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Rechtsabbieger - Weser Kurier

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stieg musste die Familie bereits<br />

mehrmals umziehen, zu hoch war<br />

der Verfolgungsdruck der einstigen »Kameraden«,<br />

zu hoch waren auch die bürokratischen<br />

Hürden, die sich vor der Familie<br />

auftürmten.<br />

Ulrike sieht aus wie viele Mädchen<br />

mit 17. Sie trägt gerne verwaschene Jeans,<br />

enge T-Shirts und angesagte Turnschuhe.<br />

Sie liest viel, hört Musik und geht mit<br />

Freundinnen aus. Vor dem Ausstieg durfte<br />

sie nicht einmal Radio hören. Jeans waren<br />

tabu, Hosen generell bei Mädchen nicht<br />

gerne gesehen. »Das war oft peinlich«,<br />

erinnert Ulrike sich. »Im Trachtenrock zur<br />

Schule.«<br />

»Dass du mir keinen Türken oder<br />

Neger anschleppst«, sagte ihre Mutter.<br />

Immerhin konnte sie mit der überhaupt<br />

diskutieren. Anders als mit ihrem Stiefvater.<br />

Der Bremer NPD-Aktivist Markus Privenau<br />

duldete keinen Widerspruch und keine<br />

Diskussion. »Er hat mich mal zusammengebrüllt,<br />

weil ich das Klavierstück eines<br />

jüdischen Komponisten üben wollte.« In<br />

der nächsten Klavierstunde belog Ulrike<br />

ihren Lehrer. Sie möge das Stück nicht,<br />

daher habe sie nicht geübt. »Die Wahrheit<br />

durfte ich ja nicht sagen.«<br />

Eine Kindheit in Braun bedeutet, in<br />

zwei Welten zu leben. Den Zwiespalt kennt<br />

Ulrike, »seit ich denken kann«. Schon in der<br />

Grundschule lernte sie, dass es Dinge gab,<br />

die sie verschweigen musste. Jedenfalls vor<br />

bestimmten Leuten. Vor anderen nicht: Die<br />

meisten Freunde der Familie waren Rechtsextremisten.<br />

So gingen Tanja Privenau und<br />

ihre Kinder jahrelang bei den Börms in<br />

Lüneburg ein und aus, erzählt Ulrike. Auch<br />

mit Udo Pastörs’ Tochter hat sie viel Zeit<br />

verbracht. Pastörs sitzt heute für die NPD<br />

im Schweriner Landtag. Bevor es ihn nach<br />

Mecklenburg-Vorpommern zog, lebte er<br />

mit seiner Familie im Ammerland.<br />

Auf dem Foto strahlt Ulrike mit<br />

ihren Freundinnen um die Wette. Da war<br />

sie zwölf Jahre alt, es war ihr letztes HDJ-<br />

Lager. Alle Mädchen trugen weiße Blusen<br />

zu langen dunkelblauen Röcken. Das war<br />

so gewünscht bei der HDJ. Die Kleidung<br />

erinnert an die Uniformen von Hitlers<br />

»Bund Deutscher Mädel« (BDM), besonders<br />

wenn die Mädchen dazu auch noch ihre<br />

schwarzen Halstücher trugen. Hart sollten<br />

die Mädchen werden, deshalb blieben<br />

Strumpfhosen auch im Winter verpönt.<br />

Selbst mehrtägige Wanderungen, bei<br />

denen die Kinder ihre Zelte abends auf- und<br />

Mehr als 150 Kinder und Jugendliche haben laut Verfassungsschutz<br />

an einem Zeltlager der HDJ nahe Eschede teilgenommen.<br />

morgens wieder abbauten, absolvierten<br />

Ulrike und ihre Freundinnen in Röcken.<br />

Abends machten sie sich am Lagerfeuer<br />

ihr Essen und sangen zur Gitarre. Den Tag<br />

über marschierten sie im Takt, den Trommeln<br />

vorgaben. Bei der HDJ klangen die<br />

Tage aus, wie sie begannen: Trompeten<br />

befahlen die Nachtruhe.<br />

Ulrikes Mutter war als Jugendliche in<br />

der »Wiking-Jugend« aktiv. Die Organisation<br />

verstand sich als Nachfolgerin der Hitler-Jugend<br />

(HJ) und hat die Verherrlichung<br />

des Nationalsozialismus zu offensichtlich<br />

betrieben: 1994 hat das Bundesinnenministerium<br />

die »Wiking-Jugend« wegen ihrer<br />

»Wesensverwandtschaft mit der NSDAP<br />

und der Hitler-Jugend« verboten. »In den<br />

Lagern der ›Wiking-Jugend‹ hatten wir<br />

Jacken mit Gau-Dreiecken«, erinnert sich<br />

Tanja Privenau. Während der NS-Zeit haben

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