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Stolpersteine in Bruchsal

Gedenkschrift zur ersten Stolpersteinverlegung in Bruchsal. Link zum Filmbericht auf youtube auf der letzten Umschlagaußenseite.

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sen, zunächst ihre K<strong>in</strong>der außer Landes<br />

zu br<strong>in</strong>gen. Emmy wurde zu Verwandten<br />

nach Pilsen geschickt. Aber bereits nach<br />

drei Wochen kam sie wieder zurück. Sie war<br />

unglücklich und hatte Heimweh. Doch die<br />

geplante Emigration der ganzen Familie war<br />

zwischenzeitlich nicht mehr möglich. Me<strong>in</strong>e<br />

Großeltern hatten zwar Visa beim amerikanischen<br />

Konsulat beantragt, aber die USA<br />

nahmen ke<strong>in</strong>e Flüchtl<strong>in</strong>ge mehr auf.<br />

Flucht mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>dertransport<br />

Mit K<strong>in</strong>dertransporten konnten zwischen<br />

Ende 1938 und dem Kriegsbeg<strong>in</strong>n am 1. K<strong>in</strong>dertransport 1939. Foto: privat<br />

September 1939 über 10.000 jüdische K<strong>in</strong>der <strong>in</strong>s Exil nach Großbritannien flüchten.<br />

Emmy war 1939 mit 18 Jahren zu alt für den K<strong>in</strong>dertransport, sie musste <strong>in</strong><br />

Deutschland bleiben. So konnte nur me<strong>in</strong> 15-jähriger Vater mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>dertransport<br />

entkommen.<br />

Zusammen mit vielen anderen K<strong>in</strong>dern erreichte er mit dem Schiff die englische<br />

Hafenstadt Harwich. Von dort g<strong>in</strong>g es mit dem Zug weiter zur Liverpool Street Station<br />

<strong>in</strong> London, wo Pflegefamilien auf die Emigranten warten sollten. Auf me<strong>in</strong>en<br />

Vater wartete jedoch niemand, woraufh<strong>in</strong> er zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong> altes Lagerhaus gesperrt<br />

wurde. Da mittlerweile Krieg herrschte, konnten K<strong>in</strong>der ohne Pflegefamilien<br />

nicht mehr zurück geschickt werden.<br />

E<strong>in</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gskomitee fand für me<strong>in</strong>en Vater auf dem Gutshof der Familie Russell<br />

<strong>in</strong> Weedon e<strong>in</strong>e Bleibe. Dort musste er für Unterkunft und Verpflegung schwer arbeiten.<br />

1940 beschloss die britische Regierung, alle über 16 Jahre alten männlichen<br />

deutschen Emigranten als „Fe<strong>in</strong>dstaatenausländer“ festzusetzen. Auch me<strong>in</strong> Vater<br />

wurde auf der Isle of Man <strong>in</strong>terniert. Nur unter der Auflage, wieder als Zwangsarbeiter<br />

auf dem Landgut zu arbeiten, wurde er aus dem Internierungslager entlassen.<br />

Glücklicherweise ergab sich für ihn die Möglichkeit, <strong>in</strong> Leeds die ORT Technical<br />

Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g School zu besuchen, wo er zusammen mit anderen jüdischen Jungen<br />

aus Deutschland für e<strong>in</strong>en technischen Beruf ausgebildet wurde.<br />

Gurs und Auschwitz<br />

Die Eltern me<strong>in</strong>es Vaters, se<strong>in</strong>e Schwester Emmy sowie Tante Adelheid wurden am<br />

22. Oktober 1940 <strong>in</strong>s Internierungslager Gurs <strong>in</strong> Frankreich deportiert. Zunächst<br />

konnten sich me<strong>in</strong> Vater <strong>in</strong> England und se<strong>in</strong>e Familie <strong>in</strong> Gurs noch Briefe schreiben.<br />

So musste er auf diesem Wege erfahren, dass se<strong>in</strong> Vater aufgrund der katastrophalen<br />

Zustände <strong>in</strong> Gurs am 7. April 1941 im Krankenhaus von Pau verstarb.<br />

Ab August 1942 wurden die Briefe me<strong>in</strong>es Vaters se<strong>in</strong>en Angehörigen <strong>in</strong> Gurs nicht<br />

mehr ausgehändigt; sie kamen als unzustellbar zurück. Erst nach Ende des 2. Weltkrieges<br />

erfuhr er, dass am 10. August 1942 se<strong>in</strong>e Familienangehörigen von Gurs<br />

nach Auschwitz deportiert wurden. Se<strong>in</strong>e Mutter Recha, se<strong>in</strong>e Schwester Emmy<br />

und se<strong>in</strong>e Tante Adelheid wurden sofort nach der Ankunft <strong>in</strong> Auschwitz vergast.<br />

Bei der britischen Armee<br />

Mit 18 Jahren wurde me<strong>in</strong> Vater Soldat<br />

der britischen Armee und diente bei der<br />

Jüdischen Brigade <strong>in</strong> Ägypten. So konnte<br />

er e<strong>in</strong>erseits die verhassten Nationalsozialisten<br />

bekämpfen und andererseits britischer<br />

Staatsbürger werden. Doch er hatte<br />

im Holocaust nahezu se<strong>in</strong>e gesamte Familie<br />

verloren. Nur wenige entfernte Verwandte<br />

blieben am Leben. Onkel Rudolf<br />

Sicher überstand die Kriegsjahre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Versteck <strong>in</strong> Frankreich, Onkel Alfred Heß<br />

überlebte <strong>in</strong> der Schweiz.<br />

Ernst Joachim Sicher (l<strong>in</strong>ks) bei der<br />

britischen Armee. Um 1945. Foto: E. Sicher<br />

Besuch im zerstörten <strong>Bruchsal</strong><br />

Kurz nach dem Krieg besuchte me<strong>in</strong> Vater <strong>Bruchsal</strong> und fand e<strong>in</strong>e zerstörte Stadt<br />

vor. In der Bismarckstraße sprach ihn e<strong>in</strong>e <strong>Bruchsal</strong>er<strong>in</strong> an, die se<strong>in</strong>e Familie vor<br />

deren Deportation ab und zu unterstützte. Sie wollte ihm e<strong>in</strong> Gemälde aus dem<br />

Besitz se<strong>in</strong>er Eltern mitgeben, doch me<strong>in</strong> Vater lehnte ab, was er e<strong>in</strong>ige Zeit bereute.<br />

Später wurde ihm jedoch klar, dass er so viel verloren hatte - für all se<strong>in</strong>e Schmerzen<br />

könne ihn e<strong>in</strong> Bild nicht entschädigen. Im Juni 1946 heiratete me<strong>in</strong> Vater Fanny<br />

(Frances) Skolnick und begann e<strong>in</strong> neues Leben als freier Bürger <strong>in</strong> Großbritannien.<br />

Auswanderung nach Israel<br />

Um <strong>in</strong> der Nähe ihrer Enkelk<strong>in</strong>der zu se<strong>in</strong>, wanderten me<strong>in</strong>e Eltern im Jahre 1983<br />

nach Israel aus, wo ich als deren e<strong>in</strong>ziges K<strong>in</strong>d mit me<strong>in</strong>er Frau Rakhel seit 1980 lebe.<br />

Me<strong>in</strong>e Mutter starb bereits 1988, me<strong>in</strong> Vater verstarb 1994 im Alter von 70 Jahren<br />

an Herzversagen. Doch die Geschichte der Familie Sicher geht <strong>in</strong> Israel weiter. Hier<br />

wuchsen die Enkelk<strong>in</strong>der von Ernest und Fanny Sicher als freie Bürger <strong>in</strong> ihrem<br />

eigenen Land auf. Mittlerweile wachsen die Ururenkelk<strong>in</strong>der von Recha und Fritz<br />

Sicher <strong>in</strong> Israel heran.<br />

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