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Stolpersteine in Bruchsal

Gedenkschrift zur ersten Stolpersteinverlegung in Bruchsal. Link zum Filmbericht auf youtube auf der letzten Umschlagaußenseite.

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Efraim Sicher erzählt. Me<strong>in</strong> Vater Ernst Joachim<br />

Der <strong>in</strong> Israel lebende<br />

Sohn von Ernst Joachim<br />

Sicher hat die<br />

Lebens- und Leidensgeschichte<br />

se<strong>in</strong>es Vaters<br />

aufgeschrieben.<br />

E<strong>in</strong>iges erschloss sich<br />

ihm erst beim Sichten<br />

des Nachlasses, darunter<br />

die von se<strong>in</strong>em<br />

Vater <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abgegriffenen<br />

Schulheft<br />

niedergeschriebenen<br />

Er<strong>in</strong>nerungen an dessen<br />

Familie und Geburtsstadt<br />

<strong>Bruchsal</strong>. Wie viele Opfer des Nationalsozialismus sprach Efraim Sichers<br />

Vater so gut wie nie über das Geschehene – es war zu schmerzhaft für ihn.<br />

Me<strong>in</strong> Vater Ernst Joachim Sicher kam am 9. März 1924 <strong>in</strong> der <strong>Bruchsal</strong>er Schillerstraße<br />

1 als zweites K<strong>in</strong>d von Fritz und Recha Sicher zur Welt. Se<strong>in</strong>e Schwester<br />

Emmy war da bereits fast drei Jahre alt. Später wohnte die Familie am Bahnhofsplatz<br />

9, dann <strong>in</strong> der Bahnhofstraße 5 und zuletzt <strong>in</strong> der Bismarckstraße 18. Me<strong>in</strong><br />

Vater und se<strong>in</strong>e Schwester hatten bis 1933 e<strong>in</strong>e idyllische K<strong>in</strong>dheit.<br />

Nazis verprügelten den Großvater<br />

Hitler wurde am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt und schon vor der<br />

Reichstagswahl im März 1933 wurden<br />

Juden <strong>in</strong> <strong>Bruchsal</strong> drangsaliert<br />

oder gar zusammengeschlagen.<br />

Me<strong>in</strong> Vater beschrieb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Memoiren<br />

e<strong>in</strong> schreckliches Erlebnis,<br />

das me<strong>in</strong>em Großvater widerfuhr.<br />

E<strong>in</strong>es Abends kam me<strong>in</strong> Großvater<br />

Fritz mit e<strong>in</strong>er blutenden Platzwunde<br />

am Kopf nach Hause. Die<br />

Nazis hatten ihn verprügelt und<br />

ihn und andere jüdische Bürger gezwungen,<br />

Wahlplakate von Zäunen<br />

Frances und Ernest Sicher heirateten im Juni 1946. Foto: E. Sicher<br />

L<strong>in</strong>ks beim Leiterwagen Fritz Sicher. Die Aufnahme<br />

entstand wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> der Bismarckstraße.<br />

Foto: Stadtarchiv <strong>Bruchsal</strong><br />

und Häuserwänden zu entfernen.<br />

E<strong>in</strong> Arzt wurde gerufen und legte<br />

e<strong>in</strong>en Verband an. Aus Furcht vor<br />

Repressalien oder gar Inhaftierung<br />

zeigte me<strong>in</strong> Großvater die Übeltäter<br />

nicht an. Me<strong>in</strong> Vater beschrieb <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en Memoiren auch se<strong>in</strong>e ständige<br />

Angst, alle<strong>in</strong>e auf die Straße zu<br />

gehen.<br />

Obwohl me<strong>in</strong>e Großeltern nicht<br />

sehr religiös waren, beachteten sie<br />

die jüdischen Speisevorschriften,<br />

was jedoch durch schikanöse Gesetze<br />

erschwert wurde. So war es nicht mehr möglich, koscheres Fleisch zu kaufen, da<br />

für ganz Deutschland e<strong>in</strong> Schächtverbot erlassen wurde, das das rituelle Schlachten<br />

nach dem jüdischen Religionsgesetz untersagte.<br />

Novemberpogrome<br />

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die <strong>Bruchsal</strong>er Synagoge von<br />

SA- und SS-Leuten niedergebrannt. In diesen Tagen waren die Straßen für jüdische<br />

Männer nicht sicher. Sie wurden <strong>in</strong>haftiert und <strong>in</strong>s Konzentrationslager Dachau abtransportiert.<br />

Jüdischen K<strong>in</strong>dern war bereits seit Oktober 1935 verboten, öffentliche Schulen zu<br />

besuchen. Me<strong>in</strong> Vater musste jeden Tag mit dem Zug zu e<strong>in</strong>er jüdischen Schule<br />

nach Mannheim fahren. Als er am Morgen des 10. November 1938 bei der Schule<br />

ankam, stellte er voller Schrecken<br />

fest, dass diese nicht mehr existierte.<br />

SA-Leute hatten sie zusammen<br />

mit der benachbarten Synagoge <strong>in</strong><br />

die Luft gesprengt. Danach musste<br />

me<strong>in</strong> Vater e<strong>in</strong>e Juden vorbehaltene<br />

Berufsschule <strong>in</strong> Karlsruhe besuchen.<br />

Nach den Novemberpogromen war<br />

me<strong>in</strong>en Großeltern Recha und Fritz<br />

endgültig klar, dass sie ihre Heimat<br />

verlassen mussten. Sie beschlos-<br />

Fritz Sicher im schwarzen Anzug beim Re<strong>in</strong>igen e<strong>in</strong>er<br />

Wand. Er hat e<strong>in</strong>en gut sichtbaren Kopfverband, weil er<br />

e<strong>in</strong>e blutende Kopfwunde hatte - verursacht durch die<br />

Nazis. Foto: Stadtarchiv <strong>Bruchsal</strong>.<br />

Unbedenklichkeitsbesche<strong>in</strong>igung für Ernst Joachim<br />

Sicher, ausgestellt von der <strong>Bruchsal</strong>er Stadtkasse.<br />

Foto: E. Sicher<br />

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