Rechtsabbieger - Weser Kurier
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1<br />
Es gibt nicht den einen Weg, der<br />
Jugendliche in die rechte Szene<br />
führt. Nach Ansicht von Wissenschaftlern<br />
wirken verschiedene<br />
Einflüsse zusammen: Den jungen<br />
Menschen fehlt es an Anerkennung<br />
in der Schule, in der<br />
Familie oder bei Freunden. Sie<br />
finden keinen Arbeitsplatz und<br />
wissen nichts mit sich anzufangen.<br />
»Sie erleben, dass das gesellschaftliche<br />
System sie nicht wirklich braucht.<br />
Akzeptanz, Geborgenheit und Verlässlichkeit<br />
kennen sie nicht«, sagt Wolfgang<br />
Welp, Dozent an der Hochschule<br />
Neubrandenburg.<br />
In der Pubertät fragen sich Jugendliche<br />
»Wer bin ich?«, »Welchen Sinn hat das<br />
Leben?« oder »Wo ist mein Platz in dieser<br />
Gesellschaft?«. Ob Konflikte in der Schule,<br />
Scheidung der Eltern oder die ersten Erfahrungen<br />
mit der Sexualität: Die Jugendlichen<br />
erleben die Pubertät als eine Zeit der Unsicherheit<br />
und kommen nur schwer mit den<br />
emotionalen, körperlichen und sozialen<br />
Veränderungen zurecht. Zu dieser Zeit<br />
gehen oft altbekannte und sinnstiftende<br />
Strukturen verloren, ohne dass überzeugende<br />
Alternativen geschaffen werden.<br />
Die Struktur der konventionellen<br />
Ursprungsfamilie mit Vater,<br />
Mutter und Kindern gibt es<br />
immer seltener – an ihre Stelle treten<br />
»Patchworkfamilien«, die das bisherige<br />
Leben gehörig durcheinander wirbeln.<br />
Viele Jugendliche hängen sprichwörtlich<br />
in der Luft. Wenn Familie, Freunde und<br />
Die Clique wird<br />
zur Ersatzfamilie<br />
Auf der Suche nach<br />
Anerkennung landen viele<br />
Jugendliche in der Szene<br />
Schule ihnen keine Werte bieten, die diese<br />
Leere füllen, fühlen sich die Jugendlichen<br />
ausgegrenzt.<br />
In dem Forschungsprojekt »Ein-<br />
und Ausstiege bei Skinheads« der Fachhochschule<br />
Esslingen begleitete Welp als<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter drei Jahre<br />
lang rechtsorientierte Jugendliche. Viele<br />
nannten das Verhältnis zu den Eltern »ganz<br />
in Ordnung«. Die Wirklichkeit aber sah<br />
oft anders aus: »Tatsächlich reden viele<br />
Eltern kaum mit ihren Kindern«, sagt<br />
Welp. Gemeinsame Aktivitäten fehlen, die<br />
Beziehungen in der Familie sind emotional<br />
oberflächlich und wenig verlässlich.<br />
»Viele Familien leben völlig beziehungslos<br />
nebeneinander her«, sagt Welp. Er nennt<br />
das »System Familie total überfordert«.<br />
Oft würden Eltern ihren Kindern<br />
mit Desinteresse begegnen, sich nicht<br />
durchsetzen oder seien nicht in der Lage,<br />
mit ihrem Nachwuchs angemessen über<br />
politische Einstellungen zu diskutieren. In<br />
ihrer eigenen Hilflosigkeit bestrafen sie die<br />
Kinder oder ignorieren deren zum Teil provozierendes<br />
Verhalten vollkommen. Fehlende<br />
Kommunikation in der Familie wirkt<br />
sich auf das Sozialverhalten aus. Da die jungen<br />
Menschen ihre Konflikte verbal meist<br />
nicht lösen können, wählen viele Gewalt als<br />
Alternative. »Viele müssen Gewalt ausüben,<br />
um sich selbst überhaupt noch zu spüren«,<br />
»Erlebniswelt rechts«: Sie bietet Jugendlichen Abwechslung –<br />
und das Gefühl, dazuzugehören.