Schiffbruch als Metapher
Schiffbruch als Metapher
Schiffbruch als Metapher
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Universität Karlsruhe<br />
Institut für Literaturwissenschaft<br />
Oberseminar: „Kulturthema Wasser“<br />
(WS 2005/06)<br />
Prof. Dr. Andreas Böhn; Prof. Dr. Burkhardt Krause<br />
Jörg Hartmann<br />
Blumenstr. 27<br />
69115 Heidelberg<br />
06221/7279906<br />
Germanistik (MA)<br />
1. Semester<br />
Matr.Nr. 1079256<br />
<strong>Schiffbruch</strong> <strong>als</strong> <strong>Metapher</strong><br />
Hans Blumenbergs „<strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer“ <strong>als</strong><br />
philosophischer Hintergrund des Films<br />
"Die Innere Sicherheit" von Wolfgang Petzold
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung…………………………………………………...………………S. 1<br />
2. Hauptteil………………………………………………………….…………S. 1<br />
2.1 Das Element Wasser……………………………………………………...…S. 1<br />
2.1.1 Das große Wasser: Das Meer…………………………………….…………S. 2<br />
2.2 Das Artefakt: Das Schiff……………………………………………………S. 2<br />
2.2.1 Das Schiff <strong>als</strong> <strong>Metapher</strong>…………………………………………………….S. 3<br />
2.2.1.1 Das Lebensschiff……………………………………………………………S. 3<br />
2.2.1.2 Das Staatsschiff……………………………………………………………..S. 4<br />
2.2.1.3 Das Kirchenschiff…………………………………………………………..S. 5<br />
2.2.1.4 Das Narrenschiff …………………………………………………………...S. 5<br />
2.2.2 Das Scheitern der Schifffahrt: Der <strong>Schiffbruch</strong>…………………………….S. 5<br />
2.3 Die <strong>Metapher</strong>………………………………………………………………..S. 6<br />
2.3.1 Definition und Kritik………………………………………………………..S. 6<br />
2.3.1 Moderne Theorien ………………………………………………………….S. 7<br />
2.4 Die <strong>Metapher</strong>ologie Hans Blumenbergs……………………………………S. 7<br />
2.4.1 Blumenberg und die nautische <strong>Metapher</strong>…………………………………..S. 9<br />
2.4.1.1 Seefahrt <strong>als</strong> Grenzverletzung……………………………………………….S. 9<br />
2.4.1.2 Vom Frevel zum Glücksversprechen: Der Bedeutungswandel der Schiff-<br />
fahrtsmetapher im Verlauf der Geschichte………..………………………..S. 10<br />
2.4.1.2.1 Die antike Deutung: Schifffahrt <strong>als</strong> Frevel…….………………………...S. 10<br />
2.4.1.2.2 Die neuzeitliche Deutung: Risiko des <strong>Schiffbruch</strong>s <strong>als</strong> Preis des Fort-<br />
schritts………..…………………………………………………………….S. 10<br />
2.4.1.2.3 Die moderne Deutung: Das Scheitern <strong>als</strong> Chance zur retrograde<br />
Seetüchtigkeit………………………………………………………………S. 11<br />
2.5 Ideologischer <strong>Schiffbruch</strong>: Die Wassermetaphorik in Wolfgang Petzolds<br />
Film „Die Innere Sicherheit“ ………………………………………………S. 12<br />
2.5.1 „Die Innere Sicherheit“ im filmhistorischen Kontext……………………...S. 12<br />
2.5.2 Inhalt………………………………………………………………………..S. 13<br />
2.5.3 Handlungsanalyse…………………………………………………………..S. 14<br />
2.5.4 Das Genre <strong>als</strong> Schlüssel zum Verständnis…………………………………S. 14<br />
2.5.5 Wassermetaphern…………………………………………………………..S. 15<br />
2.5.5.1 Gratwanderung auf den Gezeiten: Die <strong>Metapher</strong> des Surfens……………..S. 16
2.5.5.2 Leviathan, Moby Dick und die RAF……………………………………….S. 16<br />
2.5.6 Der politische <strong>Schiffbruch</strong> der 68er Generation…………………………...S. 17<br />
2.5.7 Überleben, aber wie? Retrograde Seetüchtigkeit <strong>als</strong> Aufgabe der<br />
Generationen……………………………………………………………….S. 19<br />
3. Schluss……………………………………………………………………...S. 20<br />
3.1 Zusammenfassung………………………………………………………….S. 20<br />
3.2 Ausblick: Space – the final frontier………………………………………...S. 21<br />
Verwendete Literatur<br />
Anhang<br />
- Filmprotokoll der Eingangsszene von „Die Innere Sicherheit“<br />
- Screenshots aus „Die Innere Sicherheit“
1. Einleitung<br />
Ist es möglich, sämtliche Bedeutungsinhalte einer <strong>Metapher</strong>, wie sie beispielsweise die der<br />
‚Schifffahrt des Lebens’ hervor bringt, in eindeutige, sprachliche Begriffe zu fassen? Der deutsche<br />
Philosoph Hans Blumenberg (1920-1996) verneint dies und entwickelte eine Wissenschaft der<br />
<strong>Metapher</strong>, die ‚<strong>Metapher</strong>ologie’. Ihr Untersuchungsgegenstand ist der Funktions- und<br />
Bedeutungswandel, dem so genannte ‚absolute’ <strong>Metapher</strong>n im Lauf der menschlichen Entwicklung<br />
unterliegen. Eine dieser absoluten <strong>Metapher</strong>n bildet der ‚<strong>Schiffbruch</strong>’ <strong>als</strong> Ausdruck des Scheiterns<br />
auf der ‚Schifffahrt des Lebens’. Im Folgenden soll dem historisch-semantischen Wandel dieser<br />
<strong>Metapher</strong> von den Mythen der Frühantike über ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert bis zu ihrer<br />
ideologischen Erschöpfung in der Moderne nachgegangen werden. Die Basis bildet hierbei<br />
Blumenbergs Schrift „<strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer.“ 1 Daran schließt sich eine Analyse des Films<br />
„Die Innere Sicherheit“ 2 von Wolfgang Petzold an, die zeigen soll, wie <strong>Metapher</strong>n und Mythen der<br />
Nautik auch in einem filmischen Kunstwerk der Gegenwart verwendet werden. Den Abschluss<br />
dieser Arbeit bildet ein Ausblick auf eine mögliche Weiterführung dieses Ansatzes im Genre des<br />
Science-Fiction-Films.<br />
2. Hauptteil<br />
2.1 Das Element Wasser<br />
Leben spendend, Durst stillend, reinigend – dies sind die positiven Eigenschaften eines Elements,<br />
das dem Menschen in der Welt seit jeher begegnet. Verschlingend, zerstörerisch, fremd sind die<br />
negativen Eigenschaften. Diese zwei Extrempositionen bilden die Pole, zwischen denen das<br />
Element Wasser, von dem hier die Rede ist, die vielfältigsten Bedeutungsgehalte und<br />
Sinnzuschreibungen durch den Menschen erfuhr und erfährt. 3 Wasser ist nicht nur das einzige<br />
Element, das in der natürlichen Umgebung in allen Aggregatzuständen (<strong>als</strong> festes Eis, flüssiges<br />
Wasser und gasförmiger Dampf) vorkommt, es nimmt auch in der Vielzahl seiner<br />
1 Blumenberg, Hans: <strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt/M. 1997.<br />
2 „Die Innere Sicherheit“. Spielfilm, Deutschland 2000, 102 Min., Farbe. Regie: Christian Petzold. Buch: Christian<br />
Petzold, Harun Farocki. Kamera: Hans Fromm. Schnitt: Bettina Böhler. Darsteller: Julia Hummer (Jeanne), Barbara<br />
Auer (Clara), Richy Müller (Hans), Bilge Bingül (Heinrich) u. a. .<br />
3 Für eine umfassende Symbolgeschichte des Wassers.: Selbmann, Sibylle: Mythos Wasser: Symbolik und<br />
Kulturgeschichte. Karlsruhe 1995, S.7: „Die vorliegende Untersuchung spannt einen Bogen vom Wasser <strong>als</strong> Ursprung<br />
des Lebens, vom Lebens- und Todeswasser, vom Wasser <strong>als</strong> Sinnbild der Wiedergeburt, <strong>als</strong> Mittel und Symbol der<br />
Reinigung und Heilung, <strong>als</strong> Zeichen des Kreislaufs und der Vergänglichkeit über das Wasser <strong>als</strong> Symbol des<br />
menschlichen Lebens, der Seele und der Liebe bis hin zum Wasser <strong>als</strong> Quell der Weisheit und der schöpferischen<br />
Tätigkeit.“<br />
Sowie: Böhme, Gernot; Böhme, Hartmut: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente. München<br />
1996.<br />
Mit ausführlicher Untersuchung der Wassersymbolik in den Schriften der biblischen Testamente: Woschitz, Karl<br />
Matthäus: Fons Vitae – Lebensquell. Sinn- und Symbolgeschichte des Wassers. Freiburg/Breisgau 2003.
Erscheinungsweisen (<strong>als</strong> Regen, <strong>als</strong> Quelle, <strong>als</strong> Fluss, etc. ) eine einzigartige Stellung in der<br />
Lebenswelt des Menschen ein.<br />
2.1.1 Das große Wasser: Das Meer<br />
Die größte Ansammlung dieses Elements bilden die Meere, die die Erdoberfläche zu 70 Prozent<br />
bedecken. Das Meer spielte in der Lebenswelt der Menschen des Mittelmeerraumes, wo einer der<br />
Ursprünge der abendländischen Kultur zu verorten ist, seit jeher eine herausragende Rolle. In den<br />
Schöpfungsmythen erscheint es <strong>als</strong> bereits vorhandene ‚prima materia’ noch vor der Entstehung der<br />
Götter selbst. 4 Das Meer bildete eine natürliche Begrenzung der menschlichen Lebenswelt, die ihre<br />
Entsprechung in der griechischen Mythologie fand, wenn das Meer, der ‚okeanos’, <strong>als</strong> Sitz der<br />
Götter, bzw. Grenze zur Sphäre der Götter beschrieben wurde. Eine Zuschreibung mit der sich der<br />
antike Mensch die Unberechenbarkeit und Gefährdungen durch das Meer zu erklären versuchte. 5<br />
2.2 Das Artefakt: Das Schiff<br />
Eine charakteristische Eigenschaft der Menschheit ist der Versuch, den <strong>als</strong> ‚Launen der Götter’<br />
personifizierten Naturerscheinungen mit technischen Mitteln zu trotzen. Einen passiven Schutz vor<br />
unbändigen Wasserfluten bilden Dämme, doch das Artefakt, mit dem sich der Mensch aktiv auf das<br />
unheimliche Element hinaus wagen kann, ist das Schiff, und bereits die frühesten der Weltliteratur<br />
überlieferten Schriften handeln von abenteuerlichen Reisen auf dem Meer. So befindet sich der<br />
Held des um 1200 vor Christus entstandenen Gilgamesch-Epos 6 auf einer Schifffahrt, deren Ziel es<br />
ist, ewiges Leben zu finden. Hier zeigt sich eine metaphorische Verbindung Meer-Leben-Schiff, die<br />
sich von der Antike bis in die Moderne beobachten lässt. „Vielleicht entdeckte er bald schon in<br />
seinem Geschöpf, dem Schiff, auch sich selbst, ein Bild seiner eigenen Existenz: seiner dauernden<br />
Gefährdung und seines andauernden Wagemuts.“ 7<br />
2.2.1 Das Schiff <strong>als</strong> <strong>Metapher</strong><br />
2.2.1.1 Das Lebensschiff<br />
4<br />
Vgl.: Detel, Wolfgang: Das Prinzip des Wassers bei Thales. In: Böhme, Hartmut (Hg.): Kulturgeschichte des Wassers.<br />
Frankfurt/M. 1998, S. 43f.<br />
5<br />
Dabei wurden nicht nur direkte Erscheinungen wie Überflutungen betrachtet. Auch „ein Naturphänomen, das – wie<br />
die Blitzschläge – die Griechen seit alters beschäftigte, waren die Erdbeben. Die mythische Erklärung hatte sich auf den<br />
‚Erderschütterer’ Poseidon berufen. Thales versucht zum ersten Mal eine rationale Erklärung. Erdbeben entstünden<br />
durch Turbulenzen des Meeres unter der Erde.“ Ekschmitt, Werner: Weltmodelle. Griechische Weltbilder von Thales<br />
bis Ptolemäus. Mainz/Rhein 1989, S. 11.<br />
6<br />
„Heute veranlasst uns der Sprachstand des Gilgamesch-Epos zu glauben, dass das Werk in seiner vorliegenden Form<br />
im letzten Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand.“ Vgl.: Maul, Stefan M.: Das Gilgamesch-Epos.<br />
Neu übersetzt und kommentiert von Stefan M. Maul. München 2005, S. 13.<br />
7<br />
Hönig, Christoph: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Der Topos. Texte und<br />
Interpretationen. Würzburg 2000, S. 23.
Das Schiff erhält in der biblischen Geschichte von Noah <strong>als</strong> ‚Lebensschiff’ einen Sinngehalt, den<br />
die Rettung menschlichen Lebens vor den Gefahren einer bedrohlichen Natur auszeichnet. In der<br />
Schilderung der Sintflut hatte Gott die von ihm geschaffene Feste zwischen den Wassern des<br />
Himmels und denen der Erde in einem umgekehrten Schöpfungsakt wieder geöffnet. „Der Herr sah,<br />
dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und alles Sinnen und Trachten nur<br />
schlecht war. Da reute es den Herrn, den Menschen geschaffen zu haben. (...) Nur Noah fand Gnade<br />
in den Augen des Herrn. Da sprach Gott zu Noah. Ich sehe das Ende aller Wesen aus Fleisch, denn<br />
durch sie ist die Welt voller Gewalt. Mach Du Dir eine Arche aus Zypressen-Holz! Ich will nämlich<br />
eine Flut über die Erde bringen. Alles auf Erden soll sterben. Nur Du, und von jedem Lebewesen<br />
ein Exemplar will ich retten.“ 8 Der Verlauf der Reise zu Schiff ist hier eng verbunden mit dem<br />
Verlauf des menschlichen Lebens und „die ‚navigatio vitae’ ist <strong>als</strong> feststehender Begriff in die<br />
Literatur und Kunst eingegangen.“ 9 Im Gegensatz zu ihr stehen die Bilder des ‚Totenschiffs’ und<br />
der ‚Reise über den Totenfluss’, wie sie aus der ägyptischen beziehungsweise griechischen<br />
Mythologie bekannt sind. Hier dient das Schiff <strong>als</strong> Transportmittel der Seele auf ihrem Weg in das<br />
Jenseits.<br />
2.2.1.2 Das Staatsschiff<br />
Eine Wendung ins Politische erfährt die Schiffsmetapher in ihrer Ausprägung <strong>als</strong> ‚Staatsschiff’, es<br />
„bildet den Zustand der politischen Gesellschaft ab.“ 10 Als Ort im Ortlosen korrespondiert das<br />
Schiff auf dem Meer mit der Stadt, der Polis auf dem Land. Die Mannschaft, die sich auf dem<br />
Schiff befindet, kann <strong>als</strong> ein schwimmender Mikrokosmos der großen Gemeinschaft auf dem Land<br />
gesehen werden. Den Aufgaben und Stellungen der Besatzung des Schiffes vom Steuermann bis hin<br />
zum Matrosen entsprechen dann die politischen Ämter. 11 „Horaz hat das ‚Staatsschiff’ in die<br />
politische Rhetorik eingeführt, in der es bis zum heutigen Tag seine Rolle spielt.“ 12 Die<br />
Verwendung der Staatsschiffmetapher hat ihre Spuren auch im Wortschatz der Politik hinterlassen.<br />
So lässt sich die etymologische Herkunft des Wortes „Gouverneur“ auf das alte griechische Wort<br />
‚Kybernetes’, Steuermann, zurückverfolgen. 13 Wenn gemeinschaftsbedrohende Erscheinungen wie<br />
Aufstände oder Angriffe in metaphorische Verbindung mit dem aufgewühlten Meer gebracht<br />
8<br />
Genesis 6-7. In: Kirchenrat des Kantons Zürich (Hg.): Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Testaments.<br />
Zürich 1967.<br />
9<br />
Mertens, Sabine: Seesturm und <strong>Schiffbruch</strong>. Eine motivgeschichtliche Studie. Rostock 1987, S. 26.<br />
Vgl. auch: Rahner, Hugo: Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter. Salzburg 1964, S. 245ff. .<br />
10<br />
Eckart Schäfer: Das Staatsschiff. Zur Präzision eines Topos. In: Jehn, Peter (Hg.): Toposforschung Frankfurt/M.<br />
1972, S. 260. Vgl. ferner: Peil, Dietmar: Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen<br />
Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart. München 1983, S. 700-870.<br />
11<br />
Als ‚Gemeinschaftsschiff’ kann das Schiff auch <strong>als</strong> Bild für die soziale Schichtung von ‚Oben’ und ‚Unten' einer<br />
Klassengesellschaft stehen.<br />
12 Blumenberg 1997, S. 14.<br />
13 Vgl. Hönig, S. 21.
werden, wird dem Staatschef die Aufgabe zugesprochen, das schützende Staatsschiff durch diese<br />
Gefahren hindurch zu navigieren. „Das Bild des in nautischer Symbolik umschriebenen<br />
Staatsschiffes hat besonders in der attischen Tragödie des 5. vorchristlichen Jahrhunderts<br />
Verwendung gefunden, wie z.B. die Anfangszeilen der Tragödie ‚Sieben gegen Theben’ von<br />
Aischylos oder die Schilderung des Staatsschiffes im Sturm in ‚König Oedipus’ von Sophokles<br />
belegen.“ 14<br />
2.2.1.3 Das Kirchenschiff<br />
Auch die christliche Religion verwendet Bilder, die aus dem Bereich der Schifffahrt stammen. Das<br />
Vorbild liefert die Arche Noah, die in der Bibel <strong>als</strong> einziger Schutz auf der gefährlichen Reise auf<br />
dem chaotischen Meer beschrieben wird. Deutlich wird hier die in der Mythologie des<br />
Mittelmeerraumes verbreitete Dämonisierung des Meeres <strong>als</strong> Sitz böser Kräfte. Eine andere<br />
Erklärung für die christliche Schiffsymbolik führt auf die ‚Demonstratio de Christo et Antichristo’<br />
des Hippolyt von Rom zurück. Auch hier „wird die Welt mit dem Meer synonym gesetzt, auf dem<br />
sich das den Stürmen ausgesetzte Schiff befindet. Unter dem Schutze Christi, des Steuermanns,<br />
gelangen die Gläubigen sicher an den Ort ihrer Bestimmung.“ 15 Der Mastbaum erscheint wie das<br />
christliche Symbol des Kreuzes. 16 Der Ausdruck "Kirchenschiff" wird auch für die drei oder fünf<br />
Teilhallen einer Kathedrale verwendet - „eine Stein gewordene Schiffs-<strong>Metapher</strong> aus ältester<br />
Tradition.“ 17<br />
2.2.1.4 Das Narrenschiff<br />
Am Ende des Mittelalters beginnt die bisher feste Verbindung zwischen dem Schiffsmotiv und dem<br />
Glauben brüchig und für säkulare Deutung offener zu werden. Die 1494 erschienene Mor<strong>als</strong>atire<br />
„Das Narrenschiff“ 18 von Sebastian Brant beschreibt die Seefahrt eines Schiffes, dessen Mannschaft<br />
sich aus Narren zusammensetzt. Analog zum Mikrokosmos der Gesellschaft, den das Schiff bildet,<br />
verkörpern diese Narren die Fehltritte und Laster der Menschen in satirisch überspitzter Form.<br />
2.2.2 Das Scheitern der Schifffahrt: Der <strong>Schiffbruch</strong><br />
14<br />
Mertens, S. 26.<br />
15<br />
Mertens, S. 28. Vgl. hierzu auch die Geschichte von Jesus und seinen Jüngern im Sturm in: Markus 4,35-41. In:<br />
Kirchenrat des Kantons Zürich (Hg.): Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen<br />
Testaments. Zürich 1967.<br />
16<br />
Vgl. Rahner, S. 239-564.<br />
17<br />
Hönig, S. 23.<br />
18<br />
Brant, Sebastian: „Das Narrenschiff“. Stuttgart 1992.
Der Schifffahrt <strong>als</strong> Inbegriff des Wagens und Suchens ist stets auch die Gefahr des Scheiterns mit<br />
eingeschrieben. Der <strong>Schiffbruch</strong>, das ‚naufragium’, ist das immer gegenwärtige Risiko des<br />
Untergangs. Die Folgen sind im schlimmsten Fall der Tod durch Ertrinken oder Verbrennen, wenn<br />
ein Schiffsbrand der eigentlichen Katastrophe voran ging. In einer etwas besseren Situation<br />
befinden sich die, die sich auf ein Boot oder ein Floß retten konnten. Doch auch hier sind die<br />
Schiffbrüchigen weiteren Gefahren wie Sturm, Wellen und Witterungseinflüssen, aber auch den<br />
unberechenbaren Reaktionen ihrer Leidensgenossen ausgesetzt. 19 Ist es den Schiffbrüchigen<br />
gelungen, den rettenden Strand zu erreichen, ist eine vollständige Rettung zwar noch lange nicht<br />
gewährleistet, doch zumindest die unmittelbare Gefahr des Wassertodes ist vorerst gebannt. Ein<br />
glückliches Ende kann der erlittene <strong>Schiffbruch</strong> finden, wenn es einer Gruppe von Rettern gelingt,<br />
die Schiffbrüchigen lebend zu bergen.<br />
Die Verbindung zwischen Elementarem und Existentiellem im Zeichen der Schifffahrt hat die<br />
Gedankenwelt der Menschen seit jeher angeregt. „Der <strong>Schiffbruch</strong> <strong>als</strong> überstandener betrachtet, ist<br />
die Figur einer philosophischen Ausgangsbetrachtung.“ 20 Die Verwendung und Deutung des<br />
<strong>Schiffbruch</strong>s <strong>als</strong> Bild für die Situation des Scheiterns aber auch des möglichen Neuanfangs nach<br />
dieser ‚tabula rasa’ bildet den metaphorischen Rahmen zum Nachdenken über Grundfragen zu<br />
Mensch und Welt.<br />
2.3 Die <strong>Metapher</strong><br />
2.3.1 Definition und Kritik<br />
Der Begriff „<strong>Metapher</strong>“ stammt aus der griechischen Antike und kann mit „Übertragung“ (von gr.<br />
metà phérein: „anderswohin tragen“) übersetzt werden. Aristoteles formuliert in seiner ‚Poetik’ 21<br />
eine erste Definition der <strong>Metapher</strong>, in der die Tropen Synekdoche, Metonymie und <strong>Metapher</strong><br />
zusammengefasst sind. Nach Aristoteles ist die <strong>Metapher</strong> „die Übertragung eines fremden Nomens<br />
und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung, oder von einer Art<br />
auf eine andere, oder nach den Regeln der Analogie.“ 22 Dieses Übertragen heißt, dass ein ganzes<br />
19 Gefährdungen wie sie beispielsweise Jean Baptiste Savigny nach dem <strong>Schiffbruch</strong> des französischen Schiffes<br />
‚Medusa’ am 2.7. 1816 auf der Arguin Bank 40 Seemeilen vor Afrika beschreibt: Savigny war einer der anfangs 115<br />
Schiffbrüchigen die sich auf dem Floß befanden. Nur 15 Menschen konnten schließlich gerettet werden. „Diese ganze<br />
Nacht kämpften wir mit dem Tode und hielten uns fest an den Stricken, auf die wir uns so ziemlich verlassen konnten.<br />
Durch die Wogen bald vor-, bald rückwärts geschleudert, zuweilen ins Meer gestürzt, schwebend zwischen Tod und<br />
Leben, wehklagend über unser Unglück, gewiss umzukommen, und doch mit dem verderblichen Elemente, das uns zu<br />
verschlingen drohte, gleichsam noch einen Atemzug ringend; das war unsere Lage bis zu Tagesanbruch.“ Savigny,<br />
Jean-Baptiste; Corréard, Alexandre: Der <strong>Schiffbruch</strong> der Fregatte Medusa. Mit einem Vorwort von Michel Tournier,<br />
einem Nachwort von Johannes Zeilinger und einem Bildessay zu Théodore Géricaults ‚Floß der Medusa’ von Jörg<br />
Templer. Berlin 2005, S. 53.<br />
20 Blumenberg 1997, S. 15.<br />
21 Fuhrmann, Manfred (Hg.): Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Stuttgart 1982.<br />
22 Aristoteles in Fuhrmann, S. 69.
Spektrum an Bedeutungen freigesetzt wird und so gegen die vermeintliche Eindeutigkeit von<br />
sprachlich-semantischen Regeln verstoßen wird, indem ein Begriff für einen anderen gesetzt wird.<br />
Aufgrund des Strebens nach einer möglichst reinen Argumentation ist die <strong>Metapher</strong> <strong>als</strong><br />
uneigentliche Redeweise in der Philosophie umstritten. „Im Kontext normativer, empiristischer und<br />
rationalistischer Theorien galten (und gelten) <strong>Metapher</strong>n ihren Kritikern im besten Fall <strong>als</strong> bloß<br />
stilistisches Schmuckelement, meist jedoch <strong>als</strong> emotional-suggestive, kognitiv und linguistisch<br />
unbedeutsame Abweichung des Sprachgebrauchs, die keine logische Norm zu erfüllen<br />
vermögen.“ 23 Die figürliche Rede wird <strong>als</strong> Teil der Rhetorik gesehen, die bereits Platon in seiner<br />
Schrift ‚Gorgias’ <strong>als</strong> ‚Kunst der Illusion’ bezeichnet hatte. Die Liste der Antagonisten der <strong>Metapher</strong><br />
lässt sich im historischen Verlauf über Descartes, Hobbes und Locke bis hinein in die Gegenwart<br />
verfolgen. In der heutigen Situation ist „die metaphernkritische Diskussion weniger durch eine<br />
schroffe Ablehnung <strong>als</strong> durch Ignoranz gekennzeichnet,“ 24 doch „neben der Ignoranz gibt es freilich<br />
auch in der Gegenwart noch die strikten Gegner der metapherologischen Perspektive.“ 25<br />
2.3.2 Moderne Theorien<br />
Die moderne <strong>Metapher</strong>nforschung teilt sich auf in kognitive und nicht-kognitive<br />
<strong>Metapher</strong>ntheorien. Für erstere steht die bewußtseinssteuernde Funktion der metaphorischen<br />
Sprache im Zentrum der Aufmerksamkeit: „Über die Wirkung auf semantische Strukturen<br />
hinausgehend, können <strong>Metapher</strong>n gemäß der Kognitivitätsthese das Bewusstsein verändern, indem<br />
sie Geschehnisse sprachlich neu objektivieren, unartikulierte Erfahrungen ausdrücken und<br />
Sachverhalte analog wiedergeben, die keine begriffliche Entsprechung haben.“ 26 Die Aufgabe<br />
beschränkt sich <strong>als</strong>o nicht nur auf die ornamentär-rhetorische Funktion.<br />
Die nicht-kognitiven Theorien lassen sich ihrerseits in Vergleichs- und Substitutionstheorien<br />
differenzieren. Die Grundlage für die Vergleichstheorie, die die <strong>Metapher</strong> <strong>als</strong> einen durch das<br />
Weglassen des Partikels ‚wie’ verkürzten Vergleich beschreibt, lieferte der bereits erwähnte<br />
Aristoteles in seiner Poetik, aber auch Heinrich Lausberg <strong>als</strong> Vertreter der moderneren literarischen<br />
23 Haefliger, Jürg: Imaginationssysteme. Erkenntnistheoretische, anthropologische und mentalitätshistorische Aspekte<br />
der <strong>Metapher</strong>ologie Hans Blumenbergs. Frankfurt/M. 1996, S. 27.<br />
24 Ders., S. 38.<br />
25 Ders., S. 41.<br />
26 Haefliger, S. 44.
Rhetorik definiert sie <strong>als</strong> „gekürzten Vergleich, in dem das Verglichene mit dem Abbild in eins<br />
gesetzt wird.“ 27<br />
In der Substitutionstheorie erscheint die <strong>Metapher</strong> <strong>als</strong> Ersetzung eines eigentlich zu verwendenden<br />
Begriffs durch einen anderen, metaphorischen Ausdruck. Sowohl Substitutionstheorie <strong>als</strong> auch<br />
Vergleichstheorie gehen davon aus, dass <strong>Metapher</strong>n vollständig ausführbar seien, was sich in der<br />
Praxis allerdings <strong>als</strong> schwierig bis unmöglich erweist: „Nebst der Umständlichkeit und stilistischen<br />
Schwäche der Paraphrase ist mit ihr durchwegs ein Verlust an kognitiver Qualität verbunden,<br />
welche für die <strong>Metapher</strong> gerade kennzeichnend ist.“ 28<br />
2.4 Die <strong>Metapher</strong>ologie Hans Blumenbergs<br />
„Die Geschichte der Verteidigung der <strong>Metapher</strong> gegen ihre Herabwürdigung durch den logischen<br />
oder wissenschaftlichen Begriff (…) verläuft von Vico über Hamann, Nietzsche und Cassirer bis zu<br />
Blumenberg und über ihn hinaus.“ 29 Hans Blumenberg nennt die Wissenschaft von der <strong>Metapher</strong><br />
‚<strong>Metapher</strong>ologie’ und versteht darunter „eine Lehre von Bildern, die sich der Mensch für sein<br />
Dasein und die Welt schafft. (…). Blumenberg fragt jedoch nicht, was sich hinter diesen Bildern<br />
verbirgt, sondern welche Funktion sie im geschichtlichen Prozess der Verständigung des Menschen<br />
über sich selbst und die Welt einnehmen.“ 30 In seinem Werk „Paradigmen zu einer<br />
<strong>Metapher</strong>ologie“ 31 bestimmt er drei Arten von <strong>Metapher</strong>n, wobei er sich an<br />
philosophiegeschichtlichen Kategorisierungen orientiert: eine erste Gruppe bilden die ornamentär<br />
gebrauchten <strong>Metapher</strong>n, die hauptsächlich <strong>als</strong> rhetorischer Schmuck und zur Wirkungssteigerung<br />
von Argumenten eingesetzt werden. Nach Blumenberg bringen sie nichts zum Ausdruck, „was nicht<br />
auch in theoretisch-begrifflicher Weise dargestellt werden könnte.“ 32 In einer zweiten Gruppe<br />
entspricht der uneigentlichen die ungenaue Redeweise. Diese rudimentären <strong>Metapher</strong>n erscheinen<br />
<strong>als</strong> Ausdruck eines unklaren Denkens und sind auch nach der Meinung Blumenbergs zu vermeiden.<br />
Die dritte und für Blumenbergs Denken wichtigste Gruppe bilden die absoluten <strong>Metapher</strong>n. Sie<br />
beinhalten nach Blumenberg einen, die Aussage erweiternden, unbegrifflichen Sinngehalt, der, im<br />
Gegensatz zu den ornamentären und rudimentären <strong>Metapher</strong>n, nie vollständig in die Logizität<br />
herüber geholt werden könne, da eine Vorstellung von Wirklichkeit <strong>als</strong> Ganzer erzeugt werde, die<br />
das Aussagevermögen einzelner Begriffe übersteige. Absolute <strong>Metapher</strong>n seien „Grundbestände der<br />
27<br />
Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 3. Auflage.<br />
Stuttgart 1990, S. 78.<br />
28<br />
Haefliger, S. 51.<br />
29<br />
Wetz, Franz Josef: Hans Blumenberg zur Einführung. Hamburg 1993, S. 20.<br />
30<br />
Wetz, S. 17.<br />
31<br />
Blumenberg, Hans: Paradigmen zu einer <strong>Metapher</strong>ologie, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bonn 1960.<br />
32 Ders. 1960, S. 8.
philosophischen Sprache“ 33 , da keine anderen Ausdrücke zur Verfügung ständen. „Absolute<br />
<strong>Metapher</strong>n beantworten jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren<br />
Relevanz ganz einfach darin liegt, dass sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen,<br />
sondern <strong>als</strong> Daseinsgrund gestellte vorfinden.“ 34<br />
In den „Paradigmen zu einer <strong>Metapher</strong>ologie“ untersucht Blumenberg <strong>Metapher</strong>n der Wahrheit<br />
(wie etwa die der ‚nackten’ Wahrheit) und verfolgt den historischen Verlauf ihrer Semantik, wobei<br />
er sich auf philosophische, kunstästhetische und literarische Zeugnisse stützt. Um den<br />
pragmatischen Sinn der absoluten <strong>Metapher</strong> zu veranschaulichen, führt er unter anderem „die alte<br />
Schicks<strong>als</strong>metapher vom ‚Schiff auf dem Meere’“ 35 an und bemerkt, dass dies das Thema „einer,<br />
noch zu leistenden, sehr reizvollen Sonderuntersuchung“ 36 sei. Ein Vorhaben, das er knapp zwanzig<br />
Jahre später in die Tat umsetzt und aus dem das 1979 erschienene Buch „<strong>Schiffbruch</strong> mit<br />
Zuschauer“ 37 resultiert.<br />
2.4.1 Blumenberg und die nautische <strong>Metapher</strong><br />
2.4.1 Seefahrt <strong>als</strong> Grenzverletzung<br />
Der Ausgangspunkt Blumenbergs ist die Feststellung, dass der Mensch, obwohl er ein<br />
Landbewohner ist, sich bei der Beschreibung seines Daseins vieler <strong>Metapher</strong>n bedient, die aus dem<br />
Bereich der Seefahrt stammen. 38<br />
Den Grund hierfür sieht Blumenberg unter anderem in der Theorie des ionischen Naturphilosophen<br />
Thales begründet, der das bewohnbare Land <strong>als</strong> ein Floß, das auf dem Meer treibt, beschrieben<br />
hatte. Der Ozean bildete aufgrund seiner Größe und unergründlichen Tiefe die imaginierte Grenze<br />
der Lebenswelt der Menschen. „Unter den elementaren Realitäten, mit denen es der Mensch zu tun<br />
hat, ist ihm die des Meeres – zumindest bis zur Eroberung der Luft- die am wenigsten geheure.“ 39<br />
Blumenberg nimmt in seinen Ausführungen Bezug auf die christliche Ikonographie und die<br />
griechische Mythologie, die das Meer <strong>als</strong> dämonisierte Sphäre der Unberechenbarkeit, in der<br />
Orientierung schwer möglich sei, beschreibt. „Die Irrfahrt ist in ihrer reinen Form Ausdruck für die<br />
Willkür der Gewalten, die Verweigerung der Heimkehr, wie dem Odysseus geschieht, die sinnlose<br />
Umtreibung und schließlich der <strong>Schiffbruch</strong>, in denen die Zuverlässigkeit des Kosmos fraglich und<br />
sein gnostischer Gegenwert vorweggenommen wird.“ 40 Einen Grund für die Bestrafung, die in<br />
33 Ders. 1960, S. 9.<br />
34 Ders. 1960, S. 19.<br />
35 Ders. 1960, S. 29. Vgl. hierzu auch das Kapitel „Schifffahrtsmetaphern“ in: Curtius, Ernst Robert: „Europäische<br />
Literatur und lateinisches Mittelalter“. 6. Auflage, Bern 1967, S. 138ff.<br />
36 Blumenberg 1960, S. 29.<br />
37 Blumenberg, Hans: <strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt/M. 1997.<br />
38 Vgl. hierzu die seitenlange Aufzählung im Kapitel „Maritime <strong>Metapher</strong>n in Alltagsredewendungen“ In: Hönig,<br />
Christoph: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Der Topos. Texte und Interpretationen. Würzburg 2000, S. 34ff.<br />
39 Blumenberg 1997, S. 9.<br />
40 Ders. 1997, S. 11.
diesen Erzählungen häufig auf die Meeresfahrt folgt, sieht er in ihrem Charakter der<br />
Grenzüberschreitung, die ihrerseits ein typisches Charakteristikum der Gattung Mensch ist: „Dass<br />
hier, an der Grenze vom festen Land zum Meer, zwar nicht der Sündenfall, aber doch der<br />
Verfehlungsschritt ins Ungemäße und Maßlose zuerst getan wurde, ist von der Anschaulichkeit, die<br />
dauerhafte Topoi trägt.“ 41 Aus dem Grund der Grenzverletzung erscheine das Scheitern eines<br />
solchen Vorhabens im <strong>Schiffbruch</strong> „wie die ‚legitime’ Konsequenz der Seefahrt, der glücklich<br />
erreichte Hafen oder die heitere Meeresstille nur der trügerische Aspekt einer so tiefen<br />
Fragwürdigkeit.“ 42 Neben den bereits erwähnten Bildelementen, dem Meer <strong>als</strong> Naturgewalt auf der<br />
einen, dem Menschen <strong>als</strong> kühnem Herausforderer auf der anderen Seite, positioniert Blumenberg<br />
eine dritte, nicht direkt betroffene Instanz: die des Zuschauers. Er, der das frivole, blasphemische<br />
Treiben der Seefahrt vom sicheren Festland, welches er eben nicht verlassen hat, aus beobachten<br />
kann, empfinde gewisse Genugtuung, wenn er sehen könne, dass die Unternehmung ein aus seiner<br />
Sicht verdient schlechtes Ende findet.<br />
Den Urheber dieses Bildes der Kulturkritik führt Blumenberg auf Lukrez zurück. Diesem habe es in<br />
seinem Werk „De rerum naturae“ <strong>als</strong> Veranschaulichung epikureischer Weltsicht gedient. Die<br />
Prägung dieser <strong>Metapher</strong> geschah zwar bereits im ersten vorchristlichen Jahrhundert, doch die<br />
Konstellation sei bis zum heutigen Tag <strong>als</strong> „Paradigma einer Daseinsmetapher“ fruchtbar. In einem<br />
weiten historischen Bogen von der Antike bis zur Neuzeit, von Lukrez bis Paul Lorenzen,<br />
unterscheidet Blumenberg drei verschiedene Semantiken dieser <strong>Metapher</strong>.<br />
2.4.1.2 Vom Frevel zum Glücksversprechen: Der Bedeutungswandel der<br />
Schifffahrtsmetapher im Verlauf der Geschichte<br />
2.4.1.2.1 Die antike Deutung: Schifffahrt <strong>als</strong> Frevel<br />
Die antike (und mittelalterliche) Deutung sieht im <strong>Schiffbruch</strong> eine gerechte und selbstverschuldete<br />
Strafe für den begangenen ‚nautischen Frevel’. „Horaz vergleicht solchen Frevel mit dem des<br />
Prometheus, der auch ein fremdes und dem Menschen entzogenes Element gewaltsam eroberte.<br />
Daedalus vertritt das dritte dem Menschen versagte Element. Luftfahrt, Seefahrt und Feuerraub sind<br />
in einen Kontext gebracht. Das ausgesparte Element: die Erde; der interpolierte Gedanke: das feste<br />
Land <strong>als</strong> der angemessene Aufenthalt der Menschen.“ 43 Die Metaphorik der Schifffahrt <strong>als</strong><br />
frevelhafter Grenzübertritt wird verschärft in der Aussage, das menschliche Geschlecht mühe sich<br />
„fruchtlos und vergeblich, verzehrt seine Lebenszeit in nichtigen Sorgen, weil es Ziel und Grenze<br />
41 Ders. 1997, ebd.<br />
42 Ders. 1997, S. 13.<br />
43 Blumenberg 1997, S. 15.
des Besitzes nicht einhält und schon gar nicht Bescheid weiß, wie weit wirkliches Vergnügen noch<br />
gesteigert werden kann.“ 44<br />
2.4.1.2.2 Die neuzeitliche Deutung: Risiko des <strong>Schiffbruch</strong>s <strong>als</strong> Preis des<br />
Fortschritts<br />
Mit Beginn der Aufklärung im 17. Jahrhundert wendet sich dieses Bild. Die neuzeitliche<br />
Verwendung der <strong>Metapher</strong> stellt den Menschen in einen Kontext, der ihn <strong>als</strong> bereits auf dem Schiff<br />
befindlich charakterisiert. Das Risiko <strong>Schiffbruch</strong> zu erleiden und unterzugehen erscheint in dieser<br />
Hinsicht <strong>als</strong> der der Neugier zu entrichtende Preis, der Hafen <strong>als</strong> Ort des versäumten Lebensglücks.<br />
„Aber auch der Zuschauer ist nicht mehr die Figur einer Ausnahmeexistenz des Weisen am Rand<br />
der Wirklichkeit, sondern selbst Exponent einer jener Leidenschaften geworden, die das Leben<br />
ebenso bewegen wie gefährden. Zwar ist er nicht in das Abenteuer selbst verstrickt, wohl aber der<br />
Anziehung von Untergängen und Sensationen hilflos ausgeliefert.“ 45<br />
Auch die von Revolutionen und Umstürzen geprägte Zeitspanne von 1789 bis 1871 erfuhr ihre<br />
Beschreibung in nautischen <strong>Metapher</strong>n. So führt Blumenberg Johann Gottfried Herder an, der die<br />
Französische Revolution mit einem <strong>Schiffbruch</strong> verglich: „<strong>Schiffbruch</strong> und Zuschauer, das ist hier<br />
nur vordergründige Verbildlichung der Situation; dahinter ist der <strong>Schiffbruch</strong> ein Lehrstück, das<br />
von der Vorsehung gespielt wird.“ 46 Bei Friedrich Nietzsche erscheint der Mensch schon <strong>als</strong> bereits<br />
eingeschifft, aber es wird deutlich, wie sich diese <strong>Metapher</strong> im Sinne einer Ermächtigung des<br />
Menschen über die Naturgewalten geändert hat: „Die <strong>Metapher</strong> ist Projektion, bändigende<br />
Anthropomorphie der Natur im Dienste des Subjekts, das sich reflektiert. Da hat Nietzsche den<br />
Griechen ganz in seine Gewalt gebracht.“ 47<br />
2.4.1.2.3 Die moderne Deutung: Das Scheitern <strong>als</strong> Chance zur retrograden<br />
Seetüchtigkeit<br />
Die moderne Auslegung der Schifffahrtsmetapher interpretiert die Konstellation auf fast paradoxe<br />
Weise: „Sie bestärkt die Neigung, auf jenem komfortablen Schiff wiederum zum Zuschauer derer<br />
zu werden, die den Mut haben und ausbreiten möchten, ins Wasser zu springen und noch einmal<br />
von vorn anzufangen – womöglich im Vertrauen auf die Rückkehr zum unversehrten Schiff <strong>als</strong> dem<br />
Reservat einer verachteten Geschichte.“ 48 Die Aufgabe des Menschen, der das Schiff verlassen hat,<br />
sei es, zu einer retrograden Seetüchtigkeit zu gelangen. Dies könne ihm durch das Konstruieren<br />
44 Ders., S. 33.<br />
45 Blumenberg 1997, S. 39.<br />
46 Ders., 1997, S. 51.<br />
47 Ders., 1997, S. 28.<br />
48 Ders., 1997, S. 83. (sic!)
eines neuen Schiffs aus den Trümmern früherer verunglückter Schiffe gelingen. Diesen Gedanken<br />
greift der deutsche Regisseur Wolfgang Petzold in seinem Film „Die Innere Sicherheit“ auf. In<br />
einem Interview erklärt, er habe <strong>als</strong> Grundmetapher für diesen Film immer einen Satz aus<br />
Blumenbergs „<strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer“ im Kopf gehabt: „Wenn Schiffe, die wie<br />
Begriffsapparate funktionieren, auf Grund laufen, ist es dann möglich, aus den herum<br />
schwimmenden, treibenden Trümmerstücken etwas Tragfähiges zu bauen?“ 49<br />
2.5 Ideologischer <strong>Schiffbruch</strong>: Die Wassermetaphorik in Wolfgang Petzolds<br />
Film „Die Innere Sicherheit“<br />
2.5.1 „Die Innere Sicherheit“ im filmhistorischen Kontext<br />
Filmhistorisch steht „Die Innere Sicherheit“ in einer Genealogie von Filmen, die die Gewalttaten<br />
der RAF in der Bundesrepublik nach 1968 thematisieren. Den Beginn der filmischen Verarbeitung<br />
des Linksterrorismus bildet der Kompilationsfilm „Deutschland im Herbst“, in dem sich Rainer<br />
Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und andere Regisseure kritisch mit dem<br />
Klima, das während des ‚Deutschen Herbstes’ im Jahr 1977 herrschte, auseinander setzen.<br />
In der Folgezeit entstehen weitere Filme verschiedener Genres (Thriller, biographische Skizze,<br />
Dokumentation und Collage), die versuchen, hinter das Geheimnis des Phänomens RAF zu<br />
kommen. Im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung lässt sich feststellen, dass die anfangs<br />
vorherrschende spontane Reaktion auf die RAF-Gewalttaten <strong>als</strong> Motivation zur Erstellung eines<br />
Filmes („Deutschland im Herbst“) sich über den Weg des Versuchs, gesellschaftspolitische, bzw.<br />
psychologische Hintergründe zu hinterfragen („Die bleierne Zeit“), gewandelt hat, zu einem<br />
distanzierteren Blick mit größerem Fokus auf die Folgen der 68er Bewegung und der aus Teilen<br />
von ihr entstandenen RAF. Die Vergangenheit erscheint in den zuletzt veröffentlichten Filmen<br />
häufig nur noch <strong>als</strong> indirektes, medial bzw. durch dieser Generation angehörende Personen<br />
vermitteltes Ereignis. 50<br />
Christian Petzold geht mit „Die Innere Sicherheit“ noch einen Schritt weiter. Die linksradikale<br />
Vergangenheit der Eltern wird lediglich durch dezente Hinweise, für deren Erkennung bereits<br />
Hintergrundwissen über die Begrifflichkeiten und Symbole dieser Epoche unerlässlich ist,<br />
thematisiert. Nicht die ursprüngliche Idee, nicht die daraus folgende Tat und auch nicht deren<br />
Folgen für die Gesellschaft stehen im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr versucht der Film eine<br />
Art Seitenwechsel zu bewerkstelligen, indem er die Folgen der in der Vergangenheit begangenen<br />
49<br />
„Der fliegende Holländer. Ein Interview mit Christian Petzold von Jörg-Uwe Albig und Christoph Gurk.“<br />
www.textezurkunst.de/NR43/tzk43_petzold2.htm.<br />
50<br />
In „Was tun, wenn’s brennt“ sind dies alte Filmrollen, in „Die fetten Jahre sind vorbei“ beziehen die dargestellten,<br />
jugendlichen Figuren ihr Wissen aus Büchern, sowie aus Gesprächen mit einem vermeintlichen Kapitalistenbonzen, der<br />
sich im Lauf der Erzählung <strong>als</strong> Alt68er, der sogar Rudi Dutschke noch kannte, herausstellt.
Straftat aus Sicht der Täter bzw. deren Nachkommen, die inzwischen wie Opfer ihrer eigenen<br />
Schuld wirken, darstellt. Die Geschichte der radikalen Linken spielt, obwohl sie die Voraussetzung<br />
für die Story ist, eine eher geringe Rolle.<br />
Thematisiert wird das Privatleben einer Terroristenfamilie, die sich vom aktiven Terror<br />
zurückgezogen hat und nun versucht, ein neues Leben zu beginnen. 51 Nach einigen Produktionen<br />
für das Fernsehen ist „Die Innere Sicherheit“ das erste fürs Kino gedrehte Werk Christian Petzolds.<br />
2.5.2 Inhalt<br />
Der Film „Die Innere Sicherheit“ beschreibt das Leben einer deutschen Kleinfamilie, die sich<br />
wegen der linksterroristischen Vergangenheit der beiden Elternteile ständig auf der Flucht befindet.<br />
Seit geraumer Zeit leben der Vater Hans (Richy Müller) und die Mutter Clara (Barbara Auer) mit<br />
ihrer einzigen Tochter Jeanne (Julia Hummer) im Untergrund, an wechselnden Orten. Zu Beginn<br />
des Films halten sie sich an der Küste Portug<strong>als</strong> auf, doch finanzielle Gründe zwingen die Familie<br />
zur Rückkehr nach Deutschland, wo sie auf die Unterstützung alter Gefährten hoffen. Für Jeanne,<br />
die sich gerade in der Pubertät befindet, ist die ständige Flucht unerträglich geworden. Gerade hat<br />
sie sich in Heinrich (Bilge Bingül), einen Surfer aus Deutschland verliebt. Doch die Liebe zu<br />
Heinrich wird ihr von den Eltern verboten, da sie eine Gefahr für die Tarnung der Eltern darstellt.<br />
Widerwillig macht sich Jeanne mit ihren Eltern auf eine Reise, die sie zurück nach Deutschland<br />
führen soll. Dort hoffen sie auf die Hilfe alter Genossen, was sich aber <strong>als</strong> vergeblich erweist. Einer<br />
der alten Mitstreiter hat sich mit dem System arrangiert, er ist inzwischen Anwalt geworden und hat<br />
eine Tochter. Mit der gemeinsamen Vergangenheit möchte er nichts mehr zu tun haben. Ein<br />
anderer, Klaus, der einmal einen Verlag besaß, führt nun ein Leben <strong>als</strong> gescheiterte Existenz und<br />
wird bei seinem Hilfeversuch verhaftet. In einem leer stehenden Haus verbergen sich Hans und<br />
Clara, die unauffällige Jeanne ist für die Versorgung zuständig. Während die Eltern darauf warten,<br />
dass ihnen ein alter Freund das nötige Geld beschafft, geht Jeanne einkaufen und begegnet dabei<br />
Heinrich wieder. Sie gerät in eine Zwickmühle und muss sich entscheiden: für eine Zukunft mit<br />
Heinrich oder mit ihren Eltern. Die Geschichte nimmt einen tragischen Verlauf. Ein Bankraub zur<br />
Geldbeschaffung schlägt fehl und Heinrich, dem sich Jeanne offenbart hat, informiert die Polizei.<br />
Als die Familie im Auto flüchtet, werden sie von Einsatzkräften der Polizei von der Straße<br />
abgedrängt. Es kommt zu einem Unfall, den nur Jeanne überlebt.<br />
51 Anlass für die Erzählung bildete nach Aussage von Christian Petzold eine Zeitungsmeldung über den Ex-Terroristen<br />
Wolfgang Grams, der bei einer Schießerei mit der Polizei am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen ums Leben kam: „Da stand,<br />
dass er Lieder geschrieben und im Untergrund Marmelade eingekocht hat. (…). Da wurde mir klar, dass das Leben auch<br />
im Untergrund 24 Stunden hat. Dass es organisiert werden muss. Dass man sich die Fußnägel schneiden muss und so.“<br />
Zitiert nach http://focus.msn.de/D/DF/DFU/DFU08/DFU08196/dfu08196.htm»Die innere Sicherheit«: Interview mit<br />
Regisseur Christian Petzold. 20.04.2006.
2.5.3 Handlungsanalyse<br />
Im Film „Die Innere Sicherheit“ werden zwei Handlungsstränge erzählt, deren Entwicklungen<br />
jedoch unmittelbar miteinander verbunden sind. Je nach Lesart beschreibt der Film die missglückte<br />
Flucht des ehemaligen Terroristenpärchens Hans und Klara wie einen Thriller oder, nach der<br />
anderen Lesart, die Geschichte einer Persönlichkeitsreifung, die Coming-of-age-Story der<br />
15jährigen Jeanne, die spürt, dass sie sich von ihren Eltern lossagen muss, um erwachsen werden zu<br />
können. Im Verlauf der Handlung steigt der Druck auf die Familie von außen durch die ständige<br />
Entdeckungsgefahr sowie innerhalb der Familie durch den Konflikt zwischen der Tochter und den<br />
Eltern.<br />
2.5.4 Das Genre <strong>als</strong> Schlüssel zum Verständnis<br />
Der behandelte Film folgt nicht einem bestimmten Genremuster 52 , sondern besteht <strong>als</strong> Mix aus<br />
Thriller, Pubertätsdrama und Roadmovie. Letzteres bildet auch die Klammer, welche die beiden<br />
Handlungsstränge zusammenhält. In diesem Subgenre des Abenteuerfilms entspricht der äußeren<br />
Reise häufig ein innerer Weg, der die Protagonisten zu neuen An- und Einsichten über das eigene<br />
Leben kommen lässt. Im vorliegenden Film sind sowohl die Generation der Eltern, dargestellt durch<br />
Klara und Hans, <strong>als</strong> auch die Generation der Jugendlichen, dargestellt durch Jeanne und Heinrich,<br />
auf einer äußeren Reise und zugleich auf der Suche nach einer inneren Sicherheit. Die Eltern<br />
verbleiben den Fesseln einer mentalen Vergangenheit verhaftet und entwickeln außer der Flucht vor<br />
der Dauerflucht keine neuen Perspektiven. Sie halten an ihren damaligen, staatsfeindlichen<br />
Überzeugungen fest, wie es unter anderem in der Konfrontation mit dem Anwalt deutlich wird.<br />
Hätten Hans und Klara den Vorschlag des Rechtsanwaltes angenommen, sich zu stellen, was die<br />
innere Entwicklung zu einer Einsicht in ihre Taten voraussetzt, sie hätten eine Strafe von 10 bis15<br />
Jahren bekommen. 53 So aber straft sie der Film mit dem Tod.<br />
2.5.5 Wassermetaphern<br />
Auffällig ist das häufige Auftauchen von Orten, Handlungen und Farben, die in Verbindung mit<br />
dem Element Wasser stehen. Noch bevor der Rezipient das erste Bild sieht, hört er Meeresrauschen<br />
in Verbindung mit den Geräuschen von Seevögeln. 54 Die Handlung beginnt in einer Bar am Meer in<br />
52 Unter ‚Genres’ werden in der Filmtheorie solche Filmgruppen verstanden, die gekennzeichnet sind „z.B. durch eine<br />
typische soziale oder geographische Lokalisierung, durch spezifische Milieus oder Ausstattungsmerkmale, Figuren-<br />
oder Konfliktkonstellationen oder durch besondere Themen oder Stoffe.“ Hickethier, Knut: Genretheorie und<br />
Genreanalyse in: Jürgen Felix (Hrsg.): Moderne Film Theorie. Mainz 2002, S. 62.<br />
53 Vgl. „Die Innere Sicherheit“ 0:28:25: Klara: „Und dann, was kriegen wir? 10 Jahre, 15?“<br />
54 Vgl. Filmprotokoll der Anfangsszene im Anhang.
Portugal, wo sich Jeanne etwas zu trinken kauft. Heinrich wird <strong>als</strong> Mitglied einer Gruppe<br />
jugendlicher Wellenreiter eingeführt und Hans und Klara sitzen am Strand 55 . Bei dem nächtlichen<br />
Treffen mit Heinrich ist im Hintergrund das Meer zu sehen und er erzählt Jeanne von seiner Mutter,<br />
die sich im Pool ihrer Villa ertränkt habe. Die folgende Flucht vollzieht sich parallel der Küste<br />
entlang. Neben den Gezeiten, die mit dem Leben, das die Figuren führen, korrespondieren: neben<br />
den Zeiten.<br />
Die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich wird nicht nur durch die jeweiligen Flaggen,<br />
sondern auch durch den <strong>als</strong> Grenzfluss fungierenden Rhein symbolisiert. 56 Die aus der<br />
Vogelperspektive gezeigte Autobahn, auf der sich das Familienauto bewegt, erscheint nicht nur <strong>als</strong><br />
Symbol für Deutschland, sondern auch wie ein erstarrter Fluss. 57 Die Tankstelle wirkt wie eine<br />
Insel, zumal Jeanne auf dem WC, dem Wasserklosett, gezeigt wird. 58 Nicht nur in ihrer Kleidung<br />
findet sich die Farbe des flüssigen Elements wieder, der gesamte Film erhält eine kühle Atmosphäre<br />
durch blaustichige Bilder. Auch die (unter einer Brücke) ausgegrabenen Geldscheine sind blau, was<br />
in einer Großaufnahme gezeigt wird. Da die Scheine längst ungültig sind, bleibt der Familie die<br />
Teilnahme an der Gegenwart weiterhin verschlossen. Blau sind auch die Zigarettenschachteln der<br />
Marke Gauloises und Gitanes, die die ganze Familie raucht. Weniger deutlich erkennbar, aber auch<br />
ein weiterer Hinweis auf den Stellenwert des Wassers, ist das Schiff, das auf dem Grabstein<br />
abgebildet ist, neben dem Hans nach weiterem Geld und einer Pistole gräbt. Hier ist die sepulkrale<br />
Symbolik von Schiffsdarstellungen, wie sie aus der Bibel und der griechischen Mythologie bekannt<br />
ist, erkennbar. Die Tankstelle, an der das Treffen mit dem Verleger Klaus stattfindet, ist blau<br />
beleuchtet, der Name der Firma „Aral“ verweist im Sinne einer Homophonie auf den gleichnamigen<br />
See. 59 Der nautische Mythos vom fliegenden Holländer klingt an, wenn die Familie mit ihrem (im<br />
übertragenen Sinne) <strong>als</strong> Schiff funktionierenden Auto an der Raststätte nicht ‚anlegen’ kann. Dass<br />
sie auch von diesem ‚Hafen’ vertrieben werden, erinnert an die Sage vom Schiffskapitän, der Gott<br />
und den Kräften der Natur zu trotzen versuchte und daher dazu verdammt wurde, für immer auf den<br />
Weltmeeren in seinem Geisterschiff zu befahren. 60<br />
Zur Gestaltung von Wassergeräuschen im Film: Wolff, Harald: Geräusche und Film: Materialbezogene und<br />
darstellerische Aspekte eines Gestaltungsmittels. Frankfurt/M. 1996.<br />
Sowie: Flückiger, Barbara: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films. Marburg 2002.<br />
55<br />
Vgl. Abb. 1 im Anhang Screenshots „Die Innere Sicherheit“.<br />
56<br />
Vgl. Abb. 2 ebd.<br />
57<br />
„Der Fluss, der vielfach <strong>als</strong> Bild einer Wandlung oder <strong>als</strong> Zeichen der Gefühlskräfte und –energien des einzelnen<br />
erscheint, kann außerdem das Symbol einer Landschaft oder eines Volkes sein.“ Selbmann, S. 114.<br />
58<br />
Vgl. Abb. 3 im Anhang Screenshots „Die Innere Sicherheit“.<br />
59<br />
Die Herkunft des Wortes ‚Aral’ ist jedoch „eine simple Kombination der Anfangsbuchstaben von zwei Gruppen der<br />
Kohlenwasserstoffe, den Aromaten (Benzol) und Aliphaten (Benzin)“ und insofern das Produkt einer Wortkürzung.<br />
Vgl.: http://www.aral.de/_struktur/inside.cfm?si_id=1040. 15.04. 2006.<br />
60<br />
Über die Genese des Stoffs von Sir Walter Scott über Wilhelm Hauff, Heinrich Heine, Richard Wagner bis Franz<br />
Kafka vgl.: Frank, Manfred: Die unendliche Fahrt. Die Geschichte des Fliegenden Holländers und verwandter Motive.<br />
Leipzig 1995.
2.5.5.1 Gratwanderung auf den Gezeiten: Die <strong>Metapher</strong> des Surfens<br />
Heinrichs Traum, zu surfen, mit den Wellen zu reisen, erscheint wie ein Versuch, das <strong>als</strong> gefährlich<br />
empfundene Element zu beherrschen, sich von ihm tragen zu lassen. Jeannes Verbundenheit zu ihm<br />
erscheint auf dem „kranken Shirt“ 61 , dass ihr Hans in der Tankstelle gekauft hat: es trägt <strong>als</strong><br />
Aufdruck eine auf einem Blatt surfende Biene. Die Heinrich zugeordnete rote, warme Farbe und die<br />
Farbe seines Zimmers, blau, verdeutlicht die Gratwanderung der Surfmetapher. Es ist eine ständige<br />
Bewegung und ein Anwesend sein im Jetzt dafür nötig, um nicht unterzugehen. Diese<br />
Gegenwärtigkeit wirkt auf Jeanne anziehend, die aufgrund ihrer Eltern in der (ihr unbekannten)<br />
statischen Vergangenheit leben muss und nur eine ungewisse Zukunft hat.<br />
2.5.5.2 Leviathan, Moby Dick und die RAF<br />
Darauf, dass diese Häufung hydrophiler Elemente kein Zufall ist, weist der Gegenstand, der <strong>als</strong><br />
Erkennungszeichen zwischen Jeanne und Klaus verabredet wurde, hin. Es ist Herman Melvilles<br />
Roman „Moby Dick“. Nachdem Klaus Jeanne gefragt hat, ob sie das Buch gelesen hätte, weist er<br />
auf eine Stelle hin, in der das Wasser explizit mit verzweifelten Menschen wie Hans, Klara, Jeanne<br />
und Heinrich sowie mit dessen verstorbener Mutter in Verbindung gebracht wird. Klaus: „Meistens<br />
fehlt da diese eine schöne Beschreibung, wie alles zum Wasser zieht. Dass wenn die Menschen<br />
nicht mehr weiterwissen, wenn sie ziellos und mutlos umherirren... .“ 62 Den auf der Dauerflucht<br />
innerlich erstarrten Eltern wird es nicht gelingen, dem flüssigen Element Wasser zu entfliehen. Ihr<br />
wahrscheinlich tödlicher Autounfall, der Sturz in das weite Feld, kann mit dem Untergehen in<br />
einem symbolischen Meer gedeutet werden. In Bezug auf „Moby Dick“ erscheint ihr Tod aus<br />
demselben Grund wie der des Kapitän Ahab im Roman zu erfolgen. Ein starres Festhalten an einem<br />
persönlichen Traum muss im Albtraum enden. 63 Das Auftauchen des Buches „Moby Dick“ deutet<br />
an dieser Stelle direkt auf die mögliche RAF-Vergangenheit der Eltern hin. Es war ein<br />
grundlegendes Buch für diese Gruppierung: „Gudrun Ensslin hatte gerade Decknamen für die<br />
Gruppenmitglieder ersonnen, um die Postüberwacher irrezuführen. Fast alle Namen entlehnte sie<br />
Hermann Melvilles Roman ‚Moby Dick’. ‚Ahab’ stand für Baader. ‚Starbuck’ für Holger Meins.<br />
Sowie: Frenzel, Elisabeth: Stoffe der Weltliteratur: Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 8. Auflage,<br />
Stuttgart 1992, S. 345ff.<br />
61 Vgl. „Die Innere Sicherheit“: 0:30:21. Die Tochter des Anwalts zu Jeanne.<br />
62 Vgl. „Die Innere Sicherheit“: 0:40:34. Im Original: „Es ist wie verhext. Da kann einer noch so zerstreut und in seine<br />
abgründigsten Träume versponnen sein; stellt man ihn auf die Beine und setzt ihn in Bewegung, so wird er einen<br />
unfehlbar an ein Gewässer führen, falls es in der betreffenden Gegend überhaupt Wasser gibt. (...) Es verhält sich schon<br />
so: Wesensschau und Wasser sind wahlverwandt. “ Melville, Herman: Moby Dick. Aus dem Amerikanischen übersetzt<br />
von Fritz Güttinger. 7. Auflage. Zürich 1994, S. 24.<br />
63 Vgl.: Drewermann, Eugen: Moby Dick oder Vom Ungeheuren, ein Mensch zu sein. Melvilles Roman<br />
tiefenpsychologisch gedeutet. Düsseldorf 2004.
‚Zimmermann’ für Jan-Carl Raspe. ‚Quiqueg’ für Gerhard Müller. ‚Bildad’ für Horst Mahler.<br />
‚Smutje’ für sie selbst. (...) War für sie, die Gruppe, die sich ‚Rote Armee Fraktion’ nannte, die Idee<br />
von der Revolution, für die sie ihr Leben und das von anderen nicht schonten, so etwas wie die Jagd<br />
auf den weißen Wal, den Leviathan? Auf den Staat, den sie <strong>als</strong> Maschine begriffen, von dem sie <strong>als</strong><br />
die ‚Maschine’ sprachen?“ 64 Ähnlich wie Kapitän Ahab, der gnadenlos seine Obsession verfolgt,<br />
haben sich Hans und Clara durch ihre Radikalität schuldig gemacht.<br />
2.5.6 Der politische <strong>Schiffbruch</strong> der 68er Generation<br />
Die Geschichte der ehemaligen Terroristen beschreibt Petzold <strong>als</strong> „eine Erzählung von Menschen,<br />
die mal die Geschichte in die Hand nehmen und abkürzen wollten. Sie wollten nicht organisch<br />
abwarten, dass sich die utopische Gesellschaft einstellt, sondern den Weg dorthin beschleunigen –<br />
durch Attentate und politische Aktionen.“ 65 Dieser Akt der Hybris korrespondiert auf<br />
metaphorischer Ebene mit dem nautischen Frevel, über den Blumenberg spricht, und obwohl<br />
Seefahrt oder <strong>Schiffbruch</strong> nicht ein einziges Mal ausdrücklich genannt werden, ist das Bild des<br />
<strong>Schiffbruch</strong>s permanent anwesend. Dem Verlassen des Festlandes entspricht das Verlassen der<br />
bestehenden Gesellschaft mit dem Ziel, dieses System gewaltsam zu stürzen. Die sich an diese<br />
Verbrechen anschließende Irrfahrt, die bezeichnender Weise in Portugal, dem äußersten Rand des<br />
europäischen Kontinents ihren Wendepunkt erfährt, erinnert an die Reisen des Odysseus, der von<br />
Poseidon für seine Frevel bestraft wurde, indem ihm die Heimkehr fast unmöglich gemacht wurde.<br />
Die Eltern, ehemalige Terroristen, haben mit ihrer Vision ‚politischen <strong>Schiffbruch</strong>’ erlitten. Ihr<br />
eingangs gezeigtes Sitzen am Strand erscheint in dieser Hinsicht <strong>als</strong> ein Zustand des Gestrandet<br />
seins. Auch hier lässt sich ein Querverweis zur Intention der antiken Schifffahrtsmetapher ziehen.<br />
„Der <strong>Schiffbruch</strong> ist in diesem Vorstellungsfeld so etwas wie die legitime Konsequenz der<br />
Seefahrt.“ 66 Die Eltern Jeannes stehen stellvertretend für den Teil der 68er Generation, aus dem der<br />
terroristische Untergrund hervorgegangen ist. Linksterroristische Gruppierungen wie die RAF<br />
erhofften sich, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen gewaltsam umformen zu können. Die<br />
Kulturkritik, die die Interpretation der Schifffahrtsmetapher in der griechischen Antike konstatierte,<br />
ist auch hier zu erkennen, wenn das ‚in See Stechen’ <strong>als</strong> verpasste Möglichkeit zur sorgfältigen<br />
Überprüfung möglicher Alternativen charakterisiert wird, wie es bereits der von Blumenberg<br />
zitierte Lukrez getan hat: „Derselbe Reiz, der allmählich das Leben auf die See hinausführt, bewegt<br />
64 Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex. München 1989. S. 274ff.<br />
65 http://www.kinofenster.de/ausgaben/kf0102/inter1.htm. 10.04.2006.<br />
66 Blumenberg 1997, S. 13.
auch das Aufbranden der Kriege.“ 67 Aus dem ursprünglichen Traum ist für die, die f<strong>als</strong>che Mittel<br />
anwandten, ein Albtraum geworden.<br />
Im Film werden zwei weitere Modelle zur Umsetzung politischer Träume gezeigt: Der Verleger<br />
Klaus erscheint <strong>als</strong> Idealist, doch die filmische Darstellung seiner Figur <strong>als</strong> ‚menschliches Wrack’<br />
lässt für diesen Weg keine positive Deutung zu. Auch der Lehrer, der die gewaltlose Alternative zur<br />
Erreichung seiner politischen Ziele, den langen ‚Marsch durch die Institutionen’, gewählt hat,<br />
erscheint ausgebrannt und desillusioniert. Stellvertretend für den Opportunismus hingegen steht der<br />
inzwischen erfolgreiche Anwalt, der seine früheren Ideale vollständig aufgegeben hat.<br />
Wolfgang Petzold beschreibt in „Die Innere Sicherheit“ die Schwierigkeit, den politischen Traum<br />
der 68er Generation real werden zu lassen und bietet keine positive Lösung an. Dies wird auch an<br />
dem Titellied „How can you hang on to a dream? “ 68 deutlich. Es stammt von Tim Hardin und gilt<br />
<strong>als</strong> “Hymne der 68er Generation.” 69 Vielmehr wird die Generation der Eltern <strong>als</strong> resigniert oder<br />
ratlos gezeigt. Eine eindeutige Absage an das Mittel der Gewalt lässt sich jedoch aus dem Tod der<br />
Eltern herauslesen. Während ihre Altersgenossen sich der schwierigen Realität gestellt haben und<br />
Abstriche an ihren Träumen machten, entwickelten Clara und Hans keine neuen Perspektiven. Sie<br />
haben es nicht geschafft, aus den Trümmern ihres Begriffsschiffs ein tragfähiges Floß zu bauen, das<br />
sie an neue Ufer bringen kann. 70 Der Film vermittelt dem Rezipienten, der die Rolle des Zuschauers<br />
einnimmt, ex negativo, dass der Weg der Gewalt in den Untergang führt. Am Ende wird Jeanne die<br />
Zerstörung des ‚Mutterschiffs’, des Autos, in einem metaphorischen Meer, einem Feld 71 , <strong>als</strong><br />
Einzige überleben.<br />
2.5.7 Überleben, aber wie? Retrograde Seetüchtigkeit <strong>als</strong> Aufgabe der<br />
Generationen<br />
Während die Eltern aus eigenem Antrieb heraus die Gesetze verletzten, gestaltet sich die Situation<br />
für Jeanne anders. Sie ist die Erbin der zerbrochenen Träume der Eltern und war bisher aufgrund<br />
ihrer kindlichen Unselbständigkeit unfreiwillig ‚an Bord’. Ihre Figur verkörpert die moderne<br />
Auslegung der <strong>Schiffbruch</strong>smetapher, sie ist bereits Zeit ihres Lebens ‚eingeschifft’. Die Frage<br />
„How can you hang on to a dream?“ bedeutet für sie etwas anderes <strong>als</strong> für die Eltern. Sie ist<br />
heimatlos und muss ihre Heimat erst finden. Sie und die Generation der Kinder der 68er werden <strong>als</strong><br />
wenig politisch interessiert beschrieben. Jeannes Bedürfnis ist nicht das einer Revolution, sondern<br />
67<br />
Ders., 1997, S. 33.<br />
68<br />
Harding, Tim: How can we hang on to a dream? Polydor 1994 ( Aufnahmejahr: 1967).<br />
69<br />
Die Zeit.<br />
70<br />
Ihre Flucht sollte per Flugzeug, für das der antiquierte Begriff ‚Luftschiff’ existiert, in Brasilien glücklich enden.<br />
71<br />
Zur metaphorischen Verwendung des Felds <strong>als</strong> Meer vgl. Viera Gasparikova: Schwimmen im Flachsfeld. In:<br />
Brednich, Rolf Wilhelm u.a. (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden<br />
Erzählforschung, begründet von Kurt Ranke. Berlin 1975 (ff.), Bd. 12, Spalte 444-447.
den Traum einer inneren Sicherheit verwirklichen zu können. Sie ist <strong>als</strong> eine „mehrdimensionale,<br />
dynamische Figur“ 72 angelegt: Zu Beginn des Films ist ihr Verhältnis zu den Eltern noch<br />
weitgehend kindlich geprägt, doch mit Fortschreiten der Handlung entwickelt sie sich. Sie<br />
emanzipiert sich von der ihr aufgezwungenen Schuld, setzt ihre Interessen eigenständig durch und<br />
sucht Kontakt zu außerhalb der Familie stehenden Menschen, verliebt sich. Ihre Liebe <strong>als</strong> ein in die<br />
Zukunft gerichtetes Vertrauen wird mit Überleben ‚belohnt’. Ihr, <strong>als</strong> Vertreterin einer neuen<br />
Generation, obliegt es, aus den Trümmern des Lebens ihrer Eltern ein neues Begriffsschiff zu<br />
konstruieren. Ein Schiff mit dem sie ihren Traum von Freiheit verwirklichen kann. 73 Wie das<br />
geschehen könnte, wird der Phantasie des Zuschauers überlassen - „der <strong>Schiffbruch</strong> <strong>als</strong><br />
überstandener betrachtet, ist die Figur einer philosophischen Ausgangsbetrachtung.“ 74 Der Film<br />
schließt mit der Frage des Titelsongs 75 . „How can we hang on to dream?“ Eine Frage, die sich jede<br />
Generation neu stellen muss.<br />
3. Schluss<br />
3.1 Zusammenfassung<br />
Mit „Die Innere Sicherheit“ zeigt Regisseur Christian Petzold, wie die <strong>Schiffbruch</strong>smetapher auch<br />
heute noch zur Darstellung der menschlichen Erfahrung des Scheiterns verwendet werden kann. Im<br />
Sinne einer modernen Deutung der nautischen <strong>Metapher</strong> lässt er die Möglichkeit zu, aus<br />
‚Konstruktionsfehlern’, die zu einem Unglück geführt haben, zu lernen. Der von Lukrez<br />
geschaffene Hintergrund ist stets gegenwärtig, obwohl im ganzen Film von Seefahrt und Festland<br />
keine Rede ist. Es fällt auf, dass der <strong>Schiffbruch</strong> aus dem Bereich der Realität vollständig auf eine<br />
metaphorische Ebene transponiert wurde. Die Gründe hierfür können in einer allgemeinen<br />
Erschöpfung der Schifffahrtsmetapher gesehen werden. Diese Erschöpfung hängt ihrerseits wieder<br />
von vielfältigen kulturgeschichtlichen Entwicklungen ab, die sich auch in der bildlichen Darstellung<br />
von Schiffbrüchen in Form von Gemälden beobachten lassen. Hier wurde das Motiv bis in das<br />
Mittelalter ausschließlich in Verbindung mit christlicher Rettungssymbolik benutzt, doch im Zuge<br />
der Säkularisierung der Lebenswelt änderte sich die Semantik aufgrund von Fortschritten auf<br />
naturwissenschaftlichem Gebiet. „Im 16. und 17. Jahrhundert geriet das geozentrische Weltbild<br />
durch fundamentale Erkenntnisse über die Entstehung der Welt ins Wanken. (…) Die Natur wurde<br />
72<br />
„Eine mehrdimensionale Figur kann durch zwei Merkmale ausgezeichnet sein: erstens eine gewisse Komplexität, das<br />
heißt, die Liste der Eigenschaften und Merkmale ist vergleichsweise lang, gekennzeichnet von großer Vielfalt und<br />
durchaus auch Gegensätzen und Widersprüchen, die eine Figur erst wirklich lebendig erscheinen lassen; zweitens eine<br />
persönlichkeitsmäßige Veränderung, das heißt, die Figur ist am Ende des Films nicht mehr die, die sie noch am Anfang<br />
war.“ Beides trifft auf sie zu. Vgl.: Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München 2002.<br />
73<br />
Vgl. Abb. 4 im Anhang Screenshots „Die Innere Sicherheit“.<br />
74<br />
Blumenberg 1997, S. 15.<br />
75<br />
Dem Song, der zu Beginn des Films im ‚On’ gespielt wird, erklingt am Ende aus dem ‚Off’. Die rahmende Funktion<br />
verdeutlicht die besondere Stellung des Liedes zum Verständnis der Intention des Films.
Schritt für Schritt analysiert, das Naturelement Wasser entmythologisiert und von Angstvisionen<br />
befreit.“ 76 Die Befreiung aus allegorischen und religiösen Bezügen schritt mit der technischen und<br />
gesellschaftlichen Entwicklung weiter voran, so dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts die<br />
möglichst naturgetreue Darstellung zeitgenössischer Katastrophen in den Mittelpunkt rückte. „In<br />
diesen Seesturm- und <strong>Schiffbruch</strong>reportagen lassen sich erstmalig in der Geschichte des Motivs<br />
soziale Aspekte erkennen. Das <strong>Schiffbruch</strong>bild wird zum Träger humanitärer Ideen.“ 77 Die<br />
dargestellten Menschen entstammen der Lebenswelt ihrer Betrachter und appellieren so an das<br />
Mitgefühl des Nächsten. Bis 1850 dienen Seesturm- und <strong>Schiffbruch</strong>darstellungen der Darstellung<br />
der Beziehung zwischen dem Individuum und den Naturgewalten, aber auch vielen weiteren<br />
Aspekten. „So erhält dieses Bildmotiv in der ersten Jahrhunderthälfte seine maximale<br />
Variationsbreite, indem alle historischen, mythologischen oder literarischen Möglichkeiten, alle<br />
damit verbundenen emotionalen und menschlichen Probleme erschöpfend behandelt werden.“ 78<br />
Gleichzeitig mit dem Erreichen des Höhepunkts ist nun auch sein beginnendes Verschwinden<br />
markiert. Gründe dafür sind ebenfalls in der technisch-kulturellen Entwicklung zu sehen. Einer der<br />
letzten Schiffbrüche, die <strong>als</strong> tragisches Unglück Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden<br />
haben, ist der Untergang der Titanic im Jahr 1912. 79 Der zwei Jahre später einsetzende 1. Weltkrieg<br />
mit den zu beklagenden Millionen von Toten konfrontiert die Menschen mit weitaus größerem<br />
Grauen, was die weiteren Katastrophen der Schifffahrt in ihrer Bedeutsamkeit relativiert. Parallel<br />
dazu verliert das Schiff mit dem Aufkommen des zivilen Luftverkehrs seine Bedeutung <strong>als</strong><br />
Massentransportmittel.<br />
3.2 Ausblick: Space - the final frontier<br />
Die Herausforderung der Moderne, die der der Schifffahrt am ehesten komplementär ist, ist der<br />
Aufbruch der Menschheit ins All. Ähnlich wie der ‚okeanos’ der griechischen Antike, der mit ‚der<br />
Umfließende’ übersetzt werden kann, stellt der Himmel, bzw. das Universum den die Erde<br />
umfließenden Raum dar und wurde lange Zeit auch <strong>als</strong> Sitz der Götter gesehen. Die von der<br />
nautischen <strong>Metapher</strong> bekannte Bedeutung des Grenzübertritts <strong>als</strong> Akt der Hybris taucht im achten<br />
76<br />
Waldmann, Susann: Sintflut und <strong>Schiffbruch</strong>. In: Hohenzollern, Johann Georg Prinz von; Lange, Christiane (Hg.):<br />
Mythos und Naturgewalt Wasser. Cranach, C.D. Friedrich, Nolde, Beckmann… . München 2005, S. 51. Waldmann<br />
rekurriert auf die sog. ‚Kopernikanische Wende’, die sich vollzog, nachdem Kopernikus 1543 erkannt hatte, dass die<br />
Erde um die Sonne kreist. Nach der Erfindung des Teleskops 1608 begann die naturwissenschaftliche Erforschung des<br />
Universums durch Galileo Galilei. 1674 entdeckte Antoni van Leeuwenhoeck durch das Mikroskop den Mikrokosmos<br />
an Wesen, die in einem Wassertropfen leben.<br />
Vgl. hierzu auch: Blumenberg, Hans: Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt/M. 1975.<br />
77<br />
Mertens, S. 132.<br />
78<br />
Dies., S. 132.<br />
79<br />
Vgl. hierzu über die breite Rezeption in den Medien: Köster, Werner: Titanic: Ein Medienmythos. Leipzig 2000.<br />
Sowie: Hobsch, Manfred: Das große Lexikon der Katastrophenfilme. Von ‚Airport’ bis ‚Titanic’ von ‚Erdbeben’ bis<br />
‚Twister’ und von ‚Flammendes Inferno’ bis ‚Outbreak – Lautlose Killer’. Berlin 2003.
Buch der ‚Metamorphosen’ von Ovid ebenfalls auf, hier ist sie aber auf die Eroberung des Himmels<br />
übertragen: Die Erzählung über Daedalus und Ikarus berichtet von Menschen, die sich wie Vögel in<br />
die Lüfte erhoben haben. „Jedermann weiß, wie wenig gut das gehen konnte: Vom Vater sich<br />
entfernen, den Sternen sich zu nähern. (…). Das Bild des stürzenden Ikarus ist in die Bilderwelt<br />
eingegangen.“ 80 So schreibt Hans Blumenberg in der kurzen Betrachtung „Der Sturz des Ikarus“,<br />
die in der Sammlung astronoetischer Glossen „Die Vollzähligkeit der Sterne“ 81 zu finden ist. Die<br />
Raumfahrt bestimmt er <strong>als</strong> „Symbol einer Freiheit, die seit jeher darin bestanden hatte, nicht ans<br />
Irdische gefesselt zu sein, und wenn es <strong>als</strong> Seelenwanderung oder Himmelfahrt gedacht war.“ 82 Mit<br />
dem ersten Menschen im Weltraum, Juri Gagarin am 12. April 1961, wurde auf dem Gebiet der<br />
bemannten Raumfahrt ein erster Höhepunkt erreicht. Der in der Literatur schon früh beschriebene<br />
Versuch einer „Reise zum Mond“ 83 gelang am 20. Juli 1969 mit der Raumkapsel ‚Apollo 11’, in der<br />
sich Neil Armstrong und Edwin Aldrin befanden. 84 Am 28. Januar 1986 erlitt die Raumfahrt mit der<br />
Explosion der „Challenger“, bei der sieben Astronauten ums Leben kamen, ihre bisher größte<br />
Katastrophe. Die bemannte Raumfahrt kann <strong>als</strong> Abbild des menschlichen Strebens, naturgegebene<br />
Grenzen durch Forschung und Technik ständig zu erweitern, gesehen werden und ähnelt so der<br />
‚Challenge’, dem Wagnis der Schifffahrt in der Antike. Und auch hier begegnen dem Menschen<br />
ähnliche Gefahren und Erfahrungen, die zu philosophischer Reflexion herausfordern. „Die Frage<br />
etwa nach dem ‚Woher’ und ‚Wohin’ des Menschen, nach Sinn und Ziel des Lebens, nach<br />
Wirklichkeit und Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit und schließlich auch die Frage nach der<br />
Möglichkeit einer transzendenten Wirklichkeit, die Frage nach Gott <strong>als</strong>o.“ 85 Die Überlegungen<br />
Blumenbergs, deren Ausgangsposition die von Lukrez geprägte <strong>Metapher</strong>nkonstellation<br />
„<strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer“ bildete, könnten in einer Analyse ihrer Darstellung und Semantik in<br />
literarischen und filmischen Werken des Science-Fiction-Genres fortgeführt werden. Die Leitfragen<br />
dieser Untersuchung unter dem Titel „Havarie im Sternenmeer“ wären:<br />
- Welche Bedeutungszuschreibungen erhalten die Konstituenten Mensch – (Sternen-)Meer –<br />
(Raum-)Schifffahrt und Scheitern?<br />
- Warum reizt es den Menschen in das ‚Sternenmeer’ aufzubrechen?<br />
- Welche Herausforderungen erwarten ihn dort?<br />
- Warum erleidet er <strong>Schiffbruch</strong>?<br />
80<br />
Blumenberg, Hans: Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt 2000, S. 50.<br />
81<br />
Blumenberg 2000, S. 50.<br />
82<br />
Ders. in: „Vorwegnahme der Raumfahrt <strong>als</strong> <strong>Metapher</strong>“ in : ders. 2000, S. 210.<br />
83<br />
Vgl. Verne, Jules: Die Reise zum Mond. 12. Auflage, Zürich 1976. In diesem erstm<strong>als</strong> 1865 erschienen Roman wird<br />
erzählt, wie drei Menschen und zwei Hunde versuchen, den Mond zu bereisen. Es bleibt allerdings bei dem Versuch,<br />
die Besatzung kehrt daraufhin unversehrt wieder zur Erde zurück.<br />
84<br />
Vgl.: Siefahrt, Günther: Geschichte der Raumfahrt. München 2001.<br />
85<br />
Frisch, Matthias; Lindwedel, Martin; Schärtl, Thomas: Wo nie zuvor ein Mensch gewesen ist. Science-Fiction-Filme:<br />
Angewandte Philosophie und Theologie. Regensburg 2003, S. 5.
- Welche Position nimmt der Zuschauer dabei ein?<br />
Ferner wäre zu untersuchen, wie sich die gefundenen Antworten zur Tradition der nautischen<br />
Metaphorik verhalten und welche kulturellen Gründe Produktion und Rezeption solcher Werke<br />
motivieren. Als Material könnten Filme des Science-Fiction Genres dienen, in denen eine<br />
Gleichsetzung Schifffahrt – Raum (-schiff-) fahrt zu finden ist und in denen die Thematik des<br />
Scheiterns verhandelt wird. Für einen ersten Überblick über die zur Auswahl stehenden Filme böte<br />
sich die von Thomas Koebner herausgegebene Sammlung von Filmbesprechungen des Science-<br />
Fiction-Genres 86 an. Zur Hinführung an die Thematik könnte das Werk „Science-Fiction.<br />
Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films“ von Georg Seeßlen und Fernand Jung 87<br />
herangezogen werden.<br />
86 Koebner, Thomas: Filmgenres - Science Fiction. Stuttgart 2003. Inhalt: 33 Autoren behandeln mehr <strong>als</strong> 100 Filme des<br />
Genres Science Fiction. Das Spektrum reicht dabei vom Klassiker „Die Reise zum Mond“ von G. Méliès (F, 1902) bis<br />
zu „Spider Man“ von Sam Raimi (USA, 2002), wobei 100 Jahre Filmgeschichte in chronologischer Reihenfolge<br />
abgeschritten werden.<br />
87 Seeßlen, Georg; Jung, Fernand: Science Fiction. Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films. 2 Bde.,<br />
Marburg 2003. Inhalt: Nach einer achtzig Seiten umfassenden Einleitung mit dem Titel ‚Mythologie der Science<br />
Fiction’ werden Elemente, Themen, Entwicklungen und Zusammenhänge innerhalb des Genres dargestellt. Den letzten<br />
Teil des Buches bildet eine ausführliche Bibliographie.
Verwendete Literatur<br />
Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex. München 1989.<br />
Blumenberg, Hans: Paradigmen zu einer <strong>Metapher</strong>ologie. In: Archiv für Begriffsgeschichte.<br />
Bonn 1960.<br />
Ders.: Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt/M. 1975.<br />
Ders.: <strong>Schiffbruch</strong> mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher.<br />
Frankfurt/M. 1997.<br />
Ders.: Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt 2000.<br />
Brednich, Rolf Wilhelm u.a. (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur<br />
historischen und vergleichenden Erzählforschung, begründet von Kurt Ranke. Berlin 1975<br />
(ff.).<br />
Böhme, Hartmut (Hg.): Kulturgeschichte des Wassers. Frankfurt/M. 1998.<br />
Böhme, Gernot; Böhme, Hartmut: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der<br />
Elemente. München 1996.<br />
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Stuttgart 1992.<br />
Curtius, Ernst Robert: „Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter“. 6. Auflage,<br />
Bern 1967.<br />
Drewermann, Eugen: Moby Dick oder Vom Ungeheuren, ein Mensch zu sein. Melvilles<br />
Roman tiefenpsychologisch gedeutet. Düsseldorf 2004.<br />
Ekschmitt, Werner: Weltmodelle. Griechische Weltbilder von Thales bis Ptolemäus.<br />
Mainz/Rhein 1989.<br />
Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. München 2002.<br />
Felix, Jürgen (Hrsg.): Moderne Film Theorie. Mainz 2002.<br />
Flückiger, Barbara: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films. Marburg 2002.<br />
Frisch, Matthias; Lindwedel, Martin; Schärtl, Thomas: Wo nie zuvor ein Mensch gewesen ist.<br />
Science-Fiction-Filme: Angewandte Philosophie und Theologie. Regensburg 2003.<br />
Frank, Manfred: Die unendliche Fahrt. Die Geschichte des Fliegenden Holländers und<br />
verwandter Motive. Leipzig 1995.<br />
Frenzel, Elisabeth: Stoffe der Weltliteratur: Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher<br />
Längsschnitte. 8. Auflage, Stuttgart 1992.<br />
Fuhrmann, Manfred (Hg.): Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Stuttgart 1982.<br />
Hobsch, Manfred: Das große Lexikon der Katastrophenfilme. Von ‚Airport’ bis ‚Titanic’ von<br />
‚Erdbeben’ bis ‚Twister’ und von ‚Flammendes Inferno’ bis ‚Outbreak – Lautlose
Killer’. Berlin 2003.<br />
Haefliger, Jürg: Imaginationssysteme. Erkenntnistheoretische, anthropologische und<br />
mentalitätshistorische Aspekte der <strong>Metapher</strong>ologie Hans Blumenbergs.<br />
Frankfurt/M. 1996.<br />
Harding, Tim: How can we hang on to a dream? Polydor 1994 (Aufnahmejahr: 1967).<br />
Hohenzollern, Johann Georg Prinz von; Lange, Christiane (Hg.): Mythos und Naturgewalt<br />
Wasser. Cranach, C.D. Friedrich, Nolde, Beckmann… . München 2005.<br />
Hönig, Christoph: Die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt. Der Topos. Texte und<br />
Interpretationen. Würzburg 2000.<br />
Jehn, Peter (Hg.): Toposforschung Frankfurt/M. 1972.<br />
Kirchenrat des Kantons Zürich (Hg.): Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen<br />
Testaments. Zürich 1967.<br />
Koebner, Thomas: Filmgenres- Science Fiction. Stuttgart 2003.<br />
Köster, Werner: Titanic: ein Medienmythos, Leipzig 2000.<br />
Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der<br />
Literaturwissenschaft. 3. Auflage. Stuttgart 1990.<br />
Maul, Stefan M.: Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert von Stefan M. Maul.<br />
München 2005.<br />
Melville, Herman: Moby Dick. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Fritz Güttinger.<br />
7. Auflage. Zürich 1994.<br />
Mertens, Sabine: Seesturm und <strong>Schiffbruch</strong>. Eine motivgeschichtliche Studie. Rostock 1987.<br />
Peil, Dietmar: Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen<br />
Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart. München 1983.<br />
Petzold, Christian; Farocki, Harun: „Die Innere Sicherheit“. Spielfilm, Deutschland 2000.<br />
Rahner, Hugo: Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter. Salzburg 1964.<br />
Savigny, Jean-Baptiste; Corréard, Alexandre: Der <strong>Schiffbruch</strong> der Fregatte Medusa. Mit<br />
einem Vorwort von Michel Tournier, einem Nachwort von Johannes Zeilinger und<br />
einem Bildessay zu Théodore Géricaults ‚Floß der Medusa’ von Jörg Templer. Berlin<br />
2005.<br />
Seeßlen, Georg; Jung, Fernand: Science Fiction. Geschichte und Mythologie des Science-<br />
Fiction-Films. 2 Bde., Marburg 2003.<br />
Selbmann, Sibylle: Mythos Wasser: Symbolik und Kulturgeschichte. Karlsruhe 1995.<br />
Siefahrt, Günther: Geschichte der Raumfahrt. München 2001.<br />
Verne, Jules: Die Reise zum Mond. 12. Auflage, Zürich 1976.
Wetz, Franz Josef: Hans Blumenberg zur Einführung. Hamburg 1993.<br />
Wolff, Harald: Geräusche und Film: Materialbezogene und darstellerische Aspekte eines<br />
Gestaltungsmittels. Frankfurt/M. 1996.<br />
Woschitz, Karl Matthäus: Fons Vitae – Lebensquell. Sinn- und Symbolgeschichte des<br />
Wassers. Freiburg/Breisgau 2003.<br />
www.aral.de/_struktur/inside.cfm?si_id=1040. 15.04. 2006.<br />
www.focus.msn.de/D/DF/DFU/DFU08/DFU08196/dfu08196.htm»Die innere Sicherheit«:<br />
Interview mit Regisseur Christian Petzold. 20.04.2006.<br />
www.kinofenster.de/ausgaben/kf0102/inter1.htm. 10.04.2006.<br />
www.textezurkunst.de/NR43/tzk43_petzold2.htm: „Der fliegende Holländer. Ein Interview<br />
mit Christian Petzold von Jörg-Uwe Albig und Christoph Gurk.“ 10.04.2006.
Filmprotokoll der Eingangsszene (0:00:30 – 0:03:51) von „Die Innere Sicherheit“<br />
Nr. Handlung Einstellungsgröße Bild Geräusch/Dialog Zeit/s<br />
1 Jeanne kauft sich Cola, Blickt zu Papa, geht an Jukebox. Halbnah, leichter Verlassene Bar, Meer, Wind bewegt Meeresrauschen, Möwen, Jeanne 27<br />
Schwenk ihr hinterher. Dekoration der Bar.<br />
bedankt sich.<br />
2 Jeanne sucht sich ein Lied von der Jukebox aus. Großaufnahme Jukebox, in der sich Jeanne spiegelt, Möwen, Meererauschen, 7<br />
Plattencover. Eines davon, ein<br />
Klavierintro vom gewünschten<br />
BeachBoys-Cover ist später in Heinrichs<br />
Zimmer <strong>als</strong> Poster zu sehen.<br />
Lied im ‚On’.<br />
3 Geht zu Tisch, zündet sich Zigarette an, hört Lied, nickt, dreht Kopf Großaufnahme, Jeannes Gesicht und Oberkörper. „How can you hang on to a 59<br />
nach links, von wo das Gerede zu kommen scheint.<br />
Kamerafahrt, leichter<br />
dream“<br />
Schwenk bis<br />
Nahaufnahme, dann<br />
wieder bis heran bis<br />
Großaufnahme.<br />
Gerede einer kleinen Gruppe.<br />
4 Blick zur Gruppe: Jugendliche Surfer, unter ihnen Heinrich, dessen Halbtotale<br />
Dünen, Strand, Strandhäuser im Lied, Gerede, Meer. 4<br />
Haar im Wind weht. Er dreht seinen Kopf zu Jeanne, nickt leicht. Subjektive Kamera aus Hintergrund, 3 Jungs und ein Mädchen im<br />
Sein Haar weht im Wind.<br />
Sicht Jeannes.<br />
Gespräch, im Vordergrund leere Stühle<br />
und Tische der Bar.<br />
5 Jeanne dreht Kopf wieder zurück, blickt nach unten auf Tischplatte, Halbnah, leichter Frontalblick auf Heinrich (rechts) und Lied, Meer.<br />
84<br />
raucht. Heinrich kommt, fragt nach Kippe, bleibt erst am Tisch Schwenk nach unten <strong>als</strong> Jeanne (links) an Tisch einem Tisch der H: Hast Du noch eine Zigarette<br />
stehen, macht eine fragende Geste, die Jeanne bejaht, setzt sich Heinrich sich setzt. Bar.<br />
für mich?... Ist das deine letzte?<br />
dann. Jeanne ist schüchtern, scheint sich aber zu freuen. Jeanne<br />
J: Ich hab noch mehr.“<br />
schaut verlegen auf den Tisch. Heinrich nach unten. Dann fragende<br />
(Lied endet)<br />
Geste von Heinrich, ob er das auf dem Tisch liegende Feuerzeug<br />
H: Wie heißt Du?<br />
benutzen kann, Jeanne beantwortet durch wegziehen ihres Armes.<br />
J: Mmmh. Jeanne<br />
H: Französisch<br />
J: Und Du?<br />
Heinrich versucht Gespräch anzufangen, zeigt auf Strand, Jeanne<br />
H: Heinrich<br />
schaut in dieselbe Richtung, entdeckt etwas und duckt sich schnell<br />
J: Mmmh, Deutsch.<br />
weg, Tut so <strong>als</strong> würde sie Schuh binden. Heinrich verwirrt.<br />
H: Die Wellen sind nicht gut<br />
heute. Surfst Du auch?<br />
6 Hans steht von Steg auf. Weitaufnahme Dünen und Strandhäuser, Strand, Hans Möwen, Meer<br />
5<br />
läuft Richtung Meer.<br />
H: Alles in Ordnung?<br />
7 Jeanne richtet sich wieder auf, schaut auf Strand, dann Heinrich an, Halbnah Heinrich und Jeanne an Tisch.<br />
H: Und?<br />
15<br />
der nachfragt, ob sie surft, sie reagiert gereizt, steht auf, lässt Cola<br />
Jeanne entfernt sich aus Bild, Kamera J: Was denn?<br />
stehen, Heinrich schaut ihr fragend nach.<br />
bleibt auf Heinrich, der im Sitzen H. Ob Du auch surfst.<br />
verharrt. Heinrich alleine.<br />
J: Ich muss jetzt los