Schiffbruch als Metapher
Schiffbruch als Metapher
Schiffbruch als Metapher
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Das Schiff erhält in der biblischen Geschichte von Noah <strong>als</strong> ‚Lebensschiff’ einen Sinngehalt, den<br />
die Rettung menschlichen Lebens vor den Gefahren einer bedrohlichen Natur auszeichnet. In der<br />
Schilderung der Sintflut hatte Gott die von ihm geschaffene Feste zwischen den Wassern des<br />
Himmels und denen der Erde in einem umgekehrten Schöpfungsakt wieder geöffnet. „Der Herr sah,<br />
dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und alles Sinnen und Trachten nur<br />
schlecht war. Da reute es den Herrn, den Menschen geschaffen zu haben. (...) Nur Noah fand Gnade<br />
in den Augen des Herrn. Da sprach Gott zu Noah. Ich sehe das Ende aller Wesen aus Fleisch, denn<br />
durch sie ist die Welt voller Gewalt. Mach Du Dir eine Arche aus Zypressen-Holz! Ich will nämlich<br />
eine Flut über die Erde bringen. Alles auf Erden soll sterben. Nur Du, und von jedem Lebewesen<br />
ein Exemplar will ich retten.“ 8 Der Verlauf der Reise zu Schiff ist hier eng verbunden mit dem<br />
Verlauf des menschlichen Lebens und „die ‚navigatio vitae’ ist <strong>als</strong> feststehender Begriff in die<br />
Literatur und Kunst eingegangen.“ 9 Im Gegensatz zu ihr stehen die Bilder des ‚Totenschiffs’ und<br />
der ‚Reise über den Totenfluss’, wie sie aus der ägyptischen beziehungsweise griechischen<br />
Mythologie bekannt sind. Hier dient das Schiff <strong>als</strong> Transportmittel der Seele auf ihrem Weg in das<br />
Jenseits.<br />
2.2.1.2 Das Staatsschiff<br />
Eine Wendung ins Politische erfährt die Schiffsmetapher in ihrer Ausprägung <strong>als</strong> ‚Staatsschiff’, es<br />
„bildet den Zustand der politischen Gesellschaft ab.“ 10 Als Ort im Ortlosen korrespondiert das<br />
Schiff auf dem Meer mit der Stadt, der Polis auf dem Land. Die Mannschaft, die sich auf dem<br />
Schiff befindet, kann <strong>als</strong> ein schwimmender Mikrokosmos der großen Gemeinschaft auf dem Land<br />
gesehen werden. Den Aufgaben und Stellungen der Besatzung des Schiffes vom Steuermann bis hin<br />
zum Matrosen entsprechen dann die politischen Ämter. 11 „Horaz hat das ‚Staatsschiff’ in die<br />
politische Rhetorik eingeführt, in der es bis zum heutigen Tag seine Rolle spielt.“ 12 Die<br />
Verwendung der Staatsschiffmetapher hat ihre Spuren auch im Wortschatz der Politik hinterlassen.<br />
So lässt sich die etymologische Herkunft des Wortes „Gouverneur“ auf das alte griechische Wort<br />
‚Kybernetes’, Steuermann, zurückverfolgen. 13 Wenn gemeinschaftsbedrohende Erscheinungen wie<br />
Aufstände oder Angriffe in metaphorische Verbindung mit dem aufgewühlten Meer gebracht<br />
8<br />
Genesis 6-7. In: Kirchenrat des Kantons Zürich (Hg.): Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Testaments.<br />
Zürich 1967.<br />
9<br />
Mertens, Sabine: Seesturm und <strong>Schiffbruch</strong>. Eine motivgeschichtliche Studie. Rostock 1987, S. 26.<br />
Vgl. auch: Rahner, Hugo: Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter. Salzburg 1964, S. 245ff. .<br />
10<br />
Eckart Schäfer: Das Staatsschiff. Zur Präzision eines Topos. In: Jehn, Peter (Hg.): Toposforschung Frankfurt/M.<br />
1972, S. 260. Vgl. ferner: Peil, Dietmar: Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen<br />
Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart. München 1983, S. 700-870.<br />
11<br />
Als ‚Gemeinschaftsschiff’ kann das Schiff auch <strong>als</strong> Bild für die soziale Schichtung von ‚Oben’ und ‚Unten' einer<br />
Klassengesellschaft stehen.<br />
12 Blumenberg 1997, S. 14.<br />
13 Vgl. Hönig, S. 21.