündigte<br />

umgehend. In einer Kreuzberger Firma, die<br />

Brautkleider herstellte, durfte sie sich richtig<br />

»austoben« in ihrem Beruf, der mehr und mehr<br />

künstlerisch-kreative Züge annahm. Der Besitzer<br />

der Firma erkannte schnell das Talent seiner<br />

neuen Kraft. Er vertraute ihrem Können so sehr,<br />

dass er die komplette Urlaubsgarderobe für<br />

seine Ehefrau von ihr entwerfen ließ.<br />

Mitten unter uns<br />

Petra Roy (r. im Kostüm einer Frau Kommerzienrat),<br />

Geschäftsführerin der Pflegeeinrichtung<br />

Advivendum in Karow, bedankt sich bei Karin Weber<br />

für die Inszenierung der begeisternden Jahrhundert-<br />

Modenschau während des Hoffestes am 5. Juni 2010.<br />

Die Chef-<br />

Ankleiderin<br />

Konzentriert verfolgt Karin Weber eine<br />

Probe in der Komischen Oper Anfang der<br />

80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts.<br />

Der berufliche Erfolg verhalf Karin Weber auch<br />

privat zu ein paar Annehmlichkeiten. Sie machte<br />

den Führerschein, kaufte einen Motorroller<br />

und fuhr damit im Sommer 1961 zur Insel Usedom.<br />

Ein Unfall zwang sie, ihren Urlaub länger<br />

als geplant auszudehnen und so erlebte Karin<br />

Weber den für Deutschland schicksalhaften<br />

13. August in einem Krankenhaus an der Ostsee.<br />

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Meisterschule<br />

besann sich die junge Frau auf ihre Wurzeln<br />

im Teltower Land. Obwohl es DDR-Bürgern<br />

in jener Zeit nicht gerade leicht gemacht<br />

wurde, sich selbstständig zu machen, versuchte<br />

Karin Weber es dennoch. Weil sie ortsansässig<br />

war und bleiben wollte, erhielt sie schließlich<br />

die begehrte Gewerbegenehmigung. 1963 heiratete<br />

sie den jungen Goldschmiedemeister<br />

Joachim Weber, den sie in einer Tanzschule<br />

kennengelernt hatte, und zog nach Berlin. Jetzt<br />

musste eine Entscheidung her. Zwei Selbständige<br />

innerhalb einer Familie waren dem Arbeiter-<br />

und Bauern-Staat zu viel. Karin Weber verzichtete<br />

auf ihren Schneiderbetrieb. Zu Hause<br />

bleiben wollte sie jedoch nicht. Bei einem Herrenausstatter<br />

in der Frankfurter Allee behielt sie<br />

Kontakt zu den Menschen und blieb fachlich<br />

auf dem Laufenden.<br />

Während Joachim Weber seinen Wehrdienst absolvierte,<br />

machte sich seine Frau in Berlin auf<br />

die Suche nach geeigneten Gewerberäumen, in<br />

denen die beiden nach dem Ende seiner Armeezeit<br />

ein Goldschmiede- und Schmuckgeschäft<br />

zu führen begannen. Als junge Mutter<br />

des gemeinsamen Sohnes Guido und »mithelfende<br />

Ehefrau« hatte Karin Weber fortan nur<br />

noch sehr begrenzt Gelegenheit, ihr erlerntes<br />

Handwerk auszuüben. Meist waren es kleinere<br />

Aufträge auf privater Basis. Der sich zunehmend<br />

verschlechternde Gesundheitszustand<br />

ihres Mannes zwang das Ehepaar, die gemeinsame<br />

Berufsplanung zu überdenken. Fast<br />

könnte man von »höherer Fügung« reden, als es<br />

sich ergab, dass einer ihrer Schmuck-Kunden<br />

an der Komischen Oper Berlin arbeitete. Er<br />

wusste von Karin Webers eigentlicher Profes -<br />

sion und machte ihr den Vorschlag, im Kostümbereich<br />

tätig zu werden.<br />

Gastspiele in aller Welt<br />

Beim Einstellungsgespräch wurde sie durch<br />

den riesigen Kostümfundus der Oper geführt.<br />

Die unzähligen, aufwändigen und teils sehr<br />

wertvollen Kleider ließen sie sofort wieder ihre<br />

starke Liebe zu ihrem erlernten Handwerk spüren.<br />

Am 1. Januar 1976 nahm sie als stellvertretende<br />

Chef-Ankleiderin an der Oper ihre Arbeit<br />

auf. In dieser Eigenschaft unterstanden ihr<br />

rund 20 Leute. Naturgemäß führte dies zu einiger<br />

Skepsis. Schnell jedoch erkannten die Mit-<br />

arbeiter die hohe berufliche Kompetenz ihrer<br />

neuen Kollegin. Mit Bravour bestand Karin Weber<br />

noch im Jahre 1976 ihre ersten Auslandsgastspiele<br />

nach Moskau und Venedig. Gastspielreisen<br />

sollten fortan ihren beruflichen<br />

Alltag prägen. Als sie 1978 den Chef-Ankleiderposten<br />

übernahm, gehörte es zu ihren Aufgaben,<br />

das Ensemble zu begleiten. Das Haus gastierte<br />

u. a. in Italien, Bulgarien, mehrfach in<br />

der UdSSR, in Japan und in England. Dermaßen<br />

viel von der Welt sehen zu dürfen, war zweifellos<br />

ein Privileg, ganz besonders in einem Land<br />

wie der DDR. Aufgrund der politischen Weltsituation<br />

kamen nur »ausgewählte Kader« für<br />

Einsätze im »NSA« (nichtsozialistisches Ausland)<br />

infrage. Bei Karin Weber gab es diesbezüglich<br />

nie Probleme, der Staat behielt ja ihren<br />

Mann und ihr Kind als »Pfand«. Die strengen<br />

Reise-Auswahlkriterien hatten zur Folge, dass<br />

sie vor jedem Gastspiel um den personellen<br />

Umfang ihrer Kostüm-Crew kämpfen musste.<br />

Oft gingen die Streichungen über das erträg -<br />

liche Maß hinaus, unter welchem ein zuverlässiges<br />

Arbeiten ihrer Abteilung möglich war.<br />

Mit Schrecken erinnert sich die einstige Chef-<br />

Ankleiderin an Australien. Dort führte das Ensemble<br />

sieben Wochen lang an mehreren Spielorten<br />

»Schwanensee« auf. Im normalen<br />

Opernbetrieb standen ihr 17 Ankleider zur Verfügung.<br />

Ganze zwei von ihnen durfte sie nach<br />

Australien mitnehmen. Gesehen habe sie vom<br />

fünften Kontinent damals jedenfalls nicht allzu<br />

viel, erinnert sie sich ein wenig betrübt.<br />

Ihrem Charakter entsprechend, ließ sich Karin<br />

Weber auch vom frühen Tod ihres Mannes im<br />

Jahre 1991 nicht ihren Lebensmut nehmen. Sie<br />

stürzte sich um so mehr in ihre Arbeit. Privat<br />

beschloss sie, auf dem gemeinsamen Wochenendgrundstück<br />

in Berlin-Karow ganz und gar<br />

sesshaft zu werden. Nach vielen Jahren engagierter<br />

Arbeit nahm sie im Dezember 2003<br />

schließlich ihren Abschied vom Opernbetrieb.<br />

Nun endlich hatte sie Zeit für jene Ideen, die in<br />

ihrem Kopf bislang ein Schattendasein führen<br />

mussten. So verfasste sie ein eigenes Kinderstück,<br />

komplett ausgestattet mit von ihr meist<br />

selbst geschneiderten Kostümen. Das Stück<br />

hatte seine Premiere beim Tag der offenen Tür –<br />

natürlich in der Komischen Oper Berlin.<br />

Kreativer Ruhestand<br />

Für das allgemeine Geschehen in ihrem Wohnumfeld<br />

nimmt sich Karin Weber ebenfalls viel<br />

Zeit. Vehement setzt sie sich im Rahmen der<br />

Bürgerstiftung Karow für die Interessen ihrer<br />

Mitmenschen ein. Auch in den Räumen der Albert<br />

Schweizer Stiftung in Blankenburg ist sie<br />

ein gern gesehener Gast. Ihre inzwischen über<br />

90-jährige Mutter verbringt dort ihren Lebensabend.<br />

Sie war es auch, die ihrer Tochter Karin<br />

unbewusst den Anstoß zu einer »Jahrhundert-<br />

Modenschau« gab. Kleider und Kostüme der<br />

Ära 1900 bis 2000, präsentiert von den Mitarbeitern,<br />

den Angehörigen und von den Bewohnern<br />

der Einrichtung, die trotz ihrer teils schweren<br />

Handicaps einen Heidenspaß an der Sache hatten.<br />

Das Ganze sprach sich herum und so gab<br />

es alsbald eine zweite Auflage der Schau bei einem<br />

Hoffest der Advivendum-Pflegeeinrichtung<br />

in Karow (s. »BB« Juli 2010).<br />

Karin Weber war es vergönnt, ihr freuden -<br />

reiches Kinderspiel in ein langes, erbauliches<br />

Berufsleben zu verwandeln, bis hin zum aktiven<br />

Ruhestand; ein Glück, das nicht alle Menschen<br />

haben, dessen ist sie sich voll bewusst.<br />

Wenn man sich die vielen halbfertigen und fertigen<br />

Kostüme ansieht, die überall im Haus auf<br />

Ständern, Bügeln und Tischen verteilt sind, und<br />

wenn man dazu in Karin Webers leuchtende<br />

Augen schaut, während sie ihre Geschichten zu<br />

den einzelnen Stücken erzählt, dann hört und<br />

sieht man ganz deutlich die ehemalige Chef-<br />

Ankleiderin der Komischen Oper Berlin. Aber –<br />

und das ist das eigentlich Bemerkenswerte –<br />

man hört und sieht auch das kleine Mädchen,<br />

das nie mit dem »Puppeln« aufgehört hat.<br />

EXTRA-TIPPS: In den nächsten Wochen gibt es<br />

gleich zwei Gelegenheiten, die von Karin Weber<br />

inszenierten Jahrhundert-Modenschauen zu<br />

bewundern: Am 18. 9. beim Erntefest der Bürgerstiftung<br />

Karow und am 25. 9. um 14 Uhr in<br />

der Albert Schweizer Stiftung – Wohnen & Betreuen<br />

in der Blankenburger Bahnhofstr. 32.<br />

FOTOS: ENDRUWEIT, LAGENPUSCH, HAYEK, SPITZ

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