22.06.2015 Aufrufe

NEUENDORF B. WILSTER

Eine Gemeinde unter dem Meeresspiegel

Eine Gemeinde unter dem Meeresspiegel

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ANKE ROHWEDDER<br />

<strong>NEUENDORF</strong> B. <strong>WILSTER</strong><br />

EINE GEMEINDE<br />

UNTER DEM<br />

MEERESSPIEGEL


ANKE ROHWEDDER<br />

<strong>NEUENDORF</strong> B. <strong>WILSTER</strong><br />

EINE GEMEINDE<br />

UNTER DEM<br />

MEERESSPIEGEL<br />

TteJs~tZ<br />

LQndsi~lle<br />

der<br />

J>R Drlutscl.r-Lotld


Impressum<br />

Copyright 2001 by<br />

Anke Rohwedder, ltzehoe<br />

Herausgegeben von der<br />

Gemeinde Neuendorf b. Wilster<br />

Text- und Bildgestaltung:<br />

Anke Rohwedder, ltzehoe<br />

Korrektor:<br />

Sterntaler Korrektoral, Brügge<br />

Gesamtherstellung: Frank GmbH · Druckerei Verlag Werbeagentur · ltzehoe<br />

Druck: 2001<br />

Das Titelbild<br />

entwatf Dagmar<br />

Hein, geb. Reese<br />

aus Hackeboe -<br />

jetzt Kaiserslautern.<br />

Die Luftbilder im Vor- und Nachsalz entstanden im Auftrag des Amtes Wilstermarsch<br />

im Sommer 2000.<br />

Im Vorsalz sind Hackeboe, Vorder-Neuendorf und Teilbereiche von Averjleth abgebildet.<br />

Deutlich ist noch der ursprüngliche Verlauf der Wilster-Au in der unteren Hälfte<br />

des Bildes erkennbm:<br />

Die Aufnahme im Nachsalz zeigt die Ortsteile Achterhörn, Hinter-Neuendorf und<br />

Stadtmo01: Oben links verläufi der Nord-Ostsee-Kanal, miltig durchs Bild schlängelt<br />

sich die Wilster-Au.


. , :~.~!{.~~.mu ........................................................................................................................................................... ............................... ...... e}.<br />

VORWORT<br />

Liebe Leserinnen und Leser!<br />

Die heutige Zeit mit ihren immer<br />

schneller und größer werdenden<br />

Veränderungen - sie wirken natürlich<br />

auch in den dörflichen Lebensbereich<br />

hinein- fordert besonders<br />

dazu auf, einmal festzuhalten, wie<br />

sich das Leben in der Gemeinschaft<br />

hier bei uns insbesondere im letzten<br />

Jahrhundert entwickelt und gestaltet<br />

hat.<br />

Ei ne Dorf- und Gemeindegeschichte<br />

lässt sich nur so weil zurückverfolgen,<br />

wie auch Unterlagen und Dokumente<br />

vorhanden und auffindbar<br />

sind oder auch aus Erinnerungen<br />

erzählt werden kann. Es ist für mich<br />

daher eine besondere Freude, an<br />

dieser Stelle den Dank der Gemeinde<br />

an Klaus Rehder und Richard<br />

Meiforth zu richten, die in den<br />

letzten Jahren immer wieder eine<br />

Chronik ins Gespräch gebracht<br />

haben. "Wenn du noch maa l eene<br />

Chronik för de Gemeen erstelln<br />

wullt, denn musst du dat bald<br />

moken; noch sünd wi dor!"- so ihre<br />

Aussage.<br />

Es ist ein glücklicher Umstand, dass<br />

wir mit Frau Anke Rohwedder eine<br />

Chronistin gefunden haben, die sich<br />

mit viel Sachverstand und nicht<br />

nachlassendem Engagement dieser<br />

Aufgabe angenommen hat. Sie, liebe<br />

Leserinnen und Leser, werden mit<br />

mir einer Meinung sein, wenn Sie<br />

dieses Buch gelesen haben und<br />

feststellen, dass mit der Darstellung<br />

der Heimatgeschichte der Gemeinde<br />

Neuendorf bei Wilster eine<br />

Mischung aus informativen und<br />

unterhaltenden Texten, Abbildungen<br />

von Menschen, ihren Häusern und<br />

von Karten und Urkunden gelungen<br />

ist. Das Buch ist keine rein wissenschaftliche<br />

Abhandlung, sondern<br />

lebendig und lesbar- so wie wir es<br />

gern haben wollten. Dieses ist das<br />

Verdienst von Anke Rohwedder, die<br />

es verstanden hat, die Texte vielfältig<br />

und interessant zu verfassen.<br />

Die Chronik lebt von den Beiträgen,<br />

Geschichten und Erzählungen, die<br />

viele Menschen aus unserem Dorf<br />

an die Chronistirr weitergegeben<br />

haben. Mein besonderer Dank gilt<br />

deshalb neben Frau Rohwedder<br />

auch allen Damen und Herren, die<br />

mit viel Idealismus und Liebe zur<br />

Sache Wissenswertes aus der Vergangenheit<br />

unserer Gemeinde bis<br />

zur heutigen Zeit zusammengetragen<br />

und niedergeschrieben haben.<br />

Die Mitglieder des Arbeitskreises,<br />

die Gemeindevertretung, die Amtsverwaltung<br />

in Wilster - alle haben<br />

an einem Strang gezogen, um die<br />

Geschichte als bleibende Erinnerung<br />

für uns und vor allem für die nachkommenden<br />

Generationen in Schrift<br />

und Bild zu erhalten.<br />

Johannes Rehder, Bürgermeister<br />

Neuendorf, Mai 2001


-~ ······ ............................................................................................................................................................................ V~.>~BL\!.! , ~ .~L~ .~! .<br />

VORBEMERKUNG<br />

Um von vornhere in Missverständnissen<br />

vorzubeugen: Ich bin keine<br />

studierte Historikerin und komme<br />

als diplomierte Landsch aflsplanerin<br />

aus einem ganz anderen Bereich.<br />

Al s die Gemeinde mich jedoch vor<br />

etwa zwei Jahren fragte, ob ich<br />

nicht Lust hätte, die Geschichte<br />

Neuendorfs aufzuarbeiten, fand ich<br />

die Vors tellung äußerst verlockend<br />

und stellte mich dieser Aufgabe ­<br />

ohne zu wissen, was mich erwartete.<br />

Ich halle bis dahin keinerlei Erfahrungen<br />

mit Chroniken und Ortsgeschichten<br />

gesammelt. Von Vorteil<br />

war lediglich, dass ich von einem<br />

Bauernhof aus der benachbarten<br />

Gemeinde Nortorf stamme und<br />

somit gewisse Orts- und Personenkenntnisse<br />

einbringen konnte. Während<br />

meiner Arbeit wurde mir<br />

jedoch immer deutlicher bewusst,<br />

wie wenig ich meine Heimat eigentlich<br />

kannte. Deshalb war ich stark<br />

auf die Mithilfe des Arbeitskreises<br />

angewiesen. Dort und in vielen,<br />

vielen Einzelgesprächen haben wir<br />

die Geschichte Neuendorfs nachvollzogen<br />

. Somit ist die Entstehung<br />

d ieses Buches keineswegs mein<br />

Verdien st. Mein Auftrag war es, die<br />

Fülle an Ideen und Anregungen aus<br />

der Gemeinde zu sammenzutragen,<br />

in den verschiedenen Archiven<br />

nach weiterem Material zu forschen<br />

und die Informationen zusammenzuführen.<br />

Ich möchte deshalb die<br />

Gelegenheit nutzen, a ll jenen zu<br />

danken, die mir dabei geholfen<br />

haben: Zunächst bedanke ich mich<br />

bei der Gemeindevertretung für das<br />

entgegengebrachte Vertrauen. Das<br />

Amt Wils termarsch hat mich tatkräftig<br />

unterstützt, allen voran<br />

Hans-Werner Speerforck, der manchen<br />

Feierabend mit der Lektüre<br />

und Korrektur der einzelnen Kapitel<br />

zugebracht hat. Besonderer Dank<br />

gebührt dem Arbeitskreis für sein<br />

Engagement. Ohne die zahlreichen<br />

Beiträge und Auskünfte hätte dieses<br />

Gesamtwerk in seiner Vi elfal t - von<br />

Sachverstand geprägt und mit persönlichen<br />

Erlebnissen angereichert<br />

- nie ents tehen können.<br />

Ich habe bei der Erstellung dieses<br />

Buches viel über die Geschichte<br />

und vor allem über den Wandel<br />

während des letzten Jahrhunderts in<br />

fast allen Lebensbereichen erfahren<br />

können. Mein Bestreben war es,<br />

diese Erkenntnisse versländlich und<br />

anschaulich auch für nachfolge nde<br />

Generalionen wiederzugeben. Ich<br />

hoffe, dass es mir zumindestteilweise<br />

gelungen ist.<br />

Anke Rohwedder


.N:w.~.~r.~r~9.~~,~.N~Y"!:;~.P..9.-'F. .. l;!, .. W.Ue$.IT~ .......................................................................................................................................... k1.<br />

Der Neuendorfer Arbeitskreis im Mai 2001 (vordere Reihe von links): Hermann Beimgraben, Averfleth;<br />

Horst Reese, Hackeboe; Anke Rohwedder, Nortorf- jetzt ltzehoe; Anneliese Marler, Hackeboe; Hildegard<br />

Heins, Hackeboe; (mittlere Reihe von links) Hans Joachim Karstens, Vorder-Neuendorf; Richard Meiforth,<br />

Averjleth; Klaus Rehder, Averfleth -jetzt Wilster; Peter Marler, Hackeboe; Max Heins, Hackeboe; (hintere<br />

Reihe von links) Georg Bader, Sachsenbande; Jens Thießen, Achterhörn; Johannes Rehder, Averfleth;<br />

weitere Mitglieder des Arbeitskreises: Heinrich Brandt, Stadtmoor- jetzt Wilster; Johannes Brandt, Goldbogen<br />

-jetzt ltzehoe; Hans Fischer, Stadtmoor; Klaus Franzenburg, Achterhörn; Hans Haack, Hackeboe;<br />

Käthe Meiforth, Averfleth; Hugo Nagel, Vorder-Neuendorf; Karl-Otto Schütt, Vorder-Neuendorf; Annegrete<br />

Thießen, Achterhörn sowie Elke und Max Tiedemann, Averfleth


,..<br />

.~ !i. .................................................................. ........ .... ............................................................................................... .J.~. !. ! :\I."J~.\r_lgqq!~. !~.<br />

I NHALTSVERZEICHNIS 62 Flugzeugabsturz<br />

..................................... ..............................................<br />

am 31.Dezember 1944<br />

Entstehung und Entwässerung<br />

64 Kriegsgefangene und<br />

9 Entstehung der Zwangsarbeit<br />

Wils termarsch<br />

68 Entnazifizierung von Hans-<br />

13 Bedeutung der Ortsnamen Max Reese, Hackeboe<br />

und ihre erste Erwähnung<br />

70 Flüchtlinge<br />

17 Wilster-Au<br />

74 Von Hamsterfahrten und<br />

23 Die Organisation der Wil- Einheitsschweinen<br />

st.ermarschentwässerung<br />

76 Brot gab es nur auf Karte<br />

32 Hackeboer Wettern<br />

78 Schulspeisung<br />

34 Hochwasser<br />

Straßen und Wege, Einst und Heute<br />

79 Wir gedenken der gefallenen<br />

Soldaten des 2. Weltkrieges<br />

39 Die Wilster-Au als Verkehrs- Landwirtschaft im Wandel<br />

weg<br />

81 Ein Überblick<br />

42 Die Unterhaltung der Wege<br />

84 Richard Meiforth, Averjleth<br />

43 Der Ausbau der Straßen<br />

und Wege 90 Herrn. Beimgraben, Aver.fleth<br />

48 Flurnamen 102 Thorsten Heins, Hackeboe<br />

Bürgermeister und Gemeindevertreter /09 Waschdag in de 50er Jahren<br />

49 Landgemeinde Heuendorf Handwerk und Gewerbe<br />

52 Zusammenschluss der A'mter 111 Handwerks- und Gewerbe<br />

betriebe der alten Zeit<br />

54 Wahnsituation<br />

115 Schmiede<br />

Erinnerungen an den 2. Weltkrieg<br />

118 Kolonialwarenladen<br />

57 Neuendorfvor, während und Heinz Haack<br />

nach dem 2. Weltkrieg<br />

121 Malermeister Haack<br />

58 Hitler-Jugend<br />

125 Marschentöpferei<br />

60 Die Mobilmachung im<br />

Gemeindegebiet 127 Baumschule Schüll


. J. ~.I. ! , \!J."~~ -~!Q:.q~.-.!1.~1.~ ............................................................................................................................................................................ U..<br />

128<br />

130<br />

Viehhandel Behrens<br />

Gastwirtschaft<br />

"Zum Handelsho.f'<br />

178 Entwicklung der Schule<br />

Vorder-Neuendorf<br />

Vereine und Vereinigungen<br />

/33<br />

Dat Stachtfest to<br />

Wiehnachten<br />

181<br />

Freiwillige Feuerwehr<br />

Sachsenbande-Neuendorf<br />

Künstler der Gemeinde Neuendorf<br />

137 Wilhelm Nagel,<br />

Stadtmusikant<br />

140 Prof Dr. h. c.<br />

Eberhard Rech/in<br />

143 Talentierte Hobby-Künstler<br />

Tiefste Landstelle Deutschlands<br />

145 Die Tiefste Landstelle ganz<br />

groß<br />

146 Die Tiefste Landstelle liegt<br />

hier!<br />

147 Gut Ding will Weile haben<br />

152 Höhepunkte an tiefster Stelle<br />

Schulen in Neuendorf<br />

191<br />

193<br />

Feuerwehrkapelle<br />

Sachsenbande-Neuendorf<br />

Gemeindegilde<br />

Neuendorj:Sachsenbande<br />

(Notgemeinschaft)<br />

195 Pferde- Versicherungsverein<br />

197 Ringreiten<br />

204 HSV<br />

207 Landfrauenverein<br />

Wilstermarsch<br />

210 Die Neuendorfer Jagd<br />

Quellen und Literatur<br />

Abbildungsnachweis<br />

Anmerkungen<br />

155 Schulgeschichte<br />

161 Schuldistrikt Achterhörn<br />

163 Schulunterricht in den<br />

20er Jahren<br />

164 Aus der Schulchronik<br />

Averjleth<br />

166 Schule Hackeboe<br />

167 Protokollbuch der Schulkommune<br />

Hackeboe<br />

173 Schule Sachsenbande


- ~~.T.$.:IJm.I.!~.G .. !?. !';~ .. W.!!.,'!n;.~~~.W!~.!t ................................................................................................................................................. ~.<br />

ENTSTEHUNG DER<br />

Wll..STERMARSCH<br />

Die Wilstermarsch verdankt ihre<br />

Entstehung einer allgemeinen<br />

Absenkung der Durchschnittstemperatur<br />

auf 4° bis 11°C unter den<br />

gegenwärtigen Werten und der<br />

daraus resultierenden Vergletscherung<br />

von Skandinavien aus, die in<br />

drei große Eiszeiten unterschieden<br />

wird. Die Kaltzeiten endeten mit<br />

Erwärmungsperioden, in denen das<br />

Eis weitestgehend abschmolz. Für<br />

die Bildung der Wilstermarsch war<br />

hauptsächlich die jüngste Kaltzeit<br />

(Weichseleiszeit: 100.000 bis 10.000<br />

Jahre vor der Zeitenwende) und die<br />

darauf folgende, bis heute andauernde<br />

,Holozän-Warmzeit' von<br />

Bedeutung. Zwar drangen die Gletscher<br />

nur bis MiLLelholstein vor,<br />

ihre Schmelzwasser formten jedoch<br />

das heutige Elbtal und ließen den<br />

Meeresspiegel ansteigen, so dass<br />

während des Atlantikums (etwa<br />

4.000 v. Chr.) die Nordsee bis an<br />

den heutigen Geestrand herameichte<br />

und die derzeitigen Marsch- und<br />

Moorgebiete mit Schlick überlagerte.<br />

Dieses Vordringen des Meeres<br />

nennt man in der geol ogischen<br />

Fachsprache ,Transgression', deren<br />

Gegensatz die ,Regression' ist und<br />

damit den Rückzug des Meeres<br />

beschreibt. Zwischen den einzelnen<br />

Transgressionszeiträumen liegen<br />

Regressionsphasen. Die erste, unser<br />

Gebiet betreffende Transgressionsserie<br />

dauerte vom 7. bis zum Ende<br />

des 3. Jahrtausends v. Chr. Nach<br />

einer früheren Einteilung währte<br />

diese Phase sogar bis etwa<br />

200 v. Chr. und wurde als ,Flandrische<br />

Transgression' benannt.<br />

Mittlerweile hat man sich aber auf<br />

eine Systematik geeinigt, die in den<br />

Niederlanden entwickelt wurde und<br />

diese Transgressionsreihe als<br />

,Calais-Serie' bezeichnet. Die darauf<br />

folgende ,Dünkirchen-Transgression'<br />

dauerte von etwa 1.700 v. Chr. bis<br />

ca. 1.100 nach Chr. 1<br />

Nach einem zwischenzeitliehen<br />

Rückzug der Nordsee kam es in den<br />

Jahrhunderten um die Zeitenwende<br />

erneut zu Überflutungen, welche<br />

die Marsch unter gewaltigen<br />

Schlickmassen begruben. Hierbei<br />

setzten sich die gröberen Sande und<br />

Kiese bereits an den Flussrändern<br />

ab, wodurch es zur Herausbildung<br />

der höher gelegenen und damit<br />

siedlungsfähigen Uferwälle kam,<br />

während das feinere und tonige<br />

Material näher an den Geestrand<br />

gelangte. Im Schutz der Norderund<br />

Süderdonn, deren Haken bis<br />

etwa Kudensee reichten und deshalb<br />

das von der Elbmündung einströmende<br />

Meer abhielten, begann<br />

die Verlandungsphase. In den folgenden<br />

Jahrhunderten, bis in die<br />

heutige Zeit, kam es aufgrund des<br />

hohen Wassergehaltes zu starken<br />

Sackungen. 2 Die seit dem Mittelalter<br />

zunehmende Entwässerung begünstigte<br />

diese Entwicklung, der<br />

wir letztendlich die Tiefste Landstelle<br />

Deutschlands mit 3,54 Metern<br />

unter Normalnull in der hiesigen<br />

Gemeinde verdanken.<br />

Doch wie haben wir uns die Wilstermarsch<br />

in ihren Anfängen vorzustellen?<br />

Gab es um Christi Geburt<br />

schon Siedler, die auf den fetten<br />

Wiesen der Marsch ihr Vieh grasen<br />

ließen? Vereinzelt sicherlich, wenn<br />

auch die Lebensumstände als<br />

äußerst gefährlich und unwirtlich<br />

bezeichnet werden können. Etliche<br />

Flachseen bedeckten die Wilstermarsch<br />

und zahlreiche Priele und<br />

Flethe durchzogen selbige. Sie glich<br />

einer Moor- und Sumpflandschaft,<br />

aus der nur gelegentlich kleinere<br />

Inselchen herausragten. Gleichzeitig<br />

Normalnull (NN)<br />

ist die Bezeichnungfor<br />

einen<br />

f estgelegten Nullpunkt,<br />

um die<br />

relative Höhe<br />

beliebiger Punkte<br />

zum millleren<br />

Meeresniveau<br />

angeben zu können.<br />

ln Deutschland<br />

beziehen sich<br />

die Angaben auf<br />

den Nullpunkt des<br />

Amsterdamer<br />

Pegels, d. h. den<br />

mi/fieren Wasserstand<br />

der Nordsee<br />

bei Amsterdam.


.•!,0. ........... ........... ... ............... ............................................ .................. .............. ........... ... ~.~I~n:m.~t'.~~~ .P.J;:.~ .. W.t.~5Im~M.~ß$.(H .<br />

.rr~~r;;'~~---=------ -- ____ .........<br />

/ . --- ]"'[oor JtrAll<br />

Abb. 1: Verkleinerter<br />

Ausschnitt<br />

aus der 'Historischen<br />

Karte der<br />

Wilstermarsch ';<br />

gezeichnet nach<br />

den Angaben von<br />

Dt: Jensen aus<br />

St. Margarethen.<br />

lebten die Bewohner in ständiger<br />

Angst vor der nächsten großen<br />

Überflutung. Es ist zu vermuten,<br />

wie Funde bestätigen, dass die<br />

Bewohner bereits seit der mittleren<br />

Steinzeit vom Fischfang lebten,<br />

während sie auf den höher gelegenen<br />

Gebieten (Uferwälle der Stör<br />

und Elbe, Geestrand) siedelten. Im<br />

Oberlauf der Wilster-Au in der Nähe<br />

vom Oberstenwehr ist beispielsweise<br />

1878 ei n Einbaum gefunden<br />

worden, der auf die Zeitenwende<br />

datiert wird und bei einer Länge<br />

von knapp 13 Metern 11 Ruderern<br />

Platz bot. 3 Diese ersten Siedler<br />

kamen von der Geest, ebenso als die<br />

Marsch in den Jahrhunderten vor<br />

und nach Christi Geburt erneut<br />

besiedelt wurde. Die zweite Besiedlung<br />

resultierte aus dem Bevölkerungszuwachs<br />

in der damaligen<br />

Zeit. Nachdem nicht mehr genügend<br />

Geestackerflächen zur Verfügung<br />

standen, wagten sich einige<br />

Sachsen in die Wilstermarsch vor.<br />

Diese Siedlungstätigkeit wurde<br />

jedoch erneut unterbrochen, als der<br />

Meeres- und Grundwasserspiegel<br />

abermals anstieg. Anfänglich begegneten<br />

die Bewohner dieser Entwicklung,<br />

indem sie ihre ursprünglich<br />

als Flachsiedlungen angelegten<br />

Plätze zu Wurten aufschütteten.<br />

Nachdem das Wasser aber immer<br />

weiter anstieg und die Überflutungen<br />

ihre Felder ,versalzten'<br />

und damit für die Bewirtschaftung<br />

unbrauchbar machten, verließen sie<br />

ihre Wohnstätten endgültig.<br />

In den fo lgenden 400 Jahren war die<br />

Wilstermarsch somit quasi unbewohnt.<br />

Die nächste Nachricht<br />

stammt erst aus dem 9. Jahrhundert<br />

nach Christus und es ist anzunehmen,<br />

dass eine erneute Besiedlung<br />

n ur unwesentlich vor diesem<br />

Zeitpunkt stattfand. Diese erneute<br />

Siedlungstätigkeit steht im engeren<br />

Zusammenhang mit der Eroberungspolitik<br />

des Fränkischen Reiches<br />

unter Karl dem Großen im 8./9.<br />

Jahrhundert und der damit verbundenen<br />

Christianisierung, gegen die<br />

die hier ansässigen Sachsen hefti-


. J;;~:r.~ :n~.'. ! .~ . i'!-.~! .. !?.f:!'!-.. W.! b'!"Xr.~~ ~~.R~Pt .................................... .......................................................................................................... Jil.<br />

gen Widerstand leisteten. Die fränkische<br />

Kolonisation erfolgte über<br />

die Flüsse, über die sie in das zu<br />

erobernde Land aufwärts zogen.<br />

Daher wird vermutet, dass die Sachsen<br />

bereits in der Störmündung mit<br />

ihrem Widerstand begannen. Trotz<br />

dieser Gegenwehr wurden die Sachsen<br />

gewaltsam dem Fränkischen<br />

Reich eingegliedert und christianisiert.<br />

Bereits 834 wird in Heiligenstedten<br />

eine Kirche errichtet. Nach<br />

dem Tod Karls des Großen kam es<br />

zu ersten Auflösungserscheinungen<br />

des Fränkischen Reiches, weswegen<br />

in der folgenden Zeit wiederholt die<br />

Dänen und Wenden versuchten, die<br />

fränkischen Grenzbefestigungen<br />

(u. a. bei Itzehoe) einzunehmen.<br />

Unter diesen Überfällen hatten auch<br />

die Bewohner des Klosters Neumünster<br />

zu leiden, so dass dessen<br />

Bewohner wiederholt Schutz in der<br />

unwegsamen Marsch suchten. Hierdurch<br />

entstanden die ersten Kontakte<br />

mit den Bewohnern der<br />

Wilstermarsch, was für die spätere<br />

niederländische Koloni sation sicherlich<br />

von Bedeutung war.<br />

Beeindruckt von den Kultivierungserfolgen<br />

der Niederländer im sogenannten<br />

,Hollerland' bei Bremen,<br />

warb der Landesherr Graf Adolf li.<br />

im Jahre 1142 niederländische<br />

Kolonisten zur Ansiedlung in Ostbolstein<br />

an. Gleichzeitig bemühten<br />

sich der Abt Vicelin und das Kloster<br />

Neumünster um die Ku ltivierung<br />

der Elbmarschen, mit der die kirchlichen<br />

Einkünfte aus diesem Gebiet<br />

gesteigert werden sollten. Unterstützt<br />

wurde er durch den Bremer<br />

Erzbischof, indem dieser ih m den<br />

,Zehnt' weiter Teile vor allem der<br />

Haseldorfer, Seestermüber und<br />

Wilstermarsch übertrug. Mit ,Zehnt'<br />

ist eine jährliche Abgabe an die<br />

Kirche bzw. an den jeweiligen<br />

Grundeigentümer gemeint, die 10<br />

Prozent des Gesamtertrages betrug.<br />

Attraktiv waren für die Moorkolonisten<br />

aus der Utrechter Tiefebene<br />

die vergleichsweise geringen<br />

Abgaben und Pflichten und die<br />

verhältnismäßig großen Höfe mitsamt<br />

der zugehörigen Flurstücke.<br />

Die Neusiedler ließen sich vor allem<br />

in den bisher unbesiedelten Gebieten<br />

nieder und zwar auf den bis<br />

dato unbewohnten Uferwällen der<br />

Wilster-Au sowie der ins Land<br />

reichenden Priele und begannen mit<br />

den Kultivierungsarbeiten. In diese<br />

Zeit fällt somit die erste Anlage und<br />

planmäßige Entwässerung der<br />

Niederungen durch lange, parallele<br />

Gräben und Wetterungen. Zuvor<br />

war ausschließlich über natürliche<br />

Wasserläufe, Priele und Flethe,<br />

entwässert worden. 4 Auf das 12./13.<br />

Jahrhundert gehen die ersten<br />

geschl ossenen Deichlinien zurück,<br />

wobei sowohl bestehende Deiche<br />

als auch Wurten und erhöhte Flussufer<br />

ausgenutzt wurden. Diese<br />

Deiche waren zunächst als Sommerdeiche<br />

angelegt, um vor den<br />

sommerlichen Überflutungen zu<br />

schützen, wurden aber schon bald<br />

zu winterfesten Deichen erhöht. Sie<br />

schützten nicht nur vor Überflutungen<br />

seitens der Eibe, sondern<br />

auch vor dem Geest- und vor allem<br />

schädlichen Moorwasser. 5 Nach<br />

dem Deichbau zeichnete sich der<br />

Sackungsprozess in der Wilster-<br />

Wenn im<br />

Zusammenhang<br />

mit der Besiedlung<br />

der Marsch von<br />

den 'Sachsen '<br />

gesprochen wird,<br />

ist die Rede von<br />

einem westgermanischen<br />

Stamm,<br />

der seit Mitte des<br />

2. Jahrtausends v.<br />

Chr. zusammen<br />

mit den Angeln<br />

und Friesen im<br />

Nordseeraum<br />

siedelte.<br />

Abb. 2: Schematische<br />

Darstellung<br />

des Entwässerungswesens.<br />

Graben


.~~?2 ... ................................................................................................... ..... ......................... .... ~.~:r~:nm EJ:"i~! .. P..~'-~ - .W.~.~ ~5If:~M.;\~~.9 ! .<br />

Abb. 3: Ausschnitt<br />

aus der Karte<br />

,. Newe Landtcarte<br />

Von dem Ampte<br />

Steinborg Der<br />

Kremper Undt<br />

Wilstermarsch.<br />

Anno 1651. "25<br />

marsch deutlicher ab, da das<br />

weitere Aufspülen durch Überflutungen<br />

fehlte. 6<br />

Ein weiterer Bevölkerungszuwachs<br />

im späten 16. Jahrhundert und eine<br />

Zuwanderung aus den Geestgebieten<br />

sowie eine erneute niederländische<br />

Einwanderungswelle, die<br />

durch politische und religiöse Verfolgung<br />

in deren Heimat ausgelöst<br />

worden ist, hatten hier wiederum<br />

Siedlungsneugründungen zur Folge.<br />

Den Abschluss bildeten die Siedlungserweiterungen<br />

an und in den<br />

Mooren, die durch die Moorkultivierung<br />

und den Abbau des Torfs<br />

als Brennstoff im 18./19. Jahrhundert<br />

hervorgerufen wurden. 7<br />

Bis heute ist die Einzelsiedlung im<br />

Gegensatz zur Geest sehr verbreitet<br />

in der Wilstermarsch. Dies mag in<br />

der eingeschränkten Verkehrsfähigkeit<br />

des Marschbodens begründet<br />

liegen. Für die Anwohner war es<br />

deshalb günstiger inmitten der für<br />

ihren Unterhalt erforderlichen<br />

Ländereien zu wohnen. Ansonsten<br />

war die Reihensiedlung, die in<br />

Verbindung mit der kultivierungsbedingten<br />

Streifenhufenflur ,Marschhufendorf'<br />

genannt wird,<br />

vorherrschend.


. ß.~.l1.rD1 !~.G..!?.fi~.. Q!U~.~ t~ .. ~.~!! .....\ 1 N!?..H!.l~f; .. l ,.. t.:.~Wi~! .l. ~~!!:'.G ... ..................................................................................................ll.eJ.<br />

ßEDEUTIJNG DER<br />

ORTSNAMEN UND<br />

illRE 1. ERWÄHNUNG<br />

Die sehr frühen Siedlungsepochen<br />

haben wohl mehr auf den hohen<br />

Uferwällen der Eibe und der Stör<br />

stattgefunden, als im heutigen Gebiet<br />

der Gemeinde Neuendorf. Die<br />

ersten Nachrichten aus Neuendorf<br />

stammen aus dem 13. Jahrhundert<br />

nach Christi Geburt. Auch wenn der<br />

Zeitraum zu der Annahme verleitet,<br />

muss nicht zwangsläufig die Besiedlung<br />

durch Holländer erfolgt sein.<br />

Denn bereits ab der 2. Hälfte des<br />

13. Jahrhunderts wurden die holländischen<br />

Kultivierungsarbeiten von<br />

den Sachsen nachgeahmt. Somit<br />

können die ersten Siedler sowohl<br />

Holländer als auch Sachsen gewesen<br />

sein. Im Bereich Vorder-Neuendorf/Hackeboe<br />

deutet beispielsweise<br />

die Bezeichnung der Straße nach<br />

Vorder-Neuendorf auf holländische<br />

Siedler hin (,Hollerstückenweg').<br />

Jedoch gibt es hier auch anderslautende<br />

Erzählungen über die<br />

Bedeutung des Namens. So soll der<br />

Schmied ,Holler' gegenüber der<br />

Straßenmündung ein Stück Land<br />

besessen haben, fo lglich hieß es:<br />

"Der Weg beim Holler-S tück". 8<br />

Schwierig ist es, die ,Geburtsstunde'<br />

Neuendorfs zu bestimmen, da die<br />

Gemeinde Neuendorf aus mehreren<br />

Ortsteilen besteht, die zu unterschiedlichen<br />

Zeiten besiedelt wurden.<br />

Angewiesen sind wir hierbei<br />

auf schriftliche Quellen, in denen<br />

die Orte erstmals erwähnt werden.<br />

Vorder- und Hinter-Neuendorf<br />

Sowohl Vorder- als auch Hinter­<br />

Neuendorf gehörten früher zur<br />

ehemaligen Vogtei Sachsenbande<br />

(einem Klosterbezirk des Klosters<br />

Neumünster, später Bordesholm).<br />

Deshalb ist ihre Geschichte eng mit<br />

der von Sachsenbande verwoben.<br />

Erstmals erwähnt wird dieses Gebiet<br />

in einer Schenkungsurkunde von<br />

1227. Darin bestätigt Graf Adolf IV.,<br />

dass Bruder Wylrich seine Güter im<br />

später nach ihm benannten<br />

,Wilrikesmoor' an das Kloster Neumünster<br />

überträgl. 9 Ob es sich da<br />

bereits um eine Siedlung gehandelt<br />

hat, ist ungeklärt. Jedoch spätestens<br />

1349 wird im Gebiet von Yarder­<br />

Neuendarf ein großer Hof ( curia<br />

magna) des Klosters Bordesholm<br />

erwähnt. Dieser Hof wurde später<br />

parzelliert und verpachtet. 1448<br />

konnten die Pächter das Land für<br />

400 Reichstaler zum freien Besitz<br />

kaufen. 10 ,Hinter-Neuendorf' bzw.<br />

nur ,Neuendorf' wird jedoch erst<br />

1652 erwähnt. 11 Ob dieses Gebiet in<br />

den 200 Jahren zuvor schon besiedelt<br />

war, konnte bisher noch<br />

nicht nachgewiesen werden. Noch<br />

verwirrender wird es, wenn wir uns<br />

den anderen Ortsteilen zuwenden.<br />

Achterhörn<br />

Achlerhörn leitet sich aus der plattdeutschen<br />

Umschreibung ,achter de<br />

(dat) Hörn' ab und bedeutet soviel<br />

wie ,hinter dem Vorsprung/der<br />

Ecke/dem Winkel'. ,Hörn' bezeichnete<br />

hier vermutlich ein zwischen<br />

Moor und Wasser eingekeiltes<br />

Landstück. Denn früher war Achterhörn<br />

mit Ausnahme des schmalen<br />

Austriebs ein weites Hochmoor,<br />

welches ,Gorriesmoor' genannt<br />

wurde. Einst bildete Achterhörn<br />

den hinteren, spitzzulaufenden<br />

(hornartigen) Landstrich der Averflether<br />

Ducht. Heinrich Brandt als<br />

ehemaliger Neuendorfer sieht vor<br />

diesem Hintergrund insofern einen<br />

Neben 'unserem '<br />

Neuend01j gibt es<br />

noch eine Menge<br />

von Ortschaften<br />

und Gemeinden<br />

gleichen Namens<br />

in ganz Europa.<br />

Die Kirmesgesellschaft<br />

'St. Peter<br />

Neuendorf' bei<br />

Koblenz hatte im<br />

Jahre 1992 46<br />

Gemeinden mit<br />

dem Namen<br />

'Neuendorf'<br />

ausfindig gemacht<br />

und dabei Neuendorf<br />

in allen neuen<br />

Bundesländern, in<br />

der Elfe/, in<br />

Bayern, in Österreich,<br />

in der<br />

Schweiz sowie in<br />

Polen entdeckt.


.~J ........ ............... ...... ...... ......... .. ........................ .. .. .... .. ...... ß.~P.~VnJ.~G .. P..m~ .. Q.\~.J.':'iN!~MI~ .. ~ ~ N"P .. !W~.~. J, .. ~~.W.A~t~W'iG .<br />

Bedeutungszusammenhang, als dass<br />

sich der Name auch aus der Lagebeschreibung<br />

ergeben haben könnte.<br />

In alten Quellen findet man Achterhörn<br />

auch unter der Bezeichnung<br />

,Brodesende', um den Übergang<br />

vom ackerfähigen Kleiland zum<br />

Hochmoor zu beschreiben (nach<br />

Jensen: "Ende des die Au begleitenden<br />

Kleilandes, auf dem das Brotkorn<br />

gebaut wird" 12 ) . Es konnte<br />

jedoch nicht abschließend geklärt<br />

werden, ob mit ,Brodesende' und<br />

,Diekende' ein und dieselbe Stelle<br />

gemeint war. Detlefsen 13 vermutet,<br />

dass sich ,Brodesende' auf der rechten<br />

Auseile befand, d. h. auf<br />

aebtissinwischer Gebiet, während<br />

Diekende diesseits der Au gelegen<br />

war. Auf jeden Fall wurde mit<br />

,Diekende' jene Stelle umschrieben,<br />

bis wohin die Wilster-Au bedeicht<br />

war, um die benachbarten Ländereien<br />

vor Überschwemmungen zu<br />

schützen. Diese Vorsichtsmaßnahme<br />

galt vor allem dem schädlichen<br />

Moorwasser. 1576 wurde erstmals<br />

die Lage Achterhörns in einer<br />

Skizze festgehalten. 14<br />

Stadtmoor<br />

Stadtmoor grenzt an Achterhörn<br />

und war lange Zeit im Besitz der<br />

Stadt Wilster. Hier konnten die<br />

Bürger aus Wilster gegen Bezahlung<br />

Torf stechen. Jedoch quälten die<br />

Stadt schon damals Geldnöte, weshalb<br />

sie 1531 einen Teil des Stadtmoores<br />

verkaufen musste. Käufer<br />

waren einige Bauern aus Bokhorst. 15<br />

Zwar kaufte die Stadt eine Fläche<br />

zu Beginn des 17. Jahrhunderts<br />

zurück, dennoch ragt sogar in<br />

heutiger Zeit die Gemeinde<br />

Bokhorst des Amtes Scheuefeld mit<br />

einem Zipfel ins ehemalige Stadtmoor.<br />

In den folgenden Jahrhunderlen<br />

bezog die Stadt Wilster<br />

Einnahmen aus der Verpachtung<br />

der Fläche. Seit dem 12. März 1877<br />

gehört Stadtmoorper königlichen<br />

Erlass des Landrats zur Gemeinde<br />

Neuendorf. 16 Ob sich die Ländereien<br />

damals schon im Privatbesitz befunden<br />

haben, ist unklar. Noch in<br />

der Nachkriegszeit wurde hier der<br />

Torf abgebaut.<br />

Averfleth<br />

Averfleth bedeutet dem Sinn nach<br />

,über das Fleth hinüber'. Als ,Fleth'<br />

wurden die ehemaligen Priele der<br />

Marsch bezeichnet. Einige Averflether<br />

Altbürger führen den Namen<br />

auf einen Steg zurück, den früher<br />

die Kirchengäuger der benachbarten<br />

Orte benutzten, um auf dem<br />

Kirchensteig nach Wilster zu gelangen.<br />

Am plausibelsten erschien<br />

jedoch die Erklärung von Hermann<br />

Beimgraben, wonach der Name<br />

Averfleth auf ein altes Fleth zurückgeht,<br />

welches von Krützfleth<br />

kommend auf Höhe der alten Averflether<br />

Schule in die Wilster-Au<br />

mündete. Dieses Fleth ist heute<br />

nicht mehr vorhanden. Lediglich<br />

die Ortsnamen Krützfleth und Averfleth<br />

bezeugen noch dessen Existenz.<br />

Bei gerrauer Betrachtung vor<br />

Ort werden diese Vermutungen<br />

bestätigt. Die Straße nach Krützfleth<br />

befindet sich auf dem ,Olde Dweerdiek'<br />

(vor 1600). In früherer Zeit<br />

war dies die einzige Wegeverbindung<br />

nach Sachsenbande. Die<br />

benachbarten Ackerstücke liegen<br />

zunächst etwas tiefer, bis sich das<br />

Geländeniveau wieder anhebt. In<br />

dieser Senke verlief ein breites<br />

Fleth. Vermutlich ist es mit Anlage<br />

der Hackeboer Wettern verschlickt<br />

und gänzlich verschwunden. Um<br />

nun die Siedlung ,Averfleth' zu


.ß. .:;P.l.'.\.T\ . ~.~~ .. r.P~ .. Q~I~.~ !~.~.\ f:~ .. \ l ~P. .. !.\!.~ f: .. 1., .. ~.~)~!A! .'.~.\ ! ~.fl ................................................................... ..................................:l~.<br />

:··············································· ···························································································································································:<br />

.··<br />

K~ VO'Yll d.€/AY'beit; ~ ~ d.€/<br />

Struit;<br />

bt:4C l'l't.CU'~ ~~(MI\! m.aft,<br />

~ ~'\MV ~'~'Lehr' höre-t'\1 VO'Yll LIM'WII (MI\!<br />

KY"cu;h;.<br />

bt:4C mM: ~G~ tütl~et.l; ~<br />

~ ~ dew w~ CU'\1 d.€/ Wedde-r-r\1 ~<br />

dar hör~ [.t'ltd.€/St'vW ~.r-V~<br />

'Bv ~ G~ Mr-'t .lt"'tlle- MOOY<br />

WIM"Y't cU m.cW wedder' Y"idl;t'Lft kloor<br />

w v ~dat'w, l>VIM'Wop'r\IL~<br />

dat' l'l1.ru'\l hiM' m.cW wedder' L~pe-t'\1<br />

~<br />

Ve-- F~eiheAr mM: ~ ~'Bee-n;,<br />

~olv, he-whiM' ~~<br />

Mu ~ wiM"Y't ~A~ W'\1'8~<br />

~ ~pOOY Seit~ W'\1~ dat'<br />

~CM'\1.<br />

Op ~r\1 fn.W .l€tt he-~ wedder' clctL<br />

W'\l~n.wdar ~M~<br />

tl~ ~ CU'\1 d.€/ Wedde-r-r\1 [.t'lt dat' 'Reet;<br />

dat' dar' r\1 w~ f n.t'e+'lfJOOY !.ee:t?<br />

Ve-- 'B~ he.bbt-~ cio


.ß:§. ................................... .................................... .......................... ~~P.!i!ln/J'!~ .. P..q~ .. O.!U~N~\MIN .. ~ (@. J,.~~-~.J, .. ~~.W.M~N!.l.~~~ -<br />

, Wilstra' bzw. seit<br />

1141 , Wilstera' ist<br />

der alte Name der<br />

Wilster-Au. Diese<br />

Bezeichnung<br />

scheint alt-niederdeutsch<br />

zu sein,<br />

deren Bedeutung<br />

ist hingegen<br />

bislang unklar.<br />

Falsch istjedoch<br />

die Annahme, dies<br />

sei eine Verkürzung<br />

von , wilde<br />

Stör '. 45<br />

erreichen, musste man von Wilster<br />

kommend über dieses Fleth hinüber.17<br />

Erstmals wird Averfleth 1371<br />

als ,Ouerflete' erwähnt. 18<br />

Goldbogen<br />

Von Goldbogen stammen die ersten<br />

Nachrichten bereits aus dem<br />

13. Jahrhundert. Ein Rittergeschlecht,<br />

welches einige Male<br />

erwähnt wird, hatte seinen Namen<br />

dieser Siedlung entliehen. So wird<br />

zwischen den Jahren 1251 und 1288<br />

von den Herren Hartwig, Johannes,<br />

Otto und Heinrich berichtet, die<br />

mal Goldenbo, bald Goldenhoch<br />

und Goldenbu sowie Goldenbog<br />

genannt werden . 19 Nachforschungen<br />

erhärten die Vermutung von<br />

Hermann Beimgraben, wonach<br />

dieses Rittergeschlecht nach<br />

Mecklenburg umgesiedelt sein soll. 20<br />

So gibt es nahe Boizenburg, südwestlich<br />

von Schwerin, in der<br />

Gemeinde Friedrichsruhe einen<br />

Ortsteil mit dem Namen<br />

,Goldenbow'. Dieser Ort geht auf<br />

das Rittergeschlecht von Goldenbow<br />

zurück, die den dortigen Besitz aber<br />

bereits im 14. Jahrhundert an die<br />

Familie Lützows verkauften oder in<br />

weiblicher Linie vererbten. 1230<br />

wird das Dorf im Ratzeburger<br />

X. Register erstmals erwähnt. Damit<br />

unterstützen Name und erstmalige<br />

Nennung zumindest die Annahme,<br />

dass es sich vermutlich um dieselbe<br />

Ritterfamilie handelt, auch wenn<br />

die Vermutung nicht wissenschaftlich<br />

belegt ist.<br />

Hackeboe<br />

Die Bedeutung des Namens<br />

Hackeboe könnte man in etwa so<br />

übersetzen: "Wiesengelände in einer<br />

Flussbiegung, wo Habichte sind." 21<br />

Mit der Flussbiegung wird wohl der<br />

alte Lauf der Wilster-Au (,Alte<br />

Wilster') gemeint sein, an dem sich<br />

Hackeboe entlang zieht. Wobei<br />

Elfriede Reese 22 im Rahmen einer<br />

Halbjahresarbeit für die Schule<br />

gerade in dieser alten Auschleife die<br />

Form eines Habichtschnabels entdeckt<br />

haben wi ll und darauf die<br />

Namensgebung zurückführt.<br />

Ein paar Höfe in Hackeboe sowie<br />

die beiden Gehöfte ,Auf der Hove'<br />

sind vermutlich von der Geest aus<br />

besiedelt worden. Dies erklärt auch<br />

die Form einzelner Flurstücke.<br />

Hinter dem Dückerstieg beispielsweise<br />

befinden sich zwei quadratische<br />

Flurstücke von etwa einem<br />

Hektar Größe. Bevor die Niederländer<br />

den Wendepflug einführten,<br />

mussten die Sachsen ihre Fe I der<br />

noch kreuz und quer mit dem<br />

Hakenpflug bearbeiten. Dies war auf<br />

einem quadratischen Feld einfacher.<br />

Es wird sogar vermutet, dass diese<br />

Höfe bereits vorhanden waren, als<br />

Wilster gegründet wurde. Lange Zeit<br />

waren diese nämlich nach Hohenaspe<br />

zehntpflichtig, d. h. sie hallen<br />

10 Prozent ihrer Ernte an die Kirche<br />

in Hohenaspe abzugeben, obwohl<br />

sie im Kirchspiel Wilster lagen. Die<br />

Kirche zu Wilster wird erstmals<br />

1163 genannt. Dennoch findet sich<br />

die erste namentliche Erwähnung<br />

Hackeboe's erst aus dem Jahre 1349,<br />

wonach es zunächst ,Hauekeby'<br />

hieß. Spätere Namensformen waren<br />

,Hakebüw' und ,tho Hackeby'. 23<br />

In Hackeboe treffen verschiedene<br />

politische Gemeinden aufeinander,<br />

so dass Hackeboe in Teilen sowohl<br />

zur Gemeinde Neuendorf, als auch<br />

zur Gemeinde Landrecht, Nortorf<br />

und Sachsenbande gehört. Gerrau<br />

zwischen den beiden Höfen ,Hove'<br />

verläuft die Gemeindegrenze zur<br />

Gemeinde Landrecht. Ursprünglich


. ~!!.I}J.\\ .. \ :\ .:\~! .. ! ?.\ , ~ .. Q!~. !:~.~ :\\\!,,~ .. \ . r.-. !~ .. J.I.!.I.~! : ... I., .. ~.l.~~ri\! .1.~.\ . ~J!. .................... ...................................................................... .......... ;!il<br />

gehörten diese Höfe wohl zusammen.<br />

Wie ihr Name a nzudeuten<br />

scheint, waren sie die erste eigentliche<br />

Hufe in dieser Gegend. 24<br />

Früher untergliederte man Hackeboe<br />

in Groß- und Klein-Hackeboe.<br />

Somit ist euendorf im Ourchschnill<br />

500 bis 600 Jahre alt, da s ich<br />

die Besiedlung im Grunde über ein<br />

halbes Jahrlausend hinzog. Diese<br />

große Zeitspanne erklärt s ich aus<br />

der Vorgehensweise bei der Kultivierung.<br />

Die ersten Siedler ließen<br />

sich zunächst auf den erhöhte n<br />

Uferrändern und dergleichen nieder,<br />

um von dort die Urbarmachung<br />

des Sielblandes in Angriff zu<br />

nehmen. So entstanden letztlich<br />

Vorder-und Hinler-Neuendorf ni cht<br />

nur räumlich sondern auch zeitli ch<br />

gelrennt voneinander. Als Geburtsjahr<br />

für anstehende Jubiläumsfeiern<br />

wird jedoch das Jahr 1652 zugrunde<br />

gelegt, in dem ' euendorf' an sich<br />

erstmals urkundlich erwähnt<br />

wurde.''<br />

WUSTER-AU<br />

Vor Urzeiten war die Wilster-Au<br />

vermullich nur ein Flelh von vielen<br />

in der Elbmarsch. Dass sich dieses<br />

Gewässer zu einer Au mil eigener<br />

Quelle auf der Geest e ntw ickelte,<br />

verdankt die Wil ster-Au der Dünenbildung<br />

vor dem Norder- und<br />

Süderdonn in Dithmarschen. Hier<br />

lag nämlich ursprünglich die Mündung<br />

der Wallburgau - die heutige<br />

Burger Au - , in welch er die<br />

Holslenau ihre Fortsetzung fand,<br />

um durch den Kudensee gradewegs<br />

in die Elbe zu entwässern. Als<br />

jedoch die Dünenreihe diese Ableitung<br />

versperrte, staute sich das<br />

Wasser im Kudensee und überflutete<br />

die anliegenden Niederungen. Oie<br />

Wal lburgau musste sich einen<br />

neuen Abfluss suchen und fand<br />

diesen in der Wilster-Au.<br />

Angesichts dieser Veränderung hatte<br />

die Wilster-Au nun ihren Ursprung<br />

auf der Geesl. Nach einer historischen<br />

Karte halte s ie sogar 2 Quellflüsse<br />

und zwar den Schapbek<br />

Abb. 4: Die<br />

Wilster-A u in<br />

Ave1jleth um 1920.<br />

Im Hintelgrund<br />

befindet sich das<br />

heutige Anwesen<br />

der Familie Koch.


.~ .............. ......................................................................................................................................... ................................... W.I.! ~~T.P~.: A.., :.<br />

Bisweilen beherbergt<br />

die Wifster­<br />

Au auch<br />

außergewöhnliche ·<br />

Gäste. So erinnert<br />

sich Max Tiedemann<br />

aus Averfleth<br />

an drei<br />

Tümmler, die sich<br />

in den 40er Jahren<br />

in dieses Gewässer<br />

verirrt hatten.<br />

Anfang der 90er<br />

Jahre hatten wir<br />

einen Seehund zu<br />

Besuch.<br />

aus der Gegend von Schafstedt und<br />

den Mackenbek aus der Umgebung<br />

von Großenbornholdt. Diese trafen<br />

bei Hohenhörn aufeinander und<br />

flossen von dort vereint durch die<br />

Randmoore. Bis zum Eintritt in die<br />

Wilstermarsch tragen sie den<br />

Namen ,Holstenau'.<br />

Damit entwässerten sowohl die<br />

Geest- und Moorgebiete als auch der<br />

Kudensee über die Wilster-Au und<br />

führten ihr reichlich Wasser zu.<br />

Zwangsläufig kam es zu<br />

Überschwemmungen, woraufhin<br />

man begann die Au einzudeichen.<br />

Dazu wurden zunächst die Stördeiche<br />

von 'Wilstermünde', dem<br />

heutigen Kasenort - damals befand<br />

sich dort noch keine Schleuse-, bis<br />

zur alten Schleuse bei der Brennerkate26<br />

auf beiden Seiten weitergeführt.<br />

In der Zeit war die Wilster-Au<br />

noch ein von der Eibe und Stör aus<br />

offenes Fahrwasser, auf dem auch<br />

größere Schiffe die ,Seestadt'<br />

Wilster erreichen konnten. Die<br />

Deiche der Au hatten die gleiche<br />

Höhe wie die Stördeiche. Oberhalb<br />

von Wilster konnten sie entsprechend<br />

niedriger sein, da sie hier<br />

lediglich das Überfließen des Moorwassers<br />

zu verhindern hatten.<br />

Im Zusammenhang mit dem Spadelandbrief<br />

von 1438 wird die Regulierung<br />

der Wilster-Au oberhalb von<br />

Wilster vermutet. Durch einen<br />

schnurgeraden, 1 1 /z Kilometer langen<br />

Graben wurde ihr Lauf verkürzt.<br />

Das alte Bett der Au<br />

schlängelte sich über Goldbogen,<br />

Dückerstieg und Hackeboe und<br />

mündete beim Rumflether Deich<br />

wieder in selbige. Fragmentarisch<br />

ist es als Entwässerungsgraben noch<br />

vorhanden und durch die Bezeichnung<br />

,Alte Wilster' belegt.<br />

Trotz dieser Eingriffe war die Entwässerung<br />

nicht zufriedenstellend<br />

geregelt, weshalb weitere Maßnahmen<br />

ergriffen wurden. Um die<br />

Deiche der Wilster-Au besser vor<br />

den eindringenden Wassermassen<br />

von der Geest schützen zu können,<br />

wurde auf der Höhe von Diekende<br />

ein Wehr als Stauvorrichtung angefertigt<br />

(Oberstenwehr). Dieses ist im<br />

Sommer 1626 erstmals aufwärts<br />

verlegt worden und wenig später<br />

abermals "nach der Geest=Leuten<br />

ihre Seite" 27 verlegt worden. Es ist<br />

also im Laufe der Zeit zweimal<br />

weiter aufwärts vorgeschoben worden.<br />

Auf der linken Auseile wurde ein<br />

Wehrdamm angelegt, der in den<br />

Moordeich überging. Wenn sich<br />

nun der Wasserdrang seitens der<br />

Geest vermehrte, schloss man das<br />

Wehr. Dadurch hatten jedoch die<br />

Holsterrau und die Burger Au mitsamt<br />

des Kudensees keinen Abfluss<br />

mehr, so dass sich das Wasser in<br />

den hinterliegenden Flächen<br />

anstaute, bis es die Schutzdämme<br />

überströmte und zuweilen trotzdem<br />

die benachbarte Marsch<br />

überschwemmt wurde. 28 Mit der<br />

Anlage des Büttler Kanals 1764<br />

hatte das Wehr seine Bedeutung<br />

verloren, da der Kudensee von nun<br />

an wieder direkt in die Elbe entwässern<br />

konnte. 29<br />

Die letzte einschneidende Veränderung<br />

erfuhr die Au durch den Bau<br />

des Nord-Ostsee-Kanals (1887-<br />

1895), da dieser ihren Oberlauf<br />

zweimal durchschneidet und sie<br />

damit ihrer Frischwasserzufuhr<br />

beraubt. Zwar regulierte anfangs<br />

eine Schleuse bei Bebek den<br />

Wasserstand, jedoch ist dies im<br />

Vergleich zur reinigenden Spülkraft<br />

eines Fließgewässers kaum von<br />

Bedeutung. Die Wilster-Au bekam<br />

den Charakter eines vor sich hindümpelnden<br />

Gewässers, welches


.W.!!~~r~.~ : .. !\.~ : ........................................................................................................................................................................................ 1~.<br />

lediglich im Unterlauf, bedingt<br />

durch den Tideeinfluss, eine etwas<br />

stärkere Durchmischung erfährt.<br />

Dieser Ausgleich reichte aber zum<br />

Beispiel nicht aus, um den Abzug<br />

der gesundheitsschädlichen Abwässer<br />

der Gerbereien und weiterer<br />

Fabriken zu gewährleisten, woraufhin<br />

die Einwohner von Wilster<br />

heftigsl protestierten. Aus dem<br />

Grunde legte die Stadt Wilsler<br />

bereits 1914 eine Wasserleitung<br />

nach Kleve um sich mit besserem<br />

Geestwasser zu versorgen.<br />

Auch die mit dem Neubau der<br />

Schleuse zu Kasenort (1925) verknüpften<br />

Erwartungen brachte n<br />

nicht die erhofften Verbesserungen.<br />

lnfolge der geringen Fließgeschwindigkeit<br />

konnten sich leic hter Sinkstoffe<br />

absetzen, wodurch die Au<br />

allmählich verschlämmte. Dies<br />

halle wiederum Auswirkungen auf<br />

die Schifffah rt, die gerade oberhalb<br />

von Wilsler an Bedeutung verlor.<br />

Allerdings dürfen bei dieser<br />

Betrachtung andere Fa kla ren wie<br />

der verbesserte Ausbau des Wegeund<br />

Straßennetzes und die wachsende<br />

Motorisierung nicht außer<br />

Acht gelassen werden.<br />

Um die Entwässerung der Moorländereien<br />

in Stadtmoor zu verbessern<br />

und den Wassersland der Wilster-Au<br />

regulieren zu können, wurde<br />

1949/50 ein elektrisches Schöpfwerk<br />

zu Beginn der Wilster-Au am<br />

Nord-Ostsee-Kanal errichtet. Dies<br />

ermöglichte einen kontinuierlichen<br />

Wassersland auf der Wilsler-Au,<br />

ohne den Unterschöpfwerken der<br />

anliegenden Sielverbände Beschränku<br />

ngen auferlegen zu müssen. Bis<br />

dahin entwässerte die Au lediglich<br />

dem Gefälle folgend in die Stör.<br />

Dies führte jedoch zu Komplikationen,<br />

sobald das Wasser in der<br />

Stör selbst hoch anstand und deshalb<br />

eine natürliche Entwässerung<br />

nicht möglich war. Um die Ländereien<br />

trotzdem schnellstmöglich<br />

vom Wasser befreien zu können,<br />

ohne den Wasserstand der Au<br />

wesentlich verändern zu müssen,<br />

konnte von nun an ergänzend in<br />

den Nord-Ostsee-Kanal gepumpt<br />

Abb. 5: Die zugefrorene<br />

Au im<br />

Winter 1925 in<br />

Achterhörn. Im<br />

Hintergrund das<br />

Gehöft der Familie<br />

Christiansen,<br />

heute Familie<br />

Hermann Beimgraben<br />

aus Averjleth.<br />

Die drei<br />

Wagemutigen auf<br />

dem Eis sind:<br />

Kathrin Christiansen,<br />

Berta Heutmann<br />

und<br />

Hermann Gustav<br />

Schliiter aus<br />

Hinter-Neuendorf


.~Ü ....................................................................................................................................................................................... .W..•. ! ,\!Y!~.:~.~ ..<br />

Abb. 6: Interessen­<br />

Mühle einiger<br />

Averjlether und<br />

Nortorfer Bauern<br />

am Sielhagener<br />

Weg in der<br />

Gemeinde Nortorf<br />

Hiermit wurde<br />

noch bis 1936<br />

Wasser gemahlen.<br />

werden. Dies verursacht natürlich<br />

Pumpkosten, weshalb, soweit es<br />

möglich ist, die natürliche Entwässerung<br />

in die Stör bevorzugt wird.<br />

Im Bedarfsfall kann jedoch auch das<br />

Schöpfwerkam Nord-Ostsee-Kanal<br />

zugeschaltet werden.<br />

In heutiger Zeit sind die Nutzungsansprüche<br />

ganz andere als noch vor<br />

100 Jahren. Beispielsweise ist der<br />

Transport von Gütern völlig weggefallen.<br />

Hingegen hat die Au weiterhin<br />

die Funktion als Hauptvorfluter.<br />

So entwässert sie ein Gebiet von<br />

rund 3.500 ha, welches in vier<br />

Sielverbände aufgeteilt ist, u. a. den<br />

Sielverband Neuendorf-Sachsenbande<br />

mit ca. 1.500 ha und den<br />

Sielverband Hackeboe mit knapp<br />

1000 ha Fläche.<br />

Daneben hat sich eine vollkommen<br />

neue Nutzungsform etabliert und<br />

zwar die freizeitliche Nutzung.<br />

Gemeint sind die Angler, Kanuten<br />

und Bootsfahrer. Seit etwa 3 Jahren<br />

werden regelmäßige Fahrten von<br />

der Schleuse Kasenort bis zur<br />

ehemaligen Gaststätte ,Dukunder'<br />

mit dem Fahrgastschiff ,Aukieker'<br />

angeboten, die sowohl von Touristen<br />

als auch Einheimischen genutzt<br />

werden.<br />

Auf Initiative des Fördervereins<br />

,Wilster-Au und Schleuse e. V.'<br />

wurde im letzten Jahr die nicht<br />

mehr funktionstüchtige Binnenschleuse<br />

von Kasenort für ein<br />

Gesamtvolumen von gut einer<br />

Million Mark saniert. Im Jahr 2000<br />

konnte sie wieder in Betrieb genommen<br />

werden.<br />

Spadelandbrief 1438<br />

Bei der Allerheiligenflut im Jahre<br />

1436 wurde die Wilstermarsch<br />

schwer verwüstet. Die größten<br />

Schäden waren durch das Eindringen<br />

der Sturmflut von der Stör her<br />

entstanden. Um sich vor der<br />

Wiederholung einer solchen Katastrophe<br />

zu schützen, berieten die<br />

Bauern des Kirchspiels Wilster zu<br />

beiden Seiten der Wilster-Au über<br />

Lösungsmöglichkeilen. Diese Beratungen<br />

mündeten in den Spadelandbrief<br />

von 1438, der die erste<br />

umfassende Regelung des Deichund<br />

Entwässerungswesens der<br />

Wilstermarsch beinhaltet. So sollte<br />

die Mündung der Wilster-Au überdeicht<br />

werden und schon in Kasenort<br />

sollten eine kleine und eine<br />

große Schleuse gebaut werden. An<br />

den Kosten wollten sich die Einwohner<br />

der Marsch nach Morgenzahl<br />

beteiligen. Dabei war ein<br />

Morgen gleich dem anderen, egal ob<br />

es sich um bestes Ackerland oder<br />

feuchte Weidengründe handelte.<br />

Ebenso wurden beide Seiten der Au<br />

zur Unterhaltung derselben und<br />

ihrer Deiche herangezogen. Die<br />

Audeiche reichten damals von<br />

Kasenort bis Diekende. Erst viel<br />

später sind diese Deiche aufwärts<br />

fortgeführt worden.


.Y9.N. P~~ .M.QW .!;: .. ~.V.M .. m:,~,t:


.~f.2 .................................... ..... ........... .... ............. .......................... .... Y9~ .. !:W!.~ .M.Ow,r .. ~.~!M .. ~~!i~I.~.~~ f.l. !.~~ .. S.Q .!~?. !'!'·wmt.~ .<br />

Abb. 8:<br />

Zwei Generationen<br />

von Wasserschöpfan/agen:<br />

Die sogenannte<br />

'Bockmühle' und<br />

ein Windmotor.<br />

Abb. 9: Die Achtkantmüh/e<br />

in<br />

Averjleth zu<br />

Beginn des<br />

20. Jahrhunderts.<br />

Der Entwässerungsgraben<br />

stellt<br />

die Verbindung<br />

von der Hackeboer<br />

Wettern zur<br />

Wilster-Au her.<br />

Der Hoflinks<br />

gehörte zu j ener<br />

Zeit dem Reichstagsabgeordneten<br />

Jakob Meiforth<br />

(1853-1936),<br />

heute der Familie<br />

Gerd Hachmann,<br />

Nortorf<br />

Gründung der Wilstermarsch Windmühlengilde,<br />

die im Gründungsjahr<br />

284 Entwässerungsmühlen versicherte.<br />

Jedoch nahm deren Zahl<br />

rasch ab, so dass sich die Gilde<br />

bereits 1929 wieder auflöste. In dem<br />

Jahr verschwand auch in der<br />

Gemeinde Neuendorf die letzte<br />

'Bockmühle'.<br />

Vielfach wurden die Mühlen durch<br />

stählerne Windmotoren ersetzt, die<br />

sich schon selbst nach dem Wind<br />

drehten. Mit dem Bau der Dampfschöpfwerke<br />

wurden jedoch auch<br />

diese überflüssig. Trotz der anfänglich<br />

erheblich höheren Kosten setzte<br />

sich die neuere Technik durch.<br />

Mittlerweile gibt es nur noch elektrisch<br />

betriebene Schöpfwerke.<br />

Gründe für den Siegeszug der Technik<br />

gab es mehrere: Zum einen<br />

konnten die Dampfschöpfwerke<br />

wetterunabhängig arbeiten, da sie<br />

nicht mehr auf den Wind angewiesen<br />

waren. Des Weiteren war ihr<br />

Betrieb mit wesentlich weniger<br />

Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden.<br />

Zudem arbeiteten sie wesentlich<br />

effektiver. Lehrer Peters<br />

schreibt in dem Zusammenhang:<br />

"Die Dampfentwässerung [Dampfschöpfwerk<br />

bei Averfleth] bewährt<br />

sich scheinbar gut. Nach Aussage<br />

der Einwohner ist das Land auf<br />

dieser Seite vom Klinkersteig [ehemaliger<br />

Fußsteig auf dem alten<br />

Damm von Hackeboe nach Vorder­<br />

Neuendorf] sonst immer stärker<br />

unter Wasser gewesen als auf der<br />

anderen Seite. In diesem fahr war es<br />

umgekehrt." ·10 Auch der Vorsteher<br />

der Hackeboer Wassergenossenschaft,<br />

Johannes Huusmann, hebt in<br />

seiner Jubiläumsschrift von 1938<br />

deren Erfolge hervor. So konnte<br />

dank der Kraftentwässerungsanlage<br />

dort Kultur- und Bauland geschaffen<br />

werden, wo zuvor Überschwemmungen<br />

keine Seltenheit waren;<br />

Wetterwälle wurden in Ackerland<br />

umgewandelt und zahlreiche Brücken<br />

über die Hackeboer Wettern<br />

konnten durch feste Dämme ersetzt<br />

werden.


.P.!!i .. O~~! !~~!IiS!:!~.?i':l. .. t:?~'.~ . .W.!.V.•:! :fl~M-':\~.~9.!!!~J.W.~~:m!~E~9. ..................................... ......................................................... ...... ~.<br />

Brodesender Ducht<br />

Abb. 10: Die alte<br />

Duchteinteilung<br />

nach Angaben von<br />

Hermann Beimgraben.<br />

Have Ducht<br />

DIE ÜRGANISATION<br />

DER <strong>WILSTER</strong>MARSCH­<br />

ENTWÄSSERUNG<br />

Da Teile der Marsch natürlich,<br />

andere hingegen künstlich entwässert<br />

werden, entwickelten sich<br />

zweierlei Organisationen. Nun mag<br />

manch einer sich vielleicht fragen:<br />

Welcher Orga nisation bedarf die<br />

natürliche Entwässerung, wo doch<br />

das Wasser dem Gesetz der Schwerkra<br />

ft folgt? Wie nebenstehend erläutert,<br />

wird auch bei einem künstlich<br />

angelegten Graben noch von natürlicher<br />

Entwässerung gesprochen,<br />

wenn er ein stetiges Gefälle aufweist.<br />

Als man nun begann die<br />

riesigen Ödländer zu kultivieren,<br />

musste ein Entwässerungssystem<br />

angelegt werden, welches den<br />

natürlichen Abfluss des Wassers<br />

gewährleistete. Diese Organisation<br />

übernahmen die Schleusenkommunen.<br />

Sie waren für den Bau und<br />

Erhalt der Schleusen und zugehörigen<br />

Wettern zuständig. 1470 wird<br />

Neuendorfer Ducht<br />

. .<br />

• ••<br />

. ,.•<br />

: ..<br />

Groß-Hackeboer Ducht<br />

in dem Zusammenhang erstmals<br />

eine Schleusenkommune erwähnt. 31<br />

Um die Schleusenkommunen besser<br />

verwalten zu können, wurden sie in<br />

Duchten untergliedert. Für unser<br />

Gebiet bestanden die nachfolgenden<br />

Duchten: Die Brodesender Ducht<br />

(verkürzt auch Erosinder Ducht<br />

genannt), die Achterhörner Ducht,<br />

die Averflether Ducht, die Have<br />

Ducht, die Neuendoder Ducht, die<br />

Nestducht, die Groß-Hackeboer<br />

Ducht sowie die Groß- und Klein­<br />

Sachsenbander Duchten. Jede Ducht<br />

stellte einen Geschworenen, der den<br />

Ältermann bei den halbjährlichen<br />

Schauen unterstützte. Bei diesen<br />

Schauen wurde beispielsweise<br />

kontrolliert, ob die WeLtern gereinigt<br />

wurden und sich in einem guten<br />

Zustand befanden. Des Weiteren<br />

gab es Gevollmächtigte und Achts­<br />

Ieule (Beisitzer). Ursprünglich war<br />

der Einfluss der Letztgenannten<br />

sehr groß, so dass man nur die<br />

erfahrensten und verständigsten<br />

Leute dafür aussuchte. Oberstes<br />

Organ der Schleusenkommune war<br />

Jn der Entwässerung<br />

wird zwischen<br />

natürlicher<br />

und künstlicher<br />

Entwässerung<br />

unterschieden. Bei<br />

der natürlichen<br />

Entwässerung<br />

folgt das Wasser<br />

einem Gefälle.<br />

Hierbei ist es<br />

unerheblich, ob es<br />

sich um einen<br />

Quellfluss handelt<br />

oder ob der<br />

Wassergraben von<br />

Menschenhand<br />

geschaffen wurde.<br />

Im Gegensatz dazu<br />

muss bei der<br />

künstlichen Entwässerung<br />

das<br />

Wasser ,künstlich'<br />

in einen Wasserlauf<br />

geschöpft<br />

werden, da hier<br />

das Gefälle für<br />

den natürlichen<br />

Abfluss nicht mehr<br />

ausreicht.


-~~................................................................................................... .P.!.1-'..Q!~~! :\~.I.~.. ~r!9.~ ..!?.~!~.. W.t. !~I!-i~.~-'- .\~~(.I. !.I.'.-Y!'.~~-Y~.').I.,~t.. ~.~!<br />

Die Windmotoren<br />

wurden 1876 in<br />

Amerika erfunden<br />

und seit 1890 in<br />

Europa nachgebaut.<br />

Somit sind<br />

sie keine Abkömmlinge<br />

der sogenannten<br />

'Bockmühlen '. Ein<br />

bedeutendes<br />

Unternehmen, das<br />

sich auf den Bau<br />

dieser Windräder<br />

spezialisiert hatte,<br />

war die Firma<br />

Köster in Heide. 46<br />

Sie wurden deshalb<br />

auch 'Köstermühlen<br />

'genannt.<br />

die Kommuneversammlung, zu der<br />

alle Mitglieder erscheinen mussten.<br />

Unentschuldigtes Fehlen zog in<br />

früherer Zeit empfindliche Strafen<br />

nach sich.<br />

Bei den Abstimmungen hatte jedes<br />

Mitglied nur eine Slimme, unabhängig<br />

von seinem Landbesitz innerhalb<br />

der Schleusenkommune. Die<br />

Lasten wurden hingegen auf die<br />

einzelnen Mitglieder entsprechend<br />

ihres Flächenanteils umgelegt.<br />

Dabei wurde ein ,Morgen' Land<br />

gleich dem anderen beh.andelt, d. h.<br />

die Höhe der Beiträge richtete sich<br />

nach der Größe der Fläche, ohne zu<br />

berücksichtigen, welchen Nu tzen<br />

derjenige aus der Entwässerung<br />

hatte. Die Gemeinde Neuendorf<br />

gehörte gleich zu zwei Schleusenkommunen<br />

und zwar zur Wil ster­<br />

Au-Schleusenkommune, die über<br />

die Wilster-Au und die Schleuse in<br />

Kasenort entwässert sowie zur<br />

Kasenorter Feldschleusenkommune.<br />

Mit fortschreitender Absenkung des<br />

Bodens gestaltete sich die natürliche<br />

Entwässerung jedoch immer<br />

schwieriger, so dass bereits im<br />

16. Jahrhundert die ersten Windwassermühlen<br />

errichtet wurden. Die<br />

anfänglichen Widerstände seitens<br />

der Schleusenkommunen schwanden<br />

angesichts der Notwenigkeil<br />

einer künstlichen Entwässerung.<br />

Zunächst bedurfte es hierfür noch<br />

keiner speziellen Organisation,<br />

konnte sich doch bei Bedarf jeder<br />

Landbesitzer seine eigene Mühle<br />

aufstellen. In niedrigen Gegenden<br />

der Marsch entbrannte jedoch in<br />

Zeiten großen Wasserandrangs ein<br />

regelrechter Wettkampf, um möglichst<br />

die eigenen Flächen zuerst<br />

von der Wasserlast zu befreien.<br />

Deshalb wurden die ersten Vereinbarungen<br />

notwendig. Diese beschränkten<br />

sich zunächst darauf,<br />

dass die Windwassermühlen vor<br />

einem bestimmten Termin nicht in<br />

Bewegung gesetzt werden durften.<br />

Die nächste Vereinbarung regelte,<br />

bis zu welcher Höhe das Wasser in<br />

den Wettern ansteigen durfte. Dazu<br />

wurden in den Wettern sogenannte<br />

Flutpfähle angebracht, die genau<br />

einnivelliert und von Zeit zu Zeit<br />

auf ihre Richtigkeit geprüft wurden.<br />

Die Flutpfahlmüller, das waren<br />

diejenigen Mühlenbesitzer, deren<br />

Mühle von allen Seiten gut sichtbar<br />

war, drehten als Zeichen, dass das<br />

Ma hlen eingestellt werden musste,<br />

die Flügel so, dass ein Flügel senkrecht<br />

in die Höhe ragte. Zudem<br />

wurde von diesem Flügel das Segel<br />

herunter gemacht. Befolgte einer der<br />

anderen Mühlenbesitzer diese Vereinbarung<br />

nicht bzw. zu spät, wurde<br />

dieser hart bestraft.<br />

Schon bald reichten die einzelnen<br />

Windwassermühlen nicht mehr a us<br />

und so schlossen sich die Mühlenbesitzer<br />

zusammen und bauten<br />

größere Entlastungsmühlen, die<br />

sogenannten Pu mpmühlen oder<br />

Achtkantmühlen, welche das<br />

Wasser der Kleinmühlen (Vierkantmühlen)<br />

nochmals erfasste n, um es<br />

in die höher gelegenen Wellern zu<br />

schöpfen.<br />

Mit Aufkommen der neueren Technik<br />

entstanden die Entwässerungsgenossenschaften,<br />

die gemeinsam<br />

ein Dampfschöpfwerk oder ein elektrisches<br />

Schöpfwerk betrieben.<br />

Diese Genossenschaften orientierten<br />

sich entgegen den bisherigen Entwässerungsorganisationen<br />

am Leistungsprinzip,<br />

d. h. derjenige, dem<br />

das Schöpfwerk den größten Nutzen<br />

brachte, halte auch die meisten<br />

Lasten zu tragen. Zum Ausgleich<br />

dafür hatte seine Stimme bei Entscheidungsprozessen<br />

aber auch<br />

entsprechendes Gewicht. Bereits


. P.!t .P.~~!,) .~,,~M:!Q;~ ... q~.~ . .W. ,J .5I!\~M.M~.~.~ . ,. !!~ );J.W.;\~~'' ·'·~E~~ ... ..... ............................................................................................ '?.e1.<br />

Wasser- und Bodenverband<br />

Vaalermoor<br />

,~,1<br />

" / ...... ....._ 1,_ 'i<br />

. ,__ , ..... ...... ...... ....._<br />

Sielverband<br />

~~<br />

Neuendort-Sachsenbande ' \<br />

\<br />

\<br />

\<br />

\<br />

Sielverband \<br />

Hackeboe<br />

\<br />

' ' '<br />

Abb. II: Drei<br />

Entwässerungsverbände<br />

sind fiir die<br />

Entwässerung des<br />

Gemeindegebietes<br />

zuständig.<br />

1906 wurde die ,Neuendorf­<br />

Sachsenbander Ent- und Bewässerungsgenossenschaff<br />

gegründet und<br />

das dazugehörige Dampfschöpfwerk<br />

in Averfleth gebaut. 1913 folgte mit<br />

einem Schöpfwerk nahe der Vereinsslraße<br />

die ,Genossenschaft zur<br />

künstlichen Entwässerung der<br />

Hackeboer und Alte-Wilster-Niederung'.<br />

Zusammen entwässerten sie<br />

mit über 2.000 ha das gesamte<br />

Gebiet der Gemeinde Sachsenbande,<br />

weile Teile der Gemeinde<br />

Neuendorf und Teilbere iche der<br />

Stadt Wilster.<br />

Nachdem 1937 die Erste Wasserverbandsverordnung<br />

erlassen wurde,<br />

stellte der Kreisbaudirektor Könecke<br />

1941 e inen Gesamtplan für die<br />

Wilstermarsch auf, der die wasserwirtschaftliche<br />

und organisatorische<br />

Entwässerungssituation vereinheitli<br />

chte. Dazu wurden zum 1. April<br />

1942 die 38 bestehenden Deichund<br />

Entwässerungsverbände der<br />

Wilslermarsch aufgelöst, um einen<br />

De ich- und Hauptsielverband<br />

Wilstermarsch mit Unterverbänden<br />

zu gründen. Betroffen von dieser<br />

Verfügung waren sowohl die örtlichen<br />

Schleusenkommunen als<br />

auc h die hiesigen Entwässerungsgenossensch<br />

aften. Deren Aufgaben<br />

wurden von den neu gebildeten<br />

Sielverbänden übernommen. Seitdem<br />

gibt es h ier den Sielverband<br />

Neuendor~Sac h senbande , der<br />

gebietsmäßig weitgehend mit der<br />

bisherigen Neuendorf-Sachsenbander<br />

Ent- und Bewässerungsgenossenschaft<br />

übereinstimmt und<br />

den Sielverband Hackeboe, der sich<br />

ebenfalls annähernd an den bisherigen<br />

Grenzen orientierte.<br />

Diese Sielverbände sind weiter<br />

untergliedert in verschiedene Duchten.<br />

Die Größe und Anzahl der<br />

Duchten ergibt sich in der Regel aus<br />

den einzelnen Ortsteilen des Verbandsgebietes.<br />

So ist Hackeboe in 4<br />

Duchten (Groß Hackeboe, Klein<br />

Hackeboe, Nest und Bischof) 32<br />

untergliedert und Neuendorf-Sachsenbande<br />

in 5 (Vorder-Neuendorf,<br />

Hinter-Neuendorf, Sachsenbande,


-~i)................................................................................................... P.!!.~. Q~~!t\~.•.5 .. ~D.~~;~ .. P.J.~ .. W..t !,~'.l:r.t~~-1 ~\~~r.•. ! -~-~ :n~ :\~!5.1,_!{~..:-;.~ ! .<br />

Abb. 12: Schöpf:<br />

Werkswärter­<br />

Ehepaar<br />

Margarethe und<br />

Johann Kramhöft<br />

vor dem Dampl<br />

schöpfwerk in<br />

Averjleth im Jahre<br />

1925.<br />

Averfleth und Achterhörn). Wie<br />

schon bei den Duchten der<br />

Schleu senkommunen entsendet<br />

jede Ducht ein Mitglied in den<br />

Vorsland und wählt zu sätzlich, je<br />

nach Größe, 1 bis 2 Mitgli eder in<br />

den Ausschuss.<br />

Auch hinsichtlich der Aufgaben hat<br />

sich nichts verändert. Weiterhin<br />

werden die Gewässer und ihre Ufer<br />

jährlich auf ihren ordnungsgemäßen<br />

Zu stand überprüft. Dies geschieht<br />

mittels der Schauen, die im<br />

Anschluss an die herbstliche<br />

Grabenreinigung durchgeführt<br />

werden. Die Angelegenheiten des<br />

Hochwasserschutzes regelt der<br />

Hauptverband. Vorsteh er des Deichund<br />

Hauptsielverbandes isl der<br />

Oberdeichgraf, der von der Deichversammlung<br />

auf 5 Jahre gewählt<br />

wird. Die Deichversammlung setzt<br />

sich aus den Vorstehern der einzelnen<br />

Sielverbände und einem Vertreter<br />

der Stadt Wilster zusammen. 31<br />

Sielverband<br />

Neuendor~Sachsenbande<br />

Mit Gründung der Neuendorf-Sachsenbander<br />

Ent- und Bewässerungsgenossenschaft<br />

im Juni 1906 wurde<br />

das Ende der knapp 50 Windwassermühlen<br />

eingeleitet, die bis dahin<br />

das 1.400 ha große Gebiet entwässert<br />

hatten. Auslöser war e in<br />

Gewitter im vorangegangenen Jahr,<br />

bei dem die Achtkantmühle in<br />

Averfleth abbrannte. Bei diesem<br />

Feuer soll sich die Bremse gelöst<br />

und die brennende Mühle in Bewegung<br />

gesetzt haben. So erzählte<br />

es zumindest der Großvater von<br />

Hermann Beimgraben.<br />

An der Gründungsversammlung<br />

beteiligten sich 83 Mitglieder. Zum<br />

Vorsteher wurde der Hofbesitzer<br />

Henning Rehder aus Averfl eth<br />

gewählt. Des Weiteren war jedes<br />

Dorf mit einem Beisitzer im Vorstand<br />

vertreten. Für eventuelle


~-~n~' -'m.~:'!-.P ... N!J . .L~J!_q_t~l :§.~< , !.I.~D.l!~::"!.t.?!: ............................................ ..... .... ...................................................... .. ................... ?.li..<br />

Abb. 13: Das<br />

Hauptschöpfwerk<br />

in Ave1jleth im<br />

Sommer 2000.<br />

Streitigke iten wurden 4 Schiedsrichter<br />

aus den Nachbargemeinden<br />

bestimmt.<br />

Der Bau des Dampfschöpfwerkes<br />

wu rde von Gustav Karslens so<br />

anscha ulich beschrieben, dass seine<br />

Erläuterungen an dieser Stelle<br />

wiedergegeben werden sollen: Im<br />

Herbst 1906 wurde die 4 m tiefe<br />

Baugrube für die Maschinenanlage<br />

am Aueleich ausgeschachtet und mi t<br />

130 Pfählen a 15 m Länge ausgerammt<br />

Im zeitigen Frühjahr 1907<br />

gingen die Arbeiten mit Hochdruc k<br />

weiter. Das Kesselhaus für 2 Dampfkessel<br />

von je 4 0 PS Stärke wurde<br />

erstellt, des Weiteren ein Kohlenschuppen,<br />

ein Maschinen- und<br />

Pumpenhaus sowie eine Dynamoa<br />

nlage zur Stromerzeugung für das<br />

Licht und die Kraftanlage des<br />

Zubringerschöpfwerkes in Krützfl<br />

eth. Ei ne Arbeit besonderer Art<br />

war der Anlransport der wohl 15 m<br />

langen und über 2 m hohen Heizkessel<br />

über den Fe ldweg vom<br />

,Dückersti eg' zum Pumpenha us.<br />

Über drei Tage brauchte man für die<br />

ca. 2 km lange Strecke, da es nur<br />

Schritt für Schrill vorwärts ging.<br />

Gleichzeitig wurde der Ausbau der<br />

En t wässcru ngsgräben vora ngetrieben.<br />

Ocr HauptvorAutor musste<br />

völlig neu gegraben werden. Dazu<br />

waren Fremdarbeiter aus Ga lizien<br />

a ngeworben worden, die in einer<br />

großen Baracke mit Schlafräumen,<br />

Essraum und Kantine untergebracht<br />

waren. Mit dem Grabenaushub, der<br />

überwiegend aus Dark 14 und Moorerde<br />

bestand, wurden zunächst die<br />

Mergelkuhlen verfüllt. Der Rest<br />

wurde auf e iner Weideparzelle<br />

ausgebracht, die zu diesem Zweck<br />

von Andreas Beimgraben erworben<br />

wurde. In den Hauptgräben erfolgte<br />

der Transport auf Feldbahngleisen<br />

mit Loren, die von Dampfloks gezogen<br />

wurden.<br />

Zuletzt wurde das Zubringwerk fü r<br />

die ca. 300 ha besonders niedrig<br />

gelegenen Ländereien am Krützflether<br />

Weg gebaut. Es wurde mit<br />

einer Unterwasser-Thrbinenpumpe<br />

ausgestaltet, die in der Lage war, bis<br />

zu 300 I in der Sekunde zu pumpen.<br />

Der Antrieb erfolgte durch<br />

einen Elektro-Motor von 40 PS. Den<br />

Strom hierfür erzeugte das Haupt-<br />

'Mergeln' ist das<br />

Herausholen des<br />

einst im Flussbett<br />

abgelagerten<br />

Kleis, um diesen<br />

auf den Ländern<br />

zu verteilen und so<br />

zur Verbesserung<br />

der Ländereien<br />

beizutragen. 47


-~· - · · · ··· · · · · · · · · · · · ···· · · · · · · · · ········· · · · ·· · · · ······························· · ································ · ···············$~.m,YJ:'.'mi~N.J..? .. N.~\V~~-\Iim~~-'-'.:Si.\q!.~.l:\~.~-~!'i !?.f:.<br />

Die Länge der<br />

Verbandsvorfluter<br />

im Sielverband<br />

Neuendorf-Sachsenbande<br />

beträgt<br />

über 33 km, genau<br />

33.125 Meter.<br />

pumpwerk an der Au.<br />

Im Herbst 1907 kam der große<br />

Augenblick, als die Kessel unter<br />

Druck gesetzt wurden. Zwei Überwasser-Turbinen-Pumpen<br />

mit je<br />

800 Liter pro Sekunde Leistung<br />

drückten das Wasser in die Wilster­<br />

Au. Der Kohlenverbrauch lag bei<br />

etwa 5 Tonnen je Kessel täglich. Die<br />

Kosten für dieses Großprojekt beliefen<br />

sich auf 313.000 Mark.<br />

1945 wurde das Hauptwerk auf<br />

elektrischen Betrieb umgestellt. Der<br />

Kamin blieb zunächst noch stehen,<br />

wurde dann aber wegen möglich er<br />

Einsturzgefahr abgebrochen. Wegen<br />

Altersschwäche wurde bereits 1952<br />

der Neubau des Hauptwerkes beim<br />

Hauptsielverband beantragt. Hiermit<br />

konnte jedoch erst 1959 begonnen<br />

werden. Nach dessen Fertigstellung<br />

wurde alsdann das alte Hauptschöpfwerk<br />

und ehemalige Dampfschöpfwerk<br />

abgebrochen. Das<br />

Wohnhaus des Schöpfwerkswärters<br />

ist hingegen noch vorhanden. Zur<br />

Zeit wohnt hier die Familie Voß, die<br />

gleichzeitig das Schöpfwerk betreut.<br />

Zwischenzeitlich war 1956/57<br />

schon mal das Zubringerschöpfwerk<br />

in Krützfleth für 25.000 DM er-<br />

Verbands- bzw. Genossenschaftsvorsteher<br />

des Sielverbandes<br />

Sachsenbande-Neuendorf<br />

....................................................................................<br />

Dauer Vorsteher<br />

1906 - 1916 Henning Rehder<br />

1916- 1920 Jürgen Blöcken<br />

1920 - 1923 Heinrich Voß<br />

1923 - 1945 Gusrav Huusmann<br />

1945 - 1950 Johann Hanndorf<br />

1950 - 1956 erneut G. Huusmann<br />

(Ehrenvorsitzender)<br />

1956- 1970 Gusrav Karsrens<br />

(Ehrenvorsitzender)<br />

1970- 1992 Heinz Heeckt<br />

1992 - 2000 Hans-J. Karsrens<br />

2000 - Peter B ~ imgraben<br />

neuert worden. Die Kosten hierfür<br />

wurden von den Mitgliedern selbst<br />

aufgebracht, da dieses Schöpfwerk<br />

in der Rahmenplanung nicht vorgesehen<br />

war. Anfang der 60er Jahre<br />

wurde ei n weiteres Schöpfwerk in<br />

Achterhörn errichtet.<br />

Aufgaben eines Schöpfwerkswärters<br />

Andreas Beimgraben aus Averfleth<br />

war im ersten Jahr der Maschinenmeister<br />

des Averflether Dampfschöpfwerkes.<br />

In den privaten<br />

Sammlungen seines Enkels Hermann<br />

Beimgraben befindet sich<br />

eine Abschrift des Anstellungsvertrages.<br />

Im folgenden werden die<br />

Vertragsbedingungen in Auszügen<br />

wiedergegeben: "Der Maschinenmeister<br />

muß unter allen Umständen<br />

völlig nüchtern, solide und durchaus<br />

zuverlässig sein und hat den Anordnungen<br />

des Genossenschaftsvorstehers<br />

und der Aufsichtsbehörde<br />

unbedingt folge z u leisten . ...<br />

Das Gehalt, welches vorläufig auf<br />

monatlich 70 Mark festgesetzt ist,<br />

soll monatlich postnumerando<br />

[nachträglich] durch die Genassenschaftskasse<br />

gezahlt werden.<br />

Der anzustellende Maschinenmeister<br />

hat vom Beginn der Monlage der<br />

Kessel und Maschinen mit dabei zu<br />

sein und sich vom Monteur die<br />

Zusammensetzung, den Zweck und<br />

die Funktionen der einzelnen<br />

Maschinenteile erklären zu lassen,<br />

damit er später iiber den Gang des<br />

Schöpfwerkes in allen Teilen unterrichtet<br />

ist. Fiir diese Zeit sollen ihm<br />

2 Mark pro Tag gewährt werden.<br />

Der Maschinenmeister hat die im<br />

Kesselhause ausgehängten Vorschriften<br />

fi.ir Kesselwärter genau zu beachten<br />

und Unbeikommenden<br />

[Unbefugten] den Zutritt z um<br />

Schöpfwerk zu verweigern.


.S.!! : D .f~~:~\!?.. N'"!..tl").!?g.~f: 7S. .. ~q.I.~~~.!tt~ .r.?~................................................................................................................................'W.<br />

Die Interessen der Genossenschaft in<br />

Bezug auf Kohlenverbrauch und<br />

möglichste Ersparniß des Schmiermalerials<br />

sind in jeder Weise wahrzunehmen<br />

und die<br />

Maschinenanlagen im tadellos sauberem<br />

Zustande zu erhalten.<br />

Mit dem Betrieb der Maschinen soll<br />

sich nach der jeweiligen Wasserzuführung<br />

der Gräben gerichtel werden<br />

und hat der Maschinenmeister nach<br />

jedem stärkeren Niederschlag sich<br />

nach dem Wasserslande in den<br />

Gräben, sowie in der Niederung vor<br />

dem Nebenschöpfwerk zu überzeugen,<br />

ob eine oder beide<br />

Maschinen in Betrieb gesetzt werden<br />

müssen.<br />

In der Regel soll nur eine Maschine<br />

in Betrieb sein. Es soll aber beim<br />

Pumpen mit einer Maschine mit den<br />

Anlagen gerechnet werden und zwar<br />

so, daß, wenn eine Maschine und<br />

der z ugehörige Kessel einige Zeit<br />

gearbeitet haben und einige Tage<br />

ausgesetzt werden kann, alsdann die<br />

andere Anlage in Tätigkeit tritt,<br />

damit man stets davon überzeugt ist,<br />

daß beide Anlagen funktionieren.<br />

Vor Beginn des Pumpens sind die<br />

Verschlußklappen vor dem Druckrohre<br />

so hoch zu heben, daß der<br />

Rohrquerschnitt frei ist und der<br />

Rohrabfluß nicht gehindert wird. Die<br />

Krautgitter sind stets frei zu halten.<br />

Es ist so lange zu pumpen bis ein<br />

noch anzubringendes Markzeichen<br />

erreicht ist, welches auch nach<br />

Ausschaltung der Pumpen nicht<br />

unter \1\bsser kommen darf ...<br />

Der Maschinenmeister hat ein Register<br />

zu führen, darüber, wie viele<br />

Stunden im fahr gepumpt wird, die<br />

Formulare hierzu werden ihm geliefert.<br />

a) Der Außenwassersland der<br />

Wilsteraue.<br />

b) Binnenwasserstand vor dem<br />

Abb. 14: Innenraum<br />

der Pumpe<br />

in Avetfleth.


.W ...... ........................... ............ .................... .. .... ............................................. ~H; ! ,X!5.~f~:~.N.P .. N.m .rr~.I.N ~I:~.M.:_l. !.~.t~.'-~·~;SQ !;.<br />

Schöpfwerk von Zeit zu Zeit und am<br />

Schlusse des Pumpens, bei größeren<br />

Schwankungen in jeder Stunde. (:Die<br />

Wasserstände sind an anzubringende<br />

Pegel abzulesen:]<br />

c] Der Kohlenverbrauch bei jedesmaligem<br />

Pumpen<br />

dj Wann die elektrische Anlage in<br />

Betrieb und wann dieselbe außer<br />

Betrieb gesetzt worden ist.<br />

Der Maschinenmeister hat den Gang<br />

der Maschinen stets aufs Sorgfältigste<br />

zu überwachen und kleinere<br />

Reparaturen selbst vorzunehmen." 35<br />

Dieser Vereinbarung, die abschnittsweise<br />

sogar Arbeitsanleitungen<br />

enthält, stehen heutzutage standardisierte<br />

Dienstverträge gegenüber,<br />

die allgemein die Pflege und Wartung<br />

des jeweiligen Schöpfwerkes<br />

regeln. Ausdrücklich erwähnt wird<br />

lediglich die Treibseibeseitigung<br />

und Dokumentation der Betriebsstunden<br />

und Pegelstände.<br />

s<br />

ielverband Hackeboe<br />

In einer Festrede anlässlich des<br />

25-jährigen Bestehens der Hackeboer<br />

Genossenschaft hat der damalige<br />

Genossenschaftsvorsteher<br />

Johannes Huusmann aus Wilster<br />

1938 ihre Entstehungsgeschichte<br />

anband von Protokollen sowie<br />

eigenen Erinnerungen niedergeschrieben.<br />

Demnach wurde auf sein<br />

Betreiben hin - inspiriert durch die<br />

Wassergenossenschaft Sachsenbande-Neuendorf<br />

- im November<br />

1913 die erste Mitgliederversammlung<br />

einberufen, um über den<br />

Bau einer Kraftentwässerungsanlage<br />

zu beschließen. Da jedoch die kalkulierten<br />

Kosten, die auf die einzelnen<br />

Mitglieder zukommen sollten,<br />

als zu hoch erachtet wurden, ist die<br />

Entscheidung zunächst verschoben<br />

worden. In der Zwischenzeit<br />

bemühte sich der Vorsland um eine<br />

Erhöhung der Beihilfen. Das Kanalbauamt<br />

in Brunsbüttelkoog hatte<br />

damals die Verlegung der Marschbahn<br />

auszuarbeiten. Mit der Durchführung<br />

einer genossenschaftlichen<br />

Kraftentwässerungsanlage entstanden<br />

der Kanalverwallung erhebliche<br />

Ersparnisse und Vorteile durch den<br />

Wegfall von zwei Brücken über die<br />

Hackeboer Wettern und verschiedenen<br />

Durchlässen durch den neu<br />

anzulegenden Bahnkörper. In einer<br />

Absprache wurde auf die vorgenannten<br />

Bauwerke verzichtet, wofür<br />

das Kanalbauamt im Gegenzug<br />

70.000 Reichsmark Beihilfe zusicherte.<br />

Unter diesen Vorgaben<br />

stimmten die Mitglieder auf einer<br />

zweiten Versammlung am 4. Fe bruar<br />

1914 für den Bau der Anlage.<br />

Sogleich wurde mit den praktischen<br />

Arbeiten begonnen. Zuerst wurden<br />

die Hauplabzugs- und Nebengräben<br />

in einer Länge von 9.205 Metern<br />

ausgehoben. Für das große Schöpfwerk<br />

nahe der Vereinsstraße wurde<br />

ein 75 PS starker Dieselmotor ausgewählt,<br />

um die Kreiselpumpe mit<br />

einer Leistung von 10.000 Liter<br />

Wasser pro Sekunde anzutreiben.<br />

Diese konnte im Frühjahr 1915 in<br />

Betrieb gesetzt werden. In Vorder­<br />

Neuendorf war ein elektrisches<br />

Nebenwerk vorgesehen, welches<br />

vom Hauptwerk aus belrieben werden<br />

sollte. Da mitten in die Bauarbeiten<br />

die Mobilmachung für den<br />

1. Weltkrieg fiel und das Kupfer der<br />

elektrischen Zuleitung beschlagnahmt<br />

wurde, konnte dieses Nebenwerk<br />

nicht in Betrieb genommen<br />

werden. Deshalb wurde es durch<br />

einen Windmotor ersetzt, der später<br />

zur Windturbine umgebaut wurde.<br />

Die Kosten für die gesamte Anlage


.S•t•' r.~~ .. \:'-.!? .. H\~ , ~f~.q.r .................................................................................................................................................................. Jil.<br />

beliefen sich auf 22 0.000 Reichsmark,<br />

dene n Beihilfen seitens des<br />

Kanalbauamtes, des Kreises und des<br />

Staates von 90.000 Reichsmark<br />

gegenüberstanden.<br />

Vor Gründung der Genossenschaft<br />

standen hier knapp 30 Windwassermühlen.<br />

Die Hackeboer Niederung<br />

entwässerte damals noch über die<br />

Hackeboer Wettern in die Stör. Die<br />

Alte-Wilster-Niederung nutzte die<br />

abgetrennte Auschleife, um am<br />

Südwestende des Rumflether­<br />

Deiches durch einen sogenannten<br />

Dü cker in die Wilster-Au zu entwässern.<br />

1926 wurde zusätzlich ein Deutzer<br />

Dieselmotor von 60 PS mit einer<br />

Vakuumpumpe der Firma Wolf als<br />

Reserveanlage in das Hauptschöpfwerk<br />

eingebaut. Schon 1941 wurde<br />

laut dem Protokollbuch des Sielverbandes<br />

der Betrieb auf elektrischen<br />

Strom umgestell t. 1952 musste d ie<br />

Wi ndturbine in Yarder-Neuendarf<br />

ersetzt werden, da sie nicht mehr<br />

genügend Leistung erbrachte, um<br />

di e 85 ha nördlich der Hackeboer<br />

Wettern zu entwässern . Die Höfe<br />

Rohwedder und Balls in Vorder-<br />

Neuendorf entwässerten zwischenzeitli<br />

ch über den Sielverband<br />

Neuendorf-Sachsenbande. 36 Anstelle<br />

der Windturbine wurde auf deren<br />

Sockel das kleine Zubringerschöpfwerk<br />

errich tet, welches mit einer<br />

Pumpe der Firma Köster ausgestattet<br />

is t. Die Kosten für di esen Umbau<br />

betrugen 7.800 DM.<br />

1961 wurde eine der Pumpen im<br />

Hauptschöpfwerk zum Preis von<br />

20.245 DM ausgetauscht. Im Jahr<br />

1999 wurde für eine drille Pumpe<br />

mit einer Leistung von 500 Liter pro<br />

Sekunde ein Extrabauwerk neben<br />

dem Hauptschöpfwerk errichtet.<br />

Hierfür mussten 100.000 DM aufgewendet<br />

werden. Zukünftige Planungen<br />

sehen die Sanierung des<br />

Hauptschöpfwerkes vor, da sich das<br />

Gebäude in einem schlechten baulichen<br />

Zustand befindet.<br />

Mit der Rahmenplanung von 1953<br />

wurde dem Sielverband Hackeboe<br />

noch das Gebiet Bischof - welches<br />

bi s dahin dem Sielverband Moorhusen-Stördorf-Honigfl<br />

eth angehörte<br />

-angeschlossen, da beide Gebiete<br />

auf die Wilster-Au pumpten und<br />

somit eine Interessengemeinschaft<br />

Abb. 15: Festsitzung<br />

anläßtich des<br />

25-jährigen Jubiläums<br />

der Entwässerungsgenossenschaft<br />

Hackeboe<br />

am 13. November<br />

1938. Die Feier<br />

f and in Wilster, in<br />

der Gastwirtschaji<br />

'Zur Linde' (/nh.<br />

Peter Brand!}<br />

statt.<br />

Diese Gastwirtschaft<br />

existiert<br />

nicht mehr; heute<br />

befindet sich an<br />

der Stelle das<br />

Amtsgebäude des<br />

Amtes Wilstermarsch.


io)"?)<br />

.~ .................................................................................................................................................................. S.Q\l.~,;:~~P. .. l:JA~~.~Q~.<br />

Abb. 16: Der alte<br />

Motor (DEUT­<br />

ZER; 60-PS­<br />

Dieselmotorenanlage<br />

mit einer<br />

Leistung von 3/4<br />

m 3 /s) im Hauptschöpfwerk<br />

des<br />

Hackeboer Sielverbandes<br />

wurde<br />

seit Ende des<br />

2. Weltkrieges<br />

nicht mehr betrieben.<br />

Jedoch erst<br />

kürzlich (Mitte der<br />

90er Jahre) wurde<br />

er verkauft.<br />

bildeten. Damit vergrößerte sich das<br />

Gebiet von ehemals 800 Hektar auf<br />

etwa 970 ha. Im Zuge der Bauarbeiten<br />

zur Umgehungsstraße Wilster<br />

im Jahre 1974 musste jedoch die<br />

Entwässerung in der Bisehafer<br />

Ducht geändert werden. Deshalb<br />

wurde ein neues Schöpfwerk mit<br />

zwei Pumpen (Leistung insgesamt<br />

200 Liter pro Sekunde) erstellt,<br />

welches nun zwar auf die Moorhusener<br />

Feldwettern pumpte, dennoch<br />

weiterhin zum Sielverband<br />

Hackeboe gehörte.<br />

Da auch Teilbereiche der Stadt<br />

Wilster über diesen Verband entwässern,<br />

bildet er mit seinen 824<br />

Mitgliedern den mitgliederstärksten<br />

Verband des Deich- und Hauptsielverbandes<br />

Wilstermarsch. 37<br />

Verbands- bzw. Genossenschaftsvorsteher des<br />

Sielverbandes Hackeboe 38<br />

Dauer<br />

1913- 1945<br />

1945- 1949<br />

1950- 1977<br />

1977- 1986<br />

1986- 2000<br />

2000-<br />

Vorsteher<br />

Johannes Huusmann, Wilster<br />

Richard Brandt, Goldbogen<br />

Hans-Max Reese, Hackeboe<br />

Heinrich Auhage sen., Landrecht<br />

Gerd Rohwedder, Vorder-Neuendorf<br />

Heinrich Auha e 'un., Landrecht<br />

IIACKEBOER<br />

WETTERN<br />

Im Zusammenhang mit dem Spadelandbrief<br />

ist auf der ,Alten Seite' die<br />

Einrichtung eines Wasserganges von<br />

Kasenort bis Brodesende mit eigener<br />

Schleuse in die Stör angeordnet<br />

worden, "damit der schlechteste<br />

Acker mit dem guten entwässern<br />

könne, und alles Woltwasser wehren,<br />

nach Morgenzahl" 39 • Damit kann nur<br />

die Anlage der Hackeboer Wettern<br />

gemeint sein, die nah beim Moordeich<br />

begann und neben dem linken<br />

Auufer herlief. Dies lässt die<br />

Annahme zu, dass sich bereits im<br />

15. Jahrhundert ein Großteil der<br />

umliegenden Ländereien unterhalb<br />

des Wasserspiegels der Wilster-Au<br />

befanden, weshalb eine natürliche<br />

Entwässerung in selbige nur noch<br />

wenigen möglich war.<br />

Ihre Anlage ermöglichte den Ausbau<br />

weiter Teile des Gemeindegebietes,<br />

insbesondere Vorder- und<br />

Hinter-Neuendorf. Nach weiteren<br />

Sackungen musste jedoch auch hier<br />

eine Eindeichung erfolgen und das<br />

Wasser mittels Mühlen in die höhere<br />

Wettern gehoben werden. 40


....................................................................................................................................................................................................................<br />

H.\C KEßOE.R WElTER'\<br />

-;~':'l<br />

~.<br />

Kurz vor ihrem Einlauf in die Stör<br />

fließt die Hackeboer Wettern mit der<br />

Moorhusener und der Steindammer<br />

(früher Honigflether) Weltern<br />

zusammen.<br />

Mit Gründung der Entwässerungsgenossenschaften<br />

hatte diese<br />

Wettern jedoch weitestgehend ihre<br />

Funktion eingebüßt. Mit Beschluss<br />

der Gemeindevertretung vom<br />

27. März 1908 wurde deshalb die<br />

Wetternstrecke vom Dücker in<br />

Hackeboe bis Achterhörn als öffentliches<br />

Gewässer aufgehoben und<br />

zumeist zugeschüttet.<br />

A bb. 17: Skizze<br />

der Hackeboer<br />

Wettern von<br />

August Haack aus<br />

dem Jahre 1915.


.~ ........................................................................................................................................................................................ ft.Q.~UW!\.5.~.~-R .<br />

Abb. 18: Seite an<br />

Seite standen einst<br />

die sogenannten<br />

'Bockmühlen ' an<br />

der Hackeboer<br />

Wettern.<br />

HOCHWASSER<br />

Dass Entwässerungsmaßnahmen<br />

zum Erhalt der Wilstermarsch unerlässlich<br />

sind, verdeutlichen Berichte<br />

von Überschwemmungen des letzten<br />

Jahrhunderts. Beispielsweise<br />

hatte der Lehrer Rüllmann in der<br />

Schulchronik Vorder-Neuendorf am<br />

16. Januar 1916 folgendes festgehalten:<br />

"Nun kommt in diesem Winter eine<br />

große Überschwemmung der Ländereien<br />

hinzu. Die Leute wissen sich<br />

nicht zu erinnern , daß hier je soviel<br />

Wasser gewesen ist. Und dabei hat<br />

zum großen Glück unsere liebe<br />

Gemeinde noch verhältnismäßig<br />

wenig zu leiden. Viel m ehr leiden die<br />

Einwohner in Sachsenbande, Vaalermoor<br />

(Königsmoor, Stadtmoor). Seit<br />

ungefähr 6 Wochen läuft das Wasser<br />

stellenweise ununterbrochen über<br />

die Straße in Sachsenbande. In<br />

Vaalermoor kann die Straße stellenweise<br />

nicht befahren werden. Fast<br />

ausschließlich ist das Wasser in<br />

Vaalermoor in die Häuser gedrungen.<br />

Der Verkehr geschieht auf Kähnen.<br />

Viel Vieh steht andauernd im<br />

Wasser. Sehr viel Vieh ist rechtzeitig<br />

in Sicherheil gebracht. Einige Häuser<br />

mussten verlassen werden. Die<br />

Gehöfte der Witwen des gefallenen<br />

Kriegers Reese, Voß und Roßmann,<br />

Sachsenbande, bilden richtige Wasserburgen.<br />

Die Ursachen sind viele.<br />

Zunächst können wir außergewöhnliche<br />

Niederschläge verzeichnen.<br />

Dann haben wir andauernden Westwind,<br />

sodaß das Wasser in der Stör<br />

und der Eibe immer hoch steht und<br />

darum die Au nicht abwässern kann.<br />

Dazu kommt noch ein Drittes. In<br />

Friedenszeiten wurde viel Wasser<br />

Vaalermoors in den Kanal geleitet.<br />

Der ließ das Wasser dann durch<br />

Öffnen der Schleusen in die Eibe


.HQ.f,I.!:W~~~mt ............................................................................................................................................................................. .......... ~.<br />

abfließen. jetzt in der Kriegszeit muß<br />

aber der Kanal immer seinen<br />

Höchststand bewahren, und es darf<br />

nichts hineingeleitet werden. Dieses<br />

Hochwasser ist natürlich ein sehr<br />

bedauernswerter Zustand, dem erst<br />

abgeholfen wird, wenn die Niederschläge<br />

nachlassen und wir anderen<br />

WI'nd bekommen."<br />

Bereits 2 Jahre später wurde diese<br />

Überschwemmung noch übertroffen,<br />

denn Lehrer Rüllmann notierte<br />

im Februar 1918: ,,Alte Leute wissen<br />

nicht zu erinnern, je so viel Wasser<br />

in unserer Gegend gesehen zu<br />

haben. Von Neuendorf bis Hackeboe<br />

ist ein blanker See. Bei uns ist in den<br />

Häusern von Brandt und Göttsche<br />

seit Januar Wasser in den Häusern.<br />

Nach Sachsenbande kann man nicht<br />

kommen. In Vaalermoor sind m ehrere<br />

Familien mit dem Vieh ausgezogen.<br />

Zurückzuführen ist die<br />

Überschwemmung auf den Kohlenmangel.<br />

Das Wasserwerk in Averfleth<br />

steht wegen Kohlenmangels still. Viel<br />

Korn ist vernichtet. Die Not ist in<br />

unserer Gegend groß." 41<br />

Trotz Kriegsende hatte sich die<br />

Situation 1920 nicht wesentlich<br />

verbessert: "Große Strecken unserer<br />

Marsch, besonders Neuendorf-Sachsenbande<br />

sind überschwemmt, weil<br />

die Dampfentwässerung keine Kohlen<br />

hat, das Wasser wegzupumpen.<br />

Einige Gehöfte sind hierdurch von<br />

jeglichem Verkehr abgeschlossen." 42<br />

Im Winter 1944/45 vermerkte Lehrer<br />

Franzenburg in der Schulchronik<br />

Vorder-\!euendorf: "Info/ge Kohlenmangels<br />

steht seit November ein<br />

großer Teil unserer Gemarkungen<br />

unter Wlsser. Hauptsächlich die<br />

Gemarkungen in Ht.-Neuendorf sind<br />

davon stark betroffen, so daß verschiedene<br />

Häuser geräumt werden<br />

mussten."<br />

Zur selben Überschwemmung<br />

schrieb der Lehrer Drewes aus<br />

Sachsenbande: "Im November<br />

Abb. /9: Frau<br />

Jüttner, geb.<br />

Feldmann, musste<br />

während der<br />

Überschwemmung<br />

im Winter 1944/45<br />

mit der Jauchetonne<br />

ins Dorf<br />

schippern, um<br />

Brot zu holen.


.~U .......................... .............. ..... ... ... ....................................... ........... ........ ......................... ............... ...... .................. tl.9.~ ! .1.)\~~:~.'i.~'.R .<br />

[1944, Anm. d. Verf.] setzte, weil das<br />

Schöpfwerk des Sielverbandes<br />

Neuendorf, Sachsenbande wegen<br />

Kohlenmangels nicht mehr arbeiten<br />

konnte, bei regnerischem Wetter eine<br />

Überflutung des hiesigen Gebietes<br />

ein. Infolgedessen kam Mitte Dezember<br />

beinahe nur noch ein Drittel der<br />

Kinder zur Schule. Einige Gehöfte<br />

wurden geräumt. Die von der Überschwemmung<br />

betroffenen Gehöfte<br />

hielten, sofern des Viehes wegen<br />

nicht geräumt worden war, einen<br />

Verkehr auf selbst gezim merten<br />

Flößen und mit geliehenen Booten<br />

aufrecht. Als dann um Weihnacht<br />

herum das Eis hielt, konnte der<br />

Verkehr über Eis gehen. Eben vor<br />

Weihnacht bekam, nachdem das<br />

Gebiet vom Landrat, dem stellvertretenden<br />

Kreisleiter, dem Kreisbauernführer<br />

und anderen Herren<br />

besichügt worden war, das Schöpfwerk<br />

wieder Kohlen und konnte<br />

pumpen. Auch wurde eine kleinere<br />

Pumpe mit elektrischem Antrieb in<br />

Tätigkeit gesetzt. Das Wasser verschwindet<br />

allmählich unter der<br />

Eisdecke, soweit es in den Gräben<br />

abfließen kann. Arbeiten zur Anlegung<br />

einer größeren elektrischen<br />

Pumpe sind im Gange." 43<br />

Albert Karstens 44 aus Sachsenbande<br />

erinnert sich in dem Zusammenhang,<br />

dass er die Auffahrt mit langen<br />

Knüppeln markiert hatte, um<br />

mit dem Pferd nicht vom Weg abzukommen.<br />

Die Fluten drangen jedoch<br />

auch in die Häuser, so dass man das<br />

Wasser unter dem Fußboden plätschern<br />

hören konnte. Stellenweise<br />

brauchte man sich zum Händewaschen<br />

sogar nur zu Boden bücken.<br />

Einige Höfe mussten geräumt werden.<br />

Neben der Familie Rösch aus<br />

Krützfleth musste auch die Familie<br />

Johannes Schütt ihren Hof verlassen.<br />

Di.e Kühe waren bereits auf die<br />

Nachbarhöfe verteilt worden. Wegen<br />

ihres kleinen Pferdes, einem Schimmel,<br />

hatten sie den Hof zunächst<br />

nicht verlassen wollen. Als es dafür<br />

dann zu spät war, hörten sie in der<br />

Ferne ein beständiges Klopfen und<br />

Schlagen. Da sagte Hannes Schüll<br />

zu seiner Frau: "Höörst du wat, se<br />

klütert dor, se wüllt uns holen" ­<br />

Telefon und dergleichen gab es<br />

damals noch nicht. Und tatsächlich<br />

holten die Nachbarn sie mit einem<br />

selbstgebauten Floß. Dieses Floß hat<br />

später noch lange Zeit in Krützfl eth<br />

gelegen .<br />

Als dann am 24. Dezember das Eis<br />

hielt, konnte es für die Kinder kei n<br />

schöneres Weihnachtsgeschenk<br />

geben. Da gleichzeitig schulfrei war,<br />

tollten sie den ganzen Tag auf dem<br />

Eis herum und liefen Schlillschuh.<br />

Denn ganz Hinter-Neuendorf bis<br />

nach Krützfleth war eine einzige<br />

Eisfläche und kein Weidezaun versperrte<br />

den Weg. Die Landwirte<br />

litten jedoch noch lange unter diesen<br />

gewaltigen Wassermassen. Da<br />

die Felder bis ins späte Frühjahr<br />

unter Wasser standen, fiel die erste<br />

Heuernte entsprechend gering aus.<br />

Vielfach wurden die Tiere in<br />

anderen Gemeinden (Büttel, Kudensee,<br />

Landscheide) untergebracht,<br />

weil einfach nicht genügend Gras<br />

zur Verfügung stand.<br />

1947 gab es bereits die nächste<br />

Überschwemmung. Der Winter<br />

brachte viel Schnee und der Nord­<br />

Ostsee-Kanal war zugefroren . Da in<br />

den Städten die Feuerung knapp<br />

war, wurden die Kohlenwaggons<br />

geplündert. Zwar war das Schöpfwerk<br />

in Averfleth mittlerweile vom<br />

Kohlenantrieb auf elektrisch umgebaut,<br />

jedoch konnte man ohne<br />

Kohlen keinen Strom erzeugen. Auf<br />

Höhe des Bauernmoorweges stand


.H~~~$.-!';~ ............................................... ......................................................................................................................................... W..<br />

die Burger Straße unter Wasser.<br />

Diesen Umstand nutzte ein Flüchtling,<br />

der bei Familie Karstens untergebracht<br />

war, um sich ein paar<br />

Groschen zu verdienen. In einem<br />

geliehenen Boot half er Fußgängern<br />

und Radfahrern über die überflutete<br />

Straße. Erfinderisch war auch ein<br />

gewisser Emil Trapp, der als Flüchtling<br />

bei Klaus Holm wohnte. Er<br />

schritt auf selbstgezimmerten<br />

Stelzen durchs Wasser.<br />

All diese Erzählungen- und bei<br />

weitem sind damit längst noch<br />

nicht alle Überschwemmungen in<br />

diesem Gebiet erwähnt- dokumentieren<br />

die Notwendigkeit von künstlichen<br />

Entwässerungsmaßnahmen.<br />

Gäbe es diese nicht, wäre hier kein<br />

Leben und Wirtschaften möglich.<br />

Zwar waren in den letzten Jahrhunderten<br />

weniger Deichbrüche für die<br />

Überschwemmungen in diesem<br />

Gebiet verantwortlich, dennoch<br />

sollte die Bedrohung seitens des<br />

Meeres nicht unterschätzt werden.<br />

Für Neuendorf waren es aber eher<br />

die Dauerniederschläge und Starkregenereignisse,<br />

die im vorigen Jahrhundert<br />

Überschwemmungen<br />

verursachten, wie wir sie auch erst<br />

jüngst wieder hatten. Sicherlich ist<br />

den meisten noch in Erinnerung,<br />

wie 1998 innerhalb kürzester Zeit<br />

große Wasserflächen weite Teile der<br />

Marsch bedeckten, wenn auch<br />

glücklicherweise nur von kurzer<br />

Dauer. Aber bei solchen Wassermengen<br />

haben selbst die heutigen,<br />

leistungsstarken Schöpfwerke ihre<br />

Mühe und Not.<br />

Geschehnisse wie diese lassen einen<br />

vielleicht erahnen, wie die Marsch<br />

ohne künstliche Entwässerung und<br />

menschliches Zutun aussehen<br />

würde. Denn die Marsch ist eine<br />

unter Menschenhand entstandene<br />

Kulturlandschaft, die in dieser<br />

Gestalt nur durch permanenten<br />

technischen Einsatz erhalten werden<br />

kann.<br />

Abb. 20: Überschwemmung<br />

im<br />

Oktober 1998.


.~ ...... ............ .. ............ ........................... .............. .................. ............. ... ....... .......................................... ................. ».~.~~~~m~ ..<br />

Abb. 21: Überschwemmung im Oktober 1998 an der 'TiefSten Landstel/e'.<br />

Abb. 22: Der Bau des Pumpgrabens zum Schöpfwerk in Achterhörn Anfang der 60er Jahre war noch mühselige<br />

Handarbeit. Mit Schaufel und Schubkarre wurde der Vorfluter über mehrere Etappen zwei Mann tief<br />

ausgehoben.


. P.!~ .. W.!~r~.~~A!.! .. M.~ . .Y~.~g!.l.w.!~G ........................................................................................................................................... ~.<br />

DIE <strong>WILSTER</strong>-Au<br />

ALS VERKEHRSWEG<br />

In aller Zeit nutzte man für den<br />

Güterverkehr vorwiegend die natürlichen<br />

Wasserläufe, da die Wege,<br />

sofern überhaupt vorhanden, in den<br />

Wintermonaten selten passierbar<br />

waren. Gerade in der Gemeinde<br />

Neuendorf, wo die Wilster-Au über<br />

10 km eine natürliche Gemeindegrenze<br />

bildet, bediente man sich<br />

derselben als Haupttransportweg.<br />

Nahezu alle Waren wurden hierüber<br />

nach Wilster geschifft, bzw. von<br />

Wilster mitgebracht. Auf Kähnen<br />

holten die Schiffer den Torf aus<br />

Vaalermoor und verkauften ihn bis<br />

nach Hamburg. Zurück nahmen sie<br />

Dünger oder andere Waren mit, die<br />

bei den Müllern und Bauern verkauft<br />

wurden.<br />

Wenn der Wind günstig stand,<br />

wurden sogar die Segel gesetzt.<br />

Ansonsten mussten die Schleppkähne<br />

an einem langen Tau gezogen<br />

werden. Am Ende des Taus befestigte<br />

man einen breiten Lederriemen,<br />

den sich kräftige Männer quer<br />

über die Brust hängten. In Averfleth<br />

konnten sie jedoch aufgrund der<br />

Bäume und Sträucher, die zu beiden<br />

Seiten standen, weder ziehen<br />

noch segeln. Dieses Stück mussten<br />

sie schieben, weswegen man diesen<br />

Abschnitt auch ,Schufrack' nannte.<br />

Wenn im Winter kein Wagenverkehr<br />

mehr möglich war, mussten bisweilen<br />

gar die Leichen der Verstorbenen<br />

per Boot zum Kirchhof in<br />

Wilster geschafft werden. War die<br />

Au zusätzlich auch noch zugefroren,<br />

konnte beispielsweise das<br />

Korn nur auf Schlitten nach Wilster<br />

transportiert werden. Dazu hatten<br />

die MännerEisnägel unter den<br />

Stiefeln. Auf dem Rückweg<br />

spannten sie sich dann Schlittschuhe<br />

unter. Die etwas wohlhabenderen<br />

Bauern besaßen einen<br />

,Rüütsch', d. h. einen kunstvoll<br />

beschlagenen Schlitten, mit dem sie<br />

ihre Frau übers Eis nach Wilster<br />

zogen.<br />

Bei den kleinen Häusern auf dem<br />

Au-Deich in Averfleth, deren Besitzer<br />

oftmals weder Pferd noch<br />

Wagen besaßen, gibt es teilweise<br />

auch heute noch künstliche Au­<br />

Arme, in denen die Eigentümer ihre<br />

Boote vertäuen.<br />

Früher fohrten<br />

meist gewölbte<br />

Brücken über die<br />

Au, heute sind<br />

dagegen fast alle<br />

flach gelegt. Bei<br />

hohem Wasserstand<br />

kam es _nicht<br />

selten vor. dass<br />

sich größere<br />

Schiffe unter<br />

diesen Brücken<br />

festfuhren. In<br />

einem solchen<br />

Fall versuchte<br />

man mit 'Dumpen'<br />

das Schiff wieder<br />

'flott ' zu machen,<br />

d. h. man lud<br />

Menschenfracht,<br />

damit das Schiff<br />

tiefer einsank und<br />

so von der Brücke<br />

freikam. Dabei<br />

legte man sich auf<br />

den Rücken und<br />

arbeitete mit den<br />

Füßen gegen die<br />

Brücke, um das<br />

Schiff unterdurch<br />

zu schieben.<br />

Abb. 23: Als die<br />

Wilster-A u noch<br />

einer der Haupierschließungswege<br />

war. herrschte hier<br />

reger Verkehr.<br />

..... _______ _<br />

...... ·------


.~ ................................................................................................................................................... ~~.~.li\\'i" .. Y.\'i".Q . .W.,;:.Q,;: .. Y.9~ .. 1i\~$.!.


.~.'J.:!!A~~llN..Y.l'ill .. W.-!\Gll.Y.9.:t:'! .. llrN:'!X ............................................................................................ ......... .......... ................................ .. .. ~.<br />

Abb. 24: Diese<br />

Kartengrundlage<br />

basiert auf der<br />

Königlich Preußischen<br />

Landesauf<br />

nahme in den<br />

Jahren 1878180.<br />

Das Gemeindegebiet<br />

wird durch die<br />

rot gestrichelte<br />

Linie abgegrenzt.<br />

Klaus Rehder und<br />

Hermann Beimgraben<br />

haben die<br />

alten Wege<br />

zusammengetragen:<br />

Die alten Schulsteige,<br />

die von den<br />

Schulkommunen<br />

zu unterhalten<br />

waren, sind durch<br />

hellgrüne Linien<br />

gekennzeichnet.<br />

Mit einem dunkelgrünen<br />

Farbton<br />

wurden alte Wegstrecken<br />

dargestellt,<br />

die in dieser<br />

Form nicht mehr<br />

existieren. Die<br />

dunkelgrün gestrichelte<br />

Linie bildet<br />

dabei eine uralte<br />

Wegeverbindung<br />

('Oldenburgsweg ')<br />

zwischen dem<br />

j etzigen Itzehoe<br />

und der einstigen<br />

Bökelnburg.<br />

Der alte Kirchensteig<br />

(gelbe Linie)<br />

verlief zumeist auf<br />

dem Audeich.<br />

Mit Hilfe der<br />

blauen Linie<br />

wurde der Verlauf<br />

der Hackeboer<br />

Wettern nachgezeichnet;<br />

die<br />

braunen Punkte<br />

bezeichnen die<br />

Lage der Schöpf<br />

mühlen.


.4}:;2 ........................... ........................................................................................................................ .P.! !i. J)Y.t:P.~! .I-'.~ .J;.r~ ;~~! .. !?.!'ii-.{ .. W.!'i~i~ .<br />

Das , Hohe Steg'<br />

führte in Averjleth<br />

über die Wilster­<br />

Au und stellte mit<br />

dem Kirchensteig<br />

über Kuskoppermoor<br />

die kürzeste<br />

fußläufige Verbindung<br />

zur Stadt<br />

Wilster her.<br />

Die Brücke wurde<br />

1909 abgerissen. 52<br />

Mit Hilfe von<br />

Schlagbäumen<br />

wurden auch die<br />

Frachtfuhrleute zu<br />

den Unterhaltungskosten<br />

herangezogen,<br />

indem<br />

Beiträge nach<br />

Anzahl der<br />

Frachtwagenpferde<br />

erhoben<br />

wurden. So wurde<br />

beispielsweise<br />

auch an der<br />

Brücke zu Averfleth<br />

durch die<br />

Familie Meiforth<br />

Brückengeld erhoben.<br />

in der<br />

'Newe Landtcarte<br />

Von dem Ampte<br />

Steinborg' von<br />

1651 wird diese<br />

Brücke auch als<br />

'Rickenbrugge'<br />

bezeichnet.<br />

DIE UNTERHALTUNG<br />

DER WEGE<br />

Von alters her war das Wegewesen<br />

eng mit dem Entwässerungswesen<br />

verbunden . Die Unterhaltung der<br />

Wetterungen und Gräben sowie der<br />

Wege, Brücken und Stege eines<br />

Dorfes wurde gleich bei deren Anlage<br />

den einzelnen Hofbesitzern nach<br />

Verhältnis ihres Besitzes zugeteilt.<br />

Diese Lasten hingen unablöslich mit<br />

dem Grundbesitz zusammen.<br />

Somit wurden Jahrhundertelang<br />

insbesondere die Landbesitzer als<br />

größte Nutznießer zur Unterhaltung<br />

der Wege herangezogen. Irgendwann<br />

häuften sich jedoch die Klagen<br />

über die ungerech te Verteilung<br />

der Wegelasten, so dass am 15. Mai<br />

1739 erstmals eine Wegeverordnung<br />

für die Wilstermarsch erlassen<br />

wurde, der 100 Jahre später, im<br />

März 1842, eine allgemeine Wegeverordnung<br />

für die Herzogtümer<br />

Schleswig und Holstein folgte.<br />

Diese, lediglich die öffentlichen<br />

Fahrwege und Fußsteige betreffende<br />

Vorschrift, benannte den jeweiligen<br />

Träger und das Material zu m Ausbau<br />

und zur Unterhaltung der<br />

Haupt- und Nebenlandstraßen<br />

sowie Nebenwege. Unter die letzte<br />

Kategorie fielen alle Wege und<br />

Fußsteige, welche die Dörfer und<br />

einzelnen Gehöfte untereinander<br />

und mit den Haupt- und Nebenlandstraßen<br />

sowie mit Kirchen,<br />

Schulen, Mühlen und dergleichen<br />

verbanden. Hierfür waren die Wegekommunen<br />

- das Gebiet der<br />

Gemeinde Neuendorf gehörte zur<br />

Wegekommune ,Kirchspiel Wil ster<br />

Alte Seite' - als kleinste Einheit<br />

zuständig.<br />

Knapp 40 Jahre später, am<br />

26. Februar 1879, wurde in der nun<br />

preußischen Provinz Schleswig-<br />

Holstein ein neues Wegegesetz<br />

verabschiedet. Hiernach wurden die<br />

bisherigen Wegekommunen zugunsten<br />

kleinerer Wegeverbände auf<br />

Basis der einzelnen politischen<br />

Gemeinden aufgehoben. Dadurch<br />

wurde eine Neuverteilung der<br />

öffentlichen Wege innerhalb der<br />

Gemeinde Neuendorf notwendig,<br />

weshalb die Gemeindeversammlung<br />

eine Wegekommission mit der Ausarbeitung<br />

eines Verteiler-Schlüssels<br />

beauftragte.<br />

Die Fahrwege sollten je zur Hälfte<br />

nach der Grundsteuer und dem<br />

Landareal verteilt werden. Die Verteilung<br />

der Fu ßsteige ergab sich zu<br />

1/5 nach der Gebäudesteuer, 1/5<br />

nach dem Landareal und 3/5 nach<br />

der Grundsteuer. Auf Grundlage<br />

dieser Norm wurde fü r jeden Einzelnen<br />

die zu unterhaltende Wegstrecke<br />

bis auf den Zentimeter<br />

genau ermittelt und zugewiesen.<br />

Beispielsweise musste der Hofbesitzer<br />

Hinrich Hellerich vom<br />

Goldbogen aufgrund seiner Abgaben<br />

und seines Landbesitzes für<br />

418,60 m Fahrweg ab der Grenze<br />

zur Gemeinde Nortorf die Wartung<br />

und Instandsetzung übernehmen.<br />

Gleichfalls wurde ihm die Unterhaltung<br />

für 694,42 m Fußsteig zugewiesen.<br />

Insgesamt hatte die Gemeinde Neuendorf<br />

zur jener Zeit 19.044,22 m<br />

Fu ßsteige und 12.505,09 m Nebenwege<br />

zu unterhalten. 48<br />

Seil 1959 wird die Unterhaltung der<br />

Gemeindewege vom Wegeunterhaltungsverband<br />

Steinburg wahrgenommen,<br />

dem die Gemeinde<br />

Neuendorf im selben Jahr beigetreten<br />

war. Die Unterhaltung<br />

beschränkt sich jedoch lediglich auf<br />

die Schwarzdecken der Straßen und<br />

Wege bzw. die Betonflächen der<br />

Spurbahnen. Untergrundschäden,


. P.!~ .. ~:~II.'.~1.!M.J1 .. ~~; ... J.:!!).~ .. W.!i~!~ ..................................................................................................................................................... 4Jet.<br />

Bankette, Abwässer und Verkehrszeichen<br />

unterliegen weilerhin der<br />

Unterhaltung der Gemeinde.<br />

Aktuell stellt sich die Wegesituation<br />

der Gemeinde w ie folgt dar:<br />

Zwei Landesstraßen durchqueren<br />

das Gemeindegebiet und zwar die L<br />

135 (Burger Straße, bzw. Hackeboe),<br />

und die L 235 (Vorder-Neuendorf).<br />

Des Weiteren befind en sich hier vier<br />

Kreisstraßen, nämlich die K 16<br />

(Averfleth über Goldbogen nach<br />

Wils ter), K 17 (Nortorf, Averfleth,<br />

Krützflelh, Hinter-Neuendorf), K 18<br />

(Hollerslückenweg) sowie die K 40<br />

(Achlerhörn bis nach Ecklakerhörn).<br />

Und zu guter Letzt unterhält die<br />

Gemeinde acht Schwarzdecken­<br />

Fa hrbahnen mit einer Länge von<br />

insgesamt 5.603 m und 5 Betonspurbahnen<br />

mit einer Gesamtlänge<br />

von 4.058,3 m . 49<br />

Die früher zahlreichen Fu ßsteige<br />

wurden in den 60er Jahren nach<br />

und nach aus der Unterhaltung<br />

genommen und an die Anlieger<br />

verkauft, da sie n icht mehr benutzt<br />

w ur de n .~<br />

D ER A USBAU DER<br />

STRASSEN UND WEGE<br />

Um eine Vorstellung von der Beschaffenheit<br />

der Wege in früherer<br />

Zeit zu bekommen , möchte ich an<br />

dieser Stelle den Lehrer Peters von<br />

der Schule Vorder-Neuendorf zitieren<br />

, der in seiner Schulchronik<br />

1910 rückblickend den Zustand der<br />

Marschwege beschreibt: "Im Sommer<br />

bei großer Trockenheil war er<br />

[der Weg] wunderschön, aber weh e,<br />

wenn der Herbst mit seinen Regengüssen<br />

kam. Da war die obere Kleischicht<br />

bald durchgeweicht, und wer<br />

Moorboden kennt, der weiß, wie<br />

schön weich der ist. In der Regel war<br />

im Herbst und Winter bei Regen und<br />

Tauwetter in Neuendorf an Fahren<br />

nicht zu denken. VV'ie mir Einwohner<br />

erzählten, ist es öfter vorgekommen,<br />

dass bei Beerdigungen der Sarg<br />

ganze Strecken getragen werden<br />

m usste, weil ein Wagen nicht fahren<br />

konnte."<br />

Waren die Wege in der feuchten<br />

Jahreszeit zu matschig, benutzte<br />

man anstelle der Wagen zuweilen<br />

au ch sogenannte ,Slöpen'. Das<br />

waren niedrige Schlitten mit langen<br />

Abb. 25: Am<br />

Achtsfelder Weg<br />

wurden Mitte der<br />

90er Jahre in<br />

einer Gemeinschaftsaktion<br />

124<br />

Bäume (Kastanie,<br />

Esche, Ahorn,<br />

Eiche) gepflanzt.<br />

An den Pflanzarbeiten<br />

beteiligten<br />

sich (von links):<br />

Petja Besselin,<br />

Erwin Buse, Klaus<br />

Franzenburg,<br />

Rainer Besselin,<br />

Hermann Beimgraben,<br />

Hugo<br />

Nagel, Johannes<br />

Rehder, Jens<br />

Thiessen, Max<br />

Heins, Henning<br />

Rehder und Wanja<br />

Besselin. Mittags<br />

gab es zur Stärkung<br />

Gulaschsuppe.


.~ ................................... ..................................................... .............................................. P.f~ . .A.P~.~~.IJ . .P..f~ .. S:mM~N . J!NP...W.~~~.<br />

Abb. 26: Die<br />

Wilster/Burger­<br />

Chaussee wurde<br />

1993 im Aquarell<br />

festgehalten<br />

Bis vor wenigen<br />

Jahrzehnten<br />

bestand von der<br />

Ecklaker bis zur<br />

Averjlether Brücke<br />

entlang der Wilster-Au<br />

ein Fahrweg.<br />

Dieser wurde<br />

jedoch mit Ausbau<br />

des Achtsfelder<br />

Weges entlang der<br />

ehemaligen<br />

Hackeboer Wettern<br />

bedeutungslos.<br />

Kufen, auf denen beispielsweise<br />

auch die Milch zur festen Straße<br />

transportiert wurde.<br />

Etwa 1870 wurde die Wilster/Burger-Chaussee<br />

zu einer Grantstraße<br />

ausgebaut. Im Zuge dieses Ausbaus<br />

wurde 1876 die alte sogenannte<br />

Schenkelbrücke über die Wilster-Au<br />

abgerissen 5 ' und 600 Meter weiter<br />

nördlich neu errichtet.<br />

In den Jahren 1908 bis 1910 trat mit<br />

Ausbau der Hauptstrecken eine<br />

deutliche Verbesserung der Wegesituation<br />

ein. Folgende Strecken<br />

wurden in dieser Zeit ausgebaut:<br />

Sachsenbande- Vorder-Neuendorf­<br />

Moorhusen als Nebenlandstraße,<br />

die Verbindung Duckunder/Averfleth<br />

über Krützfleth nach Hinter­<br />

Neuendorf als Nebenweg I. Klasse<br />

sowie Achterhörn und die Strecke<br />

Averfleth - Goldbogen - Rumfleth<br />

als Nebenwege II. Klasse. Etwas<br />

später folgte der Ausbau des Hollerstückenweges.<br />

Dabei wurde die<br />

heutige K 17 (Averfleth- Krützfleth<br />

- Hinter-Neuendorf} schon mit einer<br />

Klinkerdecke versehen, während die<br />

restlichen Straßen noch als Grant-<br />

j<br />

straßen ausgebaut wurden. Zur<br />

Unterhaltung dieser Grantchausseen<br />

hatte die Gemeinde eigens einen<br />

Chausseewärter angestellt, der das<br />

ganze Jahr über damit beschäftigt<br />

war, die Straßenschäden auszubessern.<br />

Der Achtsfelder Weg, Spritzenhausweg<br />

und Oberreihe in<br />

Vorder-Neuendorf blieben vorerst<br />

Klei- bzw. Moorwege. Den Bauernmoorweg<br />

mussten die Bauern aus<br />

der Gemeinde jeden Sommer wegen<br />

des moorigen Untergrundes erneut<br />

mit Sand verfüllen. Den Sand dafür<br />

holten sie aus Vaale.<br />

1952 wird die K 16 (Goldbogen) mit<br />

einer Schwarzdecke versehen. Etwa<br />

zur selben Zeit war die Wilster/Burger-Chaussee<br />

geteert worden. 1959<br />

wurde der Bauernmoorweg mit<br />

Mitteln des ,Grünen Planes' als<br />

Wirtschaftsweg ausgebaut. Parallel<br />

dazu begann der Ausbau der K 40<br />

(Achterhörn). Im Rahmen dieses<br />

Ausbaus wurde die Ecklaker Aubrücke<br />

abgerissen und wenige<br />

Meter südlich neu errichtet. Auf die<br />

K 17 (Averfleth - Hinter-Neuendorf)<br />

wurde erst Anfang der 70er Jahre<br />

eine Schwarzdecke aufgebracht. Im<br />

gleichen Zeitraum wurden der<br />

ehemalige Spritzenhausweg und die<br />

Oberreihe mit einer Schwarzdecke<br />

versehen. Ursprünglich sollte der<br />

Spritzenhausweg komplett aufgehoben<br />

werden, da ihm nicht die nötige<br />

Verkehrsbedeutung zugemessen<br />

wurde (6.1 .1969). Auf Einwendungen<br />

der damaligen Firma<br />

Johannsen & Krohn in Hackeboe<br />

und deren Arbeitnehmer Walter<br />

Blosat aus Averfleth sowie nach<br />

Anhörung des Gemeindewehrführers<br />

konnte jedoch eine "gewisse<br />

Verkehrsbedeutung des Weges nicht<br />

bestritten werden" (19.5.1969). Im<br />

Rahmen der weiteren Beratung<br />

wurde aber zumindest die Ein-


. P.~ .. AY.~~AY .. !?.~m .. ~.-m.M,;: .\'!.J!N!?..W.,;:Y.,;: ............................................... .. .................................................................. ............... .... ~.<br />

ziehung einer Teilstrecke beschlossen<br />

(15.12.1971). Der Weg führte<br />

fortan über die Ländereien von<br />

Hermann Beimgraben, wodurch die<br />

Ausbaustrecke um 250 Meter verkürzt<br />

wurde (27.9.1971). Im Jahr<br />

1999 erfolgte eine weitere Änderung<br />

der Streckenführung. Der ehemalige<br />

Spritzenhausweg-in ,GIK 41'<br />

umbenannt - verläuft nun auf dem<br />

Wall der einstigen Hackeboer Wettern<br />

geradewegs auf die Wilster/Burger-Chaussee<br />

zu.<br />

Abb. 27: Der<br />

Gefahren, die ein<br />

Geestrandhochmoor<br />

wie das<br />

'Herrenmoor 'bei<br />

Kleve in sich birgt,<br />

sollte man stets<br />

gewahr sein. Da<br />

es einem ansonsten<br />

wie diesem<br />

Bagger<br />

ergehen könnte,<br />

der letzten Herbst<br />

(2000) bei<br />

Baggerarbeiten in<br />

Vorder-Neuendorf<br />

im Moor versank.<br />

Abb. 28: Auf den ersten Blick die gleiche<br />

Situation, doch dieses Schauspiel ereignete<br />

sich bereits vor gut 20 Jahren<br />

annähernd an derselben Stelle. Dabei<br />

sollte man meinen, aus Schaden wird<br />

man klug. ..<br />

Währendjedoch der Bagger im letzten<br />

Herbst geborgen werden konnte, versank<br />

dieser Bagger gänzlich im Moor.


Kus~<br />

.4l®. .. ................................. ................................. ................................................................ .. ..... GJiMJm~P~ .. N Ji.I).Ji~'P.Q.~ .. ~, .. W.TI""


.G.~m:.t:N'P~ .. N.~~N'P9.ßf..~ .•. .W~~I~~ ....................................................................... ...................................................................... ~.<br />

i<br />

i<br />

i<br />

ermoor<br />

Sachsen-<br />

Hollerstückenw<br />

( K 18) · .. ::"',,,, ..<br />

./=="_---if-------::.


-~ · · ·· · ············ ···· ··········· · · ····· ·············· · ································································ · ··············· · ··············· ·· · ·· ··············· · ·············· · ·f..1Q~\'!~'IJJi.~.<br />

FLURNAMEN<br />

Gegenüber vom<br />

'Elendstück' befindet<br />

sich der<br />

'Wassergang',<br />

dessen Name sich<br />

auf einen alten<br />

Laufgraben<br />

bezieht.<br />

Neben den Ortsnamen existieren für<br />

einzelne Flächen Flurnamen, deren<br />

Bedeutung im Rahmen einer<br />

Heimatkundearbeit 53 erläutert<br />

wurde. An dieser Stelle sollen die<br />

Erklärungsansätze wiedergegeben<br />

werden:<br />

Achtsfelder Weg<br />

Die hinterste Flur von Averfleth<br />

nannte man einst das 'achterste<br />

Feld'. Durch dieses Stück Land<br />

führte ein Weg, der auch heute noch<br />

'Achtsfelder Weg' genannt wird.<br />

Elendstück<br />

Das 'Elendstück' liegt arn Achtsfelder<br />

Weg. Der Sage nach sollen<br />

sich dort in früherer Zeit zwei Jungen<br />

mit Schlittschuhen totgeschlagen<br />

haben.<br />

Einzelne Flurstücke in Averfleth,<br />

Hackeboe und Sachsenbande werden<br />

als Loit bezeichnet. Da sie sich<br />

allesamt im Gebiet des ehemaliegen<br />

Sladensees befinden, dessen Name<br />

aus dem angelsächsischen stammt,<br />

vermutet Hermann Beimgraben hier<br />

ebenfalls einen Zusammenhang.<br />

Früher, wenn die Wettern zuviel<br />

Wasser führten, wurden die niedrigen<br />

Felder als Flutpolder genutzt.<br />

Poggendiek<br />

Einst bildete der Poggendiek die<br />

östliche Begrenzung des Sladensees.<br />

Seitlich neben dem Deich verläuft<br />

ein Graben auf der Grenze zur<br />

Gemeinde Moorhusen.<br />

Die Unterhaltung und Ausbesserung<br />

des niedrigen Schutzdeiches wurde<br />

bereits im Jahre 1247 für 5 Mark auf<br />

Bojo und seine Erben - vermutlich<br />

ein Einwohner Moorhusens- übertragen.<br />

Zuvor waren die Mönche<br />

des Klosters Neumünster gehalten,<br />

den Deich des Bojo zu wahren. 54<br />

Abb. 30: Die Gemeindevertretung Neuendorf b. Wilster im Frühjahr 2001 (von links):<br />

Hermann Beimgraben, Jens Thiessen, Peter Marler, Erwin Buse, Johannes Rehder, Norbert Egge,<br />

Hans Martin Fischer, Friedhelm Hüsch, Wolfhardt Pieper


. k,i':\!?Ji.P.\~'SQ~ .. N~T.t; .. : .l?.9~ .............................................................................................................. ............................................. ~~. ~<br />

LANDGEMEINDE<br />

<strong>NEUENDORF</strong><br />

Das Herzogtum Holstein war vor<br />

seiner Einverleibung in den preußischen<br />

Staat (1866) lange Zeit Teil<br />

des dänischen Gesamtstaates gewesen.<br />

1867 legte man die bisherigen<br />

Ämter, Städte und Güterdistrikte in<br />

Kreise zusammen. Aus den ehemaligen<br />

Kirchspielen und Dorfschaften<br />

(Duchten) wurden nach der preußischen<br />

Gemeindeordnung politische<br />

Gemeinden.<br />

Das Gebiet der Gemeinde Neueudorf<br />

umfasst mehrere ehemalige<br />

Duchten mit den Ortsteilen Vorderund<br />

Hinter-Neuendorf, Groß-Hackeboe,<br />

zum Teil Averfleth (des Kirchspiels<br />

Wilster, Alte-Seite) und<br />

Achterhörn.<br />

Mit Gründung der Gemeindeoffiziell<br />

wurde die Gründung der<br />

"Landgemeinde Neuendorf" im<br />

Amtsblatt der Königlichen Regierung<br />

zu Schleswig am 19. Dezember<br />

1871, S. 397f bekannt gegebenveränderte<br />

sich die Rolle der Darfschaften<br />

in der Selbstverwaltung.<br />

Bisher hatten jeweils die Genossen<br />

einer Ducht, geführt von einem<br />

Ältermann und Geschworenen, alle<br />

sie und ihre Dorfscharten betreffenden<br />

Angelegenheilen selbst geregelt.<br />

Dazu gehörten anfangs vor allem<br />

Deich- und Entwässerungsangelegenheiten,<br />

später auch Wege-,<br />

Schul-, Kirchen- und andere Belange.<br />

Nach der Landgemeindeverfassung<br />

von 1867 war nun eine ,Gemeindeversammlung'<br />

aller stimmberechtigten<br />

Gemeindemitglieder vorgesehen.<br />

Stimmberechtigt waren nur die<br />

männlichen Gemeindemitglieder,<br />

die das 24. Lebensjahr vollendet<br />

hatten, sich im Vollbesitz der bürgerlichen<br />

Ehrenrechte befanden,<br />

einen eigenen Hausstand besaßen,<br />

innerhalb der Gemeinde mit einem<br />

Wohnhaus angesessen waren und<br />

außerdem eine jährliche Klassensteuer<br />

von mindestens 2 Talern<br />

Abb. 3/: Schuhmachermeister<br />

Claus Heutmann<br />

aus Hackeboe<br />

zusammen mit<br />

seiner Frau. Claus<br />

Heutmann war<br />

lange Jahre in der<br />

Gemeindevertretung<br />

aktiv. /893<br />

wurde er zum<br />

stellvertretenden<br />

Gemeindevorsteher<br />

bestimmt.<br />

Von / 906 bis zu<br />

seinem Tode im<br />

Jahre 1921 stand<br />

er selbst der<br />

Gemeinde vor.<br />

Das Gebiet der<br />

Gemeinde Neuendorf<br />

umfasst /335<br />

Hektar.<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

§)<br />

~<br />

;::j<br />

~<br />

~<br />

~


.~ .................................................. .................... ......... ........................................ ................................... J.,~~.Q~~M.U~!?.~ . N ~~!f:N!?.9.!~!: .<br />

Abb. 32: Hofbesitzer<br />

Heinrich Mohr<br />

von der Hove.<br />

Zusammen mit<br />

Claus Heutmann<br />

war Heinrich<br />

Mohr bereits 1893<br />

in der ersten<br />

Gemeindevertretung.<br />

1900 übernahm<br />

er dann das<br />

Amt des Gemeindevorstehers<br />

von<br />

seinem Vorgänger<br />

Andreas Fink.<br />

bezahlten.<br />

Diese Stimmberechtigten waren<br />

nach ihrem Steueraufkommen in 3<br />

Wahlklassen eingeteilt. Die 1. Klasse<br />

der am höchsten Besteuerten erhielten<br />

3 Stimmen, die 3. Klasse nur<br />

noch 1 Stimme.<br />

Laut den Gemeindeprotokollen, die<br />

seit 1873 vorliegen (mit Ausnahme<br />

der Zeit zwischen 1939 bis 1949),<br />

war der überwiegende Anteil der<br />

Stimmberechtigten in der 3. Klasse<br />

mit jeweils einer Stimme eingruppiert.<br />

Nur wenige hatten aufgrund<br />

ihres Steueraufkommens 2 Stimmen<br />

und Stimmberechtigte mit 3 Stimmen<br />

gab es in der Gemeinde Neueudorf<br />

scheinbar gar nicht, da solche<br />

nie in der Liste verzeichnet wurden.<br />

Der langjährige Gemeindevorsteher<br />

Andreas Fink hatte ebenfalls nur<br />

eine Stimme.<br />

1875 waren von den 720 Einwohnern<br />

lediglich 67 politisch stimmberechtigt.<br />

Diese bildeten die<br />

Gemeindeversammlung. Beschlüsse<br />

konnten nur gefasst werden, wenn<br />

mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten<br />

zugegen war. Eine Ausnahmeregelung<br />

griff, wenn die<br />

Gemeindeversammlung zum zweiten<br />

Mal über denselben Gegenstand<br />

beriet und wiederum nicht in ausreichender<br />

Zahl erschienen war. In<br />

einem solchen Fall genügten die<br />

Anwesenden für rechtskräftige<br />

Beschlüsse. Wie das Studium der<br />

Gemeindeprotokollbücher zeigt, war<br />

diese Ausnahme jedoch eher die<br />

Regel.<br />

Dies änderte sich erst, als am<br />

6. April 1893 eine ,Gemeindevertretung'<br />

gewählt wurde, welche die<br />

,Gemeindeversammlung' ablöste.<br />

Die erste Gemeindevertretung setzte<br />

sich aus dem Gemeindevorsteher<br />

Andreas Fink, dessen Stellvertreter<br />

Schuhmachermeister Claus Heulmann<br />

und sechs weiteren Verordneten<br />

zusammen: Hofbesitzer<br />

Heinrich Mohr, Hove; Hofbesitzer<br />

Marx Krohn in Hackeboe, Hofbesitzer<br />

Asmus Schlüter in Hinter­<br />

Neuendorf, Rentner Peter Fink in<br />

Hinter-Neuendorf, H. J. Haack in<br />

Averfleth und Landmann Johann<br />

Engel in Hinter-Neuendorf.<br />

Nach Kriegsende 1945 wurde Hans<br />

Max Reese, aufgrund seiner Funktion<br />

als Ortsgruppenleiter der<br />

NSDAP, im Sommer 1945 seines<br />

Amtes als Bürgermeister enthoben.<br />

Um die umfangreichen Aufgaben<br />

jener Zeit fortzuführen, wurde<br />

Richard Brandt von der britischen


. k.\,~!?.0f.~. !l !.~P.~ .. N."'J!."'.NP.q!lf. ........................................ ..................................................................................................... ............... ffih.<br />

Militärregierung zu seinem Nachfolger<br />

bestimmt. Gleichzeitig hat die<br />

britische Militärregierung 13<br />

weitere Personen aus der Gemeinde<br />

Neuendorf zu Mitgliedern der<br />

Gemeindevertretung ernannt:<br />

"1. Lange, Averfleth; 2. Ostrowski,<br />

Hackeboe; 3. Egge, Erna, geb. Wiebensohn,<br />

Hackeboe; 4. Kuhrt, Paul,<br />

Hackeboe; 5. Prelle, Hermann,<br />

Hackeboe; 6. Möller, Hackeboe;<br />

7. Gripp, Hinrieb, Hackeboe; 8. Feil,<br />

Gustav, Goldbogen; 9. Kneesch,<br />

Heinrich, Hinter-Neuendorf;<br />

10. Balls, Johannes, Vorder­<br />

Neuendorf; 11. Reimers, Johannes,<br />

Achterhörn; 12. Janzen, Rudolf,<br />

Vorder-Neuendorf; 13. Rehder,<br />

Hermann, Vorder-Neuendorf" 55<br />

Oie SPD stellte lediglich Ende der<br />

40er/Anfang der 50er Jahre die<br />

stärkste Fraktion in der Gemeindevertretung<br />

und somit den Bürgermeister<br />

Willi Reckmann aus<br />

Hackeboe.<br />

Seitdem kam der Bürgermeister<br />

kontinuierlich aus den Reihen der<br />

COU-Partei, anfangs noch über die<br />

Kommunale Wählervereinigung<br />

gewählt.<br />

In der Kommunalen Wählervereinigung<br />

hatten sich Angehörige verschiedener<br />

Parleien wie<br />

beispielsweise COU, FDP und dergleichen<br />

sowie parteilose Mitglieder<br />

zusammengeschlossen, um gemeinsam<br />

bei den Gemeindewahlen anzutreten.<br />

1970 hatte Hans Max Reese jedoch<br />

auf Drängen der oberen Parteiorganisation<br />

die meisten der zuvor<br />

parteilosen Gemeindevertreter zur<br />

Mitgliedschaft in der CDU bewegen<br />

können, so dass die CDU in dem<br />

Jahr erstmals als Partei bei der Kommunalwahl<br />

angetreten war und<br />

prompt 8 der möglichen 9 Gemeinderatssitze<br />

erlangte.<br />

Abb. 33: Der alte<br />

Hans Max Reese<br />

(rechts im Bild) -<br />

mit Rufnamen<br />

lediglich Max<br />

Reese - lebte noch<br />

gar nicht lange in<br />

der Gemeinde<br />

Neuendorf (seit<br />

1907), als er 1921<br />

zum Nachfolger<br />

von Claus Heutmann<br />

gewählt<br />

wurde. Hier sieht<br />

man ihn Mitte der<br />

50er Jahre zusammen<br />

mit dem alten<br />

Otto Prüß (Vater<br />

des heutigen<br />

Gastwirts Ernst­<br />

Otto Prüß) und<br />

einem Kellner in<br />

der Gastwirtschaft<br />

'Zum Dückerstieg<br />

'. Er war 20<br />

Jahre lang Bürgermeister<br />

der<br />

Gemeinde Nettendorf,<br />

bis er 1941<br />

das Amt an seinen<br />

Sohn, Hans Max<br />

Reese, weitergab.


.~J .... .............. ....................... ........................... ............ .................. ......................... .... ... ... ... l.! !~t\~.~-~~~~ ~~-~! .1} !~~ . .!?.'-'.R . A~n.t.:. !~ .<br />

Abb. 34: Dieser<br />

Mann übertraf die<br />

Amtszeit seines<br />

Vaters und Vorgängers<br />

noch um<br />

weitere I 0 Jahre.<br />

Da Hans Max<br />

Reese während<br />

des Dritten Reiches<br />

der NSDAP<br />

angehört hatte,<br />

musste er sein Amt<br />

als Bürgermeister<br />

im Sommer 1945<br />

niederlegen.<br />

Nach eJfolgter<br />

Entnazifizierung<br />

stellte er sich mit<br />

der Kommunalen<br />

Wählervereinigung<br />

j edoch<br />

bereits 1951<br />

erneut zur Wahl<br />

und setzte sich mit<br />

großer Mehrheit<br />

gegenüber seinem<br />

Vorgänger Willi<br />

Reckmann durch.<br />

Bis :::u seinem Tod<br />

- er wurde Opfer<br />

eines tragischen<br />

Verkehrsunfalls -<br />

blieb er über 7<br />

Legislaturperioden<br />

im Amt.<br />

Parallel war er in<br />

zahlreichen Ausschüssen,<br />

Vereinen<br />

und Verbänden<br />

vertreten.<br />

Von 1966 bis 1970<br />

war er Vorsteher<br />

des Amtes Wilster­<br />

Land und im<br />

Anschluss daran<br />

noch weitere 4<br />

Jahre des Amtes<br />

Wilstermarsch.<br />

Zudem gehörte er<br />

II Jahre als<br />

Abgeordneter dem<br />

Kreistag des<br />

Kreises Steinburg<br />

an.<br />

ZUSAMMENSCHLUSS<br />

DERAMTER<br />

In den Jahren 1888/89 entstanden<br />

die sogenannten Amtsbezirke. Die<br />

Gemeinde Neuendorf bildete<br />

zusammen mit den Gemeinden<br />

Aebtissinwisch, Ecklak und Sachsenbande<br />

den Amtsbezirk<br />

,Aebtissinwisch'.<br />

Aufgrund der Fülle von Problemen<br />

und Schwierigkeiten, welche die<br />

achkriegsjahre bestimmten<br />

(Flüchtlinge, Wohnungen , Brennstoffversorgung<br />

und Lebensmitlelversorgung)<br />

und ehrenamtlich nic ht<br />

mehr zu bewältigen waren , wurde<br />

1948 das Amt ,Wilster-Land' mit den<br />

Gemeinden Aebtissinwisch , Dammfleth,<br />

Landrecht, Neuendorf.


'. . .. . ~ '2l<br />

-~" -~...\ .~!,~th~.~.Q.!!J~.~ .. PP~ .. A,~!. IT.~ ...................................................................................................................................................... ~.<br />

Nortorf, Sachsenbande und Stördorf<br />

gebildet<br />

Erster Amtsvorsteher des alten<br />

Amtes Wilster-Land war unser<br />

damaliger Amtsvorsteher Richard<br />

Brandt vom Goldbogen.<br />

1970 wurden dann im Rahmen der<br />

Ämterreform im Land Schleswig­<br />

Holstein die Ämter Sankt Margarethen,<br />

Wewelsfl eth und<br />

Wilster-Land zum neu gebildeten<br />

,Amt Wilstermarsch ' mit Sitz in<br />

Wilster zusammengelegt Die erste<br />

Amtszeit übernahm unser langjä<br />

hriger Bürgermeister Ha ns-Max<br />

Reese aus Hackeboe, der bereits von<br />

1966 bis 1970 das ,Amt Wilster­<br />

Land' in gleich er Funktion geführt<br />

ha tte.<br />

Amtsvorsteher des<br />

Amtbezirks Aebtissinwisch<br />

- 56<br />

----<br />

.................... Zeitraum ... ...........................................................<br />

Name<br />

Um 1900 Peter Henning Egge,<br />

Sachsenbande<br />

1915-1923 Henning Rehder,<br />

Averfleth<br />

? -194 1 Max Reese,<br />

Hackeboe<br />

1941-1945 Nikolaus Meiforth,<br />

Averfleth<br />

1945-1948 R.ichard Brandt,<br />

Goldbogen<br />

Abb. 35: Richard<br />

Brand! wurde<br />

1945 von der<br />

britischen Militärregierung<br />

zum<br />

Bürgermeister<br />

ernannt. Gleichzeitig<br />

wurde er als<br />

Amtsvorsteher des<br />

Amtes Aebtissinwisch<br />

eingesetzt.<br />

Er bereitete den<br />

Zusammenschluss<br />

der A'mter vor und<br />

war in der ersten<br />

Amtszeit Amtsvorsteher<br />

des Amtes<br />

Wilster-Land.<br />

Gemeindevorsteher bzw. Bürgermeister<br />

der Gemeinde Neuendorf<br />

....................................................................................<br />

Zeitraum Name<br />

1873-1900 A. Fink<br />

1900-1 906 H ofbesitzer<br />

H . Mohr, Hove<br />

1906-1921 Schuster<br />

C l. Heutmann<br />

1921- 1941 H ofbesitzer<br />

H . M . Rcese (sen.)<br />

1941- 1945 H ofbesitzer<br />

H .-M . Reese (j un.)<br />

1945-1947 Hofbesitzer<br />

R. Brandt, Goldbogen<br />

1947-1948 Hofbesitzer<br />

Joh. Solls, Vd.-N.dorf<br />

1948-195 1 Arbeiter<br />

W. Reckmann<br />

1951- 1977 H ofbesitzer<br />

H .-M . Reese (jun.)<br />

1977- 1990 H ofbesitzer<br />

R. Meiforrh, Averfleth<br />

1990- H ofbesitzer<br />

J. Reh der, Averflerh


L~ ,:.l Wou:-.~srn xno:\<br />

.~.J ............................................................................ ......................................................................................................................... , ............ .<br />

Abb. 36 (s.o.): Johannes Balls aus Vorder-Neuendorfwar von<br />

1947 bis 1948 Biirgermeiste1~ Nach ihm folgte Willi Reckmann<br />

(Abb. 37, s. u.) aus Hackeboe, Neuendorfs erster und bislang<br />

einziger sozialdemokratischer Bürgermeistet:<br />

WOHNSITUATION<br />

Eine Zählung aus dem Jahr 1860<br />

ergab für Neuendorf einen Bestand<br />

von 66 Höfen, 58 Kätnerstellen<br />

sowie 12 weitere Gebäude, in denen<br />

sich beispielsweise die Schulen,<br />

Schmiede, Mühle und dergleichen<br />

befanden. Durchschnittlich lebten<br />

in einem Gebäude 5-6 Personen. Ein<br />

Hof in Goldbogen beherbergte zum<br />

Beispiel mit dem Elternpaar, 7 Kindern<br />

und einem Dienstmädchen<br />

insgesamt 10 Personen. In der Regel<br />

setzte sich ein Familienhaushalt<br />

jedoch aus durchschnittlich 5<br />

Personen zusammen. 57<br />

Knapp 130 Jahre später beherbergt<br />

Neuendorf zwar nur noch gut die<br />

Hälfte der Einwohnerzahl, die Zahl<br />

der Gebäude hat sich hingegen<br />

kaum verändert. Ein Durchschnittshaushalt<br />

setzt sich in der heutigen<br />

Zeit aus lediglich 2-3 Personen<br />

zusammen. 5 8


.Gr~lf:.I. ::i.r:> .f:.' :PH~.'ß. 1 .i'!~~ .. ~.qr. . ~ .949. ................................................................................................................................................ ~.<br />

Die Gemeindevertreter seit 1949 59<br />

Gemeinde- Pa.rteizu-<br />

.... ........ :V.~~r.~~.~.r........... S.~.~.~r.~~!7.~~ +· .. ·''+~··.. +·'' .. c<br />

Beimgraben, Hermann CDU<br />

Bolls, Johannes FDP<br />

Brande R.ichard FDP<br />

Brande, Martin KWV<br />

Bucowicki, Bruno SPD<br />

Buse, Erwin<br />

CDU<br />

Egge, Norbert CDU<br />

Engel, Uwe<br />

CDU<br />

Fischer, H ans CDUil<br />

Fischer, Hans Manin CDU<br />

Haack, Heinrich FDP<br />

H aack, Uwe<br />

KWV<br />

Halmschlag, Willi CDU<br />

Heins, Max<br />

KWV<br />

Hüsch, Friedhelm KWV<br />

Janzen, Rudolf FDP<br />

Junge, Georg<br />

FDP<br />

Karstens, Gustav KWV<br />

Kowalewski, lrma SPD<br />

Kraushaar, Paul SPD<br />

Maaß, Ütto<br />

CDU<br />

Markstein, Sander SPD<br />

Marler, Peter<br />

SPD<br />

Meiforth, Richard CDU 21<br />

Meinke, Silke SPD<br />

Nagel, Hermann FDP<br />

Nagel, Hugo KWV<br />

Nagel, Wilhelm CDU<br />

Pieper, Wolfharde SPD<br />

Reckmann, Willi SPD<br />

Reese, Hans Max CDU<br />

Rehder, Johannes CDU<br />

Rehder, KJaus CDU 31<br />

Reimers, Johannes FDP<br />

Rohwedder, Gerd CDU 41<br />

Rohwedder, Gustav CDU<br />

Rose, Kurr<br />

CDU<br />

Schmidt, Nikolaus SPD<br />

Süß, Fritz<br />

BHE<br />

Thießen, Pranz CDU<br />

Thiessen, Jens KWV<br />

Timmermann, Heinz SPD<br />

Trapp, Emil<br />

BHE<br />

Wodtke, H erbere BHE<br />

Anzahl der Vertreter:<br />

Gemeindewahlen<br />

Abkürzungen:<br />

BHE=Block der<br />

Heimatvertriebenen<br />

und<br />

Entrechteten<br />

CDU= Christlich­<br />

Demokratische<br />

Union<br />

D= Deutsche<br />

Partei<br />

FDP=Freie<br />

Demokratische<br />

Partei<br />

KWV=Kommunale<br />

Wählervereinigung<br />

SPD=Sozialdemokratische<br />

Partei Deutschlands<br />

D Gemeindevertreter<br />

• stellvertr.<br />

Bürgermeister<br />

• Bürgermeister<br />

*) Überhangmandat<br />

1) Hans Fischer<br />

war zuerst in der<br />

FDP, wechselte<br />

jedoch später in<br />

die CDU.<br />

2) Richard Meiforth<br />

ist erst seit<br />

1955 Parteimitglied<br />

der CDU,<br />

zuvor war er<br />

Mitglied in der<br />

Deutschen Partei.<br />

3) Klaus Rehder<br />

trat erst zur<br />

Gemeindewahl<br />

1970 der CDU<br />

bei, zuvor war er<br />

in der Kommunalen<br />

Wählervereinigung.<br />

Fortsetzung siehe<br />

Textspalte auf der<br />

folgenden Seite.


.W. ......... ............................................... .... ......... ............... .......... ............................... ............ .... G.f:~).~!NP.~~Yf,RTl.tof;If:.R .. ~I!T . l9.49 .<br />

Abb. 38 (oben):<br />

Richard Meiforth<br />

aus Averjleth war<br />

in der Zeit von<br />

1977-1990 Bürgermeister<br />

von<br />

Neuendorf Sein<br />

Nachfolger wurde<br />

unser derzeitiger<br />

Bürgermeister<br />

Johannes Rehder,<br />

ebenfalls aus<br />

Averjleth kommend<br />

(Abb. 39).<br />

Fortsetzung:<br />

4) Gerd Rohwedder trat 1994 aus der<br />

CDU aus, blieb der Gemeindevertretung<br />

jedoch als parteiloses Mitglied erhalten.<br />

5) Johannes Balls verstarb I 949.<br />

6) Uwe Engel rückte I 972 for den verstorbenen<br />

Willi Halmschlag nach.<br />

7) 1987 schied Uwe Engel aus dem<br />

Gemeinderat aus.<br />

8) Für Rudolf Janzen folgte 1954 Hans<br />

Fischer.<br />

9) Heinrich Haack rückte 1950 für den<br />

verstorbenen Johannes Balls nach.<br />

10) Willi Halmschlag verstarb 1972.<br />

11) 1954 ist Rudo/f Janzen außerhalb des<br />

Gemeindegebietes verzogen.<br />

12) Georg Junge war der Nachfolger von<br />

Johannes Reimers.<br />

13) Peter Marter rückte for den ausgeschiedenen<br />

Willi Reckmann nach.<br />

14) Richard Meiforth wurde 1972 stellvertretender<br />

Bürgermeisterfür den<br />

verstorbenen Willi Halmschlag<br />

I 5) 1977 übernahm Richard Meiforth<br />

das Amt des Bürgermeisters von dem<br />

verstorbenen Hans Max Reese.<br />

16) Willi Reckmann wurde 1953 Nachfolger<br />

von Heinz Timmermann.<br />

17) 1974 schied Willi Reckmann aus dem<br />

Gemeinderat aus.<br />

I 8) 1977 kam Hans Max Reese bei einem<br />

tragischen Verkehrsunfallums Leben.<br />

19) Johannes Rehder rückte jiir den<br />

verstorbenen Franz Thiessen nach.<br />

20) 1977 wurde Klaus Rehder anstelle<br />

von Richard Me(forth stellvertretender<br />

Biirgermeistet:<br />

21) / 950 ist Johannes Reimers umgezogen.<br />

22) Gerd Rohwedder war der Nachfolger<br />

for den ausgeschiedenen Uwe Engel.<br />

23) Fritz Süß siedelte 1952 um.<br />

24) Franz Thiessen verstarb 1972.<br />

25) Heinz Timmermann war nach Nortotj<br />

umgezogen.<br />

26) Herber/ Wodtke war der Nachfolger<br />

von Fritz Süß. Als H erber! Wodtke<br />

jedoch 1954 ebenfalls verzog, gab es<br />

keine weiteren Listenbewerber des BHE,<br />

so dass die Gemeindevertretung 1954<br />

nur noch aus 10 Mitgliedern bestand.


N ECE:\'"DORF \'OR WÄHREND UND NACH DEM 2. WELTKRIEG ~ 71<br />

·································· '········· · ······ ······· ····· · · ·· · ··· · ···· · ······· · ·· · · · · · · · ······· · ··· · ···· · · · · · ··· · ··· · ············· · · ·· ··············· · ······· ···· ············ ········· ········· ···· · · ······ · ··~ -<br />

<strong>NEUENDORF</strong> VOR,<br />

WÄHREND UND NACH<br />

DEM 2. WELTKRIEG<br />

Die 30er und 40er Jahre stellen<br />

historisch betrachtet ein schwieriges<br />

Kapitel der deutschen Geschi chte<br />

dar. Auch in der Gemeinde<br />

Neuendorf ist dieser Abschnitt<br />

nicht unumstritten. Schon bald<br />

wurde mir bewusst, dass ich bei der<br />

Aufarbeitung dieses Zeitraumes<br />

äußerst behutsam vorgehen musste.<br />

Auf meine Fragen wurde mir<br />

wiederholt erklärt, dass die Menschen,<br />

vor allem die Bauern, nicht<br />

umhin konnten, die NSDAP zu<br />

unterstützen. Der Landwirtschaft<br />

ging es zu jener Zeit sehr schlecht,<br />

für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse<br />

gab es kaum Geld, Zwangsversteigerungen<br />

waren an der<br />

Tagesordnung. Immer weniger Menschen<br />

fanden Arbeit. War es da<br />

nicht verständlich, nach jedem<br />

Strohhalm zu greifen, der Rettung<br />

versprach? Ich weiß es nicht. Einerseits<br />

erscheint mir die Erklärung<br />

sehr plausibel, andererseits zu<br />

einfach, denn schon früh gab es<br />

Mahner, die vor dem Hitler-Regime<br />

warnten. Aber die Vorteile, die man<br />

erfuhr, sobald man sich nationalsozialistischen<br />

Gruppen oder der<br />

Partei anschloss, waren zu verlockend<br />

als dass man auf die ewigen<br />

Kritiker hören wollte. Und im<br />

Gegensatz zu heute hat man damals<br />

nicht gewusst, wohin das führen<br />

kann. So wurden beispielsweise die<br />

Parteimitglieder bei der Vergabe von<br />

Land in den neuen Kögen in Dithmarschen<br />

bevorzugt. Bestimmte<br />

Schlägertrupps kamen in den<br />

Genuss eines Automobils. Wer<br />

wollte da nicht gern zum Kreis der<br />

Auserwählten gehören? Und die<br />

ersten Monate und Jahre nach der<br />

Machtergreifung gaben ihnen ja<br />

auch scheinbar Recht. Über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

wurden<br />

die Menschen von der Straße<br />

geholt, viele Höfe wurden entschuldet<br />

und die Preise für landwirtschaftliche<br />

Erzeugnisse stiegen<br />

wieder. Verblendet von den nationalsozialistischen<br />

Parolen feierten<br />

alle den Anschluss Österreichs an<br />

das Deutsche Reich. Die Begeisterung<br />

hielt auch noch an, als Hitler<br />

in Polen einmarschierte und nach<br />

und nach weite Teile Europas<br />

besetzte. Erst mit der Niederlage vor<br />

Stalingrad setzte Ernüchterung ein.<br />

Viele sehnten das Kriegsende herbei<br />

und den meisten war bewusst, das<br />

Deutschland diesen Krieg verlieren<br />

würde. Doch durften sie dies nicht<br />

äußern. Das Nazi-Regime- anfangs<br />

von vielen begrüßt, da es Ordnung<br />

nach den Wirren der Weimarer Zeit<br />

versprach - hatte sich verselbstständigt.<br />

Jeder war auf der Hut, denn<br />

das rigorose Vorgehen gegen<br />

Andersdenkende war allgemein<br />

bekannt. So wandelte sich die<br />

Anfangseuphorie in Ernüchterung.<br />

Der Krieg verlangte viele Opfer von<br />

der Zivilbevölkerung, sowohl im<br />

öffentlichen Leben wie auch im<br />

privaten Bereich. Doch für Betroffenheit<br />

war es zu spät, die Zeit ließ<br />

sich nicht mehr zurückdrehen.<br />

Nach Kriegsende wollten viele<br />

nichts mehr damit zu tun haben<br />

und die meisten verdrängten diese<br />

Zeit, anstatt sich mit der Vergangenheit<br />

auseinander zu setzen. Deshalb<br />

können sie auch nur hilflos mit den<br />

Schultern zucken und auf die<br />

schlechten Zeiten verweisen, wenn<br />

die heutigen Generationen fragen,<br />

wie es dazu kommen konnte. Nach<br />

den vielen Gesprächen, die ich<br />

geführt habe, kann ich das durchaus<br />

verstehen, denn auch nach so<br />

Bevölkerungsenrwicklung<br />

seit<br />

1867<br />

J ahr Wohnbe-<br />

................. Y~.\~.~-~-~!~S" ..<br />

1867 750<br />

1871 770<br />

1875 720<br />

1880 684<br />

1885 647<br />

1890 654<br />

1895 716<br />

1900 75 1<br />

1905 678<br />

1910 681<br />

1919 71 3<br />

1925 640<br />

1933 626<br />

1939 680<br />

1946 1397<br />

1950 1162<br />

1956 658<br />

1961 586<br />

1970 494<br />

1980 441<br />

1990 390<br />

2000 393<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

§)<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~<br />

~


L~ ~~~<br />

.ei.~............................................................................................. Nf:~ !t~.P.n.~E.. Y.QR~. ~-A.I. ! .1~.r;-:~n .!!.::-1.1).. N,-\r-.1. !.. P.J ,~~ --~.....w.,~;_,_.:r~ .~w~.<br />

Der Begriff<br />

, Hitler-Jugend'<br />

bezeichnet sowohl<br />

die Jugendorganisation<br />

der Nationalsozialisten<br />

im<br />

Allgemeinen als<br />

auch die Gruppe<br />

der 14- bis<br />

18-jährigen Jungen.<br />

Abb. 40: Hans<br />

Meier, Knecht auf<br />

dem Hofder<br />

Familie Brandtin<br />

Goldbogen, hatte<br />

sich 193 7 von<br />

seinem Ersparten<br />

ein Motorrad<br />

gekauft. Hier<br />

macht er gerade<br />

eine Spritztour mit<br />

Richard Brandt.<br />

langer Zeit ist der Nationalsozialismus<br />

nicht auf eine einfache Formel<br />

reduzierbar. Zu emotional wird<br />

dieser Abschnitt der deutschen<br />

Geschichte betrachtet, als dass eine<br />

objektive Auseinandersetzung möglich<br />

wäre. Sehr leicht ist es aus<br />

heutiger Sicht, die vielschichtigen<br />

Beweggründe für das damalige<br />

Handeln zu verurteilen. Doch der<br />

Nationalsozialismus ist ein Kind<br />

jener gesellschaftspolitischen<br />

Umstände. Anstalt anzuklagen,<br />

sollten unsere und künftige Generationen<br />

vielmehr alles dafür tun,<br />

dass solche Verbrechen nie wieder<br />

vorkommen, nicht hier in Deutschland,<br />

aber auch nirgendwo anders<br />

auf der Welt.<br />

.............. ~~!.~~~-~J.~~~~~ ---····· ··· ...<br />

Schon früh setzten die Nationalsozialisten<br />

auf die Jugend und schufen<br />

mit der Hitler-Jugend (HJ) eine<br />

Organisation, in der die 10- bis 18-<br />

jährigen im nationalsozialistischen<br />

Sinn erzogen werden sollten.<br />

Bereits 1926 als ,Bund deutscher<br />

Arbeiterjugend' gegründet, veranstaltete<br />

diese Jugendorganisation -<br />

ebenso wie andere Jugendverbände<br />

auch - Fahrten, Zeltlager, Geländespiele<br />

und Heimabende. Nach der<br />

Machtergreifung 1933 wurden die<br />

anderen Jugendverbände jedoch,<br />

sofern sie nicht in der HJ aufgingen,<br />

verboten. 1936 wurde die HJ dann<br />

perGesetzzur Staatsjugend<br />

gemacht, wodurch die Mitgliedschaft<br />

zur Pflicht wurde. Die Jungen<br />

waren vom 10.-14. Lebensjahr im<br />

,Deutschen Jungvolk' und danach in<br />

der ,Hitler-Jugend'. Die 10-14-jährigen<br />

Mädchen bildeten den ,Jungmädelbund'<br />

und anschließend den<br />

,Bund Deutscher Mädel' (BDM),<br />

dessen Abkürzung Alma Schlüter<br />

scherzhaft mit "Bubi, drück mich"<br />

übersetzte.<br />

Die Jugendlichen der Gemeinde<br />

Neuendorf gehörten zum Fähnlein<br />

11418. Anfangs war die Elternschaft<br />

Neuendorfs nicht sehr angetan von<br />

dem Gedanken, dass ihre Kinder<br />

zweimal wöchentlich zum ,Dienst'<br />

nach Wilster sollten. Deshalb<br />

stimmten sie auf der Werbeveranstaltung<br />

vom 20. November 1935<br />

noch dagegen, ihre Kinder in die HJ<br />

zu geben. 60 Doch das Prinzip<br />

,Jugend muss durch Jugend geführt<br />

werden' sprach viele junge<br />

Menschen in ihrem Streben nach<br />

Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung<br />

an und so trafen sich<br />

die Jungen jeweils Mittwoch und<br />

Sonnabend Nachmittag im


............... IIIIU:K-jl .................................................................................................................................................................................................. GE.'\"l><br />

...J!f::l.. _:-: _o\<br />

Abb. 41: Die S-Frauenschaft Neuendorf-Sachsenbande im Sommer 1938.<br />

Hintere Reihe (von links): Gretchen Schuld!, Magda Johannßen, Kata~·ine Dohrn,<br />

Emma Brand!, Grete Stockjleth, Erna Mölle1; Tine Behrens, ?, Frieda Hahn, Rosa<br />

Feldmann, Karo/ine Halmschlag, Line Möller, Amanda Lau, Marta Mohr<br />

Mifflere Reihe (von links): Berta Stuht; Anne Oehlers, Anna Holler, Dora Carstens,<br />

Anna Schwardt, Marta Wilstermann, Rosa Göftsche, Margarete Hanndo1f<br />

Untere Reihe (von links): Käte Sigura, Marta Möller, Louise Lau, ? Emma Reese, Elli<br />

Ramm, Marie Hinz<br />

Abb. 42: In dieser<br />

Tischdecke hat<br />

sich jedes Mitglied<br />

der NS-Frauenschaft<br />

über die<br />

Jahre mit einem<br />

selbstgestickten<br />

Motiv verewigt.<br />

,Dietrich-Klagges-Haus', dem<br />

Jugendheim der Nationalsozialisten<br />

in Wilster. Dort wurden Lieder<br />

gesungen und Spiele gespielt. In<br />

Kleve veranstalteten sie Geländespiele.<br />

Später in der Hitler-Jugend<br />

kamen lange Märsche und Wettkämpfe<br />

als vormilitärische Übungen<br />

hinzu. Das Gemeinschaftsgefühl<br />

und der Hauch von Abenteuer<br />

begeisterte die Heranwachsenden<br />

und die Erinnerung daran lässt<br />

noch heute die Augen einstiger<br />

Jugendlicher aufleuchten.


.,., ·r,<br />

.~.f.I. ...................................... .. .. .......................... ..................................................... P..!!l .. Mq!m ,~~'~rn! ·,~'"'' ··'· ~-~ . G.1;w;t~!?!j~!t'H.fi .<br />

DIE MOBILMACHUNG<br />

IM GEMEINDEGEBIET<br />

Bereits seit 1938 wurde Neuendorf<br />

für den Krieg gerüstet. An mehreren<br />

Stellen in der Gemeinde wurden<br />

Scheinwerfer installiert und Horchbatterien<br />

aufgestellt. Vom Erschein<br />

ungsbild den heutigen<br />

Satellitenschüsseln ähnlich, nur<br />

wesentlich größer, dienten sie dem<br />

Zweck, feindliche Flugzeuge au fzuspüren<br />

und am nächtlichen Himmel<br />

für die Flugaowehr (Flak) sichtbar<br />

zu machen. "3.3. 1943: Gegen 9 Uhr<br />

flog der Tommy zu seinem Angriff<br />

a uf Harnburg über unser Gebiet ein.<br />

Es waren auji·egende Stunden; ein<br />

Feuerzauber der zahlreichen Scheinwelfer<br />

+ Flak. Bomben fielen in<br />

unserer weiteren Umgebung. 2<br />

Abschüsse konnten von hier beobachtet<br />

werden. In allem: ein scha u­<br />

rig schönes Bild!" 61 Meist flogen die<br />

Flugzeuge aber zu hoch, als dass sie<br />

für die Kanonen erreichbar gewesen<br />

wären. Deshalb war die Zahl der<br />

tatsächlichen Abschüsse gering. Die<br />

Soldaten der Flugabwehr waren in 3<br />

Baracken in Averfleth untergebracht.<br />

Klammheimlich hatte die Mobilmachung<br />

begonnen. Johannes<br />

Brandt, Alma Schlüter und andere<br />

erinnern sich, wie ihren Vätern oder<br />

Ehemännern des Nachts Bescheid<br />

gegeben wurde, wo sie sich am<br />

nächsten Morgen einzufinden hätten,<br />

um an den Kriegsvorbereitungen<br />

teilzunehmen. Mit den<br />

Kriegserklärungen Großbritanniens<br />

und Frankreichs starteten die ersten<br />

gezielten Aktionen und Angriffe auf<br />

Deutschland. Bereits 193 9 wurde<br />

die Schleuse in Brunsbüttel bombardiert.<br />

Die Deutschen reagierten<br />

mit so genannten Fesselballons. Das<br />

waren große Ballons, an denen<br />

Sperrseile befestigt waren. Die<br />

ließen sie aufsteigen, sobald die<br />

ersten Flieger gemeldet wurden, um<br />

die im Kanal befindlichen Schiffe<br />

vor den alliierten Tieffliegern zu<br />

schützen.<br />

Im weiteren Verlauf des Krieges<br />

wurde die Bevölkerung angewiesen,<br />

gegen Abend sämtliche Fenster und<br />

Türen mit Dachpappen und Holzläden<br />

abzudunkeln. Selbst den Autoscheinwerfern<br />

und Fahrradlampen<br />

wurden sogenannte Blindkappen<br />

vorgesetzt, damit nur ei n winziger<br />

Lichtstrahl auf die Straße fiel. Diese<br />

Vorkehrungen sollten den alliierten<br />

Fliegern die Orientierung erschweren.<br />

Wachtmeister kontrollierten<br />

regelmäßig, ob diese Anweisungen<br />

befolgt wurden.<br />

Die ersten Schäden erlitt Neuendorf<br />

im Sommer 1941 , als abgeworfene<br />

Bomben tiefe Krater in die Fe ldmark<br />

rissen. Alliierte Bomber wollten<br />

sich auf dem Rückflug von<br />

ihren Angriffen auf Harnburg und<br />

Kiel von der unnötigen Last<br />

befreien, um so schneller aus dem<br />

Schussfeld der deutschen Flugabwehr<br />

zu entkommen. Auch in den<br />

folgenden Kriegsjah ren ,erleichterten'<br />

sich die alliierten Flieger über<br />

dem Gemeindegebiet, so dass<br />

damals fast jeder Landbesitzer einen<br />

,eigenen' Bombenkrater vorweisen<br />

konnte. "Heute Nacht [27.4.1944]<br />

um 1 1 / 2 Uhr fiel in unserem Orte a uf<br />

der Obersten Reihe auf dem Ackerland<br />

von Balls eine Bombe, wohl<br />

eine Luftmine. Die Bewohner wurden<br />

im Schlaf von dieser Untat<br />

überrascht +flogen entsetzt aus<br />

ihren Betten. Menschenleben sind<br />

Gott sei Dank nicht zu beklagen. Es<br />

wurden aber allerlei Sch äden angerichtet.<br />

Die in der Nähe der Wu rfstelle<br />

liegenden Häuser von Groth und<br />

Wilckens wurden bös zugerichtet.


. P..! .~'.. M9. ~.\P1\~M !..~f!..\ ~! .. G~~M.J; !,~!?.f:G.J; !l.Wr ................................................................................................................................ ~~.<br />

Das Gebäude von Wilckens war<br />

hinten eingeknickt. Fast jedes Haus<br />

im Dorf hatte irgendeinen Bombenschaden,<br />

sei es, daß Fensterscheiben<br />

oder Tiiren herausgeflogen waren,<br />

sei es, daß die Ziegeldächer abgedeckt<br />

+ hochgehoben waren oder<br />

dergleichen mehr. Im Schulhaus<br />

waren nach der Ostseite etliche<br />

Fensterscheiben heraus + die Ostseite<br />

des Daches teils abgedeckt oder<br />

hochgehoben. " 62<br />

Die vermehrten Fliegerangriffe<br />

bedeuteten für die Bevölkerung<br />

zusätzliche Strapazen. Tagsüber<br />

mussten sie ihre Arbeit unterbrechen,<br />

um vor den Fliegern<br />

Schutz zu suchen und nachts wurden<br />

die Menschen aus dem Schlaf<br />

gerissen. Schnell schlüpften sie in<br />

ihre Kleider und warteten in Jacke<br />

oder Mantel auf Entwarnung. Eine<br />

Tasche mit den wichtigsten Dokumenten<br />

stand immer griffbereit<br />

neben der Tür. Einen Schutzbunker,<br />

wohin die Einwohner hätten gehen<br />

können, gab es in der Gemeinde<br />

Neuendorf nicht.<br />

Gegen Kriegsende wurden die Tiefflieger<br />

auch zunehmend gegen die<br />

Zivilbevölkerung im ländlichen<br />

Raum eingesetzt. Viele berichteten,<br />

wie sie während eines Angriffs im<br />

Straßengraben Schutz suchen mussten.<br />

Der Bauer Hans Heutmann aus<br />

dem benachbarten Moorhusen kam<br />

bei einem solchen Angriff ums<br />

Leben. Er befand sich noch auf dem<br />

Feld, als Tiefflieger bei der Straßenüberführung<br />

in Moorhusen einen<br />

Zug angegriffen hatten. Heutmann<br />

war ins Schussfeld geraten, weil er<br />

bei Fliegeralarm nicht rechtzeitig<br />

nach Hause gegangen war. Eine<br />

besondere Tragik erfährt diese<br />

Geschichte vor dem Hintergrund,<br />

dass nur wenige Tage später der<br />

Krieg mit der bedingungslosen<br />

Kapitulation endete.<br />

Als sich das Kriegsende schon<br />

abzeichnete, hatte man noch neben<br />

Abb. 43: Einer der<br />

ersten Bombenkrater<br />

im Gemeindegebiet<br />

entstand zu<br />

Beginn der 40er<br />

Jahre, als die<br />

Eisenbahnbrücke<br />

über den Nord­<br />

Ostsee-Kanal<br />

bombardiert<br />

wurde. Von rechts:<br />

Gustav Karstens,<br />

Albert Karstens,<br />

Erna Karstens,<br />

Julius Holm,<br />

Heinrich Mohr,<br />

Heinrich Hintz; im<br />

Hintergrund die<br />

Wilster/Burger­<br />

Chaussee. Gustav<br />

Karstens hatte als<br />

Soldat extra<br />

Heimaturalub<br />

erhalten, um den<br />

Krater wieder zu<br />

verfiillen.


.'.~2..................................................... ........ ...................... ....................................... D..!!~ .. M9.!l.l.! .~,.M : ! .I.L~~;···'·~·'···G.!;,~!I!~. !?.! ~ ~ ...!·,!H.!;.l.'<br />

Abb. 44: Frauen<br />

aus der Gemeinde<br />

besichtigen das<br />

Gefangenenlager<br />

in Wacken während<br />

des I. Weltkrieges.<br />

Die vier<br />

Damen sind Hefene<br />

Junge, Margarete<br />

Kloppenburg,<br />

Alma Heeckt<br />

sowie Emma<br />

Eggers.<br />

Abb. 45: Zur<br />

Erinnerung an den<br />

Deutsch-Französischen<br />

Krieg 1870-<br />

71 und die<br />

Fahnenweihe des<br />

Militärvereins<br />

NeuendorfSachsenbande<br />

wurde<br />

dieser Stein 1911<br />

in Sachsenbande<br />

eingeweiht.<br />

den Brücken der Wilster-Au Löcher<br />

gegraben und Munition deponiert,<br />

um durch gezielte Sprengungen<br />

dem ,Feind' ein Vorwärtskommen<br />

zu erschweren. Doch bis hierher<br />

drangen die Alliierten glücklicherweise<br />

nicht mehr vor, da die Kapitulation<br />

zu dem Zeitpunkt bereits<br />

unterzeichnet war.<br />

FLUGZEUGABSTURZ<br />

AM 31.12.1944<br />

Ein einschneidendes Ereignis innerhalb<br />

der Gemeinde im Zusammenhang<br />

mit dem zweiten Weltkrieg<br />

war der Flugzeugabsturz auf den<br />

Hof von Marlin Schlüter in Hinter­<br />

Neuendorf. Das war am 3 1. Dezember<br />

1944, nur wenige Monate vor<br />

Kriegsende. Im November hatte es<br />

starke Regenfälle gegeben und das<br />

Schöpfwerk in Averfleth konnte<br />

aufgrund des kriegsbedingten Kohlenmangels<br />

nicht pumpen, so dass<br />

Hinter-Neuendorf unter Wasser<br />

stand. Jedoch rechtzeitig zu Weihnachten<br />

hatte es kräftig gefroren, so<br />

dass der ganze Bereich eine einzige<br />

Eisfläche war. Die Kinder und<br />

Jugendlichen freuten sich riesig,<br />

konnten sie doch nun den ganzen<br />

Tag Schlittschuh laufen. Sogar aus<br />

Wilster kamen die Leute über das<br />

Eis gelaufen, um sich auf der großen<br />

Fläche zu tummeln. Albert<br />

Karstens erinnert sich , dass die


f.!.!.


,,. ' l<br />

.~!i.~ ....................................................................................... .............................................. Kft..~!iG.~.0!:'.f;~~.0I~ ,~ .. PI."iP .. 'l-.W~.~ f!~M.~m.m.· .<br />

Neben den<br />

Freundschaftsund<br />

Liebesbeziehungen<br />

war es<br />

zudem verboten,<br />

die Mahlzeiten<br />

zusammen mit den<br />

Gefangenen am<br />

selben Tisch<br />

einzunehmen. Im<br />

Allgemeinen<br />

hielten sich die<br />

Bauern aber nicht<br />

an diese Anordnung.<br />

Wenn Wachleute<br />

im Anmarsch<br />

waren, wechselte<br />

der Gefangene<br />

schnell an einen<br />

eigens dafor<br />

hergerichteten<br />

Tisch. Ertappte<br />

man sie dennoch,<br />

wurde der Gefangene<br />

kahl geschoren<br />

und die<br />

Bauernfamilie<br />

bestraft.<br />

KRIEGSGEFANGENE<br />

UND ZWANGSARBEIT<br />

Im Sommer 1940 wurden hier in<br />

der Gemeinde Neuendorf die ersten<br />

Kriegsgefangenen als landwirtschaftliche<br />

Arbeiter auf den Bauernhöfen<br />

eingesetzt, um die Arbeit der<br />

eingezogenen Söhne und Väter zu<br />

bewältigen. Den Bedarf an Arbeitern<br />

musste man beim Ortsbauernvorsteher<br />

beantragen. Die Gefangenen<br />

waren in der Durchfahrt der Gastwirtschaft<br />

,Zu m Handelshof untergebracht.<br />

Insgesamt beherbergte die<br />

Gemeinde Neuendorf etwa 30<br />

Gefangene, zunächst Polen, später<br />

Belgier und Franzosen. Früh morgens<br />

wurden die Gefangenen entweder<br />

von den Bauern abgeholt oder<br />

sie gingen selbst zu den Höfen und<br />

kehrten abends wieder zurück.<br />

Eingesetzte Wachleute beaufsich tigen<br />

das Lager und machten Kontrollgänge.<br />

Neben den Gefangenen wurden auf<br />

den Höfen auch Zivilisten beschäftigt.<br />

Dabei handelte es sich in der<br />

Regel um Zivilisten, die im Zuge<br />

der nationalsozialistischen Rassenpolitik<br />

aus den besetzten Gebieten<br />

verschleppt und zum Arbeitseinsatz<br />

in deutschen Betrieben (Industrie<br />

u nd Landwirtschaft) verpflichtet<br />

wurden.<br />

Bei Familie Schlüter in Hinter­<br />

Neuendorf arbeiteten beispielsweise<br />

ein ,Zivil-Pole' und ein ,Russenmädchen',<br />

die auch bei ihnen schlafen<br />

durften sowie anfangs zwei Belgier<br />

und später ein Franzose.<br />

Zu Moritz, dem Franzosen, entwickelte<br />

sich eine freundschaftliche<br />

Beziehung, die auch nach Kriegsende<br />

Bestand hatte. Das war nicht<br />

selbstverständlich, denn eigentlich<br />

waren Freundschafts- u nd Liebesbeziehungen<br />

zu den Gefangenen<br />

strengstens untersagt und Zuwiderhandlungen<br />

wurden schwer geahndet.<br />

Diese schmerzliche Erfahrung musste<br />

auch der Zivil-Pole machen, der<br />

heimlich eine Freundin in Averfleth<br />

hatte. Eines Abends lauerten ihm 3<br />

Männer aus der Gemeinde - als<br />

Wachmänner vom Krieg freigestellt,<br />

um innerhalb der Gemeinde nach<br />

dem Rechten zu sehen - hinter der<br />

Scheune auf und verprügelten ih n.<br />

So harmonisch das Verhältnis vielfach<br />

war, nicht überall erging es den<br />

Gefangenen gut. Hermann Beimgraben<br />

erinnerte sich, dass ein Gefangener<br />

in Dammfleth erschossen<br />

wurde, nur weil er sich mit einer<br />

polnischen Arbeiterin geneckt hatte.<br />

In einer anderen Gemeinde hatten<br />

Soldaten einen ,feindlichen' Piloten,<br />

noch am Fa llschirm hängend,<br />

erschossen, weil die Leute erbost<br />

darüber waren, dass die Alliierten<br />

alles zerbombt hatten. Deshalb<br />

wurden nach Beendigung des Krieges<br />

die einstigen Gefangenen in der<br />

Schule in Hackeboe gesammelt und<br />

möglichst schnell aus diesem Gebiet<br />

herausgeschafft, um eventuelle Vergeltungsanschläge<br />

zu verhindern.<br />

So wendete sich das Blatt. Die<br />

einstigen ,Herrschenden' waren nun<br />

die Besiegten. Viele deutsche Soldaten<br />

wurden in die Gefangenenlager<br />

Amerikas, Englands, Frankreichs<br />

und der Sowjetunion transportiert,<br />

um dort zu arbeiten. Auch in der<br />

Gemeinde Neuendorf mussten sich<br />

viele Familien gedulden, bis ihre<br />

Ehemänner, Väter und Söhne aus<br />

der Gefangenschaft zurückkehrten.<br />

Stellvertretend berichten Richard<br />

Meiforth und Klaus Rehder von<br />

ihrer Zeit in sowjetischer bzw.<br />

französischer Gefangenschaft.


'~~<br />

. ~f.~G:5G1i.l:t\N.G~.~ ~ .. P~P .. .Z~~N ~~~M!;.q ..................................................................................................................................... \~.<br />

Of'lag 83<br />

Verwltg.<br />

Tag der Auszahlung~~! •• ~~::.<br />

RM.-Auszahlungsliste<br />

~uer Lt. GUCClAROLI,Carmelo;Nr 30257<br />

F~pfangsbestaetigung<br />

entl. am 9•11.44 Arb.Amt Elmeh<br />

lt<br />

Otto Pranzenburg Achterhorn<br />

Richard Meiforth in sowjetischer<br />

Gefangenschaft<br />

Richard Meiforth, seit 1940 Soldat,<br />

war lange Zeit vor Leningrad stationiert<br />

gewesen. Estländer und Letten<br />

hatten sie damals begeistert empfangen,<br />

da diese zuvor sehr unter der<br />

sowjetischen Besetzung gelitten<br />

hatten. Doch seit 1944 befand sich<br />

seine Division auf dem Rückzug.<br />

Als sie im Oktober 1944 die ,Düna'<br />

bei Riga überquert hatten, wurden<br />

alle Brücken gesprengt, um den<br />

sowjetischen Truppen ein weiteres<br />

Vordringen zumindest zu erschweren.<br />

Hitler hatte sie darauf eingeschworen,<br />

im Kurland die Stellung<br />

zu halten, um die sowjetischen<br />

Truppen am Einmarsch in Ostpreußen<br />

zu hindern.<br />

Nach einer langen Urlaubssperre<br />

bekamen vor allem Heiratswillige<br />

im März 1945 noch einmal Urlaub.<br />

Richard Meiforth, der sich während<br />

des letzten Urlaubs im Jahr 1943<br />

verlobt hatte, trat seinen 10-tägigen<br />

Heimaturlaub zusammen mit<br />

10.000 anderen Soldaten an. Auf<br />

einem Frachter wurden sie von<br />

Libau nach Danzig gebracht. In<br />

Danzig angekommen, erreichte sie<br />

jedoch die Nachricht, dass die<br />

sowjetischen Truppen bis Danzig<br />

vorgedrungen seien, wodurch Ostpreußen<br />

vom restlichen Deutschland<br />

abgeschnitten war. Deshalb<br />

kehrte Richard Meiforth zu seiner<br />

Division im Kurland zurück, wo sie<br />

bis Kriegsende die Stellung hielten.<br />

Nach Unterzeichnung der Kapitulation<br />

am 8. Mai 1945 geriet Richard<br />

Meiforth in sowjetische Gefangenschaft.<br />

Er kam ins Gefangenenlager<br />

in Riga und musste im Hafen<br />

Schiffe be- und entladen. Im Sommer<br />

1945 erging es ihnen den<br />

Umständen entsprechend gut, zu<br />

der Zeit wurden sie noch von den<br />

Amerikanern mit Lebensmitteln<br />

versorgt. Als sich jedoch die Spannungen<br />

zwischen den Amerikanern<br />

und der Sowjetunion verschärften,<br />

verschlechterte sich die Ernährungssituation<br />

dramatisch. Meist<br />

Abb. 47: Carmelo<br />

Gucciaroli, ein<br />

italienischer<br />

Gefangener,<br />

musste während<br />

des 2. Weltkrieges<br />

als Hilfskraft auf<br />

dem Bauernhof<br />

von Familie<br />

Beimgraben in<br />

Averjleth arbeiten.<br />

Für die geleistete<br />

Arbeit erhielt er<br />

am 19. Februar<br />

1945 764,30<br />

Reichsmark.


( ,il ~<br />

.W .................................... ........ ....... ....... ..... ..... ........ ................... ...................... ... .. ~.~!i~.~.Gm:~~.G.J.' .... f. .. P~.P. .. ZWA.!~Y.~M~f.ff .<br />

Abb. 48: Einen<br />

Wehrpass erhielten<br />

alle wehrfähigen<br />

Männer bis zur<br />

Vollendung des 60.<br />

Lebensjahres.<br />

Hierin wurden<br />

neben den persönlichen<br />

Daten wie<br />

Name, Anschrift<br />

und Geburtsdatum<br />

alle Daten, die<br />

den aktiven Wehrdienst<br />

betrafen wie<br />

beispielsweise<br />

Kriegsbeorderungen,<br />

Übungen und<br />

dergleichen<br />

notiert.<br />

gab es Erbsensuppe, die ohne Einlagen<br />

hauptsächlich aus Wasser<br />

bestand. Geschlafen haben sie sommers<br />

wie winters auf den kalten<br />

Betonfußböden. Ausgemergelt und<br />

für die winterlichen Temperaturen<br />

nicht entsprechend gekleidet, überlebten<br />

viele seiner Kameraden diese<br />

Zeit nicht.<br />

Daheim quälte seine Familie und<br />

seine Verlobte, Käthe Feldhusen,<br />

lange Zeit die bange Frage, ob er<br />

noch am Leben sei. Erst im September<br />

1946 erhielten sie ein Lebenszeichen.<br />

Richard Meiforth war es<br />

gelungen, einem finnischen Seemann<br />

einen Brief an seine Familie<br />

mitzugeben, den dieser im Kieler<br />

Hafen mit der Bitte abgab, ihn<br />

weiterzuleiten. Ab 1947 durften sie<br />

dann offiziell einmal im Monat eine<br />

Karte mit maximal 25 Wörtern nach<br />

Hause schreiben. Auf einer gleichen<br />

Karte konnte ihm seine Familie mit<br />

gerade mal 25 Worten antworten,<br />

ebenfalls nur einmal im Monat. Am<br />

25. Oktober 1948 kehrte er dann aus<br />

der russischen Gefangenschaft<br />

zurück und konnte im darauffolgendem<br />

Jahr mit vierjähriger Verspätung<br />

endlich heiraten.<br />

Im Nachhinein ist er sich sicher,<br />

dass er nicht nach Russland zurückgekehrt<br />

wäre, wenn er damals, im<br />

März 1945, bis nach Hause durchgekommen<br />

wäre. Den meisten Soldaten<br />

war wohl seit der Niederlage<br />

bei Stalingrad Anfang des Jahres<br />

1943 bewusst, dass Deutschland<br />

den Krieg verlieren würde. Nur dass<br />

es noch so lange dauern würde,<br />

damit hatten sie nicht gerechnet.<br />

Schon gar nicht hätten sie diese<br />

Gedanken laut äußern dürfen, weil<br />

man sie sonst vor das Kriegsgericht<br />

gestellt hätte, was einer Exekution<br />

gleichkam. Sogar wenige Wochen<br />

vor Kriegsende gab es noch Unteroffiziere,<br />

die entsprechende Äußerungen<br />

ahnden wollten.<br />

Klaus Rehder in französischer<br />

Gefangenschaft<br />

Ähnliches berichtet Klaus Rehder<br />

aus Wilster, ehemals Averfleth, der<br />

als Soldat in einer Eingreiftruppe<br />

gedient hatte. Soldaten, die noch<br />

während des Rückzuges ihre Waffen<br />

von sich warfen, um sich den Alliierten<br />

zu ergeben, wurden sogleich<br />

auf dem Schlachtfeld als Deserteure<br />

verurteilt und erhängt. Diese rüde<br />

Praxis der Hinrichtung erlebte Klaus


.~H\G.$.~!;'.1.'t~.~.G!;'.~!;' .. F~Q .. Z.W.ru~~~.(\@.~.IT ...................................................................................................................................... W..<br />

Rehder schon 1942 in seiner Kaserne<br />

in Bremen. Er war als 18-jähriger<br />

gerade einberufen worden und mit<br />

ihm zusammen viele andere junge<br />

Männer aus Schleswig-Holstein und<br />

Ostfriesland. Am Morgen des 24.<br />

Dezember 1942 wurde ein Kamerad<br />

hingerichtet, weil er Fahnenflucht<br />

begangen hatte. Dazu hatte man ein<br />

Kommando von 10 Mann zusammengestellt<br />

und bereits geladene<br />

Gewehre ausgehändigt. Die<br />

Hälfte diese Gewehre war mit Platzpatronen<br />

und die andere Hälfte mit<br />

scharfer Munition geladen. Die<br />

Soldaten wussten nicht, welche<br />

Gewehre mit scharfer Munition<br />

geladen waren. Dies hatte zweierlei<br />

Gründe: Zum einen soll ten die<br />

Soldaten von dem Schuldgefühl<br />

entlastet werden, einen Kameraden<br />

erschossen zu haben und zum<br />

anderen wurden die Soldaten so<br />

gezwungen, auch wirklich auf den<br />

Verweigerer und nicht absichtlich<br />

daneben zu schießen. Denn wäre<br />

das Kommando nicht ,erfolgreich'<br />

gewesen, d. h. der Verweigerer wäre<br />

nach Ausführung des Erschießungsbefehls<br />

nicht tödlich getroffen, hätte<br />

man diese Soldaten als nächstes zur<br />

Verantwortung gezogen.<br />

Klaus Rehder wurde noch vor<br />

Kriegsende von den Amerikanern in<br />

Gefangenschaft genommen, später<br />

aber den Franzosen überstellt. Dort<br />

arbeitete er als Köhler. Anfangs<br />

wurden sie dort sehr schlecht<br />

behandelt. Sie bekamen wenig zu<br />

essen und einige seiner Kameraden<br />

wurden ohne Angabe von Gründen<br />

zusammengeschlagen. Als dies ein<br />

älterer Aufseher erfuhr - er war in<br />

deutscher Gefangenschaft gewesen<br />

und dort gut behandelt worden-,<br />

setzte er sich dafür ein, dass man<br />

die deutschen Soldaten ebenfalls<br />

gut behandelte. Später erkrankte<br />

Klaus Rehder schwer, so dass er in<br />

ein Lazarett verlegt werden musste.<br />

Als das Lazarett geräumt wurde,<br />

wurde er entlassen und so konnte er<br />

bereits Ende Juli 1946 nach Hause<br />

zurückkehren.<br />

Abb. 49: Sobald<br />

die wehtfähigen<br />

Männer als Soldaten<br />

eingesetzt<br />

wurden, mussten<br />

sie zur Legitimation<br />

immer das<br />

Soldbuch in der<br />

Rocktasche bei<br />

sich fUhren.


~~ ~ ~J ENTNAZIHZIER!JNG VON HANS-MAX R EESE lf.-\CKioBOE<br />

.~~ .................................................................................................................................................................................................................. .<br />

in fünf Kategorien eingestuft:<br />

Hauptschuldige, Belastete (Aktivisten),<br />

Minderbelastete, Mitläufer und<br />

Entlastete. Den in die drei ersten<br />

Kategorien Eingestuften drohten<br />

Strafen von der Einweisung in ein<br />

Arbeitslager (bis zu zehn Jahren)<br />

über Berufsverbot, Amtsverlust oder<br />

Pensionsverlust bis zur Aberkennung<br />

des aktiven und passiven<br />

Wahlrechts; für Mitläufer waren<br />

Geldbußen vorgesehen. Die oft<br />

wi llkürlich erscheinenden Entscheidungen<br />

der Spruchkammern riefen<br />

Unmut in der Bevölkerung hervor,<br />

auch bei erklärten Nazigegnern. Mit<br />

Beginn des Kalten Krieges wurde<br />

die Entnazifizierung eingestellt und<br />

1949 sind in allen Ländern der<br />

Bundesrepublik Entnazifierungs­<br />

Schlussgesetze erlassen worden.<br />

Abb. 50: Gustav<br />

Tobias aus Hinter­<br />

Neuendorf war<br />

einer der letzten<br />

Heimkehrer, deren<br />

Rückkehr Bundeskanzler<br />

Adenauer<br />

1955 bei seinem<br />

Besuch in Moskau<br />

erwirkt hatte.<br />

Über ein Jahrzehnt<br />

war er in<br />

sowjetischer<br />

Gefangenschaft<br />

gewesen, davon<br />

hatte er 7 Jahre<br />

mit Typhus und<br />

Malaria im Lazarett<br />

verbracht. Die<br />

Fotografie zeigt<br />

ihn bei seiner<br />

Ankunft am Hamburger<br />

Hauptbahnhof<br />

zusammen mit<br />

seiner Tochter<br />

Erika, die er<br />

zuletzt als 4-<br />

jährige gesehen<br />

hatte.<br />

ENTNAZIFIZIERUNG<br />

voN IIANs-MAx<br />

........ ~~~·~·'·· .. ~~.~.~9.~ ....... ..<br />

Die sogenannte ,Entnazifizierung'<br />

war von den alliierten Siegermächten<br />

auf der Konferenz von Potsdam<br />

(1 7. Juli bis 2. August 1945)<br />

beschlossen und im Potsdamer<br />

Abkommen festgelegt worden.<br />

Durch sie sollte die Umgestaltung<br />

des politischen Lebens auf demokratischer<br />

Grundlage eingeleilet<br />

werden. Dazu wurde die NSDAP<br />

aufgelöst und die Anhänger des<br />

Nationalsozialismus wurden aus<br />

allen öffentlichen und halböffentlichen<br />

Ämtern sowie aus<br />

verantwortlichen Posten der Privatwirtschaft<br />

entfernt. Mit Deutschen<br />

besetzte Spruchkammern und Berufungskammern<br />

wickelten die Entnazifizierungsverfahren<br />

gerichtsförmig<br />

ab. Die Betroffenen mussten einen<br />

Fragebogen, der 131 Fragen enthielt,<br />

beantworten. Daraufhin wurden sie<br />

In sei.ner Funktion als NSDAP­<br />

Ortsgruppenleiter Neuendorfs seit<br />

1931 war Hans Max Reese am 22.<br />

August 1945 inhaftiert worden .<br />

Zunächst befand er sich im Internierungslager<br />

in Glückstadt, später<br />

wurde er nach Neumünster verlegt<br />

und zum Schluss war er in einem<br />

Internierungslager in der Nähe von<br />

Paderborn (Eselheide)<br />

untergebracht. Sein Entnazifizierungsverfahren<br />

wurde vor der<br />

Spruchkammer in Bielefeld verhandelt.<br />

Dort musste er zu verschiedenen<br />

Punkten Stellung beziehen,<br />

beispielsweise hinsichtlich seiner<br />

Kenntnis über die 'Germanisierung'<br />

in den besetzen Gebieten sowie<br />

über die Behandlung von Juden,<br />

Fremdarbeitern, Kriegsgefangenen<br />

und feindlichen Piloten. Zu seiner<br />

Entlastung durfte er verschiedene<br />

Personen aus der Gemeinde benennen,<br />

die in einer Eidesstattlichen<br />

Erklärung die Richtigkeit seiner<br />

Aussagen bestätigen. Im folgenden<br />

ein paar Auszüge:


f;:\l.;\ ..\tt. !: !!.!f; I~.\ ..:-.~!.. ~ .~1.~ . JL\~5.7M.,\~ .. ~~g, .. ~\~;~~;npr ........................................................................................................ ~.<br />

1. Schumachermeister Julius Halmschlag<br />

aus Hackeboe (seil1935<br />

NSV): ,.Er hol mich politisch nicht<br />

im geringsten zu beeinflussen versucht.<br />

Er war überhaupt kein fanatischer<br />

Pg. [Parteigenosse] Die<br />

Kriegsgef und Fremdarb., die bei<br />

Herrn Rcese beschäftigt waren, ...<br />

waren sehr zufrieden mit Behandlung,<br />

Verpflegung u.s.w . ... In der<br />

Gemeinde war Herr Reese allgemein<br />

beliebt, auch bei Parleigegnern ...<br />

Der Vater des Herrn Reese war viele<br />

fahre Bürgermeister. Auf seinen Sohn<br />

ist offenbar die Begabung, ein öffentliches<br />

Amt zu führen, übergegangen.<br />

So erklärt sich, dass man ihn zum<br />

Ortsgruppenleiter bestimmt hat."<br />

(16.6.1947)<br />

2. Bauer Johannes Karslens aus<br />

Hackeboe (seil 1931 Mitglied in der<br />

NSDAP und NSKOV [NS-Kriegsopferversorgung]:<br />

,.Nach meiner Überzeugung<br />

ist Herr Reese nur aus<br />

wirtschaftlichen Gründen der<br />

NSDAP beigetreten, weil er von<br />

dieser Partei eine Rettung der Landwirtschaft<br />

aus ihrer schweren Krise<br />

erhoffte. Sehr viele Bauern gingen<br />

aus diesen Gründen zur NSDAP"<br />

(16.6.1947)<br />

3. Arbeiter Johannes Schwardt aus<br />

Hackeboe (DAF, Deutsche Arbeitsfront<br />

NSKOV): ,.Herr Reese hat nie<br />

auf mich einen Druck ausgeübt, der<br />

NSDAP beizutreten. [Die Kriegsgefangenen<br />

auf dem Hof des Herrn<br />

Reese] konnten sich in ihrer Freizeit<br />

frei bewegen . ... Es ist m. W niemand<br />

aus der Gemeinde angezeigt<br />

worden oder in politische Haft<br />

gebracht worden. Er hielt nur wenige<br />

Versammlungen ab. In dieser Beziehung<br />

tat er nur das, was von oben<br />

befohlen war. Er hat dabei nur wenig<br />

gesprochen. Die Reden hielt<br />

meistens der Lehrer Fronzenburg<br />

[Lehrer an der Schule in Vorder­<br />

Neuendorf, 1934-1945]." (16.6.1947)<br />

4. Amtsvorsteher Richard Brandt<br />

aus Goldbogen: ,.Die ausländischen<br />

Zivilarbeiter haben mir vor der<br />

Kapitulation wiederholt ihre Sorgen<br />

und Nöte vorgetragen. Dabei sind<br />

nie Klagen über Herrn Reese laut<br />

geworden. Es sind in der Gemeinde<br />

Neuend01f keine feindlichen Flieger<br />

notgelandet oder abgesprungen."<br />

(16.6.1947)<br />

5. Bürgermeister Johannes Balls (ein<br />

Jahr Mitglied der NSDAP, 1932<br />

Parteiaustritl): ,.Nach der Kapitulation<br />

haben hier im Schulhaus mehrere<br />

Hochzeiten stattgefunden. Die<br />

Fremdarbeiter haben zu dieser Feier<br />

die Arbeitgeber eingeladen. Diese<br />

nahmen auch daran teil. Schon<br />

diese Tatsache beweist das beste<br />

Einvernehmen zwischen Kriegsgefangenen<br />

und Einheimischen."<br />

(16.6.1947)<br />

6. Schlosser Johannes Sötje aus<br />

Hackeboe (zwangsweise DAF): ,.Von<br />

Letzteren [Einwohner, die nicht der<br />

Partei angehörten] haben mir einige<br />

erklärt, dass sie, falls Herr Reese<br />

wieder zur Wahl gestellt würde, ihm<br />

wieder ihre Stimme geben würden."<br />

(16.6.1947)<br />

Aufgrund der Beweislage wurde<br />

Hans Max Reese am 14. November<br />

1947 zu einer Gefängnisstrafe von 5<br />

Monaten verurteilt, die er jedoch<br />

mit seinem Aufenthalt in den verschiedenen<br />

Internierungslagern<br />

bereits verbüßt hatte.


.UJ) .................. ...... ........ ................... ............... ................................................................. ................................. ............. f!J'.C ! .f.'f!:! .~ M !;.<br />

Abb. 51: Hans­<br />

Max Reese zusammen<br />

mit seiner<br />

Frau Emma im<br />

Jahre 1962.<br />

FLÜCHTLINGE<br />

Bei den ersten Flüchtlingen, die in<br />

der Gemeinde Neuendorf einquartiert<br />

wurden, handelte es sich um<br />

Einwohner Hamburgs. Englische<br />

Flieger hatten bei einem Großangriff<br />

in der Nacht vom 24. auf den 25.<br />

Juli 1943 und in der darauffolgenden<br />

Nacht die Hansestadt innerhalb<br />

weniger Stunden in Schutt und<br />

Asche gebombt. Am 27. Juli 1943<br />

trafen um 10 Uhr abends die ersten<br />

Bombengeschädigten ein. An den<br />

folgenden Tagen verstärkte sich der<br />

Zustrom, so dass schon bald sämtliche<br />

Quartiere in der Gemeinde<br />

belegt waren. Als sich die Lage den<br />

Umständen entsprechend wieder<br />

beruhigt hatte, kehrten sie nach


. f!,('.~'rn .. ~.~0.!; ........................................................................................................................................................................................ ::za.<br />

Harnburg zurück.<br />

Gegen Kriegsende begann dann der<br />

Flüchtlingsstrom aus den ehemaligen<br />

deutschen Ostgebieten, der die<br />

Einwohnerzahlen Neuendorfs innerhalb<br />

kürzester Zeit verdoppelte und<br />

die westlichen Besatzungsmächte<br />

hinsichtlich Versorgung und Unterbringung<br />

vor fast unlösbare Aufgaben<br />

stellte. Ehrenamtliche<br />

Flüchtlingsbetreuer nahmen sich<br />

dieser Neuankömmlinge an und<br />

kümmerten sich um deren Unterbringung<br />

und Versorgung.<br />

Im März 1945 trafen die ersten<br />

Flüchtlingsfamilien in Neuendorf<br />

ein. Stellvertretend für all jene<br />

berichtete Irmgard Patzies aus<br />

Vorder-Neuendorf über die Erlebnisse<br />

während ihrer Flucht.<br />

Irmgard und Ewald Patzies stammen<br />

aus Kussen. Einst ein 700-Seelen­<br />

Dorf im Grenzkreis Schlossberg in<br />

Ostpreußen, heute nahezu unbewohnt.<br />

Dort besaßen sie einen<br />

kleinen Hof von 18 Hektar Land mit<br />

ein paar Kühen, Schweinen und<br />

zwei Arbeitspferden.<br />

1941 hatten sie geheiratet. Das<br />

GI ück währte jedoch nicht lange,<br />

denn schon bald wurde Ewald<br />

Patzies einberufen. Derweil bewirtschaftele<br />

seine Frau den Hof allein.<br />

Bis zum August 1944 blieb Ostpreußen<br />

weitgehend vom 2. Weltkrieg<br />

verschont. Im Oktober drangen die<br />

Sowjets jedoch bis zur Grenze vor.<br />

Des Nachts war der Himmel vom<br />

nahen Kanonenfeuer hell erleuchtet<br />

und Familie Patzies musste zum<br />

ersten Mal fliehen. Den Wagen mit<br />

dem Nötigsten beladen, flüchtete<br />

Irmgard Patzies mit ihren zwei<br />

Söhnen Karl (2 1 /z Jahre) und Klaus<br />

(9 Monate) in den Kreis Wehlau, wo<br />

sie in Grünhain bei einem Gutsherrn<br />

Unterschlupf fanden. Dort<br />

lebten sie knapp 3 Monate. Ewald<br />

Patzies, der im Krieg seinen rechten<br />

Arm verloren hatte, ließ sich aus<br />

dem Lazarett entlassen und kam zu<br />

ihnen nach Grünhain. Hin und<br />

wieder fuhren sie heim, um von<br />

ihren Wintervorräten Futter für die<br />

Pferde zu holen. Doch noch innerhalb<br />

dieser drei Monate zerstörten<br />

Bomben das Anwesen in Kussen.<br />

Am 20. Januar 1945 befahl dann der<br />

Kreisbauernführer, Grünhain zu<br />

verlassen, um nach Westen zu fliehen.<br />

Da die sowjetischen Truppen<br />

sie bereits eingekreist hatten, konnten<br />

sie nur entlang der Küste entkommen.<br />

Bei Königsberg mussten<br />

Abb. 52: Der Hof<br />

von Familie<br />

Patzies in Kussen<br />

(ehemals Ostpreußen)<br />

vor<br />

seiner Zerstörung<br />

Ende 1944.


.~ ........................................................................................................................................................................................ f! ,~)Q.\'.I:!J::-!~~f.<br />

Die Volkszählung<br />

vom l . II.l946<br />

ergab for Neuendorf<br />

eine Einwohnerzahl<br />

von 1.387<br />

Personen, davon<br />

waren 644 Personen,<br />

also knapp<br />

die Hälfie Flüchtlinge<br />

und Ausgebombte.69<br />

sie das ,Frische Haff' überqueren.<br />

Zum Glück war das Eis dick genug,<br />

um sie samt Pferd und Wagen zu<br />

tragen, dennoch war die Überquerung<br />

des Haffs riskant, da sie statt<br />

einer einzigen riesigen Eisfläche,<br />

viele kleine Eisschollen überqueren<br />

mussten. Auf der anderen Seite ging<br />

es entlang der Ostseeküste weiter.<br />

Ganze Dörfer, Städte und Landkreise<br />

befanden sich auf der Flucht vor<br />

der sowjetischen Armee und zogen<br />

gen Westen. Zigtausende Menschen<br />

passierten Tag für Tag die Orte. Die<br />

,Trecks' wurden den so genannten<br />

,Verpflegungs-Stationen' vorher<br />

angekündigt, damit genügend<br />

Schlafplätze, Lebensmittel und<br />

Futter für die Pferde zur Verfügung<br />

standen. In den Orten angekommen,<br />

wurden ihnen Unterkünfte zugewiesen.<br />

Meist schliefen sie bei einem<br />

Bauern im Stall zwischen den Kälbern<br />

und Schafen. Einer musste<br />

jedoch immer beim Wagen bleiben,<br />

um auf die Pferde aufzupassen.<br />

Natürlich blieben unter diesen<br />

Umständen Krankheiten nicht aus<br />

und sehr viele Menschen, vor allem<br />

Alte, Kranke und Kleinkinder fielen<br />

den Seuchen zum Opfer. Unzählige<br />

Tote säumten den Weg; zurückgelassen<br />

ohne Begräbnis, da der Boden<br />

tief gefroren war. So trafen sie nach<br />

zwei Monaten vollkommen entkräftet<br />

und verlaust, ansonsten aber<br />

gesund in Itzehoe ein. Dort wurden<br />

sie vom Deutschen Roten Kreuz in<br />

Empfang genommen und zunächst<br />

entlaust. Am 24. März 1945 wurden<br />

sie der Familie Wilde in Averfleth<br />

zugewiesen, wo es ihnen sehr gut<br />

erging. Mit ihren zwei Kindern<br />

waren sie in der Vordiele untergebracht.<br />

Da der Familie Wilde selbst<br />

nur 2 Räume zur Verfügung standen,<br />

blieben sie die einzige Flüchtlingsfamilie<br />

auf diesem Hof. Schnell<br />

wurden sie in die Dorfgemeinschaft<br />

integriert. Ewald Patzies arbeitete<br />

bei den Bauern vor Ort und Irmgard<br />

Patzies half gelegentlich der Familie<br />

Asmus, als diese noch die Gaststätte<br />

,Zum Dückerstieg' betrieb. Nach 10<br />

Jahren kauften sie sich vom mühsam<br />

Ersparten ein altes Haus in<br />

Vorder-Neuendorf. Zu dem Zeitpunkt<br />

lebten dort noch 28 andere<br />

Flüchtlinge, doch nach und nach<br />

siedelten diese um und so konnten<br />

sie bald ihr neues Zuhause herrichten.<br />

So wie bei Familie Wilde in Averfleth<br />

wurden die Flüchtlinge in<br />

allen zur Verfügung stehenden<br />

Quartieren untergebracht. Teilweise<br />

in Ställen, öffentlichen Gebäuden<br />

und sonstigen Räumen, die sich<br />

dafür eigneten oder auch weniger<br />

eigneten, lebten die Alteingesessenen<br />

und Neuzugezogenen eng beieinander.<br />

In den kleinsten Kammern<br />

fanden ganze Familien Platz. Es gab<br />

weder Wohn-, noch Schlaf- oder<br />

Kinderzimmer. Lediglich die Anzahl<br />

der Räume diente als Auswahlkriterium,<br />

wenn es darum ging, weitere<br />

Flüchtlingsfamilien auf den Höfen<br />

unterzubringen. In einer Volkszählung<br />

von 1946 wurde neben der<br />

Einwohnerzahl auch die Wahnraumsituation<br />

erfasst. In der<br />

Gemeinde Neuendorf wohnten zu<br />

der Zeit durchschnittlich 2,3 Personen<br />

in jedem Raum. Damit lag<br />

Neuendorf über dem Kreisdurchschnitt<br />

von 1,7 Personen je verfügbarem<br />

Wohnraum. Ein Schulaufsatz<br />

aus dem Jahr 1956 gibt beispielhaft<br />

einen Einblick in die Wohnsituation<br />

der Nachkriegsjahre:<br />

"Im April1945 wurde Frau Kemka<br />

aus Ostpreußen mit zwei Kindern bei<br />

Nikolaus Meiforth aus Averfleth im<br />

Altenteil einquartiert. Als dann im<br />

Herbst 1945 Herr und Frau Uhlmann<br />

ebenfa lls mit zwei Kindern


.f!,~'.Q.~I!:~.~Y.~ .............. ......................................................................................................................................................................... .?J..~.<br />

9..~.rn.:~_i _l1.~.~- : ..... .. .. L.J.~.{ ..... l. .~ ...... C:.tJ::.?:.k. ..<br />

District:<br />

Kreis Steinburg<br />

•<br />

Buchdruckerei .E...m...u....F r---e...e ._.••..___<br />

Jbehoe, Lindenstraße 1<br />

Fernruf 2686<br />

' ·".<br />

~.Wi;~,?;;;,,,<br />

Vorläufiger<br />

Ausweis<br />

Preliminary<br />

Identity Certificate<br />

Nr. ~---<br />

-·<br />

~~~<br />

__ ,, :~ ?lA(d7


.!t~J ................................................................. ............................................. ....................... .............. .............................. f! ,Üf:! .O.'!:! .~G.!'; .<br />

irgendwo untergebracht werden<br />

mußten, bekamen sie eine Stube im<br />

Altenteil zugewiesen. Vorher hatten<br />

sie in einem Kuhschauer gewohnt;<br />

wenn man es wohnen nennen kann.<br />

Im Dezember 1945 kam Herr Hansen<br />

mit seiner Frau aus Thüringen.<br />

Sie wurden für kurze Zeit notdürftig<br />

in der Knechtkammer untergebracht.<br />

Im Dezember zogen ein alter, fast<br />

blinder Mann mit seiner Frau, seiner<br />

Tochter, seinem Schwiegersohn und<br />

Enkel bei Meiforth ein. Sie hießen<br />

Trowinluk. Acht Tage wohnten sie<br />

dort. Sie schliefen auf dem Flur auf<br />

einem Strohlager. Als im März 1946<br />

Kar] Liske mit seiner Frau kam, war<br />

das Haus schon besetzt. Sie mußten<br />

daher auf der Diele schlafen. Im<br />

VVI'nter, als es dann z u kalt wurde,<br />

mußten sie ein fahr lang mit einem<br />

Quartier im Pferdestall vorlieb nehmen.<br />

Die Wände hatten sie mit Stroh<br />

dichtgestopft So hatten sie es wenigstens<br />

warm. Im Mai 1946 wurde<br />

Familie Vollmer aus Pommern mit<br />

fünf Personen auf dem Meiforthschen<br />

Hof untergebracht. Etwas<br />

später auch Frau Ebert mit drei<br />

Kindern aus Pommern und Frau<br />

Maleyka aus Pommern. Sie wohnten<br />

im Altenteil. Im Mai 1948 kamen<br />

Herr Kemka und Herr Maleyka aus<br />

der Gefangenschaft. Kurze Zeit<br />

wohnte auch noch Frau Häusler mit<br />

ihrer Schwester und Herrn Dieckhoff<br />

bei Meiforth. Alle Zimmer waren<br />

besetzt."<br />

So war es ein ständiges Kommen<br />

und Gehen. Für die meisten Flüchtlingsfamilien<br />

war Neuendorf nur<br />

eine Zwischenstation, bis sie im<br />

Ruhrgebiet oder in anderen großen<br />

Städten Arbeit und Unterkunft<br />

fanden. Anfang/Mitte der 50er Jahre<br />

entspannte sich die Wohnsituation<br />

zusehends und langsam kehrte man<br />

zu den normalen Verhältnissen<br />

zurück.<br />

VON HAMSTER­<br />

FAHRTEN UND<br />

EINHEITSSCHWEINEN<br />

Neben der Unterbringung hatte die<br />

Ernährung und Versorgung oberste<br />

Priorität. Schon während des Krieges<br />

waren viele Dinge nicht vorrätig<br />

oder schwer zu beschaffen. Im<br />

Winter gab es weder Kohlen noch<br />

Briketts zum Heizen, es fehlte an<br />

Kleidung bzw. Stoffen zum Nähen,<br />

selten konnte man Seife oder dergleichen<br />

kaufen und Schokolade<br />

und Orangen hatten viele Kinder<br />

noch nie gekostet. In den Wintermonaten<br />

konnten einige Kinder<br />

nicht am Schulunterricht teilnehmen,<br />

weil sie keine Schuhe hatten.<br />

Die ersten langen Hosen gab es<br />

sowieso erst zur eigenen Konfirmation.<br />

Bis dahin trugen die Jungen<br />

handgestrickte Strümpfe, die mit<br />

Strumpfbändern festgemacht wurden.<br />

Da es an Knöpfen mangelte,<br />

verwendete man stattdessen Pfennige,<br />

mit denen man die wollenen<br />

Socken am Strumpfhalter befestigte.<br />

Hermann Beimgraben erinnerte<br />

sich, wie seine Mutter aus einer<br />

,Hakenkreuz-Fahne' einen Rock und<br />

eine Bluse nähte. Seife wurde aus<br />

verendeten Tieren hergestellt, Sirup<br />

wurde aus Zuckerrüben gekocht<br />

und die Milch wurde zu Butler<br />

geschlagen, was eigentlich strengstens<br />

verboten war. Denn grundsätzlich<br />

waren die Bauern dazu<br />

verpflichtet, sämtliche Erzeugnisse,<br />

sei es Milch, Fleisch, Getreide oder<br />

andere Feldfrüchte, abzuliefern.<br />

Dass es bei den Bauern trotzdem<br />

häufiger als anderswo eine Portion<br />

Fleisch gab, lag u. a. am ,Einheitsschwein'.<br />

Die meisten Bauern ,vereinbarten'<br />

nämlich mit dem<br />

Fleischbeschauer ein Einheitsgewicht<br />

von 90 Kilogramm. Zumin-


. Y9.~ ... tl~ .. ~~~·IT.~N:!~TP~ ... ~ f~.P. .. ~~.~1J~.l.T.~~~~W,!;g'S1iN ................................................................................................................. .?J~.<br />

dest wurde dieses Gewicht offiziell<br />

angegeben, auch wenn das Schwein<br />

in Wirklichkeit 200 Kilogramm wog.<br />

So hatten die Bauern wesentlich<br />

mehr Fleisch zur Verfügung als<br />

ihnen eigentlich zustand und der<br />

Fleischbeschauer erhielt für sein<br />

,Entgegenkommen' das eine oder<br />

andere Bratenstück.<br />

Infolge der nationalsozialistischen<br />

Kriegswirtschaft, die den Konsum<br />

der Bevölkerung im Interesse der<br />

schwerindustriellen Produktion<br />

beschränkt hatte, waren riesige<br />

Geldvorräte entstanden, denen nur<br />

ein minimales Warenangebot gegenüber<br />

stand. Aufgrund dieses<br />

Ungleichgewichtes kam es zur<br />

Ausbildung eines üppig blühenden<br />

Schwarzmarktes. Gegen viel Geld<br />

oder im Tauschhandel Ware gegen<br />

Ware konnte man nahezu alles<br />

beschaffen. Für ein wenig Butter<br />

erhielt man auf dem Sch warzmarkt<br />

die wichtigsten Dinge des täglichen<br />

Bedarfs und darüber hinaus sogar<br />

einige Luxusartikel jener Zeit, wozu<br />

auf jeden Fall auch Kinderspielzeug<br />

zählte. Eine große Rolle spielte<br />

dabei auch die so genannte Zigarettenwährung.<br />

Dies führte dazu, dass<br />

viele Bauern heimlich Tabak inmitten<br />

der Getreidefelder anbauten.<br />

Da die Not in den Städten noch<br />

größer war als auf dem Land, kamen<br />

die Städter zu Tausenden mit den<br />

Zügen hierher gefahren, um bei den<br />

Bauern Taschenuhren und andere<br />

Kostbarkeiten gegen Lebensmittel<br />

einzutauschen. Die Züge waren<br />

derart überfüllt, dass die Leute<br />

teilweise oben auf den Dächern<br />

saßen oder sich von außen an den<br />

Türen festhielten. Diese sogenannten<br />

,Hamsterfahrten' endeten abrupt<br />

mit der Währungsreform am 20.<br />

Juni 1948, da parallel die Bewirtschaftung<br />

der Güter und die Preisbindung<br />

aufgehoben wurde. "Über<br />

Nacht wurde nun plötzlich in den<br />

Geschäften alles, was bisher gesetzwidrig<br />

zurückgehalten worden war,<br />

angeboten" 63 , mit der Folge, dass der<br />

Schwarzmarkt von einem Tag auf<br />

den anderen verschwunden war. Bei<br />

der Währungsumstellung musste<br />

jede Person 60 Reichsmark einzahlen<br />

und bekam dafür ein sogenanntes<br />

Kopfgeld von 40 Deutschen<br />

Mark, im August noch einmal 20<br />

DM. Die Löhne und Gehälter, Pensionen,<br />

Renten, Mieten und Pachtzinsen<br />

wurden im Verhältnis 1:1<br />

umgestellt, die meisten anderen<br />

Verbindlichkeiten 10:1. Der Währungsschnitt<br />

traf die Besitzer von<br />

Sparguthaben, die im Verhältnis<br />

100:6,5 abgewertet wurden<br />

Abb. 54: Erst<br />

diese Fahrradbenutzungskarte<br />

legitimierte zum<br />

Besitz eines Fahrrades<br />

in den<br />

ersten Nachkriegsjahren.<br />

(S.)<br />

Der BUrgermelster<br />

als Ortspolizeibehörde<br />

~


.~ ................................................................................................................. YQ;~ .. tli~~.t1Tr..~fM!~.n; .~ .. ~ !N!?. . ~.l.~ .I. ! "'.U~~~.l. !.~:~ .t~.t;,~.<br />

3. Woche<br />

26. 11. - 2. 12. 19 .. 5<br />

4. Woche<br />

3.-9. 12.19 .. 5<br />

2. Woche<br />

19.-25..11. 19-45<br />

1. Woche<br />

12. -18.11.1945<br />

~~:_.:.....:_.:..~~~~~M ,<br />

. ~ ··<br />

GOIIII-12. n.-<br />

___ . 82<br />

9. 12. 1f4S<br />

karte<br />

fll•--uto4-­<br />

MOtMr, W6chaeri--<br />

~~~~~~;.;_:i:::::.~ Bendltigungs-161Ä~~~~~~~<br />

_____<br />

Nä ••<br />

Wohnott<br />

..,..<br />

- Nr.<br />

Hkllt Obert,...gbolr I<br />

lote Abschnitt. - ou&M l s.ln·<br />

ott"""'"•• - .lnd fffttiGit .. I<br />

___ I'IP<br />

...... ~ ....<br />

••<br />

1J2Uwl••<br />

M82 II.LMt<br />

t.a. ...<br />

Abb. 55: Zu jener<br />

Zeit gab es die<br />

Lebensmittel nur<br />

rationiert auf<br />

Karte.<br />

...<br />

,.,<br />

-,.,, ,.,, ,.,, ,.,, Slg<br />

......<br />

Slg Slg ,.,, Slg ,.,,<br />

- 12<br />

·- -<br />

82 82<br />

·- 82 12<br />

- - ...... - -<br />

Slg S II<br />

82 12 82 82 82<br />

Slg !illg !lllg Slg Slg<br />

82 f2 82 82 12<br />

Slg ,.,, ,.,,<br />

-<br />

,.,.<br />

-,.,.<br />

- - -<br />

12 82 82 82 82<br />

Slg !Dg Slg !Dg ,.,,<br />

.... ....<br />

••<br />

u 12 a:t<br />

·~<br />

begünstigt. 64<br />

besonders hart. Demgegenüber<br />

wurden die Besitzer von Sachwerten<br />

wie Grund und Boden, Häusern,<br />

Produktionsbetrieben und Lagern<br />

.....<br />

82 -··<br />

·-<br />

82<br />

Slg<br />

82<br />

BROT GAB ES NUR AUF<br />

KARTE<br />

Die Militärregierungen der Besatzungszonen<br />

hatten das System der<br />

Konsumgüterbewirtschaftung übernommen<br />

und in Teilbereichen bis<br />

Anfang der 50er Jahre aufrechterhalten.<br />

Mittels Berechtigungskarten<br />

sollte eine gerechtere Verteilung der<br />

wenigen Güter innerhalb der Bevölkerung<br />

gewährleistet werden, um<br />

zumindest die Grundversorgung<br />

sicherzustellen. Doch trotz alliierter


- ~~.QJ . 0. ;\~ . I~ .. 0.r.~. ~~w:.K~J~ ............................................................... ................................................ ................ ........................!J(}.<br />

Personalkarte<br />

für<br />

Vor- und Zuname ........H....a....a.... k. ... e ...l... b .... e .. r ... a ....... lr1a4& ........... .................<br />

wohnhalt in. ..... - ... ~_01~.~-~~~~--~/~.~~~~-~ .................................... straße Nr. . .. ...... _<br />

Beruf ........ ll.f1ch.tl1DC .................................. geb2..9 .• ~0 .• 00 .... in...................................... ..................<br />

Stellung im Haushalt ........ B«Rabal•aTorat.o4<br />

................................................................................................................................<br />

(H•ua!Wt.mpvontmd. Ebofna. Kind, H•uun~remllte UJW,)<br />

ll


:l}f o'<br />

.~~ ........................................................................................................................................................ ß.!!-9I.Y.·~ .. f.f? .. ~.! m.,~J!f. .~'J~T~.<br />

den Einwohner ermächtigte, sich<br />

Schuhe zu kaufen. Gleichzeitig<br />

notierte der Bürgermeister dies auf<br />

der Personalkarte, um einen Überblick<br />

zu haben, wie oft Schuhe und<br />

dergleichen beantragt wurden.<br />

Allerdings war diese Berechtigungskarte<br />

noch keine Garantie dafür,<br />

auch wirklich neue Schuhe kaufen<br />

zu können, da es zu jener Zeit fast<br />

nichts gab. So musste man oft in<br />

mehreren Geschäften nachfragen,<br />

bis man Erfolg hatte.<br />

Ähnlich verhielt es sich bei den<br />

Lebensmitteln. Jeden Monat wurden<br />

an alle Einwohner Berechtigungskarten<br />

für Nahrungsmittel ausgegeben.<br />

Dabei wurde nach Status<br />

unterschieden. So wurden beispielsweise<br />

werdenden Müttern andere<br />

Rationen zugestanden als etwa<br />

Selbstversorgern. Auf den entsprechenden<br />

Abschnitt erhielt man<br />

dann beim Kaufmann die vorgeschriebene<br />

Menge des Nährmittels.<br />

Für die Woche vom 25 .11. bis 30.11.1946 waren für die<br />

Schulspeisung folgende Portionen vorgesehen:<br />

---<br />

~?.


-)[0\<br />

.S.( ! .l~.·-"·5.l~m.~.~ ! ~.0 ............................................... .......................................... ............................................................................................ ..t.~ .<br />

nen ober bezahlt werden müssen,<br />

können jeweils einige Kinder aus<br />

den anderen Gruppen an der Schulspeisung<br />

teilnehmen. Besonders bei<br />

Bauernkindern ist das Essen begehrt.<br />

Diese zahlen freiwillig mehr als die<br />

anderen. " 66<br />

Leider ist in den Schulchroniken<br />

nicht verzeichnet, wann die Schulspeisung<br />

eingestellt wurde. Noch<br />

Ende 1949 sprachen sich die Eltern<br />

der Schule Vorder-Neuendorf für<br />

eine Fortführung der Schulspeisung<br />

aus. 6 - Es hatte sich jedoch gezeigt,<br />

dass ein Teil der Eltern nicht in der<br />

Lage war, das Geld für die Speisung<br />

aufzubringen und dem Gemeinderat<br />

bereitete die Finanzierung derselben<br />

Schwierigkeiten.<br />

Zum Vergleich in der Gemeinde<br />

Brokdorf wurde die Schulspeisung<br />

nach den Sommerferien 1950 eingestellt,<br />

zum Teil aus denselben Gründen.68<br />

WIR GEDENKEN DER GEFALLENEN<br />

SOLDATEN DES 2. WELTKRIEGES<br />

Kcu"l/ Br-rutdt<br />

fm.WF~<br />

WetftuF~<br />

Wi.UV Flor"~<br />

Al.{r-ed- Flor"~<br />

tleM-vfl tlCIJ-wv<br />

tl . tl~<br />

A~tlactelv<br />

Avt:h


.ill:D ........................................ ............... ......................................... ... ........ ........... :W.!.~ .. G.!iPf:~Kf:~ .. Pf.~ .. G!;h~!g\D .. S.9!P .. ~U;;~ .<br />

Wm GEDENKEN DER GEFALLENEN<br />

SOLDATEN DES 2. WELTKRIEGES<br />

J ofv. CCLr"l-t~<br />

A. Fnu\~€-1'\l)'W'"~<br />

tle.i-n.Yidlt N~<br />

C)tt()-Kv.lwv<br />

G~S~<br />

G~W~<br />

'R (,(;ha",-d,. 'B~<br />

Ni,chl;. -P. C~<br />

Waluf~<br />

tlCM'\4r' Foclv<br />

tle.i-n.Yidlt GYoth­<br />

Wet.l.t"el'" tlCLr"cief­<br />

]~tlei.t'lt<br />

J of-.) y. KCU"~<br />

tlef'"~ Lw:N:<br />

O.M~<br />

WaheLwttN~<br />

'R (,(;ha",-d,. p~<br />

A~'R~<br />

M~ßeh..-~<br />

~ 'ßtM\tYocJv<br />

Waltl:w ßy-CM'\.dt'<br />

J~f~<br />

G~tlee0v<br />

J~tlo{.m,<br />

G~Jebettw<br />

Al"'tu.r 5~<br />

tle.i-n.Yidlt Scht:Ut<br />

KCU"~~<br />

R(,(;ha",-ci-w~<br />

Gel'"hcwci- Wilk.e.t<br />

Achterhörn<br />

Vorder-Neuendorf<br />

Hinter-Neuendorf<br />

13.5.09-3.8.44<br />

26.12.13 -19.4.44<br />

20.8.03 -8.3.48<br />

5.5.15 -26.4.45<br />

16.12.06-24.9.39<br />

16.2.09-3.4.44<br />

22.9.07 -25.3.45<br />

25.5.09-29.5.42<br />

20.7.12-16.8.44<br />

13.2.06 -11.4.45<br />

16.4.14-20.10.43<br />

30 .3.13-16.7.44<br />

18.8.12 -12.4 .44<br />

24.2.08-2.11.44<br />

26.6.21-4.1.44<br />

15.2.19-2 7.10.44<br />

29.8.04-4.9.45<br />

29.4.13 -13.8.43<br />

10.9.95 -Nov. 45<br />

1.12.16 -28.8.43<br />

1.2.15 -15.1.41<br />

22.4.14-26.1.45<br />

22.4.08 -9.3.43<br />

11.3.07 -18.3.46<br />

30.9.19-2 4.11.44<br />

1.7.15 -24.2.42<br />

10.7.14-5.4.42<br />

26.10.12 -29.1.42<br />

21.10.19-14.7.44<br />

21.4.20-13.8 .41<br />

10.1.12 -6.9.39<br />

Die Vermissten<br />

tl~ 'BY'etne+-" 3.6.1911<br />

Otto-'B~~ 30.3.1906<br />

Pete.Y CCLr"~ 21.9.1921<br />

M~f~ 5.4 .1908<br />

tl~f~ 29.8.1904<br />

K~Vohr-VII 25.9.1899<br />

]of-Jl--F~ 13.5.1908<br />

G~F~ 23.1.1913<br />

C)tt()- FLori.a.+'ll 3.2.1892<br />

KIA.rl'G~ 16.4.1927<br />

tlCM'\4r' G Yi.pp 11.10.1912<br />

Otto- tlahrv 1.4.1920<br />

tle.i-n.Yidlt tleU~t 3. 7.1910<br />

A lfyed-tloyel'" 19.9.1919<br />

fc:lw:urci-tl~ 22.7.1907<br />

Pete.Y J IM'\{f€' 21.5.1921<br />

Otto-K~ 8.7.1910<br />

tlef'"&ert' L~ 4.3.1923<br />

tlCM'\4r' Lw:N: 17.12.191 9<br />

Gel'"hcwci- Mc;w.,ß 2.7. 1908<br />

'R~ MCLr't~ 13.2.1920<br />

Waltl:w Mohr- 18.5.1925<br />

tlef'"&ert' MCI.fthe, 29.9.1922<br />

A~N~ 13.11.1919<br />

s~ oi»Wy 6.5.1892<br />

tlCM'\4r'OUop 26.6.1914<br />

J ofv. PiotYowMW 5.7.1893<br />

FYU:~'R~ 2 1.10.1897<br />

FYU:~v. cl< Swnp 1.1.1915<br />

Wah< Schtnidt' 3.9.1924<br />

Waltl:w Schtnidt' 20.6.1916<br />

Ni,chl;. Schr-ödev 13.3.1922<br />

tlei'"~'R~ 18.3.1912<br />

tlei'"YI'II. s chr-ödev 17.7.1 913<br />

fy-~ Schr-ödev 6.10.1915<br />

Ecl


.MNQW.I:~'I~~HAIT .. ~M .. W.~~ ............... ........................................................................................................................................ ®.fi .<br />

..<br />

EIN UBERBLICK<br />

Ähnlich und doch ganz anders stellt<br />

sich die Landwirtschaft von einst<br />

im Vergleich zu heute dar. Auch<br />

wenn sich die anfallenden Arbeiten<br />

weiterhin an den Jahreszeiten und<br />

am Wetter orientieren, so sind die<br />

einzelnen Handgriffe und Arbeitsabläufe<br />

andere geworden. Die nachfolgenden<br />

Berichte von Richard<br />

Meiforth und Hermann Beimgraben,<br />

beide aus Averfleth sowie Thorsten<br />

Beins aus Hackeboe geben einen<br />

anschaulichen Abriss der Landwirtschaft<br />

im letzten Jahrhundert.<br />

Richard Meiforth schildert die ZOer<br />

und 30er Jahre, Hermann Beimgraben<br />

zeichnet den Einzug der Technik<br />

nach und Thorsten Beins<br />

erläutert die anfallenden Arbeiten<br />

in einem heutigen Betrieb. Doch<br />

zunächst ein allgemeiner Überblick<br />

über den Strukturwandel in der<br />

Land wirtschaft;7°<br />

Abb. 58: Anzahl<br />

der landwirtschaftlichen<br />

Vollerwerbsbetriebe<br />

in<br />

den 50er Jahren<br />

im Vergleich zu<br />

heute.


.ID~ ........................... ... .... .............. ................... ... ........ ... .... ............. .............. ........ .. ......... .... M.~P.\Y~~I~.Q.I"\f!: .. t.'~~ . :W.~'\P.U· .<br />

Seit der Kolonisation der Marsch<br />

wurde auf den kultivierten Ländereien<br />

Landwirtschaft betrieben.<br />

Diente sie anfangs zur Selbstversorgung<br />

der Bewohner, fand schon im<br />

Mittelalter eine Differenzierung in<br />

Acker- und Grünlandwirtschaft<br />

statt. In der Wilstermarsch setzte<br />

sich die Grünlandwirtschaft mit<br />

Viehhaltung durch, da der zwar<br />

fruchtbare, jedoch überwiegend<br />

schwere Marschboden für die<br />

Ackernutzung vielfach ungeeignet<br />

war. Verbunden mit der zweiten<br />

Einwanderungswelle niederländischer<br />

Kolonisten im späten<br />

16. Jahrhundert entwickelte sich die<br />

Milchviehwirtschaft zu einem<br />

eigenständigen landwirtschaftlichen<br />

Produktionszweig.<br />

Bereits im 19. Jahrhundert setzte<br />

dann der sogenannte ,S trukturwandel<br />

in der Landwirtschaft' ein.<br />

Erste Anzeichen waren der Rückgang<br />

der bäuerlichen Eigenversorgung<br />

und damit einhergehend der<br />

Anstieg des ländlichen Gewerbehandwerks.<br />

So wurden beispielsweise<br />

gegen Ende des 19. Jahrhunderts<br />

eigenständige Landbäckereien<br />

und -Schlachtereien<br />

sowie Mühlenbetriebe neu gegründet.<br />

Die Auswirkungen der Industrialisierung<br />

durch Abwanderung der<br />

Arbeitskräfte wurden ab 1880 spürbar.<br />

Die eigentlichen Veränderungen<br />

machten sich allerdings erst mit der<br />

Technisierung und Mechanisierung<br />

seit den 50er und 60er Jahren<br />

bemerkbar. Deren Folgen können an<br />

dieser Stelle nur stark verkürzt<br />

dargestellt werden.<br />

Ein Indikator für den strukturellen<br />

Wandel ist die Zahl der Beschäftigten<br />

in der Landwirtschaft, die seit<br />

Ende des 19. Jahrhunderts rückläufig<br />

ist. 71 Dieser Trend verstärkte sich<br />

in den 50er/60er Jahren und hält bis<br />

heute hin an. Dabei zeichnen sich<br />

verschiedene Phasen ab. Zunächst<br />

führte die zunehmende Technisierung<br />

zu einer Freisetzung von<br />

Arbeitskräften. Dies waren anfangs<br />

die weniger gebundenen Arbeitskräfte<br />

wie beispielsweise Tagelöhner,<br />

die zu den industriellen<br />

Arbeitsplätzen abwanderten. Schon<br />

bald reichten jedoch die verbliebenen<br />

Arbeitskräfte nicht mehr aus,<br />

um die anfallenden Arbeiten zu<br />

erledigen, deshalb musste in weitere<br />

Maschinen investiert werden, um<br />

diese fehlenden Arbeitskräfte zu<br />

ersetzen. Es fand ein Wechsel von<br />

einer arbeits- zu einer kapitalintensiven<br />

Wirtschaftsweise statt, der<br />

vielfach in die Verschuldung der<br />

Betriebe mündete.<br />

In einer nächsten Phase ergriffen<br />

auch vermehrt Familienmitglieder<br />

Berufe außerhalb der Landwirtschaft,<br />

weil sie dort bessere<br />

Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten<br />

sahen. Aufgrund<br />

verschlechterter wirtschaftlicher<br />

Existenzbedingungen gegenüber<br />

größeren Betriebseinheiten gaben<br />

zudem Besitzer kleinerer Höfe den<br />

landwirtschaftlichen Betrieb auf.<br />

Die agrarpolitischen Zielsetzungen<br />

der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />

boten ihnen keine<br />

Zukunftsperspektive, entweder<br />

,Wachsen oder Weichen'. Gleichzeitig<br />

verlor die Landwirtschaft bei<br />

steigenden Lebensansprüchen in<br />

Bezug auf Einkommen und Freizeit<br />

(gemessen an außerlandwirtschaftlichen<br />

Berufen) an Attraktivität.<br />

Derzeit erfolgt die Reduzierung<br />

landwirtschaftlicher Arbeitsplätze<br />

in der Regel über sogenannte ,auslaufende<br />

Betriebe', das heißt, es<br />

findet sich kein Hofnachfolger, der<br />

bereit wäre den Betrieb weiterzuführen.


. ~:\~!?.~'.J.!q'!?q.J.~rr . ~,~! .. .W.~\~.P..~ ! , ....................................... ................................................................................................................ ?~.<br />

Aufgrund der natürlichen Gegebenheiten<br />

in der Wilstermarsch ergab<br />

sich eine Spezialisierung auf Milchviehhaltung<br />

und Rinderzucht Die<br />

Technisierung bezieht sich heute<br />

verstärkt auf Rationalisierung der<br />

Arbeitsabläufe, um bei gleichem<br />

Arbeits- und Zeiteinsatz die Produktivität<br />

noch zu steigen. Die neueste<br />

technische Errungenschaft ist der<br />

Computer. Ob nun bei der Fütterung<br />

in Form von elektronischen<br />

Fütterungsanlagen, in sogenannten<br />

,Bordcomputern' zur Bedienung der<br />

Maschinen, die bislang mechanisch<br />

funktionierten, über Melkroboter bis<br />

hin zur Finanz-Buchhaltung, der<br />

Computer erleichtert in vielen<br />

Bereichen bestimmte Arbeitsvorgänge.<br />

Produktivitätszunahme und staatliche<br />

Hilfen mündeten jedoch in eine<br />

EU-weite Überschussproduktion.<br />

Die Folgen waren sinkende Preise,<br />

die wiederum eine Produktionssteigerung<br />

hervorriefen, um die geringeren<br />

Erlöse über die Menge<br />

aufzufangen. Der sogenannte<br />

,Butterberg' ist ein beliebtes Schlagwort,<br />

um die Folgen einer subventionsgestützten<br />

Produktion über den<br />

Bedarf hinaus zu beschreiben.<br />

Bereits Ende der 60er/Anfang der<br />

70er Jahre wurde über Abschlachtprämien<br />

für Milchkühe versucht,<br />

dieser Problematik Herr zu werden,<br />

jedoch mit wenig Erfolg. Seit 1984<br />

wird über die Milchquotenregelung<br />

eine mengenmäßige Beschränkung<br />

der Milchproduktion erwirkt, die<br />

jedoch bei fallendem Milchpreis die<br />

wirtschaftliche Lage vieler Betriebe<br />

dramatisch verschlechterte. Die<br />

jüngste Verordnung (Jahr 2000)<br />

sieht den Handel dieser Milchquoten<br />

über eine zentrale Verkaufsstelle<br />

zu bestimmten Terminen vor.<br />

Dieses Modell wird jedoch mit<br />

gewisser Sorge erwartet, da die<br />

Landwirte einen weiteren Anstieg<br />

des Preises für Milchquoten<br />

befürchten, den dann nur noch<br />

Großbetriebe über Massenproduktion<br />

mit all ihren Nachteilen erwirt-<br />

Abb. 59: In den<br />

40er/50er Jahren<br />

waren nur wenige<br />

landwirtschaftliche<br />

Betriebe ausschließlich<br />

auf<br />

Milchwirtschaft<br />

spezialisiert. Auf<br />

den meisten Höfen<br />

hielt man zusätzlich<br />

noch Hühner<br />

und Schweine.<br />

Hier hütet Jürgen<br />

Franzenburg aus<br />

Achterhörn Anfang<br />

der 50er<br />

Jahre Ferkel.


.~} ........................................................................................................................................................ ~~.~Q\~J.!U!:i.P.!M'J..J.~.~ . .W~.\~QP ..<br />

eine Umstrukturierung der Agrarpolitik<br />

münden wird.<br />

Eine Prognose für die Zukunft anzustellen<br />

sehe ich mich außerstande,<br />

jedoch ist mit einem weiteren Rückgang<br />

landwirtschaftlicher Belriebe<br />

zu rechnen. Damit bleibt für die<br />

Betroffenen lediglich zu hoffen ,<br />

dass sich ihnen genügend Allernativen<br />

zur Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

bieten.<br />

A bb. 60: Die groben<br />

Erdklumpen<br />

auf dem Ackerland<br />

wurden mit einer<br />

Ringelwalze<br />

zerkleinert (1952).<br />

schaften können. Ab dem Jahr 2006<br />

soll die Milchkontingentierung<br />

vollständig abgeschafft werden,<br />

obwohl zur Zeit nach wie vor die<br />

Überproduktion innerhalb der Europäischen<br />

Union bei 20 Prozent<br />

liegt. 72<br />

Aber nicht nur bei der Milchwirtschaft<br />

mussten die Landwirte Einbußen<br />

hinnehmen. Erhebliche<br />

Preisverluste erlitten die Bauern<br />

auch bei der Rindfleischvermarktung.<br />

Neben dem, ebenfalls durch<br />

Überproduktion hervorgerufenen ,<br />

Preisverfall, sorgt seit kurzem die<br />

Rinderkrankheit BSE für Aufsehe n.<br />

Der Absatz für Rindfleisch ist stark<br />

zurückgegangen , weil bislang nicht<br />

endgültig geklärt werden konnte, ob<br />

die Erreger auf den Menschen übertragbar<br />

und damit für die töd lich<br />

verlaufende neue Varian te der<br />

,Creu lzfeld t-Jakob-Krankheit' verantwortlich<br />

sind. Parallel entbrannte<br />

eine Diskussion über die artgerechte<br />

Tierhaltung, die langfris tig wohl in<br />

RICHARD MEIFORTH,<br />

AVERFLETH<br />

Es ist notwendig der Nachwelt und<br />

späteren Generalionen zu berichten<br />

wie sich die Landw irtschaft im 20.<br />

Jahrhundert gewandelt hat. Ich bin<br />

am 14.3.1918 geboren und möchte<br />

vom Leben und Arbeiten - soweit<br />

ich mich zurück erinnern kann -<br />

berichten. Es ist die Zeit in den<br />

zwanziger und dreißiger Jahre n.<br />

Meine Eltern hatten einen Belrieb<br />

mit 31 1 /2 Hektar Eigenland, wovon


. ~.\J\l?.'~:1.~:r~


.ill,B. ....................................................... ....................................................... k\~. !?.W.! .. !U~f!!.-~rr . !N . J.?f~ .. 7.9m~ .. ~!.~!?. . 3.9.P~J ,~. !!.~r.~.<br />

Als Thomasmehl<br />

wurde ein Phosphatdünger<br />

bezeichnet, der bei<br />

der Stahlerzeugung<br />

abfiel.<br />

dehafer brauchte keinen Kunstdünger,<br />

da in der Weide genug ,Kraft'<br />

steckte. Bei einem trockenen Sommer<br />

konnte man 30 bis 35 Doppelzentner<br />

ernten. War der Sommer<br />

jedoch verregnet, gab es Lagerkorn,<br />

da der Halm in die Höhe schoss -<br />

,kurz spritzen' gab es noch nichtund<br />

wenig Korn ausbildete.<br />

War das Korn in der Erde, wurde<br />

mit der Weidearbeit begonnen.<br />

Zunächst wurden die Maulwurfshügel<br />

und Kuhfladen abgeschleppt.<br />

Anschließend wurde Dünger<br />

gestreut. Auf den Weiden verwendete<br />

man ,Kainit' und ,Thomasmehl '.<br />

Die Sorten wurden zu Hause auf der<br />

Scheunendiele gemischt und auf<br />

einen Kastenwagen geladen, um<br />

anschließend von zwei Pferden zur<br />

Weide gezogen zu werden. Zwei<br />

Mann waren damit beschäftigt, den<br />

Dünger aus Mulden oder Eimern zu<br />

streuen, welche von einer drillen<br />

Person auf dem Wagen vollgeschaufelt<br />

wurden. Hinterher fuhr deroder<br />

diejenige etwa 20 Meter weiter<br />

vor. Pro Hektar benötigte man ungefähr<br />

15 Zentner Düngemittel. Auf<br />

den Weiden wurde in der Regel kein<br />

Stickstoff gestreut, weil hier im<br />

Sommer lediglich zwei Großvieheinheiten<br />

nebst ein paar Kälbern<br />

liefen. Später wurde ,Kainit', der<br />

nur 11-15 Prozent Kali enthielt,<br />

durch 40-prozentigen Kali ersetzt.<br />

Auf die Wiesen, sprich Heuland -<br />

die Silagetechnik kam erst später<br />

auf- wurde im allgemeinen Mist<br />

aufgebracht. Unsere Heuwiesen<br />

lagen zirka 1 Kilometer vom Hof<br />

entfernt, in Kuskoppermoor. Vor<br />

April konnten wir jedoch keinen<br />

Mist rausfahren, weil der Moorweg<br />

vorher nicht abgetrocknet war.<br />

Wenn es dann soweit war, fuhren<br />

wir mit 3 Gespannen (d. h. mit 6<br />

Pferden). Der Tagelöhner musste mit<br />

der Forke den Dung aufladen. Der<br />

Mistwagen hatte ein voll es Seilenbrett<br />

und auf der anderen Seile ein<br />

30 Zentimeter hohes Seitenbrett<br />

Sobald man auf dem Feld war,<br />

wurde das schmale Brett hochgezogen,<br />

damit man den Mist mit einem<br />

Haken runterziehen konnte. Auf<br />

einem Fuder waren 6 kleine ,Hümpel'.<br />

Alle 10 Meter wurde ein Haufen<br />

runtergeholL So schafften wir<br />

zirka 30 Fuder am Tag und benötigten<br />

annähernd eine Woche, um den<br />

gesamten Mist rauszufahren. Ebenso<br />

lange brauchten wir dann, um<br />

die ,Hümpel' mit der Forke auseinander<br />

zu streuen. Auf dem Heu land,<br />

wo kein Mist ausgebracht wurde,<br />

streute man ein Kunstdüngergemisch<br />

mit prozentualen Phosphor-,<br />

Kali- und Stickstoffanteilen.<br />

Zum Abschluss der Frühjahrsarbeiten<br />

wurden die Rüben gepflan zt.<br />

Anfang Mai wurden sämtliche Tiere<br />

auf die Weiden gelassen. Waren die<br />

Kühe erst einmal draußen, wurden<br />

sie des nachts auch nicht wieder<br />

reingeholt Deshalb konnte sogleich<br />

damit begonnen werden den Kuhstall<br />

auszumisten und einzuweichen.<br />

Dazu wurde ein Eimer mit<br />

Wasser gefüllt und mit einer Dose<br />

jede Wand und jeder Balken nass<br />

gegossen. Das machte man an 2<br />

Tagen, anschließend wurde<br />

geschruppt. Vier Mann brauchten<br />

etwa einen Tag.<br />

Ebenfalls im Mai wurden Disteln<br />

und Duwock [Schachtelhalm] aus<br />

dem Korn gezogen. Die Disteln<br />

wurden gestochen. Dazu hatte man<br />

einen Stock von ungefähr 1,5 Meter<br />

Länge, an dem unten ein Stecheisen<br />

befestigt war.<br />

Ferner wurde Busch geschlagen, um<br />

im Sommer den Herd anheizen zu<br />

können.


. ~:\~!?.~·J.I,q~


.• ) '~ ~<br />

-~~ ................................................................................ ............................... Y~ N!?.W.!.~J."~(, !_,~n .. !N .. !?.f~ .. ~.9.fR .. ! J.t~\!?..3.9.m~ JNI.l~f,~.<br />

Abb. 63: Als<br />

kleiner Bub machte<br />

sich Horst<br />

Reese in den 40er<br />

Jahren mit der<br />

Funktionsweise<br />

eines Göpels<br />

vertraut. Über<br />

diese alte Drehvorrichtung<br />

konnten<br />

4 Pferde<br />

beispielsweise eine<br />

Dreschmaschine<br />

antreiben.<br />

Färse ist die<br />

Bezeichnung fiir<br />

ein geschlechtsreifes<br />

weibliches<br />

Rind vor dem<br />

ersten Kalben.<br />

Angetrieben wurde die Dreschmaschine<br />

von einem Göpel, der vor der<br />

großen Tür stand. Der Göpel hatte<br />

einen 3 Meter langen Arm, vor den<br />

2 Pferde gespannt wurden, die<br />

während der Dreschzeit (zirka 2<br />

Stunden) immer im Kreis liefen.<br />

Einer von uns Jungen musste die<br />

Pferde antreiben. Der Göpel hatte<br />

mit einer Gelenkwelle Verbindung<br />

mit der Dreschmaschine. Das Korn<br />

wurde über eine Staubmühle gereinigt.<br />

Ein Mann schaufelte das ungereinigte<br />

Korn in ein Schüttelwerk,<br />

um die Spreu vom eigentlichen<br />

Korn zu trennen. Ein weiterer Mann<br />

musste ständig den Schwengel<br />

drehen, um das Schüttelwerk in<br />

Gang zu halten.<br />

In den dreißiger Jahren beauftragte<br />

man einen Lohndrescher. Nach dem<br />

Krieg, bis in die fünfziger Jahre,<br />

hatten wir selbst eine Dreschmaschine<br />

(eine ,Dechenreiter').<br />

1953 haben wir dann das ganze<br />

Ackerland zu Weiden angesät. Die<br />

Gründe hierfür sind vielfältiger<br />

Natur. Aufgrund der Bodenqualität<br />

eigneten sich die Flächen oftmals<br />

von vornherein nicht für die Ackernutzung.<br />

Dennoch benötigte man<br />

diese Flächen, insbesondere während<br />

des Krieges, zur Selbstversorgung<br />

sowie Lebens- und Futtermittelproduktion.<br />

In der Nachkriegszeit<br />

erfolgte, wie auf vielen<br />

anderen Betrieben auch, eine Ausrichtung<br />

auf Milchwirtschaft. Die<br />

fehlenden Futtermittel wurden<br />

zugekauft<br />

War das Korn in die Scheune eingefahren,<br />

wurde mit dem Pflügen<br />

begonnen. Die Stoppelfelder wurden<br />

mit einem Doppelscharpflug,<br />

der von 2 Pferden gezogen wurde,<br />

ganz flach umgepflügt. Dann wurde<br />

geeggt und noch mal geeggt, um die<br />

,Quecke' (eine Graspflanze) aus dem<br />

Acker herauszubekommen. Bei<br />

trockenem Wetter wurde die Quecke<br />

mit einer Forke zusammengetragen<br />

und verbrannt. Das zweite Pflügen<br />

wurde ebenfalls mit dem Doppelscharpflug<br />

gemacht, nur etwas tiefer<br />

und erneut wurde anschließend<br />

geeggt. Bis zum Saatpflügen wurde<br />

das Land nun liegen gelassen.<br />

Anfang Oktober wurde dann mit<br />

dem Tiefpflügen begonnen. Wir<br />

hatten einen schweren ,Eberhard<br />

Pflug'. Zum Tiefpflügen hatten wir<br />

3 Pferde in der Breite vor den Pflug<br />

gespannt. Der Mann, der den Pflug<br />

führte, hatte die Leine der 3 Pferde<br />

über die Schulter gelegt. Das rechte<br />

Pferd lief immer in der Furche.<br />

Wollte der Pflüger einen Hektar am<br />

Tag schaffen, musste er schon früh<br />

morgens um 6 Uhr mit den Pferden<br />

die Hofstelle verlassen. Anschließend<br />

wurde Weizen, Gerste und<br />

Roggen gesät. War die Wintersaat in<br />

der Erde, mussten wir noch einen<br />

Hektar Runkel- und Steckrüben<br />

aufnehmen. In das Rübenland<br />

wurde hinterher gern Weizen gesät.<br />

Mittlerweile kamen wir an den<br />

November ran und das Vieh wurde<br />

aufgestallt Zuvor waren draußen<br />

auf der Weide noch die Kühe, die<br />

im Januar und Februar kalben sollten,<br />

trocken gemolken worden.<br />

Deswegen hatten wir im Winter nur<br />

wenig Milch. In den zwanziger<br />

Jahren hatten wir im Herbst noch<br />

keine Färsen, in den dreißiger Jahren<br />

hatten wir immerhin schon 2<br />

bis 3 Färsen. In dieser Zeit besaßen<br />

wir 12-14 Kühe. Deren Anzahl<br />

schrumpfte jedoch während des<br />

Krieges auf 6-8 Kühe zusammen, da<br />

kaum Weideland zur Verfügung<br />

stand. Ein Großteil der Flächen<br />

wurde ackerbaulich genutzt. Nach<br />

Kriegsende stockten wir den Kuhbestand<br />

kontinuierlich auf, so dass wir


. '~)(i\<br />

. J;,.:\~J?.~~-~:r~~ti-'\U.~~-.P.I:;-I .. :?.Q.f!~ .. r~Q . .3.9.f.~JM:IJlf.~ ............................................................................................................... ~.<br />

Abb. 64:Zum<br />

Tiefpflügen spannte<br />

man drei Pferde<br />

in der Breite<br />

nebeneinander vor<br />

den Pflug. Hier<br />

sehen wir Wa/ter<br />

Hermann Schliiter<br />

aus Achterhörn.<br />

bis zur Betriebsaufgabe 1976 etwa<br />

30 Kühe molken. Neben den Kühen<br />

hielten wir 7-8 Ochsen, 6 Mutterschafe<br />

und 8-10 Sauen, deren Ferkel<br />

wir nach 6-8 Wochen<br />

verkauften. Für die Arbeit hatten<br />

wir 4 Arbeitspferde und daneben 2<br />

Zuchtstuten mit Fohlen, allesamt<br />

,Holsteiner'.<br />

Die Kühe wurden mit 2 Stricken um<br />

die Hörner links und rechts am<br />

Pfeiler angebunden (Stallreppels).<br />

Eigentlich wurden sie sogar 3 mal<br />

angebunden und zwar zusätzlich<br />

am Schwanz. Dazu wurde am<br />

Schwanzende eine dünne Leine<br />

eingeflochten, die oben unter der<br />

Decke an einer langen Schnur, die<br />

durch den ganzen Stall verlief,<br />

festgeknotet war. Das wurde<br />

gemacht, damit einem die Kühe<br />

beim Melken nicht mit dem<br />

Schwanz ins Gesicht schlagen<br />

konnten.<br />

In der Zeit von Anfang Dezember<br />

bis Mitte Februar wurde nur alle<br />

zwei Tage Milch an die Molkerei<br />

geliefert. Es lohnte sich jedoch<br />

kaum für die Molkerei, diese wenige<br />

Milch zu verarbeiten. Wir lieferten<br />

an die Privatmolkerei Ramm in<br />

Nortorf. Jeweils im November<br />

wurde die Milchanfuhr verdungen.<br />

Da diese Vergabe öffentlich war,<br />

wurde eine Versammlung angesetzt,<br />

die der Meierist leitete. Die Anfuhrkosten<br />

lagen zwischen 1 /z und 1<br />

Pfennig je einen Liter Milch. Wegen<br />

der wenigen Milch im Winter musste<br />

der Fahrer in diesen Monaten fast<br />

umsonst fahren. Im Sommer hatte<br />

unser Milchwagenfahrer für die<br />

Strecke im Dorf 12 Lieferanten, die<br />

in der Nachkriegszeit je Tour<br />

zusammen zirka 2000 Liter ablieferten.<br />

Reich konnte damit keiner<br />

werden. Viele kleinere Betriebe<br />

fuhren ihre Milch auch selbst zur<br />

Meierei. Der Milchpreis lag um die<br />

20 Pfennig je Liter. Es wurde nach<br />

Litern gezahlt. Die Abstufung nach<br />

Fettgehalt gab es damals noch nicht.<br />

Ende 1929 gab es die Weltwirtschaftskrise<br />

mit all ihren Auswirkungen,<br />

weswegen es die<br />

Landwirtschaft in den folgenden<br />

Jahren sehr schwer hatte. Für die<br />

1 1 /z-jährigen Ochsen, die ein Gewicht<br />

von zirka 4-5 Zentner hatten,<br />

bekam der Bauer 16 Pfennig das<br />

Pfund. Jede Woche kam der<br />

Schlachter mit einem großen Roll-<br />

1936 wurde der<br />

Milchkontrollverein<br />

gegründet. Die<br />

Kühe gaben im<br />

Jahr durchschnittlich<br />

etwa 3.000<br />

Liter Milch.


.~n.......... ... ............. ...... .. ......... ... ........ .... ... .. ....... ..... .......... M!~.P.w.~~n-~~.~\~."n ..!N..P.~.~ .. ;?.9m~..<br />

! J.~ !?...3.Q !!~JM um~ .<br />

wagen und holte die kleinen, 8 Tage<br />

alten Kälber für 3 Mark das Tier ab.<br />

Viele Betriebe waren total verschuldet<br />

und der Gerichtsvollzieher kam<br />

auf etlichen Höfen. Besser wurde es<br />

erst 1933.<br />

Anhand unseres Betriebes in Averfleth<br />

möchte ich den durch Einzug<br />

der Technik hervorgerufenen Wandel<br />

in der Landwirtschaft beschreiben.<br />

Wir glauben, dass Holländer im<br />

12. und 13. Jahrhundert eine Neuaufteilung<br />

der Flur in der Wilstermarsch<br />

vornahmen. Zumindest alle<br />

Höfe der ,Alten Seite', nördlich von<br />

Wilster, waren gleich groß. Alle Höfe<br />

an der Wilster-Au hatten so um die<br />

30 Hektar Land, bei minderwertigerem<br />

Land etwas mehr, bei voll ackerfähigem<br />

Boden etwas weniger. Die<br />

heutigen Besitzverhältnisse sind<br />

durch Teilung oder Zukauf entstanden.<br />

Der Hof meines Vaters war<br />

29,8 Hektar groß. 1907 hatte mein<br />

Großvater beim Bau der Entwässerung<br />

3,5 Hektar abgegeben. Der<br />

Einheitswert unseres Betriebes<br />

Abb. 65: 1895 ließ<br />

Nikolaus Huus die<br />

Privatmolkerei in<br />

Sachsenbande<br />

errichten. Sämtliche<br />

Bauern aus<br />

Hinter-Neuendorf,<br />

Achterhörn und<br />

Stadtmoor, vereinzelt<br />

sogar aus<br />

Vorder-Neuendorf,<br />

Hackeboe, Goldbogen<br />

und Averjleth<br />

lieferten ihre<br />

Milch dort an.<br />

1925 gründeten<br />

die Bauern eine<br />

eigene Meiereigenossenschafi.<br />

HERM. ßEIMGRABEN,<br />

AVERFLETH<br />

betrug 1.640,00 DM je Hektar. Das<br />

entsprach in etwa dem Durchschnittswert<br />

der Wilstermarsch. Die<br />

Bodenqualität schwankt sehr stark,<br />

von Moor oder Dark bei geringer<br />

Marschauflage mit 50 Bodenpunkten,<br />

bis zu schwerem, manchmal<br />

tonigen Boden an der Wilster-Au mit<br />

70-75 Bodenpunkten, davon ist 1/3<br />

gut ackerfähig, 1/3 bedingt ackerfähig<br />

und der Rest ist absolutes Grünland.<br />

Vor Beginn des 2. Weltkrieges<br />

wurden noch 2/3 der Flächen gepflügt.<br />

10 Hektar waren mil Getreide<br />

wie Weizen, Hafer, Hafer-Bohnen­<br />

Gemenge und Sommergerste<br />

bestellt. Auf 7 Hektar wurde Gemüse


. J..,..\)!?.~".I.~I5Q .I.t.\!:T. ! .~ . .P.I~ .. ~.Q.fR .. t'.~!?. . .3 .Qf:.~J~!.I.!~f.~ ................................................................................................................ 0:il.<br />

angebaut (Rotkohl, Weißkohl, Wirsingkohl,<br />

Blumenkohl, Kohlrabi,<br />

Zwiebeln, Möhren, zeitweilig sogar<br />

0,1 Hektar Rhabarber). Außerdem<br />

hatten wir 3 Hektar Runkel- oder<br />

Steckrüben. Arbeitskräfte waren<br />

immer genug vorhanden, ein Tagelöhner,<br />

ein junger Mann (Knecht<br />

genannt) sowie zwei Pflichtjahrmädchen.<br />

Ich war das Älteste von<br />

fünf Kindern. Sobald wir von der<br />

Schule nach Hause kamen, wurde<br />

gegessen und anschließend mussten<br />

wir aufs Feld. Kinderarbeit war<br />

damals allgemein üblich. 10-12<br />

Kühe wurden mit der Hand gemolken.<br />

Das Jungvieh weidete während<br />

der Sommermonate auf zugepachteten<br />

Flächen. Wenn die Rüben gesäubert<br />

und die Kohlpflanzen gesetzt<br />

waren, wurden gegen Ende<br />

Juni/Anfang Juli etwa 4-5 Hektar<br />

geheut. Der ,zweite Schnitt' war<br />

dementsprechend spät und wurde<br />

zu Sauerfutter verarbeitet.<br />

Dazu wurde das Gras bei nassem<br />

Weller gemäht, zusammen geschwadet<br />

und mit Forken von Hand auf<br />

Kastenwagen geladen. Das war<br />

schwere und schmutzige Arbeit und<br />

zum Schutz trugen die Helfer Gummibekleidung.<br />

Zu Haus wurde von<br />

Hand in sogenannte ,Reichsnährstandspötte'<br />

abgeladen. Das waren<br />

runde Betonsilos mit 25 m 3 Volumen.<br />

Der Silo ragte einen Meter aus<br />

dem Boden. Zum Befüllen wurde<br />

jedoch zusätzlich noch ein Holzaufsatz<br />

von zwei Meter Höhe darüber<br />

gestellt. Ein bis zwei Mann mussten<br />

abstaken, ein weiterer verteilte im<br />

Silo und wir Kinder mussten das<br />

Gras festtreten. Jede Schicht wurde<br />

mit einer Gießkanne verdünnter<br />

Säure übergossen. Wenn der Silo<br />

gefüllt war, wurde er mit Papiertüten,<br />

meist gebrauchte Düngersäcke,<br />

abgedeckt und mit Erde beschwert.<br />

Nach etwa einer Woche war das<br />

Gras in dem Betonsilo zusammengesackt,<br />

so dass der Aufsatz auf den<br />

nächsten Silo gestellt werden konnte.<br />

Nun begann die ganze Schinderei<br />

von vorn. Das so gewonnene<br />

Abb. 66: Helene<br />

und Johannes<br />

Junge aus Hackeboe<br />

molken die<br />

Kühe 1907 noch<br />

von Hand auf der<br />

Weide.


.~~............................................................................................................... W.. !?.W.!.~H;'i~.!!M::r . !-N..P..I,'.N<br />

.. 7.9.t~ .V~ D. . 3.9.!i.~ JMI.~J::,~ .<br />

Abb. 67: Wilhelm<br />

Schippmann aus<br />

Hackeboe beim<br />

Mähen in den 5 Oer<br />

Jahren.<br />

Abb. 68 (rechts):<br />

In mühevoller<br />

Handarbeit wurde<br />

das angetrocknete<br />

Gras in 'Hiimpel '<br />

gesetzt, damit es<br />

besser trocknen<br />

konnte. Bei dieser<br />

Arbeit wurden<br />

Heinrich Haack<br />

und Johannes<br />

Rehder 1960<br />

fotografiert.<br />

Futter wurde im Winter an die Kühe<br />

verfüttert. Wegen der langen Befüllung<br />

roch es stark nach Essigsäure,<br />

manchmal auch nach Buttersäure.<br />

In geringen Gaben wurde es von<br />

den Kühen trotzdem gut angenommen.<br />

Die Heuernte war ebenso arbeitsaufwenig.<br />

Zuerst wurden mit der Sense<br />

die Ecken angernäht Dann wurde<br />

mit dem Grasmäher, von zwei Pferden<br />

gezogen, das Vorgewende gemäht.<br />

Damit das Mähmesser nicht<br />

festlief, musste der erste und letzte<br />

Schwaden mit einer hölzernen Heuharke<br />

ausgeharkt werden. Gleichermaßen<br />

wurde jede Grüppenkante<br />

aufgeharkt, zumeist von uns Kindern.<br />

Das war gerade bei warmem<br />

Wetter eine furchtbar öde Arbeit,<br />

die bei langen Feldstücken gar kei n<br />

Ende nehmen wollte. Zu große<br />

Haufen, welche durch die Mähmaschine<br />

zusammen geschoben waren,<br />

mussten mit der Forke durchgeschüttelt<br />

und verteilt werden. Das<br />

Gras wurde nach ein bis zwei Tagen<br />

gewendet, je nach Wetterlage mehrfach.<br />

Dazu gab es eine Maschine,<br />

die auch schwaden konnte, beides<br />

aber nicht sehr gut. Anschließend<br />

wurde das Heu in ,Hümpel' gesetzt<br />

und musste acht Tage stehen.<br />

Zwischenzeitlich wurden die ,Hümpel'<br />

umgedreht, damit das Heu von<br />

unten trocknen konnte. Wenn es<br />

inzwischen viel geregnet hatte,<br />

musste alles von Hand auseinandergeworfen<br />

und unter Umsländen<br />

noch gekehrt werden. Wenn das<br />

Wetter es zuließ, konnte mit dem<br />

Einfahren begonnen werden.<br />

Die Kastenwagen wurden mit dem<br />

sogenannten ,Götelgeschirr' ausgerüstet.<br />

Da sich die plattdeutschen<br />

Fa chausdrücke nur schwer übersetzen<br />

lassen, möchte ich mich im


. J".:\,~!?.~'lli'J!iQ .IAf.I .. !.~ . .P..f~ .. ~.Q.m~ .. ~!.~ Q . .3Q,~;:.~JN~~.~ ..................................................................................... .......................... ~~.


.~} ................................................................................ .T~q~~ !~Hm.~l ~G .. hl.l.'IP. .. ~:ß9.NM !~H';ft..\ lN.G .. ~~.PA'.!~.J.,%~P.W.~~J:~P.~f:I.".<br />

Abb. 69:Zum<br />

Schluss musste der<br />

Aufstaker das Heu<br />

hoch hinaufreichen.<br />

Hier am Au­<br />

Deich in<br />

Achterhörn war<br />

der Bauer Waller<br />

Hermann Schlüter<br />

fiirs Laden verantwortlich.<br />

He/ga<br />

Meier aus Wilster<br />

musste nachharken.<br />

folgenden ihrer bedienen. Vorn am<br />

Wagen wurde der ,Vörrep' angebracht,<br />

der war etwas kürzer als der<br />

,Achterrep'. Hinten an der rechten<br />

Seite befand sich an einem kürzeren<br />

Strick die ,Ok', eine Astgabel oder<br />

später eine hölzerne Rolle. Meistens<br />

mussten zwei kräftige Männer aufstaken.<br />

Auf jede Ecke wurde ein<br />

Haufen gesetzt und anschließend<br />

ein Haufen in die Mitte plaziert, der<br />

das Ganze zusammenhielt. Der<br />

Lader, oftmals der Bauer selber oder<br />

eine Frau, verteilte das Heu auf dem<br />

Wagen und drückte es fest. Es lag in<br />

seiner Verantwortung, dass das<br />

Fuder gerade war und keine Ecke<br />

abrutschte oder gar der Wagen<br />

umkippte. Eine so gelegte Schicht<br />

bezeichnet man als eine Lech<br />

(Lage). Nach vier Lagen war der<br />

Wagen vollgeladen. Dann wurde der<br />

,Götelbaum' gesetzt, der während<br />

des Ladens am ,Achterrep' hinterher<br />

schleppte. Es war ein besonderes<br />

Vergnügen für die kleineren Kinder<br />

auf dem ,Götelbaum' zu reiten. Wir<br />

Größeren mussten mit der Handharke<br />

nachharken, was weniger beliebt<br />

war. Der Lader stand etwa in der<br />

Mitte des Wagens und hob den<br />

Baum hinten möglichst hoch, so<br />

dass er vorne einigermaßen in der<br />

Mitte schräg nach unten ragte. Einer<br />

der Aufstaker kletterte hinter den<br />

Pferden auf die Deichsel und schlug<br />

den ,Vörrep', der an beiden Enden<br />

am Wagen befestigt war, je nach<br />

Länge mehrfach um den ,Götelbaum'.<br />

Daraufhin kroch der Lader<br />

nach hinten und drückte den Baum<br />

runter. Danach warf der zweite<br />

Aufstaker den ,Achterrep' doppelt<br />

über den Baum und hakte die<br />

Schlinge in die ,Ok' bzw. Rolle.<br />

Anschließend zogen beide Männer<br />

kräftig daran und befestigten den<br />

Strick, an dem dann der Lader vom<br />

Wagen rutschte.<br />

Beim Abladen konnte die große<br />

Forke des Heuaufzugs den Wagen in<br />

vier bis fünf Haufen entleeren,<br />

während zwei Personen das Heu<br />

oben auf dem Boden verteilten. Das


.Tq . !!.~.t.~.!P~.! .;~~.~ .. ~ ! ~.!? .. R.\T!Q~.·c\.t,.t.~.W.!B ! r.!G .. E~ .. P..m~ .. k\ ... !?.W.!.~~~:~f..! !.~!:T .............. ................................................................... :ki.<br />

Abladen und Verte'ilen geschah<br />

meist frühmorgens, wenn der Tau<br />

noch lag. Nachmittags in der Sonne<br />

wurden alle Wagen wieder vollgeladen.<br />

Zur Ernte des Getreides hatten wir<br />

einen Mähbinder, auch Selbstbinder<br />

genannt. Jedes Stück musste angernäht<br />

werden. Das machte der Tagelöhner<br />

im Allgemeinen mit Sichel<br />

und Mahdhaken. Er legte das<br />

Getreide gleich in Garben zurecht,<br />

Abb. 70 (oben):<br />

Heuernte bei Farn.<br />

Meiforth in Stadtmoor.<br />

Abb. 71 (unten):<br />

Der Selbstbinder<br />

wurde zur Getreideernte<br />

eingesetzt.


.~f3..................................... .... .................................I!;(.I. ! .~!.~.I.!;!~.~ l~~--V~.t:? .. ß.~I!9.~ .. ~!,!1?!.f1~.q~.G ..!.~ .P.I.'.~ -.4~P~J~T~(.I. !t\!:.J: .<br />

Abb. 72 (oben):<br />

Jeweils 8-10 Garben<br />

wurden in Hocken<br />

zusammengestellt.<br />

Abb. 73 (unten):<br />

/953 bekam Fam.<br />

Reese einen FAHR<br />

Trecker mit 17 PS.<br />

die dann mit einem Seil aus Getreide<br />

zu Garben gebunden wurden.<br />

Bei stehendem Getreide wurde es<br />

zuweilen auch mit der Sense augemäht,<br />

wobei der oder die Binder/-in<br />

sich die Garben selbst zurechtlegen<br />

musste. Sobald ein Stück gemäht<br />

war, wurde sogleich ,aufgehackt'.<br />

Dazu wurden 8 bis 10 Garben mit<br />

den Ähren nach oben zusammengestellt.<br />

Sofern es das Wetter zuließ, wurde


.T! . ~ ..! .'.~ -~-~.!r!:.t.L~~-~ .. I ..:').!?.. R.·H!~.~~---'-·''·'5.!P~.\ !,~G.. L ... m~ ~-- J".~\!?.~J~'.I.'~~g~f:T .................................................................................. 9.?i.<br />

nach acht bis vierzehn Tagen gedroschen.<br />

12 bis 14 Männer zogen mit<br />

dem Lohndresch er von Hof zu Hof.<br />

Da gab es Sackträger, Strohträger, 2<br />

Einleger, Maschinenmeister, Pressmeister,<br />

Kaffdübel, Garbenzuwerfer<br />

und Strohpacker. Alle mussten auf<br />

dem Hof beköstigt werden. Das<br />

Fu lterkorn wurde in 75 bis 100 kg­<br />

Säcke auf den Boden getragen und<br />

im Winter für das Vieh geschrotet.<br />

Der Weizen wurde an der Diele<br />

Abb. 74 II. 75:<br />

in den JOer Jahren<br />

: ogen die Lohndrescher<br />

von Hof :u Hof Mit<br />

einem Elektmmotor<br />

w11rde die Dreschmaschine<br />

iiber Treibriemen<br />

angetrieben.


.~~~ ................................................................................. 'ff1(~!.~ !~H ~ !H !~.~ .. ~'.~ P. . .ß.'\'U9.N!;\!,!!?m~.\ l ~Ji .. !;;.: . .P..~.~ .. b~~P.~:!~I~~J~~.I.'.<br />

aufgestapelt und verkauft. Das Stroh<br />

wurde verfüttert oder zum Einstreuen<br />

des Viehs und der Schweine<br />

verwendet. Das Kaff (Spreu) wurde<br />

auf der Hili über den Ställen rechts<br />

und links von der Diele gelagert.<br />

Beim Füttern wurde es den zerkleinerten<br />

Rüben beigemengt. Fu tiermittel<br />

wurden selten zugekauft<br />

Während des 2. Weltkrieges und<br />

danach gab es oh nehin nichts.<br />

Mit der Währungsreform 1948<br />

änderten sich die Verhältnisse in<br />

der Landwirtschaft jedoch grundlegend.<br />

Arbeitskräfte waren nicht<br />

mehr im Überfluss vorhanden. Viele<br />

Flüchtlinge aus dem Osten zogen<br />

nach und nach ins Ruhrgebiet oder<br />

nach Süddeutschland. Zögernd<br />

setzte die Mechanisierung ein. 1952<br />

kamen die ersten Ackerschlepper<br />

mit angebauten Messerbalken,<br />

jedoch ohne Kraftheberanlage. In<br />

dieser Zeit ließ sich ein Lohnunternehmer<br />

aus Beidenfleth auf dem<br />

Fink'schen Hof in Averfleth den<br />

ersten Mähdrescher in der Wilstermarsch<br />

vorführen. Es war ein<br />

gebrauchter ,Masy Harris' mit<br />

1,6 Meter Schnittbreite. Auf dem<br />

Feld hatten sich so viele Neugierige<br />

eingefunden, dass mehr Getreide<br />

zertreten als gedroschen wurde. Die<br />

älteren Bauern schüttelten angesichts<br />

der Vorführung nur mit dem<br />

Kopf und vertraten die Ansicht,<br />

dass sich diese Maschine nie durchsetzen<br />

würde. Vom Mähbinder<br />

kannte man, dass das Getreide grün<br />

geschnitten wurde und in der<br />

Hocke reifte. Deshalb war man viel<br />

zu früh angefangen und hatte wohl<br />

30% Fe uchtigkeit.<br />

Mein Vater kaufte 1957 einen FAHR­<br />

Schlepper mit 24 PS. Ein Jahr später<br />

ließ er bei Meister Stelzer in Wilster<br />

einen Anhänger mit Gummirädern<br />

bauen. Die Geräte für den Pferdezug<br />

wurden zunächst weiter verwendet.<br />

Als mein Vater 1963 starb, übernahmen<br />

meine Frau und ich den Hof in<br />

Averfleth und den Bauernhof meiner<br />

Frau in Achterhörn, zusammen<br />

ca. 5 5 Hektar. Die Belastung war<br />

sehr hoch, zweimal Altenteil und<br />

jede Menge Schulden. Als ehemaliger<br />

Schüler der Landwirtschaftsschule<br />

ltzehoe hatte ich noch guten<br />

Kontakt zu den Lehrern. Die haben<br />

uns in dieser Situation wirklich gut<br />

beraten. Der gesamte Betrieb wurde<br />

auf Grünland umgestellt. Wir machten<br />

nur noch Heu für die Tiere. Alle<br />

anderen Fu tiermittel wurden zugekauft.<br />

Gleichzeitig spezialisierten<br />

wir uns auf Milchviehwirtschaft<br />

Ein neuer Anbindestall in zwei<br />

langen Reihen mit befahrbarem<br />

Futtertisch in der Mitte bot<br />

zunächst für 45 Kühe und 56 Stück<br />

Jungvieh Platz. Die vorhandene<br />

Eimermelkanl age wurde verkauft,<br />

stattdessen wurde eine Absauganlage<br />

installiert. Außerdem wurde<br />

eine Schubstangenentmistung eingebaut.<br />

Die folgende Zeit war allerdings<br />

sehr hart, besonders für meine Frau.<br />

Wir hatten vier kleine Kinder, sollten<br />

die Arbeit aber theoretisch<br />

allei n schaffen. Die Technik ließ uns<br />

zunächst jedoch völlig im Stich. Die<br />

Melkanlage funktionierte nicht und<br />

die Entmistung versagte perma nent.<br />

Für die langen Reihen waren die<br />

Antriebe viel zu schwach . Zahlreiche<br />

Euterentzündungen bei den<br />

Kühen waren eine der Folgen. Ständig<br />

mussten wir die Technik nachrüsten.<br />

Im Grunde experimentierten<br />

die Firmen auf unsere Kosten.<br />

So war das wirtschaftliche Ergebnis<br />

anfangs äußerst mager. Bei Milchpreisen<br />

von 0,33 DM bis 0,35 DM<br />

und Kraftfutterp reisen von<br />

48-50 DM je Doppelzentner blieb


.If:~.,! .t~I~.!f:~.l .,~~ ..... ~ .0P .. R.~I!9!".'.·.\!:!.~.m~.l i~f. .. !.~ .. !?.f~ .. Y~i~\!?.W.!.~:I:~9!!.\f:1 .................................................................................. 9.t>.<br />

l<br />

am Ende nicht viel übrig. Zwar<br />

nahmen die Schulden auf dem<br />

Darlehenskonto kontinuierlich ab.<br />

Dafür kamen wir aber auf dem<br />

laufenden Konto immer weiter in<br />

die ,roten Zahlen', was im Endeffekt<br />

natürlich viel teurer war, da die<br />

Kreditzinsen hier wesentlich höher<br />

lagen. Manches Mal waren wir kurz<br />

davor, die Landwirtschaft aufzugeben.<br />

Ab 1968/69 wurde es jedoch<br />

langsam besser. Die Feldwirtschaft<br />

hatte sich wesentlich vereinfacht.<br />

Es gab bereits Kreiselmäher, Kreiselheuer,<br />

Kreiselschwader, außerdem<br />

Lohnunternehmer mit Hochdruckpressen;<br />

dadurch verkürzte sich die<br />

Heuernte enorm. Bagger übernahmen<br />

die Grabenräumung, so entfiel<br />

bei unseren vielen Gräben die zeitintensive<br />

Handarbeit. Die Milch<br />

und Fleischpreise stiegen jedes Jahr<br />

weiter an, so dass wir den Betrieb<br />

langsam sanieren konnten.<br />

Aber es gab auch nasse Jahre, in<br />

denen viel Heu verregnete.<br />

Besonders ärgerlich war es dann,<br />

wenn man keine Ballenpresse<br />

bekommen konnte, weil der Lohnunternehmer<br />

überlastel war. Deshalb<br />

kauften wir uns 1972 eine<br />

eigene Presse und 1974 einen Ballenauflader.<br />

Von da an beschränkte<br />

sich die Handarbeit auf daheim,<br />

wenn beim Abladen die Ballen aufs<br />

Förderband gelegt werden mussten.<br />

1974 konnten wir 31 Hektar<br />

zu pachten (Hof Fink in Averfleth)<br />

und bewirtschafteten nun schon<br />

86 Hektar. Zusätzlich bauten wir<br />

uns mit der Bullenmast ein zweites<br />

Standbein auf. Als 1976 der Hof<br />

Fink bei einem Großfeuer völlig<br />

zerstört wurde, errichtete der Eigentümer<br />

hierfür in Absprache eine<br />

Halle und ein Laufstall mit Spaltenboden<br />

für 80 Stück Jungvieh. Diese<br />

Abb. 76: Kerstin<br />

Engel und Siegher!<br />

Hein auf<br />

einem Deutz (30<br />

PS) in den 60er<br />

Jahren. Im Hintergrund<br />

sind Dreibock-Reuter<br />

zu<br />

sehen. Hierauf<br />

wurde in feuchten<br />

Sommern das Heu<br />

getrocknet.


.ß®®..................... ..... ........ ............. ................. ...... .J)l~M~.W.~.IJ~.G.. P-NP. .. lM:H9.l"!!.M1~.W.~Y.NG ..!N.PA'.<br />

.R. .4l"!!P.:w.mT.$.~MM.:I .<br />

Abb. 77: Ein 170<br />

PS starker Vorfohrschlepper<br />

mit<br />

einem 5-Schaarpjlug.<br />

Nach ca. 30<br />

Jahren wurde<br />

diese Weide erstmals<br />

wieder<br />

umgepflügt.<br />

Haltungsform war enorm arbeitssparend<br />

und zugleich für die Tiergesundheit<br />

äußerst förderlich, weil die<br />

Tiere mehr Bewegung hatten. Durch<br />

die natürliche Abnutzung auf dem<br />

harten Boden sank beispielsweise<br />

die Zahl der Klauenkrankheiten.<br />

Nach diesen positiven Erfahrungen<br />

wurden nach und nach alle Ställe<br />

auf dem Hof umgerüstet, 1979 der<br />

Jungviehstall und 1985-87 der Kuhstall.<br />

1980 wurde ein Kurzschnittladewagen<br />

gekauft und die<br />

Futterernte auf Silage umgestellt.<br />

Wir waren dadurch wesentlich<br />

schlagkräftiger und konnten<br />

17 Hektar dazupachten. 1982 hatte<br />

unser ältester Sohn und Hofnachfolger<br />

die landwirtschaftliche Ausbildung<br />

mit der Meisterprüfung<br />

abgeschlossen. Dadurch konnten<br />

wir unseren Betrieb als Lehrbetrieb<br />

anerkennen lassen und einen Auszubildenden<br />

einstellen. In dieser<br />

Zeit waren die Erzeugerpreise sehr<br />

gut. Die Erlöse aus Milch und<br />

Fleisch etwa gleich hoch. Die<br />

Milchviehherde war auf gut 90<br />

Kühe angewachsen.<br />

1984 kam jedoch die Milchquotenregelung<br />

und alles wurde anders.<br />

Wir durften nur noch 80 % der<br />

ursprünglichen Milchmenge abliefern.<br />

Bei einem Kuhbestand von<br />

über 80 Kühen gab es auch keinerlei<br />

Härtefallregelung mehr. Infolgedessen<br />

mussten wir etliche Kühe verkaufen<br />

und hatten plötzlich viel zu<br />

viel Fläche. Aus den langfristigen<br />

Pachtverträgen konnte man nicht so<br />

einfach aussteigen. Also wurden<br />

frühere Ackerstandorte neu drainiert,<br />

umgepflügt und mit Weizen<br />

angesät bzw. neuerdings auch Futtermais<br />

angebaut.<br />

1987 konnten wir auf der Geest<br />

Uulianka) einen weiteren Betrieb<br />

mit 20 Hektar Land und ca. 100.000<br />

Liter Milchquote dazupachten, wo<br />

wir über Winter ca. 120 Weidebul-


.J)~~.lliRl-!N~.Y.~.P. .. RAT.!9.!'1.·:\IJ~.lli~l-!N~ . ~--P..~~ .. J..~.Wlli:I:~~-~-·············· · ·· · ······ ·· ······················ · ····· · ···· ·· ···· · · · ········a®fi.<br />

Abb. 78 u. 79: Im<br />

Sommer laufen die<br />

gut I 00 Milchkühe<br />

von Henning<br />

Rehder draußen<br />

auf der Weide.<br />

Zum Melken<br />

müssen sie zweimal<br />

täglich reingeholt<br />

werden.<br />

len bis zur Schlachtreife mit Maissilage<br />

weitermästen. Der Mais hierfür<br />

stammt von den eigenen<br />

Flächen. Durch die zeitliche Verschiebung<br />

des Bullenverkaufs in<br />

den Winter bis ins zeitige Frühjahr<br />

und die Verbesserung der Fleischqualität<br />

durch die Endmast mit<br />

Maissilage, konnten wir eine Zeit<br />

lang erheblich höhere Verkaufserlöse<br />

als gewöhnlich erzielen.<br />

Dennoch, bei Einführung der Milchquotenregelung<br />

versprachen die<br />

Politiker stabile Milchpreise, doch<br />

das Gegenteil trat ein. Der Milchpreis<br />

sank beständig, gleichzeitig<br />

fielen die Fleischpreise. Kostete ein<br />

Bulle 1978 geschlachtet, kalt gewogen<br />

noch 8,40 DM je Kilogramm,<br />

erhielt man 1996 für die gleiche<br />

Qualität gerade mal 4,60 DM. Während<br />

der Preisverfall beim Fleisch<br />

teilweise durch die staatlichen<br />

Subventionen (Rinderprämie) ausgeglichen<br />

werden konnte, versucht<br />

man bei der Milch durch optimierte<br />

Fütterung die Milchleistung je Kuh<br />

zu erhöhen, um effektiv die Kosten<br />

zu senken. Zu den gesunkenen<br />

Milchpreisen kommen jedoch noch<br />

die hohen Kosten durch Pacht bzw.<br />

Kauf von Milchquote hinzu. Erst in<br />

letzter Zeit haben sich die Preise<br />

durch den schwachen EURO etwas<br />

stabilisiert. Das kann sich aber<br />

schnell wieder ändern.<br />

Beim Schreiben dieser Zeilen ist<br />

mir bewusst geworden, wie schwierig<br />

die Lage der Landwirtschaft in<br />

unserer Gemeinde ist. Die wenigen<br />

Betriebe, die übrig geblieben sind,<br />

können kaum mehr Flächen aufnehmen.<br />

Flächen mit Milchquote gibt<br />

es sowieso nicht mehr zu pachten.<br />

Ackerfähige Flächen, die durchaus<br />

vorhanden sind, sind jedoch nicht<br />

prämienberechtigt und drainiert,<br />

wodurch ihre Beackerung unrentabel<br />

wird. Für eine extensive Viehhaltung<br />

(Mutterkühe) sind die<br />

Flächen momentan viel zu teuer.<br />

Wenn die Entwicklung so weitergeht<br />

wie bisher, müssten die Betriebe<br />

eigentlich weiter wachsen, um<br />

die ständig steigenden Unkosten<br />

aufzufangen, aber wie?


.~..w:l21. .. ............... ............................... .................................. J.'; !.~.J.'~'-l ~ .. !.~ .. !?.f~ .. J...A~.!?.~Y. !.~I~~.tlt~!:X..~~ ~ !~ .J.M!~.1~"\~ 1 ~!;~.!?.'l\: !~,'iP!;.<br />

Dieser Bericht ist<br />

als Ergänzung zu<br />

den Ausfohrungen<br />

von Richard<br />

Meiforth und<br />

Hermann Beimgraben<br />

zu sehen.<br />

Gerade in der<br />

Gegenüberstellung<br />

zu der Beschreibung<br />

von Richard<br />

Meiforth wird der<br />

Wandel in der<br />

Landwirtschaft<br />

innerhalb des<br />

letzten Jahrhunderts<br />

sehr<br />

anschaulich.<br />

THORSTEN HEINS,<br />

IIACKEBOE<br />

Anband von Tagebuchaufzeichnungen<br />

möchte ich am Beispiel unseres<br />

Betriebes die Arbeiten in der heutigen<br />

Landwirtschaft im Jahresverlauf<br />

darstellen.<br />

Ich bin am 20.4.1963 geboren und<br />

bewirtschafte einen 80 Hektar großen<br />

landwirtschaftlichen Betrieb in<br />

Hackeboe. Seit meiner landwirtschaftlichen<br />

Lehre 1978 bin ich<br />

ausschließlich in der Landwirtschaft<br />

tätig.<br />

Wir sind vielleicht nicht der modernste<br />

und ganz sicher nicht der<br />

größte Bauernhof im Gemeindegebiet,<br />

aber eben doch ein typischer<br />

Wilstermarschbetrieb, mit<br />

ausschließlich Grünland, Milchviehhaltung,<br />

Jungviehaufzucht und<br />

Bullenmast Als reiner Familienbetrieb<br />

bewirtschafte ich den Hof<br />

zusammen mit meiner Frau und<br />

meinem Vater. Unsere beiden Töchter<br />

(8 und 11 Jahre) bekommen<br />

auch schon mal Aufgaben zugeteilt,<br />

die ihnen Spaß machen.<br />

Ich möchte das Arbeitsjahr im Januar<br />

beginnen. Zu dieser Jahreszeit ist<br />

der größte Teil des Tages damit<br />

ausgefüllt, die Tiere (insgesamt ca.<br />

250 Stück) zu versorgen, sprich<br />

Füttern, Ausmisten sowie die allgemeine<br />

Betreuung und Pflege.<br />

Die übrige Zeit wird intensiv für<br />

Büroarbeit und Beratungsgespräche<br />

genutzt. Da heutzutage immer weniger<br />

Menschen Kenntnis und Beziehung<br />

zur Landwirtschaft haben,<br />

möchte ich für Außenstehende kurz<br />

erläutern, wie stark die Landwirtschaft<br />

heutzutage aufzeichnungspflichtig<br />

ist: Bestandsregister,<br />

Flächennachweise, Besatzdichte<br />

(Anzahl der Rinder pro Hektar<br />

Fläche), Nährstoffbilanzen, Düngepläne<br />

usw. Anband dieser Aufzeichnungen<br />

haben wir Zugang zu Tierund<br />

Flächenprämien (staatliche<br />

Subventionen). Diese Gelder dienen<br />

weniger uns zum Überleben, sondern<br />

viel mehr - und das ist sicherlich<br />

nur wenigen bewusst - dem<br />

Verbraucher, damit dieser seine<br />

Nahrungsmittel billig, d. h. weit<br />

unter dem eigentlichen Wert ei n­<br />

kaufen kann. So steht ihm noch<br />

genügend Geld für andere Konsumgüter<br />

zur Verfügung.<br />

Für die betriebliche Weiterentwicklung<br />

nehmen wir die Beratungsleistung<br />

der Landwirtschaftskammer,<br />

hier insbesondere die sogenannte<br />

Rinderspezialberatung in Anspruch.<br />

Gemeinsam mit dem Berater werden<br />

Betrieb und Betriebsabläufe<br />

durchleuchtet, um nach Möglich keiten<br />

zu suchen, die Wirtschaftlichkeit<br />

zu verbessern und dabei<br />

gleichzeitig den Tieren ein Höchstmaß<br />

an Komfort und Wohlbefinden<br />

zu ermöglichen. So werden regelmäßig<br />

Futterpläne erstellt. Alle drei<br />

Jahre werden Bodenproben gezogen<br />

und ausgewertet. Anband der Auswertung<br />

wird ein Düngeplan<br />

erstellt. Die Düngermenge ergibt<br />

sich aus der Ermittlung des Nährstoffdefizits.<br />

Jede Nutzung beansprucht<br />

den Boden unterschiedlich<br />

stark. So benötigt eine Weide, auf<br />

der den ganzen Sommer Tiere laufen,<br />

erheblich niedrigere Nährstoffzufuhren<br />

als eine Wiese, die<br />

dreimal jährlich abgeerntet wird.<br />

Damit kein Mangel an Nährstoffen<br />

entsteht, wird anband des Düngeplanes<br />

die bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr<br />

differenziert für jede<br />

Fläche ermittelt.<br />

So beginnen wir im zeitigen Frühjahr<br />

mit der organischen Düngung<br />

(Gülle, Festmist). Möglichst Ende<br />

Januar geht es bei ausreichend


.,;;!N.J.~~ .. !+~ . .P.J,l.~ .. 4.~.w.mr~~.J#.ff .. ?;w..J.~~.r.MJ.$.~~.P..~NP.~ ...................................................................................... a®!t.<br />

gefrorenem Boden mit dem Ausbringen<br />

von Festmist los. Pro Tag<br />

werden ca. 80-100 Tonnen ausgefahren,<br />

3-4 Tage benötigt ein Mann für<br />

den Dung von 150 Rindern.<br />

Im März - der Boden muss bereits<br />

ausreichend abgetrocknet sein -<br />

wird dann mit der Gülledüngung<br />

begonnen. Die Gülle wird über<br />

Winter in großen Stahlbetongüllebehältern<br />

gelagert. Hierin wird die<br />

Gülle mit einem Rührwerk aufgerührt,<br />

um eine gleichmäßige Konsistenz<br />

zu erhalten. Das Ausbringen<br />

geschieht mit einem selbstansaugenden<br />

Gülletankwagen, der die<br />

Gülle aus dem Behälter einsaugt<br />

und sie dann auf dem Feld über<br />

einen Verteiler gleichmäßig ausbringt.<br />

Diese Arbeit wird ebenfalls<br />

nur von einer Person erledigt. In<br />

nur drei bis vier Tagen können circa<br />

800-1000 m 3 Gülle bei entsprechend<br />

langen Arbeitstagen (Scheinwerfer<br />

mit enormer Helligkeit am Schlepper<br />

und Wagen machen Nachtarbeit<br />

möglich) ausgebracht werden.<br />

Da man nach vorheriger Berechnung<br />

weiß, wie viel organischer<br />

Dünger anfällt und ausgebracht<br />

werden muss, wissen wir auch,<br />

welche Menge des Nährstoffbedarfs<br />

hierdurch abgedeckt ist. Die dann<br />

noch bestehende Differenz muss<br />

mit Kunstdünger ausgeglichen werden.<br />

In der Regel reichen hier auf<br />

den Weiden 1,5 Doppelzentner<br />

Kalkamonsalpeter (Ein-Nährstoffdünger<br />

mit 27 Prozent Stickstoffanteil).<br />

Bei Bedarf wird im August auf<br />

den Weiden noch mal nachgestreut,<br />

um bis zum Ende der Weidesaison<br />

genügend Gras zu haben. Auf den<br />

Wiesen benötigen wir dagegen<br />

schon 2,5 Doppelzentner gleichen<br />

Düngers nach jedem Grünlandschnitt,<br />

also ca. alle 6-8 Wochen,<br />

jedoch höchstens dreimal im Jahr.<br />

Der Kunstdünger wird per LKW frei<br />

Hof geliefert, abgekippt, dann mit<br />

dem hydraulischen Frontlader in<br />

den Düngerstreuer geladen (Fassungsvermögen<br />

1,5 Tonnen) und auf<br />

dem Feld verteilt. Jährlich benötigen<br />

wir etwa 50 Tonnen Kunstdünger.<br />

Sind diese Frühjahrsarbeiten erledigt,<br />

wird zeitgleich (sobald die<br />

Witterung es zulässt) zu den<br />

genannten Arbeiten mit dem<br />

Abschleppen der Wiesen und Weiden<br />

begonnen. Dies geschieht mit<br />

einer 6 Meter breiten, hydraulisch<br />

klappbaren Wiesenegge und dient<br />

Abb. 80: Heutzutage<br />

werden<br />

riesige Schlepper<br />

und Anhäger mit<br />

hohen Aufsätzen<br />

bei der Maisernte<br />

eingesetzt.


.ß®~ ............. ... .. ............. .. ........... .............................. ........ ~~N. J.M:U!-.. ~N.Jm l.t.~.~.P..~~I~~.~IT.PJ.~. JN:m.T.~Y.~~N.P.m::.~P.~.<br />

Abb. 81: Mit der<br />

Kehrmaschine<br />

werden die Schwaden<br />

auseinander<br />

geworfen.<br />

zur Einebnung der Maulwurfshügel<br />

und Belüftung der Grasnarbe, d. h.<br />

alte, tote Gräser werden ausgerissen,<br />

damit die Grasnarbe Platz zum<br />

Wachsen hat. Anschließend werden<br />

die Weiden eingezäunt und mit<br />

Elektrodraht versehen.<br />

Ende April/ Anfang Mai ist es dann<br />

soweit, die Tiere können ausgetrieben<br />

werden. Die Jungtiere kommen<br />

auf die Weide und bleiben den<br />

ganzen Sommer draußen, ebenso<br />

die Bullen. Die kleinsten Kälber<br />

bleiben vorerst im Stall, können<br />

aber auch schon mal am Tage draußen<br />

laufen. Nachts werden sie<br />

jedoch wieder reingeholt<br />

Bei den Kühen ist zum Weideaustrieb<br />

ein gutes ,Management' erforderlich.<br />

In den ersten Tagen dürfen<br />

sie nur stundenweise auf die Weide,<br />

um eine möglichst schonende Futterumstellung,<br />

d. ' h. von Winter- auf<br />

Sommerfütterung, zu erreichen.<br />

Damit wird vermieden, dass die<br />

Kühe irrfolge eines Überhangs an<br />

leicht verdaulichen Proteinen aus<br />

dem frischen Gras Verdauungsprobleme<br />

bekommen und somit krank<br />

werden. Parallel wird den Kühen<br />

den ganzen Sommer beim Melken<br />

Silage zugefüttert, um eine möglichst<br />

hohe Milchleistung zu erzielen.<br />

Eine gesunde Kuh produziert<br />

heute ca. 6.500-7.000 kg Milch pro<br />

Jahr. Angestrebt wird eine Menge<br />

von 8.000-10.000 kg, um auch in<br />

Zukunft Milch wirtschaftlich produzieren<br />

zu können.<br />

Sind alle Tiere draußen, müssen wir<br />

die Erntemaschinen für den ersten<br />

Schnitt klarmachen, um den optimalen<br />

Erntezeitpunkt der Gräser<br />

nicht zu verpassen. Dieser ist<br />

gekommen, wenn die Hauptbestandsgräser<br />

Ähren schieben, d. h.<br />

kurz vor der Blüte stehen. In dieser<br />

Phase haben die Gräser die meisten<br />

Nährstoffe.<br />

Bei der Ernte hat sich die Silagetechnik<br />

durchgesetzt. Es wird nur<br />

noch ein kleiner Teil Heu für die<br />

jüngsten Kälber gemacht.<br />

Die Verfahren der Silageernte sind<br />

natürlich von Betrieb zu Betrieb<br />

unterschiedlich. Es kommen selbstladende<br />

Erntewagen oder Häcksler<br />

zum Einsatz, einige Betriebe vergeben<br />

die Arbeiten an einen Lohn-


.~~.J..W:~ .. ~~ .. P.Ji;~ .. ~.P:w.JK!:$.(tw.:J:' .. ?;!}.~.J..W:~T~!}.$J~.P.~ll ...................................................................................... a~.<br />

unternehmer, andere wie unser<br />

Betrieb erledigen die Erntearbeiten<br />

mit dem eigenen Maschinenpark.<br />

Stundenweise wird eine Aushilfe<br />

eingestellt.<br />

Der Ablauf ist folgender: Mit zwei<br />

Schleppern, jeweils mit einem<br />

Mähwerk ausgerüstet, wird gemäht.<br />

Die Stundenleistung beträgt ca. 4<br />

Hektar in der Stunde, der dritte<br />

Schlepper beginnt etwas zeitversetzt<br />

mit dem Kehren des frisch gemähten<br />

Grases, um so den Trocknungsvorgang<br />

zu beschleunigen.<br />

20-24 Stunden nach dem Mähen<br />

wird das Gras mit einem Schwader<br />

Abb. 82 u. 83:<br />

Vor 70 bis 80 Jahren<br />

galt dieser Grasmäher<br />

noch als fortschrittlich;<br />

heute wird<br />

mit 2 Kreiselmähern<br />

zugleich gemäht.


.ß®®............... ................................. .............. .. .......... ........ ;I;;~N. J.N:H~ .. ~N ...P..P~.. J...~.P~~J.:~~.~ .. ~~~ - J.~~.T.-t\Q~~~'P.w.J;NP.~.<br />

Abb. 85: Dieser<br />

84 m lange und<br />

3 m hohe Silo von<br />

Henning Rehder<br />

ist die Ernte von<br />

85 ha Grünland<br />

im Mai 1999. Das<br />

Futter reicht für<br />

120 Milchkühe<br />

über den gesamten<br />

Winter.<br />

Abb. 84 (vorherige<br />

Seite):Oft reicht<br />

die Kraft eines<br />

Schleppers zum<br />

Schluss nicht mehr<br />

aus, um auf die<br />

hohen Silohaufen<br />

zu fahren. Dann<br />

wird ein weiterer<br />

Trecker vorgespannt,<br />

der hilft<br />

den Silagewagen<br />

hochzuziehen.<br />

zu gleichmäßigen Schwaden<br />

zusammengezogen und sogleich<br />

beginnen wir mit dem Einfahren<br />

mittels eines selbstladenden Erntewagens.<br />

Gleichzeitig zerschneidet<br />

dieser das Gras auf eine Länge von<br />

5-7 Zentimeter. Zuhause wird alles<br />

schichtweise auf einen großen<br />

Haufen gefahren und mit einem<br />

schweren Schlepper fest gewalzt.<br />

Abschließend wird der Silo mit<br />

Folie abgedeckt und rundum luftdicht<br />

mit Sand verfüllt. Zum<br />

Beschweren werden auf dem gesamten<br />

Silo alte PKW-Reifen verteilt,<br />

eine echte Knochenarbeit. Im Jahr<br />

2000 benötigten wir für den ersten<br />

Schnitt (45 Hektar) gut 4 Tage.<br />

Hinterher wird auf den abgeernteten<br />

Feldern Gülle ausgebracht und<br />

Kunstdünger gestreut.<br />

Jetzt ist es auch an der Zeit, die<br />

kleinen Kälber auf die Weide zu<br />

lassen. Da diese noch keine Gefahren<br />

und Freiheit kennen, sind sie<br />

vorsichtig auf ihr Weideleben (der<br />

Stromdraht muss erst erkannt werden)<br />

vorzubereiten. Den übrigen<br />

Tieren werden 10 Hektar der abgeernteten<br />

Flächen des ersten Schnitts<br />

anteilig zugewiesen.<br />

Die Zeit zwischen dem ersten und<br />

zweiten Schnitt ist in der Regel<br />

immer etwas ruhiger, so dass auch<br />

Landwirte heutzutage gern mal in<br />

Urlaub fahren. Eine Vertretung lässt<br />

sich gut organisieren, ist allerdings<br />

nicht ganz billig. Wenn man Glück<br />

hat, können die dringlich erforderlichen<br />

Arbeiten wie Melken, Füttern,<br />

Tiere zählen usw. von den<br />

Altenteilern (in der Regel die Eltern<br />

und Vorbesitzer des Hofes) übernommen<br />

werden. Ansonsten muss<br />

man einen Betriebshelfer buchen,<br />

der vom Maschinenring Steinburg<br />

gegen Bezahlung gestellt wird.<br />

Je nach Witterung ist etwa 6-8<br />

Wochen nach dem ersten Schnitt<br />

der zweite Schnitt auf den Wiesen<br />

fällig. Der Ablauf ist der gleiche wie<br />

beim ersten Schnitt und braucht<br />

deshalb nicht noch mal beschrieben<br />

werden.<br />

Bei gutem Wetter ist Anfang August<br />

das Getreide reif. Da wir selbst kein<br />

Getreide anbauen, müssen wir<br />

Stroh hinzukaufen. Dies benötigen<br />

wir im Winter als Einstreu für die<br />

Kälberboxen und Festmiststände<br />

sowie als Ergänzungsfutter zur<br />

Silage für die Jungtiere. Etwa die<br />

Hälfte des benötigten Strohs holen


, J.;!.\.J.


.ß:0..ß .. ................ ............... ... ................ .. ........ .. .. ... .. .. ~!.~ . J.~\!.!~ .. !.~.. !?I!~.. t-A ~. !?)~. !.t.f.I.'~~-:.! !!~ !:T.. ~~ ~~- J. ,\!.! ~T\ !.. ~!~ ~-!?)U;~D.J; .<br />

BSE ist die Abkürzungfiir<br />

'bovine<br />

spongiforme<br />

Enzephalopathie'<br />

auch Rinderwahnsinn<br />

genannt.<br />

Hierbei handelt es<br />

sich um eine<br />

schwammartige<br />

Wucherung im<br />

Gehirn eines<br />

erkrankten Rindes,<br />

die durch sogenannte<br />

Prionen<br />

ausgelöst wird. Es<br />

gibt gesunde und<br />

bösartige Prionen.<br />

Kommen bösartige<br />

mit gutartigen in<br />

Kontakt, können<br />

diese die Eigenschaft<br />

ändern und<br />

ebenfalls bösartig<br />

werden.<br />

Abb. 87: Waschmaschine,<br />

Waschbalge,<br />

Rüjfe/brett,<br />

Wäscherolle und<br />

die an der Wand<br />

hängenden Bügelbretter<br />

in der<br />

gesäuberten<br />

Waschküche.<br />

Grüppenfräse bzw. einer Grabenschaufel<br />

erledigt. Immerhin gilt es<br />

ca. 40-50 Kilometer Gräben zu<br />

unterhalten.<br />

Hiermit möchte ich den Jahresüberblick<br />

beenden. Selbstverständlich<br />

unterscheiden sich die Jahre immer<br />

ein klein wenig voneinander. Allein<br />

schon durch die Witterung verschieben<br />

und gestalten sich die Arbeiten<br />

jedes Jahr anders. Aber das ist vielleicht<br />

auch gerade das Interessante<br />

an der Landwirtschaft, die mit der<br />

Natur im Einklang leben und arbeiten<br />

muss.<br />

Ich habe versucht, den Ablauf eines<br />

Jahres in unserem landwirtschaftlichen<br />

Betrieb darzustellen. Dabei<br />

stellte ich fest, dass der Beruf ,Landwirt'<br />

eine echte Herausforderung<br />

darstellt: Wenig Freizeit, nicht<br />

immer vorhandene Akzeptanz in<br />

der Bevölkerung und immer höher<br />

werdende Ansprüche von Seiten<br />

der Politik und der Verbraucher an<br />

den Unternehmer Landwirt. Ich<br />

hoffe, es ist mir gelungen, auch<br />

Nicht-Eingeweihten einen Einblick<br />

zu verschaffen.<br />

BSE - Aus aktuellem Anlass<br />

Das Thema BSE ist zur Zeit in aller<br />

Munde. Die hier ansässigen Milchund<br />

Fleischbetriebe sind gleichermaßen<br />

von der BSE-Krise betroffen,<br />

auch wenn bisher im Gemeindegebiet<br />

glücklicherweise noch kein<br />

BSE-Fall aufgetreten ist. Die nachfolgenden<br />

Ausführungen von Johannes<br />

Rehder können das Thema nur<br />

streifen, dennoch ist es Wunsch der<br />

Gemeinde, hier Anknüpfpunkte zu<br />

schaffen, für den Fall, dass die<br />

Chronik in einigen Jahrzehnten<br />

fortgeschrieben wird:<br />

Am 24. November 2000 wurden<br />

erstmals BSE-Erreger in der Fleischprobe<br />

einer deutschen Kuh ,zufällig'<br />

entdeckt. Denn nach dem Zufallsprinzip<br />

waren bei der Schlachterei<br />

Basche in Itzehoe Proben von geschlachteten<br />

Rindern entnommen<br />

und auf diesen Erreger untersucht<br />

worden. Unter diesen Proben<br />

befand sich auch das Fleisch der<br />

fün fjährigen Kuh eines landwirtschaftlichen<br />

Betriebes im Kreis<br />

Rendsburg-Eckernförde.<br />

Die Meldung schlug ein wie eine<br />

Bombe, galt Deutschland bis dato<br />

als BSE-frei. Fortan überschlugen<br />

sich die Ereignisse. Im Alleingang<br />

ordnete die Bundesregierung sofortige<br />

Schnelltests für alle geschlachteten<br />

Rinder an, die das Alter von<br />

30 Monaten überschritten hatten.<br />

Mittlerweile werden alle geschlachteten<br />

Rinder getestet, die älter als<br />

24 Monate sind. Bei jüngeren Tieren<br />

konnten die Erreger bislang nicht<br />

nachgewiesen werden. Bis 1.3.2001<br />

sind im gesamten Bundesgebiet<br />

bereits 44 BSE-Fälle aufgetreten.<br />

Man befürchtet jedoch, dass dies<br />

nur die Spitze des Eisbergs ist.


. W:~5.( .l.!P. :~.~ . .F~ .. P.'-'. . 5.Q.!\~.1Q~H~~,~ ---·········· · · ·· ····································· · ·············· · ··· · ············· · ··· · ···················· ............................... J.00.<br />

WASCHDAG IN DE<br />

.................. ?. .Q~~ . .J9.~.~~ ............... ..<br />

Von Käthe Meiforth, Averfleth<br />

So gau as dat hüüttodaags is,<br />

Waschmaschien an, vörher sorteern<br />

op 30-40/60/90 Graad, so weer dat bi<br />

uns anfangs nich. Nu is dat so: Rin<br />

in de Waschmaschien, rut ut de<br />

Waschmaschien, rin in den Dröger,<br />

rut ut den Dröger un denn treckst<br />

dat Tüüg wedder an.<br />

Vöör unse Tiet fung dal siinndaagavends<br />

an. Ik weet, wenn mien<br />

Modder vertellen de un se weer<br />

sogoor 'n beten fünsch dorop. Sünndaagavend<br />

na'n Melken keem de<br />

Köökschen bi ehr in Laden, hüüt<br />

seggt m an ,Dien stmädchen' (giff dat<br />

sowieso nich mehr) . - ji weet ja noch<br />

oll, dat juun Oma een ,Tante-Emma­<br />

Laden' harr, wi seggt dar op'n Dörp<br />

ja ,Höker' to; na un nu wieda. -<br />

Denn kernen de Deerns, breden een<br />

grotes, blaues Dook, so 80 x 80 op'n<br />

Ladendisch ut, un denn woor inköfft:<br />

1 Pak ,Persil', dat geev dat dormaals<br />

ok al, weer aver blot 1 Pund Waschpulver<br />

binnen, 1 Pak ,Henko', dat<br />

Paket weer noch lütter, 1 Pak ,Sil',<br />

dat weer noch lütter, denn noch<br />

,Blaupapier' un ,Hoffmannsstärke',<br />

dat mit de wille Kalt, giff dat hiiüt ok<br />

noch. Denn woor dat blaue Dook<br />

över Krüüz tosaambunnen, un Oma<br />

m üss dat in't Book anschrieben,<br />

denn Geld kregen de Kökschen nich<br />

mit. Oft woor denn noch een Kann<br />

vull Petroleum mitnahmen, wegen<br />

den Waschketel, de viflicht nich<br />

brennen wull, wie] wi scheven Wind<br />

harrn. De Petroleumtank stünn<br />

glieks üm de Eck achterde Döö1: Dat<br />

weet ji villicht noch. Weer so ähnlich<br />

, als wenn du nu för een Moped<br />

tanken wullt. Dal weer de eerste<br />

Deel, Oma fre u sik bannig siinndaags<br />

so um de Avendbrottiet mit<br />

stinkige Petroleumhannen!!!!!!!<br />

Anfangs passeer dat Waschen noch<br />

in Kohstall, blang dat Regenbassin.<br />

Later as wi Köök un Waschköök mit<br />

een grooten Waschgropen baut<br />

harrn, woor dat ja al'n beten beter.<br />

Dat Regenbassin weer ganz wichtig,<br />

wuschen woor bloot in Regenwater,<br />

uns Grundwafer is so iesenhalig, dar<br />

kreegs överhaupt keen Schuum vun<br />

dat Sepenpulver. Wuschen woor ja<br />

ok bloot oll dree Weken, aver denn<br />

gung de ganze Week dar överhin.<br />

Wedder to Huus, woor dat Tüüg in<br />

de opstellten Zinkwanns, Plaslikwanns<br />

geev dat jo noch nich, sorteert,<br />

Water rop un Henko rinschüdd,<br />

dat weer een Inweekmiddel. Maandagmorgen<br />

gung dat denn richtig<br />

los: Waschgrapen anböt, wat mitünner<br />

recht swoor wee1; wenn wi den<br />

richtigen Wind nich harrn. Wäsch ut<br />

dat Henkowater, utwringen, de<br />

Schiet harr sik över Nacht so richtig<br />

löst. Rin in Grapen, Persil rop, un<br />

koken loten. Af un an um röhren mit<br />

een grooten holten Wäscheknüppel.<br />

Later ut de Sepenloog rutnehm un<br />

denn gung dat Rüffeln los, op dat<br />

Waschbrett, dat se nu blot noch to'n<br />

Musik maken brukt. Later kregen wi<br />

so'n Stamper. Denn stampen wi de<br />

Wäsch al in Gropen. De woor dahldrückt<br />

in de Wäsch un wedder<br />

hoochhalt. Denn spölt dat Sepenwater<br />

so richtig dörch de Wäsch dörch.<br />

Noch later kregen wi een hölten<br />

Waschmaschien. De harr een<br />

Schwingel ande Siel, den müssen wi<br />

so een halve Stunn hin un her<br />

bewegen, de weer mit een Kammrad<br />

ünner de Maschien verbunnen, de<br />

sett wedder een holten Kriiüz in de<br />

Maschien in Gang un de Wäsch<br />

woor dordörch hin und her bewegt.<br />

Dat weer ganz fortschrittlich un<br />

Arbeitserleichterung.<br />

Un nu gung dal Spölen los. Eerst<br />

Etwa alle drei<br />

Wochen gehörte<br />

der sogenannte<br />

Waschtag zu den<br />

schwersten<br />

Arbeitstagen in<br />

der Hauswirtschaft.<br />

Dem eigentlichen<br />

Waschen ging das<br />

Einweichen der<br />

Wäsche in Zinkwannen<br />

voraus.<br />

Am nächsten<br />

Morgen wurde die<br />

Wäsche gekocht,<br />

wobei dem Waschwasser<br />

eine<br />

bestimmte Menge<br />

von Waschmittel<br />

zugesetzt wurde.<br />

Durch Reiben auf<br />

dem Rüffelbrett<br />

sollten die<br />

Schmutzteile<br />

endgültig gelöst<br />

werden. In späterer<br />

Zeit wurden<br />

diese Arbeiten mit<br />

Hilfe von Waschmaschinen<br />

erleichtert.


,{~~ .D ............................................................................................................................. ............... Wt~P.!I.:?;\~i .. !N.P'f. .. 5.Q.m~. JQ! .I.~g_;;,: .<br />

Im nächsten<br />

Arbeitsgang wurde<br />

die Wäsche dreimal<br />

mit klarem<br />

Wasser durchgespült,<br />

ausgewrungen<br />

und an der<br />

Wäscheleine zum<br />

Trocknen aufgehängt.<br />

Zum<br />

Abschluss wurde<br />

die Wäsche nach<br />

dem Trocknen mit<br />

dem Bügeleisen<br />

geglättet und bei<br />

Bedarf ausgebessert.<br />

73<br />

utwringen, rin in de eerste Wann mit<br />

schier Water, immer op un daal,<br />

utwringen, in de tweete Wann mit<br />

frisch Water, ümmer op un daal un<br />

utwringen. Denn in de drütte Wann<br />

noch maal datsülve. Dat Tüüg, wat<br />

recht schöön witt warm schull, woor<br />

noch in Silwater ]eggt oder in een<br />

Wann mit Blaupapier. Blaupapier<br />

weem Papierstücke, bickbeerenblau,<br />

so 8 x 1 0 cm groot, de warm in een<br />

Wann mit Woter ]eggt un de Wäsche<br />

woor för een halve Stunn dorrin<br />

packt. Wenn allens wedder utwrungen<br />

west, keem dat in denn Wäschekor/<br />

ut Peddigrohr oder Weiden, un<br />

denn gung't na buten. In Appelhoff<br />

weer de Wäschelien krüüz un quer<br />

spannt, un wenn de Sünn schien,<br />

mit een lütten beten Wind, denn<br />

weer dat herrlich.<br />

In twüschen woor in de Sepenloog<br />

vun de witte Wäsch de Buntwäsch<br />

rinpackt. Stück Holt nabött un de<br />

nafolgende Wascharbeit weer desülve<br />

as vörhin. Denn keem noch de<br />

Arbeitsbüxen un Jacken in de<br />

gebrukte Loog, de sehg würklich nich<br />

mehr schöön ut. Mit de Monschesterbüxen<br />

woor denn rutgohn op de<br />

Opbohnbrüch, de Büxen hinleggt un<br />

denn mit den Leuwagen (oder<br />

Schrubber, dat is beler to verstahn)<br />

de letzte Kohschiet rünnerböst. Wenn<br />

denn allens an de Lien bummeln de,<br />

weer man froh. De Waschköök woor<br />

schrubbt un oll de Dören opreten,<br />

darmit dat denn ok gau dröögt. Dat<br />

weer de Waschdag. To Meddag geev<br />

dat mehrst dicken Ries oder Avenkater,<br />

wat ja eenfach weer.<br />

Annem Dag gung dat wieder. De<br />

Stärkewäsche, Oberhemden u.s.w.<br />

dat goode Tüüg jedenfalls woor,<br />

anfuchten, reckt un oprullt. Un denn<br />

gung dat Plätten los. Wi harm jo al<br />

een elektrisches Bögeliesen, unse<br />

Mudder un Tanten harm noch een<br />

Holtkohleniesen. Holtkohl kunnst<br />

bi'n Höker köpen, ji warm woll<br />

,Grillkohle' dorto seggen. De woor<br />

in't Plättiesen doon, Stück Brikettgloot<br />

mit rin un denn na buten, hin<br />

un her swenkt, darmit dar Tag rin<br />

keem un glönig warm de. Wenn<br />

allens plätt un schier weer, gung dal<br />

neegsten Dag an Tüüg heel moken.<br />

Ünnerbüxen stoppen, Bettlaken<br />

flicken, Knööp anneihen u.s. w.<br />

Abb. 88: Bäckerei<br />

Otto Nagel, zuvor<br />

J. Heesch, in<br />

Vorder-Neuendorf<br />

mit integriertem<br />

Kolonialwarenladen.<br />

lfßlill­<br />

~lli<br />

~<br />

~7


I I \~P~ .E~~~~.. ~ ..:'i!.?<br />

.. G.r.~. f~Wm~T.~. ! ~.J;IJ . P.J;,~ .. ~! .. TI-.~ .. Z!ir!: ................................................................................................... J.J(!.<br />

HANDWERKS- UND<br />

G EWERBEBETRIEBE<br />

D ER ALTEN Z EIT<br />

Ein Strukturwandel fand nicht nur<br />

in der Landwirtschaft, sondern auch<br />

bei den örtlichen Handwerksbetrieben<br />

statt. Entlang Hackeboe beispielsweise<br />

gab es in den 30er/40er<br />

Jahren noch eine Vielzahl von<br />

Handwerks- und Gewerbebetrieben.<br />

Angefangen bei den Zimmereibetrieben<br />

Lau und Schuard, wovon<br />

sich die Zimmerei Schuard auf<br />

Mühlenbau spezialisiert hatte.<br />

Weiter mit der Gärtnerei Möller,<br />

dem ,Fa hrradflicker' Abraham und<br />

dem Schuhmacher Julius Halmschlag,<br />

in dessen Haus 1931 eine<br />

Nebenstelle des Wilsteraner Postamtes<br />

eingerichtet wurde, die seine<br />

Schwiegertochter bis 1966 weiterführte.<br />

Am anderen Ende von<br />

Hackeboe befand sich die Malerwerkstatt<br />

der Fa milie Oehlers.<br />

Bevor sie dieses Haus (Hackeboe 43)<br />

1923 erworben hatte, betrieb Johannes<br />

Maaß hier eine Weberei sowie<br />

einen 'Steh-Bierausschank'. Als auf<br />

der Wilster-Au noch reger Verkehr<br />

herrschte, konnten die Schiffer dort<br />

ihren Durst löschen . An derselben<br />

Stelle soll dem Hörensagen nach<br />

einst eine hölzerne Kapelle gestanden<br />

haben. Abschließend befand<br />

sich in Hackeboe bis vor kurzem<br />

noch der Malerbetrieb der Familie<br />

Haack, die gleichzeitig einen Kolonialwarenladen<br />

führte. Einen<br />

solchen Laden hatte einst auch<br />

Bäcker Otto Nagel aus Vorder­<br />

Neuendorf. Neben dessen Bäckerei<br />

gab es dort noch zwei Schuster.<br />

Einer davon, Otto Göttsche, arbeitete<br />

gleichzeitig als Reetdachdecker.<br />

Noch im Alter von 86 Jahren fertigte<br />

dieser das Reetdach für die Schautafel<br />

an der Tiefsten Landstelle.<br />

Das Schuhmacherhandwerk war<br />

allgemein gut vertreten in der Gemeinde<br />

Neuendorf. Neben den<br />

Schusterwerkstätten in Hackeboe<br />

und Vorder-Neuendorf gab es noch<br />

den Schuster Feldmann in Averfleth,<br />

den Schuster Rogkensack in<br />

Abb. 89: Der alte<br />

Zimmermeister<br />

Markus Schuard<br />

(rechts) mit seinen<br />

Gesellen beim<br />

Wiederaufbau des<br />

Schippmannhofes<br />

in Hackeboe 1915.<br />

Um die Jahrhundertwende<br />

gab es<br />

einen weitereren<br />

Schuster in Hackeboe.<br />

Claus Heutmann<br />

war lange<br />

Jahre in der<br />

Gemeindevertretung<br />

aktiv und von<br />

1906 bis 1921<br />

Gemeindevorstehet:


.~ ?J. :1. ...... ................ .... ...... ........ .................................. ... ......... ... .. ......... ... ~!&~9)~! ~~-~~-~,;~ .. SI~~-~~~ .. ~.Ur .. !?. ~;\ .. ~9.m~. J :\~!IW;~ .<br />

··································································································································································· ·········································<br />

... · · ..<br />

L~bVNcwer Fei4 G~ 74<br />

Wcwvtop 'mtG~ ~~{~.Mt,<br />

de.ttt.ntwcwr-t ~olvlfl'"~~<br />

V~V G r~O"WI/ wcu--Y"t b4t.et" x:hcwe.t'll.<br />

V~V G~ wcu--Y"t t:YClktee-t-t,<br />

W'll d.e"G~ ~~<br />

Nw k.ee.m- , Wuppe.V op' Y11 Börv uv 5chw~<br />

/Göm;J~ BrCM'tdt a4-'R~<br />

Be-vö-1'" eA'\1 !V~ /vf


.M .( 1 ! .1.!KY9.~.. H!-;.l.~.l.!Jq! .. ~T!).l.!.~~ ... t.N .. A\'f.Rf:~,Hl! ............................................................... ........ .... ......................................... J .::J-.~.<br />

D.ampfmühle Ave.rfleth<br />

Achterhörn sowie den Schuhmacher<br />

Jacob Groth in Hinter­<br />

Neuendorf.<br />

Ebenfalls in Hinter-Neuendorf<br />

befand sich die Poststelle der Familie<br />

Fink. Der ,Handelshof' wird in<br />

der Kombination Gaststätte und<br />

Viehhandel bereits in der dritten<br />

Generation betrieben. Ein paar<br />

Häuser weiter befand sich die Stellmacherei<br />

von Peter Struve. Eine<br />

weitere Stellmacherei bestand zur<br />

Jahrhundertwende in Averfleth und<br />

arbeitete eng mit der benachbarten<br />

Abb. 90: Hierbei<br />

handelt es sich um<br />

die Kornmühle<br />

von Heinrich<br />

Stührk im Jahr<br />

1913 (Poststempel).<br />

Es ist anzunehmen,<br />

dass<br />

diese Mühle einst<br />

zur Grafschaft<br />

Rantzau gehörte.<br />

Info/ge der Einziehung<br />

allen Rantzauischen<br />

Besitzes, wurde<br />

die Mühle 1721<br />

königliches Eigentum<br />

und in eine<br />

Erbpachtmühle<br />

umgewandelt. Ein<br />

Kornmüller j ener<br />

Zeit war Peter<br />

Meyforth (1774-<br />

1836). Unter<br />

preußischer Herrschaft<br />

wurde die<br />

Zeitpacht aufgehoben.<br />

Bevor Heinrich<br />

Stührk die<br />

Mühle erwarb,<br />

hatte sie dem<br />

Müller Runge<br />

gehört. Dieser war<br />

nach Amerika ausgewandert.<br />

Mittels eines<br />

Motors wurde dort<br />

seit 1924 auch<br />

Strom erzeugt.<br />

Mitte der 30er<br />

Jahre wurde die<br />

lokale Stromerzeugung<br />

durch die<br />

220- Volt-Überlandleitung<br />

ersetzt. Einige<br />

Höfe in Achterhörn/Stadtmoorwurden<br />

erst zu<br />

dem Zeitpunkt an<br />

das Stromnetz<br />

angeschlossen und<br />

mit Elektrizität<br />

versorgt.


.ß:J. ~J ...................................... .......................... ............................... R~.N.~W.~~.JS!!~ .. ~ ! ;"'.~ .. GJW.l.'.~~.l.'.!~~I~ ! .f:Jm .. P..P~ .. :\I.T~;"~~ .. ZPr.<br />

Abb. 91: Diese<br />

alte Fotografie<br />

zeigt Peter Nagel<br />

bei der Arbeit<br />

zusammen mit<br />

seiner Frau in der<br />

Schus lerwerks Ia tl<br />

in Averfleth.<br />

Insgesamt fand<br />

eine Verschiebung<br />

vom produzierenden<br />

und verarbeitenden<br />

Gewerbe<br />

hin zum Dienstleistungsgewerbe<br />

statt.<br />

Von den 19 gemeldeten<br />

Gewerbebetrieben<br />

im<br />

Gemeindegebiet<br />

sind ca. 95% im<br />

Dienstleistungssektor<br />

tätig<br />

(Stand 20.3.2001).<br />

Schmiede zusammen. Ebenfalls in<br />

Averfleth gab es die Zimmerei Feldbusen,<br />

der ein kleiner Krämerladen<br />

angegliedert war. Eine andere Zimmerei<br />

nebst Sägemühle (Haack)<br />

stand seinerzeit an der Wilster-Au<br />

schräg gegenüber vom Duckunder.<br />

Heute kennzeichnet der alte Baumbestand<br />

den einstigen Standort.<br />

Bei dieser Auflistung alter Gewerbetreibender<br />

im Gemeindegebiet sollte<br />

das ,Allroundtalent' Peter Nagel<br />

nicht fehlen. Zur Jahrhundertwende<br />

in Averfleth wohnhaft, ist er, wenn<br />

auch nur noch dem Hörensagen<br />

nach, vornehmlich den Alteinwohnern<br />

Averfleths ein Begriff. Die<br />

Schusterwerkstatt und Gerberei<br />

hatte er bereits von seinem Vater<br />

übernommen. Mit seinem Schiff<br />

fuhr er Torf nach Harnburg und<br />

seine Frau betrieb einen Krämerladen.<br />

Nebenbei war Peter Nagel als<br />

Humanmediziner, Tierarzt und<br />

Barbier tätig. So half er den Leuten,<br />

wenn sie Warzen, Hühneraugen und<br />

andere Leiden hatten oder einen Rat<br />

benötigten. Jeden Sonntagmorgen<br />

saßen die Männer aus dem Dorf in<br />

seiner Stube, um sich rasieren oder<br />

die Haare schneiden zu lassen. 1909<br />

konnte er sein 50-jähriges Geschäftsjubiläum<br />

begehen. Um die<br />

Vielseitigkeit seines Könnens zu<br />

unterstreichen, möchte ich gern<br />

folgende Meldung aus der Wilsterschen<br />

Zeitung vom 9. Mai 1891<br />

wiedergeben: "Es ist ein Kalb mit<br />

zwei Köpfen und zwei Hälsen auf<br />

dem Hofe Peter Meiforth zur Welt<br />

gekommen. Leider ist es bei der<br />

schwierigen Geburt gestorben,<br />

ansonsten wäre es aber volllebensfähig<br />

gewesen. Der hiesige Schuhmacher<br />

Peter Nagel hat es sorgfällig<br />

ausgestopft und bei sich z u Hause<br />

aufgestellt."


. ~.f:!I~~1.P?.~ .......................... ................................................................................................................................................................ J.i!.e1.<br />

SCHMIEDE<br />

Schmied ist einer der ältesten<br />

Handwerksberufe, der den Germanen<br />

schon 500 Jahre vor der Zeitenwende<br />

bekannt war. Beim<br />

Schmiedevorgang wird Metall im<br />

offenen Feuer erhitzt, um es anschließend<br />

mit einer Vielzahl von<br />

Werkzeugen zu bearbeiten. Hierzu<br />

stehen dem Schmied neben dem<br />

Amboss als Arbeitsplattform verschiedene<br />

Hämmer, Zangen, Meißel<br />

und Messer in mannigfaltiger Ausführung<br />

zur Verfügung.<br />

Die örtlichen Schmieden (Averfleth<br />

und Dückerstieg) fertigten in der<br />

Regel die Arbeitsgeräte zur Bewirtschaftung<br />

der Felder, gleichzeitig<br />

aber auch Werkzeuge, Klingen<br />

sowie Eisenreifen und -beschläge<br />

für die Kastenwagen. Das ,Fo hlenbrennen'-"<br />

zähl te ebenso zu ihren<br />

Aufgaben wie das Beschlagen der<br />

Pferde. Im Winter ging der Schmied<br />

von Hof zu Hof, um den jungen<br />

Pferde die Hufe zu beschneiden.<br />

Hufeisen bekamen sie erst im Alter<br />

von 3-4 Jahren. Kurz nach dem<br />

Krieg, als Eisen schwer zu beschaffen<br />

war, hat man die Hufeisen aus<br />

alten Maschinengewehrläufen gefertigt.<br />

In der alten Ziegelei in Nortorf<br />

befand sich damals ein Waffendepot<br />

Es wurden die unterschiedlichsten<br />

Hufeisen gefertigt, auch<br />

geschlossene. Um im Winter die<br />

Rutschfestigkeit zu erhöhen, konnte<br />

man Eisnägel in die Eisen schlagen<br />

bzw. Stollen reinschrauben.<br />

Auch das Schärfen von Pflugscharren<br />

und Beilkeilen fiel in den Aufgabeobereich<br />

dieser Schmieden. Der<br />

Schleifstein in Averfleth musste<br />

damals noch von Hand betrieben<br />

werden. In der Schmiede beim<br />

Dückerstieg gab es glücklicherweise<br />

schon einen Motor, der über Treibriemen<br />

mit mehreren Arbeitsmaschinen<br />

verbunden war (Transmission)<br />

.<br />

Mit zunehmender Technisierung in<br />

der Landwirtschaft wandelten sich<br />

die Anforderungen an den Schmiedebetrieb.<br />

Viele traditionelle Arbeiten<br />

verschwanden aus dem<br />

Abb. 92: Die<br />

Schmiede beim<br />

Dückerstieg im<br />

Jahr 1920. in der<br />

Mitte steht der<br />

Schmied Markus<br />

Ho/let; links sein<br />

Nachfolger Willy<br />

Johannsen.<br />

Johannes Holler,<br />

Sohn von Markus<br />

Holler, betrieb<br />

nebenan ein<br />

Elektrogeschäfl.<br />

Deshalb wurden in<br />

der Schmiede auch<br />

schon frühzeitig<br />

verschiedene<br />

Maschinen über<br />

Transmission<br />

angetrieben. Im<br />

Hintergrund ist<br />

ein Windrad zu<br />

erkennen, durch<br />

welches die Transmiss<br />

ion mittels<br />

einer Welle in<br />

Drehung versetzt<br />

wurde.


.ßJ :~ ................. .......................................................................................... ....................... ..................................................... S.P. !~Hm?.!i.<br />

Schmiede (1963)<br />

1963-1992 Reinhard Holm<br />

1992-1994 Raiffeisen HaGe<br />

seit 1994 Horst Dohrn<br />

··-...<br />

, ·-----..._<br />

, chlcrf .. ·-·----...<br />

------------------~~:.rn ..__ ·--------------..._<br />

·- ··-.......··<br />

·•···········...............<br />

Bauernhof mit Schmiede (1848)<br />

1848-1877 Christian Haack<br />

1877-1909 Lorenz Nagel<br />

··................... ....... ····•··•· ...<br />

Abb. 93: Die<br />

Dorfschmiede in<br />

Averjleth mit<br />

ihrem jeweiligen<br />

Besitzer und<br />

Standort.<br />

Weil das alte<br />

Bauernhaus mit<br />

Reet gedeckt war,<br />

war das Gebäude<br />

durch das offene<br />

Feuer der Esse<br />

gefährdet. Deshalb<br />

zog Lorenz Nagel<br />

in die gegenüberliegende<br />

Stellmacherei.<br />

Diese war<br />

j edoch nicht sehr<br />

groß, weshalb sie<br />

um einen Schuppen<br />

und ein<br />

Beschlagschauer<br />

vergrößert wurde.<br />

Nebenbei betrieb<br />

Lorenz Nagel eine<br />

Kohlenhandlung<br />

und hielt Schweine.<br />

Arbeitsalltag, andere, neue Aufgaben<br />

kamen hinzu. Der Landmaschinenhandel<br />

und deren Reparatur<br />

gewann an Bedeutung. Anfangs<br />

wurden die Maschinen noch in<br />

Einzelteilen zerlegt mit der Bahn<br />

angeliefert und in der Schmiede<br />

endmontiert Peter Marler aus Hackeboe<br />

erinnert sich, dass schon zu<br />

seiner Lehrzeit (1944-46) von den<br />

sechs Lehrlingen pro Lehrjahr<br />

jeweils drei zum Landmaschinenmechaniker<br />

ausgebildet wurden. Er<br />

hatte beim Schmied Willy Johannsen<br />

auf dem Dückerstieg gelernt.<br />

Zuvor hatte er da bereits ein Jahr als<br />

Laufjunge gearbeitet. Insgesamt<br />

waren dort 18 Mann beschäftigt,<br />

davon 12 Lehrlinge, bei freier Kost.<br />

Im Verhältnis dazu war die Schmie-<br />

vor1909<br />

1909-1924<br />

Stellmacherei<br />

Lorenz Nagel<br />

Franz Mede<br />

Emil Meiforth<br />

Timm<br />

1933-1962 Johannes Holm<br />

1962-1963 Reinhard Holm<br />

de in Averfleth recht klein. Anfangs<br />

arbeitete Johannes Holm gar allein.<br />

Deshalb musste seine Frau den<br />

schweren Blasebalg bedienen. Erst<br />

später kamen Gesellen und Lehrlinge<br />

hinzu. Einer dieser ehemaligen<br />

Lehrlinge, Peter Steen, ist der<br />

Schmiede in Averfleth treu geblieben<br />

und arbeitet dort nun schon<br />

über 40 Jahre.<br />

1962 übernahm Reinhard Holm den<br />

väterlichen Betrieb und siedelte<br />

bereits ein Jahr später in die neu<br />

errichtete Schmiede auf der gegenüberliegenden<br />

Straßenseite um.<br />

Neben dem ,normalen' Schmiedebetrieb<br />

handelte er mit Landmaschinen,<br />

Fahrrädern, Propangas,<br />

Treibstoff, Motorrädern, Fahrzeugen


. ~.~J1~!.1J !?.!; .. , ... ......... ........................................................................................................................................................................... 1:ü.tl<br />

und Flüssiggasgeräten. Als Reinhard<br />

Holm nach schwerer Krankheit<br />

starb, verpachtete seine Frau Inge<br />

den Betrieb zunächst an die Raiffeisen<br />

HaGe, welche d ie Werkstatt in<br />

gleicher Weise fortführte. In diesen<br />

2 Jahren leitete bereits Horst Dohrn<br />

den Betrieb, jedoch noch als Angestellter<br />

der Raiffeisen HaGe. Erst<br />

Ende 1994 wagte er den Schritt in<br />

die Selbstständigkeit und pachtete<br />

die Werkstatt direkt von Inge Holm.<br />

Horst Dohrn lernte ebenso wie einst<br />

Peter Marler beim Schmied auf dem<br />

Dückerstieg. Jedoch genoss er die<br />

Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker.<br />

Die Gesellenjahre verbrachte<br />

er bei Carstens in<br />

Schenefeld. Anschließend machte<br />

er seinen Meister und arbeitete bis<br />

1992 bei Laskowski in Elbersbüttel<br />

(kurz vor Meldorf) .<br />

Somit ist Peter Steen der einzige<br />

gelernte Schmied im Betrieb von<br />

Horst Dohrn. Die anderen drei Mitarbeiter<br />

sind auch Landmaschinenmechaniker,<br />

bzw. einer von ihnen<br />

hatte Maschinenbauer gelernt und<br />

sich als Quereinsteiger im Rahmen<br />

einer Umschulungsmaßnahme auf<br />

Melktechnik spezialisiert.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die<br />

Bezeichnung ,Schmiede' irreführend,<br />

auch wenn sie im Volksmund<br />

traditionell weiterhin gebräuchlich<br />

ist. Zwar gibt es immer noch das<br />

gute alte Schmiedefeuer, einst<br />

Mittelpunkt einer jeden Schmiede,<br />

jedoch findet man es heute meist<br />

irgendwo im Hintergrund und nur<br />

selten wird es noch entfacht. Es<br />

verlor mit Erfindung des elektrischen<br />

Lichtbogenschweißens an<br />

Bedeutung. Da viele Landwirte<br />

selbst schweißen können, machen<br />

sie in der Regel die kleineren Reparaturen<br />

selbst.<br />

Der Kundenkreis beschränkt sich<br />

hauptsächlich auf die Landwirtschaft<br />

, deshalb sind die Arbeitsfelder<br />

überwiegend in diesem Bereich<br />

angesiedelt. So reicht das Arbeitsspektrum<br />

von der Installation und<br />

Wartung der Melk- und Fütterungstechnik<br />

bis hin zum Verkauf aller<br />

landwirtschaftlichen Maschinen,<br />

seien es Schlepper, Heumaschinen<br />

oder dergleichen.<br />

Doch mit zunehmenden maschinellen<br />

Feinheiten werden die Reparaturen<br />

immer aufwendiger. Dieses<br />

Spezialwissen ist durch eine einfache<br />

Lehre nicht mehr zu vermitteln,<br />

da die Ausbildung mit den<br />

technischen Neuerungen kaum<br />

Schritt halten kann. Deshalb nutzen<br />

sie die jährlich stattfindenden Schu-<br />

Abb. 94: Ein<br />

Amboss steht auch<br />

heute noch in der<br />

Schmiede in<br />

Averjleth. Im<br />

Hintergrund<br />

befindet sich die<br />

Feuerstelle.<br />

Ein Stellmacher<br />

fertigte die Holzarbeiten<br />

fiir Fuhrwerke<br />

und<br />

Ackergeräte an.<br />

Bei der Herstellung<br />

der Holzräder<br />

arbeiteten<br />

Schmied und<br />

Stellmacher eng<br />

zusammen.


.ß i!..:E3 ................................................. ............... .............................................................. ...................................................... ... ~~:1.! ;~!.1. E!?.f: .<br />

Abb. 95: Werkstatt<br />

von Horst Dohrn<br />

in Averjleth. In der<br />

Mitte ist Horst<br />

Dohrn gerade<br />

dabei, einen alten<br />

Trecker zu reparieren.<br />

Iungen (meist im Januar und Februar)<br />

zur Fortbildung. Diese Schulungen<br />

werden von den Vertriebspartnern,<br />

von denen Horst Dohrn<br />

die jeweiligen Maschinen bezieht,<br />

durchgeführt. Beispielsweise verkauft<br />

er Schlepper der italienischen<br />

Firma ,Landini'. Diese Schleppermarke<br />

ist neu in dieser Gegend und<br />

steht in Konkurrenz zu den bisher<br />

üblichen Marken ,Deutz' und<br />

,Fendt'. Bei den Heumaschinen<br />

arbeitet er dagegen mit der Firma<br />

,Pöttinger' zusammen und so hat er<br />

für jeden Betriebszweig einen anderen<br />

Vertragspartner. Der Verkauf der<br />

Maschinen ist neben dem normalen<br />

Werkstattbetrieb ein wichtiges<br />

Standbein.<br />

Früher wurden die<br />

Lebens- und<br />

Genussmi/lei noch<br />

mit dem Sammelbegriff<br />

'Kolonialwaren<br />

umschrieben. ln<br />

seiner ursprünglichen<br />

Bedeutung<br />

waren damit die<br />

Waren aus Übersee<br />

gemeint.<br />

KOLONIALWARENLADEN<br />

HEINZ IIAACK<br />

Im späten Mittelalter ging der Handel<br />

noch von den Städten aus. Von<br />

dort wurden die umliegenden Gebiete<br />

versorgt. Seit dem 16. und 17.<br />

Jahrhundert siedelten sich die Höker<br />

und Krämer auch in den Dörfern an.<br />

Beim Höker konnte man die wichtigsten<br />

Lebensmittel wie Brot, Butter,<br />

Käse, Speck und Mehl, später auch<br />

Bier und Branntwein kaufen.<br />

Die Krämer hatten zusätzlich noch<br />

Tee, Zucker, Sirup, Seife, Öl und<br />

Gewürze im Angebot.<br />

Einen solchen Krämerladen belrieben<br />

Margareta und Joachim Kloppenburg<br />

in Hackeboe. Das Haus<br />

(Hackeboe 40) erwarben sie von<br />

Cornelius Finck. 1910 eröffneten sie<br />

das Geschäft. Von 1937 bis 1962<br />

führte deren Tochter, Marlha Haack<br />

(geb. Kloppenburg), den Laden weiter,<br />

bis sie ihn am 1.9.1962 an ihren<br />

Sohn, Heinz Haack, übergab.<br />

Heinz Haack hatte seiner Mutter<br />

schon als Kind im Laden ausgeholfen.<br />

Von 1951 bis 1954 absolvierte er<br />

im Gemischtwarenladen ,Hermann


.Km,o~~~~~.'!~~4\Q,~.~ .. H.fi!~;? .. tl.~.~~ ................................................................................................................................... J .:l~.<br />

Kloppenburg' in Wilster die Ausbildung<br />

zum Kaufmannsgehilfen.<br />

Danach wechselte er zum Tabakwarenhändler<br />

Simonsen. Einige Zeit<br />

später ging dieser Betrieb in den<br />

Besitz der Firma Gyllensvärd aus<br />

llzehoe über, wo Heinz Haack bis<br />

zu seiner Pensionierung im Außend<br />

ienst tätig war. Parallel betrieb er<br />

gemeinsam mit seiner Frau den<br />

kleinen Kaufmannsladen im Nebenerwerb.<br />

Schon früher konnten die<br />

meisten ländlichen Höker- und<br />

Krämerläden nur in Kombination<br />

mit anderen Erwerbszweigen existieren.<br />

Um die Jahrhundertwende<br />

beispielsweise führte die Familie<br />

Heeckt/Egge parallel zur Gastwirtschaft<br />

einen kleinen Laden nebenher.<br />

Ebenso waren an die Zimmerei<br />

Feldbusen in Averfleth und Bäckerei<br />

Nagel in Vorder-Neuendorf kleine<br />

Krämerläden angegliedert.<br />

Heinz Haacks Kundschaft stammte<br />

aus der Umgebung und obwohl die<br />

ganze Woche geöffnet war, kamen<br />

die meisten Kunden Sonnabends.<br />

Die männliche Kundschaft nutzte<br />

die Gelegenheit häufig für einen Abstecher<br />

in die nahegelegene Gaststätte<br />

,Zum Dückerstieg'. Auf dem<br />

Hinweg gaben sie ihre Bestellung<br />

ab, um selbige auf dem Rückweg in<br />

Empfang zunehmen. Andere breiteten<br />

auf der Ladentheke ein Tragetuch<br />

aus, worauf d ie gewünschten<br />

Waren angeordnet wurden.<br />

Anschließend wurden die vier<br />

Ecken des Tragetuchs über kreuz<br />

miteinander verbunden; so konnten<br />

die Einkäufe auch mit dem Fahrrad<br />

bequem nach Hause transportiert<br />

werden.<br />

Die meisten ihrer Kunden konnten<br />

anschreiben lassen. Dazu hatte jeder<br />

ein eigenes Notizheftchen, das sogenannte<br />

Kontobuch, in dem die<br />

Einkäufe notiert und einmal im<br />

Monat abgerechnet und beglichen<br />

wurden.<br />

Gelegentlich dauerte es eine Weile<br />

bis man an der Reihe war, weil die<br />

Abb. 96: Der<br />

Kaufmannsladen<br />

der Familie Haack<br />

in den 30er Jahren.


.~2. !J..................................................... ... ............................ ................. ......................... KQ!Q;'i.t ...\I~~;~,~!.,~.!?I~.. H.U.~;? .. ~~),~.~ .<br />

~tr-· ~ .Lt'/4-' ~<br />

.5~~6 .r<br />

# ..r-,J~<br />

,,<br />

.,<br />

rl-· /.<br />

_r,# L ·'.1<br />

Z::J<br />

/ 7<br />

7 .-4..·-? .._ ~ /f<br />

/-1~~<br />

~ lia;f'~ "<br />

Z/J~/~r<br />

.:~~·:;..-./~<br />

/F.~.-c.1 ~<br />

J71~~.4<br />

/~~#--<br />

'/4~~~<br />

/ ~~ / ·_,...,_., ·~ V<br />

~-t} z~~~---<br />


.~.\~.\g.~ !.~\! ,~.A.l.W~!N>..~.l'! . .tlPN?,. Jf.,.\MJ~ ................................................................................................................................... :J. .~.<br />

,Tanle-Emma-Läden' wie dieser<br />

jedoch Konkurrenz. Die großen<br />

Supermarktketten umgingen die<br />

Großhändler, indem sie als Großabnehmer<br />

direkt mit den Herstellerfirmen<br />

verhandelten. Dies führte dazu,<br />

dass die Produkte in den Supermärkten<br />

teilweise billiger angeboten<br />

werden konnten als von den Großhändlern.<br />

Es setzte ein Verdrängungsprozess<br />

ein, bei dem neben<br />

den vielen kleinen ,Tante-Emma­<br />

Läden' auch Großhändler im Konkurrenzkampf<br />

mit den Supermärkten<br />

unterlegen waren. Die Folge<br />

war, dass es für die verbliebenen<br />

kleinen Krämerläden immer schwieriger<br />

wurde, die benötigten ,Kleinstmengen'<br />

zu bestellen. Deshalb<br />

gliederlen sie sich in der Regel<br />

bestimmten Supermarktketten an,<br />

von denen später aber auch Mindestabnahmen<br />

vorgeschrieben wurden,<br />

die meist in keinem Verhältnis<br />

zum eigenen Absatz standen. Dies<br />

war einer der Gründe, warum Heinz<br />

Haack 1987 endgültig den Laden<br />

aufgab.<br />

Bis dahin hatte ihm vor allem die<br />

alte Stammkundschaft die Treue<br />

gehalten, zumal gerade die älteren<br />

Kunden gern den Zustellservice von<br />

Heinz Haack in Anspruch nahmen.<br />

Deren Zahl wurde im Lauf der Jahre<br />

jedoch immer kleiner und jüngere<br />

Generationen bevorzugten die<br />

Selbstbedienungsläden. Anderseits<br />

kamen neue Kundengruppen hinzu.<br />

Die Motorradclubs aus Hackeboe<br />

und Neuendorf machten rege<br />

Gebrauch von der Möglichkeit, auch<br />

außerhalb der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten<br />

bei ihm an die Tür<br />

zu klopfen, um sich mit den ,fetenrelevanten'<br />

Artikeln einzudecken.<br />

Als Dankeschön und Anerkennung<br />

für diese unkonventionelle Handhabung<br />

schenkten sie ihm zum<br />

Abschied einen Zinnteller.<br />

MALERMEISTER<br />

IIAACK<br />

Mit Hans Haack stellte vor gut zwei<br />

Jahren einer der letzten verbliebenen<br />

Handwerksbetriebe der Gemeinde<br />

Neuendorf seine Arbeit ein, um<br />

sich zur Ruhe zu setzen. Gleichzeitig<br />

endete damit ein Familienbetrieb,<br />

der immerhin 113 Jahre über drei<br />

Generationen in Hackeboe tätig war.<br />

1885 machte sich sein Großvater<br />

(Hans-Joachim Haack), aus Averfleth<br />

kommend, hier selbstständig.<br />

Gelernt hatte er damals bei Hinrich<br />

Maaß in Achterhörn. Als er 1885<br />

seinen Meister gemacht und das<br />

Haus in Hackeboe (Hackeboe 34)<br />

gebaut hatte, gründete er den Malereibetrieb.<br />

1935 wurde er zum 50-<br />

jährigen Jubiläum mit dem<br />

Ehrenmeistertitel ausgezeichnet.<br />

Zwei Jahre später übergab er den<br />

Betrieb an seinen Sohn August<br />

Haack. Insgesamt hatten vier seiner<br />

sechs Söhne den Malerberuf ergrif-<br />

Abb. 98: Malermeister<br />

Hans<br />

Haack Mitte der<br />

50er Jahre auf<br />

dem Wegzum<br />

nächsten Kunden.<br />

Zur damaligen<br />

Zeit beschränkte<br />

sich der Kundenkreis<br />

auf die<br />

nähere Umgebung,<br />

denn alle Kunden<br />

mussten mit dem<br />

Fahrrad zu erreichen<br />

sein. Erst mit<br />

dem ersten Wagen<br />

wurde der Kundenkreis<br />

weitläufiger<br />

und es kamen<br />

Kunden aus dem<br />

Raum Jtzehoe,<br />

Lägerdorf und<br />

Hohenwestedt<br />

hinzu.


.ß?2.~....... ............................................ .................................................................................... ............ ... ..... M:~!.,~.~.~.1. !: !.~. ! :!; !~.. J.l ..' \L~<br />

Abb. 99: Die alte<br />

Malerwerkstall<br />

von Hans-Joachim<br />

Haack in Hackeboe.<br />

Eng arbeitete<br />

er mit der Zimmerei<br />

und Stellmacherei<br />

Schuard<br />

zusammen. Gerade<br />

befindet sich<br />

ein Kastenwagen<br />

in Arbeit.<br />

fen. Zwei von ihnen, Markus und<br />

Eduard Haack, arbeiteten im väterlichen<br />

Betrieb; auch nachdem ihr<br />

Bruder August die Firma 1937 übernommen<br />

hatte. Da August Haack<br />

mit seiner Familie im Haus seiner<br />

Schwiegereltern (Hackeboe 40)<br />

lebte, zog der Betrieb bei Übergabe<br />

kurzerhand ein paar Häuser weiter.<br />

1944 ist August Haack in Frankreich<br />

gefallen und so führten seine<br />

Frau und sein Bruder Eduard den<br />

Betrieb notdürftig weiter, bis Sohn<br />

Hans 1946 seine Lehre bei Malermeister<br />

Nicolaus Wischmann in<br />

Wilster beendet hatte. In den ersten<br />

Berufsjahren fand er in seinem<br />

Onkel Eduard eine hilfreiche Stütze<br />

und anfangs arbeitete auch noch<br />

sein Bruder Uwe in der Firma mit.<br />

1950 kaufte Hans Haack das<br />

benachbarte Haus von der Erbengemeinschaft<br />

des Fahrradhändlers<br />

Abraham und zog samt Malerwerkstatt<br />

dahin um. Ein Jahr später,<br />

1951, bestand er die Meisterprüfung.<br />

Seitdem hat sich einiges verändert.<br />

Bei seinem Großvater arbeiteten<br />

wohl an die drei Gesellen, ebenso<br />

bei seinem Vater und später auch<br />

bei ihm. Die Arbeiten waren vielseitig.<br />

Angefangen bei den Lackierarbeiten,<br />

beispielsweise wurden d ie<br />

Kutschen der Bauern lackiert und<br />

verziert, weiter über Schriftenmalerei,<br />

auf die sich sein Onkel Markus<br />

sehr gut verstand, bis hin zu Glaserarbeiten<br />

jeglicher Art. In diesem<br />

Bereich gab es viel zu tu n, da zu der<br />

Zeit die ersten doppeltverglasten<br />

Fe nster eingesetzt wurden. Hinzu<br />

traten die klassischen Malerarbeilen<br />

wie Tapezieren, Decken, Fenster,<br />

Türen und Heizkörpe r streichen<br />

sowie Teppichböden verlegen. Da<br />

anfangs noch jedes Zimmer einzeln<br />

geheizt werde musste, waren einige<br />

Malerarbeilen insofern wilteru ngs-


.A.~ l ~:\t t~. l,\ .N~.; __ P~.I~.~-~~.l.!.Ii..!.l.! . .W.I.\ ~5TP~ ......................................................... ................ .. ......................................................... J!.~.<br />

nahm August<br />

Haack 1929 an<br />

der Ausmalung<br />

der Kirche zu<br />

Wilster teil. Eine<br />

Generation später,<br />

1964, war sein<br />

Sohn Hans Haack<br />

-


.ß?l~J .... ... ... ................................ ................................................... ......... ... ........... .................................... Mi~!J~~~~Pi~IP~ .. HAt~q~ .<br />

Abb. 102: Der alte<br />

Lafrenzhof. später<br />

die Marschentöpferei<br />

in Averfleth.<br />

abhängig, als dass in ungeheizten<br />

Räumen, in der Regel Schlafräume<br />

und Treppenhäuser, in der kalten<br />

Jahreszeit nicht renoviert werden<br />

konnte. Durch die Zentralheizung<br />

gilt diese Einschränkung mittlerweile<br />

jedoch nicht mehr.<br />

Mitte der 50er Jahre wurde der<br />

Kundenkreis weitläufiger. Bis dahin<br />

hatte er alle Kunden noch mit dem<br />

Fahrrad erreichen können (Neuendorf,<br />

Sachsenbande, Nortorf, Vaalermoor).<br />

Bald darauf kaufte er den<br />

ersten Wagen und wurde dadurch<br />

flexibler. Es kam Kundschaft aus<br />

dem Raum Itzehoe, Hohenwestedt<br />

und Lägerdorf hinzu. Dabei blieb es<br />

hauptsächlich bei Privatkunden. An<br />

öffentlichen Ausschreibungen hat er<br />

sich selten beteiligt. Deshalb machte<br />

sich vermutlich der aufkommende<br />

,Heimhandwerkerboom' der 80er<br />

Jahre besonders bemerkbar und<br />

schlug sich in sinkenden Auftragszahlen<br />

nieder. Viele seiner ehemaligen<br />

Kunden legten nun selbst Hand<br />

an. Das breite Angebot in Baumärkten,<br />

Literatur und Heimwerker­<br />

Zeitschriften machte es dem<br />

Privatmann leicht, die typischen<br />

Malerarbeiten wie Tapezieren oder<br />

Wände streichen selbst auszuführen.<br />

Die Farbe dazu gab es schließlich<br />

schon fix und fertig angemischt<br />

in Fachgeschäften zu kaufen. Die<br />

gestiegenen Löhne verstärkten diesen<br />

Trend. Viele Privatpersonen<br />

konnten oder wollten sich einen<br />

,teuren' Maler nicht mehr leisten. In<br />

der Folge musste Hans Haack seine<br />

Angestellten entlassen. Die letzten<br />

Jahre seines Berufslebens arbeitete<br />

er allein bzw. in Kooperation mit<br />

einem anderen, ebenfalls selbstständigen<br />

Malermeister. Zumal sich<br />

schon damals abzeichnete, dass<br />

seine Kinder den Betrieb nicht<br />

weiterführen würden. Dennoch<br />

arbeitete er bis zu seinem 68.<br />

Lebensjahr in dem Beruf weiter, der<br />

ihm, wie er betont, immer sehr viel<br />

Freude gemacht hat.


.MAwi~~~I9.r.f.~~~ ................................................................................................................................................... ..... ............... d.J..~.<br />

Abb. 103: Die neu<br />

errichtete Marschentöpferei,<br />

nachdem 1995 ein<br />

Großfeuer das alte<br />

Gebäude komplett<br />

zerstört hatte.<br />

~SCHENTÖPFEREI<br />

Die zuvor beschriebenen Handwerks-<br />

und Gewerbebetriebe arbeiten<br />

vorwiegend für die Bewohner<br />

vor Ort; anders bei der Marschentöpferei.<br />

Als Familie Jordy vor gut<br />

20 Jahren in die Wilstermarsch zog,<br />

wollte sie die Töpferware zwar<br />

hauptsächlich in Averfleth produzieren,<br />

der Verkauf sollte aber,<br />

neben der normalen Laufkundschaft,<br />

vorwiegend in den touristisch<br />

stärker frequentierten Orten an<br />

der Nordseeküste und in Harnburg<br />

stattfinden. Zusätzlich wurde<br />

jeweils im Dezember ein Werkstattfest<br />

veranstaltet.<br />

Ursprünglich kommen sowohl Frau<br />

Erkel Gnauck-Jordy als auch Herr<br />

Alfred Jordy aus ganz anderen<br />

Berufszweigen. Erkel Gnauck-Jordy,<br />

auf der Insel Sylt geboren, hatte<br />

Zahnarzthelferin gelernt, bevor sie<br />

an die Hochschule für Bildende<br />

Künste in Berlin ging. Nach abgeschlossenem<br />

Studium machte sie<br />

sich 1971 mit einer eigenen Werkstatt<br />

in Berlin selbstständig. Zu der<br />

Zeit begann Alfred Jordy sein Volkswirtschaftsstudium.<br />

Ende der 70er Jahre beschlossen sie<br />

,aufs Land' zu ziehen und suchten<br />

nach einem geeigrreten Objekt. Mit<br />

dem alten ,Lafrenzhof', dir\')kt an<br />

der Wilster-Au gelegen, fanden sie<br />

einen Resthof, der ihren Vorstellungen<br />

am nächsten kam. Als sie das<br />

Bauernhaus besichtigten, war das<br />

Grundstück unter den Schneeverwehungen<br />

der Schneekatastrophe<br />

von 1978/79 begraben. Trotzdem<br />

kauften sie die Hofanlage und<br />

begannen im Sommer 1979 mit den<br />

Umbauarbeiten und zogen zu<br />

Weihnachten 1979 ein. Bereits ein<br />

Jahr später veranstalteten sie das<br />

erste Werkstattfest 1985 eröffneten<br />

sie den ersten Verkaufsladen in<br />

Friedrichskoog. Weitere Läden<br />

folgten in Büsum, St. Peter-Ording,<br />

Westerland und Hamburg. Unglücklicherweise<br />

ist 1995 der alte Hof bis<br />

auf die Grundmauern niedergebrannt.<br />

Deshalb lebten sie für ein<br />

Jahr in Dwerfeld (Gemeinde Nortorf).<br />

Doch schon ein Jahr später<br />

konnte die Werkstatt in Averfleth<br />

neu eröffnet werden.


;} '~) ~<br />

.~e . !) ........................................................................................................................... ............................................ MM1'!(..J. !.J;:.:~c:rü.J.'.!~~~! .<br />

Abb. 104: Unten<br />

im Brennofen<br />

wartet das Töpfergut<br />

aufden zweiten<br />

Brennvorgang<br />

Heute (im Jahr 2001) steht das neu<br />

errichtete Reetdachhaus-ein<br />

Schmuckstück- zum Verkauf. Familie<br />

Jordy hat sich entschieden auf<br />

die Insel Sylt zurückzukehren, um<br />

dort im kleineren Rahmen in Munkmarsch<br />

am Wattenmeer die Töpferei<br />

weiterzuführen und nur noch den<br />

Westerländer Laden zu betreiben. In<br />

den letzten Jahren waren die Verkaufszahlen<br />

rückläufig, weshalb die<br />

anderen Geschäfte nach und nach<br />

aufgegeben wurden, zuletzt in Harnburg<br />

und St. Peter-Ording.<br />

Zwischenzeitlich waren in der<br />

Hochphase bis zu 12 Mitarbeiter<br />

fes t angestellt gewesen.<br />

Als eingetragener Handwerksbetrieb<br />

bildeten sie seit 1986 auch Lehrlinge<br />

aus. Im Jahr 2000 befanden sich<br />

noch zwei Lehrlinge in der Ausbildung.<br />

Der Lehrberuf nennt sich<br />

Keramiker mit Schwerpunkt auf<br />

Scheibentöpferei.<br />

Ihre Produktpalette umfasst neben<br />

freigedrehtem Steinzeuggeschirr,<br />

modellierten Einzelstücken und<br />

Gartenkeramik auch handbemalte<br />

Wandfliesen und exklusive keramische<br />

Schmuckurnen. Als Ausgangsmaterial<br />

verwenden sie Ton aus<br />

dem Westerwald. Die Fertigung<br />

erfolgt ausschließlich in Handarbeit<br />

und mit Hilfe einer Töpferscheibe,<br />

die in Rotation versetzt wird. Auf<br />

di eser Töpferscheibe entstehen<br />

beispielsweise Becher, Krüge, Teller<br />

und Tassen. Anschließend werden<br />

noch die Henkel und dergleichen<br />

von Hand anmodelliert und dann<br />

bei 900°C für 8-10 Stunden gebrannt.<br />

Nach einer Abkühlphase<br />

von etwa 24 Stunden werden die<br />

Gegenstände glasiert. Dazu wird ein<br />

steiniges Pulver mit Wasser und<br />

Farbgebern vermischt. Um<br />

beispielsweise einen Blauton zu<br />

erhalten, verwendet man Kobalt,<br />

Kupfer ergibt einen Grünton und<br />

durch Beimengung von Eisenoxid<br />

erhält man Brauntöne. Das Glasieren,<br />

d. h. das Aufbringen der Glasur,<br />

erfolgt durch Tauchen, Gießen oder<br />

Spritzen, je nachdem welchen<br />

künstlerischen Effekt man erzielen<br />

möchte. Beim anschließenden<br />

Brennvorgang bei 1.180°C verbindet<br />

sich das Gemisch zu einer wasserundurchlässigen<br />

Schicht und<br />

bekommt seine leicht glänzende<br />

Farbe. Die Marschentöpferei hat<br />

sechs Farbtöne im Sortiment, was<br />

für einen Handwerksbetrieb dieser<br />

Größenordnung beachtlich ist.


. J:i ,~! . ~t.~(H~J.,f. .~~!.~fTI .................................................................................................................................................................... J..'W..<br />

BAUMSCHULE SCHÜIT<br />

Zwar zählen Baumschulen steuerrechtlich<br />

nicht zum Gewerbe, da die<br />

Baumschule Schütt aber in der ansonsten<br />

landwirtschaftlich geprägten<br />

Gemeinde eine Sonderform<br />

darstellt, soll sie an dieser Stelle<br />

kurz vorgestellt werden.<br />

Ende der 50er Jahre beherbergte die<br />

Gemeinde euendorf kurzfristig<br />

zwei Gärtnereien gleichzeitig. Die<br />

Baumschule von Karl-Otto Schütt in<br />

Vorder-Neuendorf befand sich gerade<br />

in der Aufbauphase, während die<br />

Gärtnerei Möller aus Hackeboe<br />

allmählich den Betrieb einstellte.<br />

Gärtner Emil Möller baute hauptsächlich<br />

Gemüse an, welches er auf<br />

den Wochenmärkten verkaufte. Ein<br />

Feld befand sich neben der Landstelle<br />

des Tagelöhners Hermann<br />

Schütt. In den Ferien half ihm dessen<br />

Sohn Karl-Otto Schütt beim<br />

Tabak- und Tomatenpflanzen pikieren.<br />

Sein Interesse für den Gartenbau<br />

war geweckt. 1948 begann er seine<br />

Gärtnerausbildung bei einer Baumschule<br />

in Elmshorn. 1957 machte er<br />

die Meisterprüfung. Zwischendurch<br />

war er 1 1 /z Jahre am Bodensee tätig.<br />

Eigentlich hatte er als Meister in<br />

einem anderen Betrieb arbeiten<br />

wollen, entschied sich dann aber<br />

zusammen mit seiner Frau eine<br />

eigene Baumschule zu gründen.<br />

Damals standen ihnen 3 Hektar<br />

Land zur Verfügung.<br />

In den 80er Jahre erweiterten sie ihr<br />

Sortiment um historische Rosen.<br />

Mittlerweile führen sie 300 Rosen<br />

im Sortiment, wovon 250 den alten<br />

Sorten zuzurechnen sind. Diese<br />

verschicken sie sogar deutschlandweit<br />

im Versandservice.<br />

Inzwischen haben sie die Baumschule<br />

an ihre Tochter und deren<br />

Mann übergeben, helfen aber noch<br />

voll mit. Zusammen mit 3 Festangestellten<br />

und 3 Saisonkräften bewältigen<br />

sie die anfallenden Arbeiten,<br />

die sich grob in Vermehrung,<br />

POanz-, Pflege- und Bodenarbeiten<br />

untergliedern lassen. Bis beispielsweise<br />

Rosen ,verkaufsreif' sind, ist<br />

ein Vorlauf von zwei Jahren nötig.<br />

Im Frühjahr wird gepflanzt, im<br />

Sommer veredelt, im zweiten Frühjahr<br />

abgesetzt, d. h. der Wildwuchs<br />

wird rausgeschnitten, um die Pflan-<br />

Abb. 105: Elfriede<br />

Reese hielt die<br />

Gärtnerei Emil<br />

Möller aus Hackeboe<br />

in einer Halbjahresarbeit<br />

for<br />

die Schule in<br />

dieser Zeichnung<br />

f est.<br />

A bb. I 06: Baumschule<br />

Schütt beim<br />

Rosenveredeln im<br />

Jahr 1976.


.~® ........... ........ ...... ..................... ........... ... ................ .................................................................................. ß.~Y.M~!;:.W.W .. S.~ID.i.TI.<br />

Abb. 107: Der<br />

Schaugarten der<br />

Baumschule<br />

Schütt. Hier<br />

können sich ihre<br />

Kunden Anregungen<br />

für die<br />

Gestaltung im<br />

eigenen Garten<br />

holen.<br />

ze im Herbst verkaufen zu können.<br />

Bei Sträuchern dauert diese Phase<br />

sogar 3 bis 4 Jahre.<br />

Neben den Rosen haben sie eine<br />

große Auswahl an selbst gezogenen<br />

Gehölzen und einigen Stauden.<br />

Durch die vielen verschiedenen<br />

Sorten, Arten und Größen gibt es<br />

schätzungsweise 5.000 bis 6.000<br />

Artikel im Angebot. Lediglich Obstbäume<br />

fehlen im Sortiment, da sich<br />

der hiesige Boden für deren Kultur<br />

nicht eignet. Bei Bedarf werden<br />

Obstbäume hinzugekauft<br />

Einmal im Jahr, wenn die Rosen<br />

gegen Ende Juni blühen, veranstaltet<br />

Familie Schütt einen Tag der<br />

offenen Tür, zu dem alle Kunden<br />

und ,Rosenfreunde' aus ganz Norddeutschland<br />

geladen werden.<br />

VIEHHANDEL<br />

ßEHRENS<br />

1930 hat Julius Behrens mit dem<br />

Viehhandel begonnen. Er und seine<br />

Frau Tine hatten zuvor einen kleinen<br />

Bauernhof in Poßfeld. Und weil<br />

Julius Behrens genug von Pferden<br />

und Rindern verstand, begann er<br />

damit zu handeln. Er betrieb sowohl<br />

den Nutzviehhandel - d. h. er kaufte<br />

einem Bauern die Tiere ab, um<br />

sie einem anderen Bauern wieder<br />

zu verkaufen - als auch den<br />

SchlachtviehhandeL Dazu ging er<br />

von Hof zu Hof und feilschte um<br />

die Preise. Der obligatorische Handschlag<br />

besiegelte das Geschäft, auch<br />

heute noch. Wenn der Handel<br />

geschlossen war, wurde das<br />

Schlachtvieh zum Handelshof<br />

getrieben. Nach dem 2. Weltkrieg<br />

weitete sein Sohn Thies den Viehhandel<br />

aus. Der erste Viehtransporter<br />

wurde angeschafft. 1965 wurde


.YW!.I.!.IA\!?I!-, .. ß.m.r.~.~!! .................................................................................................................................................................. :J..':M).<br />

der Belrieb auf Thies übertragen.<br />

Als Thies Behrens 2 Jahre später<br />

starb, musste dessen Sohn Hans­<br />

Max den Betrieb im Aller von 18<br />

Jahren weiterführen.<br />

Schon als kleiner Junge wollte<br />

Hans-Max Bebrens Viehhändler<br />

werden. Oft begleitele er seinen<br />

Vater und Großvater, wenn sie zu<br />

den Bauern fuhren, um Vieh zu<br />

kaufen. Sein Vater war jedoch der<br />

Ansicht, dass dieser Beruf keine<br />

Zukunft hälle und riet seinem<br />

Sohn, etwas ,vernünftiges' zu erlernen.<br />

Deshalb machte Hans-Max die<br />

Elektrikerausbildung. Als sein Vater<br />

starb, stand er kurz vor der Gesellenprüfung.<br />

Nachdem er die Lehre<br />

beendet hatte, setzte er d ie Arbeit<br />

sein es Vaters fort. 1975 wurde der<br />

Belrieb offiziell auf ihn überschrieben.<br />

Di e Tiere kauft er nach wie vor bei<br />

den Bauern der Wilstermarsch. Das<br />

Hauptgeschäft macht er im Herbst,<br />

wenn die Futterbullen verkauft<br />

werden. Sein Großvater machte<br />

früher den größten Umsatz mit<br />

Ochsen. Ochsen werden heutzutage<br />

jedoch kaum noch gemästet. Seine<br />

Abnehmer sind Privatschlachtereien<br />

aus Schleswig-Holstein, Harnburg<br />

und Niedersachsen, für die er teilweise<br />

auch im Auftrag (Kommission)<br />

Tiere kauft.<br />

Mittlerweile betreibt Hans-Max<br />

Bebrens das Geschäft schon über 30<br />

Jahre. Innerhalb dieser Zeit hat sich<br />

einiges verändert. Früher wurde in<br />

der Regel nach Lebendgewicht<br />

gezahlt. Dazu brachten die Bauern<br />

ihre Tiere zum Handelshof, wo sich<br />

ei ne Viehwaage befindet. Dort wurden<br />

die Tiere gewogen und gleich<br />

bezahlt. Anschließend frühstückten<br />

die Bauern in der Gaststube und<br />

blieben häufig beim ,Klönschnack'<br />

sitzen. "Keen Tiet, keen Tiet'', heißt<br />

es hingegen heulzutage von den<br />

Abb. 108: Julius<br />

Behrens mit seiner<br />

'Tonngig' in den<br />

50er Jahren.<br />

Hiermit fuhr er<br />

von Hof zu Hof,<br />

um mit den Bauern<br />

Handel zu<br />

treiben.


.~J. . fJ. ............................................................................................................................................................... .Y.H~ !!.\!,\~.P.P , .. ß.t! .t.g_t.:.~~<br />

Abb. I 09: Bereits<br />

Anfang der 50er<br />

Jahre erwarb<br />

Thies Behrens<br />

einen 'Hanomag'­<br />

Kiein/astef: Dieses<br />

Fahrzeug hatte<br />

noch seine Macken.<br />

Wenn er<br />

morgens nicht<br />

anspringen wollte,<br />

machten sie mit<br />

Papier Feuer<br />

unter dem Mot01;<br />

damit er schneller<br />

warm wurde.<br />

1974 kaujie Hans­<br />

Max Behrens den<br />

ersten größeren<br />

LKW mit Anhänget:<br />

Dieses Bild<br />

stammt aus dem<br />

Jahre /987.<br />

Junglandwirten und der Klönschnack<br />

fiel weg. Zudem erfordert<br />

die heute übliche Abrechnungsweise<br />

nach Schlachtgewicht kein<br />

vorheriges Wiegen. Das Rindfleisch<br />

wird in Handelklassen eingestuft,<br />

deren Preisfestsetzung der Schlachter<br />

vornimmt. Die Preise können<br />

aber auch nach wie vor mündlich<br />

vereinbart werden. Dann werden<br />

die Rinder nur nach dem Schlachtgewicht<br />

und nicht nach Handelsklassen<br />

bezahlt. Die Preise liegen<br />

zur Zeit für Kuhfleisch bei etwa<br />

2 DM je Kilogramm Lebendgewicht<br />

und 3 DM für Bullenfleisch. (Stand:<br />

Herbst 2000) 1976 bekam man noch<br />

2,70 DM je Kilogramm Kuhfleisch<br />

und 3,80 DM für Bullenfleisch. 76<br />

Durch den BSE-Skandal in den 90er<br />

Jahren hat sich der Arbeitsaufwand<br />

enorm erhöht. Zum Schutz der<br />

Verbraucher müssen die Händler<br />

und Landwirte seildem für jedes<br />

Rind im ,Rinderpass' einen lückenlosen<br />

,Lebenslauf' nachweisen.<br />

Doch trotz der Veränderungen hat<br />

sich die einstige Befürchtung von<br />

Thies Behrens, dass dieser Beruf<br />

ke ine Zukunft hätte, erfreulicherweise<br />

nicht bewahrheitet.<br />


.G.,,~r~ . !~. ! :~O. ! , ~.f.t: .. "Z~ .. ~, .. tJA~P~.~ ~5.~!Q~.·: .................................................................................................................................. :J. .~.<br />

erstand Julius Behrens den Betrieb<br />

und benannte ihn um. Aufgrund<br />

seiner Nebentätigkeit als Viehhändler<br />

wählte er die Bezeichnung ,Zum<br />

Handelshof'. Welcher Name wäre<br />

treffender oder besser geeignet<br />

gewesen?!<br />

Seil nunmehr 70 Jahren befindet<br />

sich die Gastwi rtschaft im Besitz<br />

der Fa milie Behrens. Die Gaststätte<br />

war und ist immer noch Treffpunkt<br />

und Veranstaltungsort vieler Vereine<br />

und Genossenschaften Neuendorfs<br />

und angrenzender Orte. Schon<br />

Gustav Karstens hatte in der Sachsenbander<br />

Chronik über den Handelshof<br />

berichtet, weil beide<br />

Gemeinden größtenteils den selben<br />

Verbänden angehören.<br />

Julius und Tine Behrens waren<br />

noch ,hauptberufliche' Krüger. Den<br />

Viehhandel belrieben sie nur im<br />

Nebenerwerb. Hans-Max Bebrens<br />

entsinnt sich, dass früher die Gaststube<br />

gleichzeitig das Wohnzimmer<br />

darstellte. Abends kamen die jungen<br />

Männer aus dem Dorf, um hier<br />

Karten zu spielen. So gegen 10 Uhr<br />

abends stand Julius Bebrens jedoch<br />

in der Regel auf, aß einen Apfel und<br />

erinnerte mit dem immer gleichen<br />

Satz: "Jungs, kiekt mal na de<br />

Klock...", daran, dass es nun wohl<br />

langsa m an der Zeit wäre, nach<br />

Haus zu gehen.<br />

Als Thies und Berta Bebrens 196 5<br />

den Handelshof übernahmen, bauten<br />

sie zu nächst einmal um. Da<br />

Thies Bebrens den Viehhandel<br />

intensivierte, gaben sie den Saalbetrieb<br />

auf. Der Saal war eigentlich<br />

die Durchfahrt gewesen, in der die<br />

Pferde der Gäste ausgespannt und<br />

anschließend vom Hausknecht versorgt<br />

wurden. Bei Festlichkeiten<br />

wurde hier jedoch der Saal ausgelegt.<br />

Dazu legte man die Durchfahrt<br />

mit den sonst an der Seite gelagerten<br />

Fußbodenbrettern aus.<br />

Hans-Max und Marita Bebrens<br />

führen die Gaststätte seit 1980. Seitdem<br />

haben sich die gesetzlichen<br />

Auflagen für den Gaststättenbetrieb<br />

deutlich verschärft. Da Marita Behrens<br />

die Mahlzeiten lediglich in<br />

ihrer ,normalen' Küche zubereitet,<br />

darf sie ihren Gästen nur kleine<br />

Gerichte anbieten.<br />

Abb. 11 0: Auf<br />

dieser Postkarte<br />

wurde noch die<br />

alte Gastwirtschaft<br />

'Zur Post ' von<br />

Henning Egge im<br />

Jahre /905 f estgehalten.<br />

Links ist<br />

deutlich die<br />

Durchfahrt zu<br />

sehen, in welcher<br />

zahlreiche Festivitäten<br />

abgehalten<br />

wurden.


.~J..1 ............................................................... .................... ............. .............................. G!\~J}~.m:r:'i9HF.':!:.".~.\ i~! .. JJ.\.~!?.! : !r~! .l9!:::.<br />

Abb. II/: Knapp<br />

100 Jahre später<br />

befindet sich hier<br />

immer noch eine<br />

Gastwirtschaft, in<br />

der der Gemeinderat<br />

tagt oder<br />

Jahreshauptversammlungen<br />

der<br />

Vereine und Verbände<br />

stattfinden.<br />

Früher wurden hier noch rauschende<br />

Feste abgehalten. Berta Behrens<br />

berichtete von ,Kaffeebällen', die im<br />

Herbst die Ballsaison eröffneten.<br />

Diese Kaffeebälle waren öffentlich<br />

und immer sehr gut besucht. Siebegannen<br />

schon am frühen Nachmittag<br />

mit Kaffee und Kuchen, die<br />

Männer spielten Karten und die<br />

Frauen tauschten die neuesten<br />

Neuigkeiten aus. Gegen Abend gab<br />

es etwas Warmes zu essen, meist<br />

Beefsteak, und anschließend spielten<br />

die Musiker zum Tanz. Im weiteren<br />

Verlauf des Winterhalbjahres<br />

folgten die Festlichkeiten der Vereine<br />

und Genossenschaften wie beispielsweise<br />

der Feuerwehrball, der<br />

Ringreiterball oder die Maskeraden.<br />

Hochzeiten und Familienfeiern<br />

wurden damals in der Regel noch<br />

Zuhause gefeiert.<br />

Neben den Bällen wurden hier<br />

sämtliche Zusammenkünfte der<br />

Verbände und Genossenschaften<br />

abgehalten sowie Kartenspielwellkämpfe<br />

veranstaltet. Auch heule<br />

noch finden hier regelmäßig die<br />

Versammlungen und Sitzungen der<br />

Vereine statt: Angefangen bei den<br />

Gemeinderatssitzungen, weiter über<br />

die Versammlungen der Feuerwehr<br />

und des Sielverbandes, Treffen der<br />

Jagdgenossenschaft oder des Ortsverbandes<br />

des Deutschen Roten<br />

Kreuzes bis hin zu den Kinderfesten,<br />

die hier ausgerichtet werden.<br />

Daneben gibt es noch den Frauenstammtisch,<br />

der sich monatlich<br />

trifft sowie das jährliche Sparklubessen.<br />

Einmal im Monat findet hier<br />

der Seniorennachmittag bei Kaffee<br />

und Kuchen und Kartenspielen<br />

slall. Hinzu kommt der sonntägliche<br />

Frühschoppen, bei dem Doppelkopf<br />

und Skat gespielt wird. Berei ts um<br />

8.20 Uhr finden sich die ersten<br />

Kartenspieler ein und bis zur Mittagszeit<br />

wechseln schon mal ein<br />

paar Mark den Besitzer.<br />

So ist hier jede Woche was los und<br />

Hans-Max und Marila Bebrens<br />

haben viel Spaß dabei. Im stillen<br />

hoffen sie natürlich, dass eine ihrer<br />

drei Töchter die Gaststätte später<br />

einmal weiterführen wird. Für die<br />

Dorfgemeinschaft und den Dorfzusammenhall<br />

in Neuendorf wäre es<br />

wünschenswert, da der Gemeinde<br />

sonst ein zentraler Treffpunkt fehlt.


.RM 1 ~$.~.J.U.,~.P.-!I\ 1 ;'1.G .. ~.J;;! .. f.t~~-!UJ . .MJ! .mWn~, . .A~1'.~f.P,OI!l ................................................................................................. ll~.<br />

DAT SLACHTFEST TO<br />

WIEHNACHTEN 77<br />

Von Käthe Meiforth, Averßeth<br />

So wie hüüttodaags dat Basteln un<br />

de Finsterbiller un dat Fletten un<br />

Stollen backen to Wiehnacht, to<br />

Advent höört, un dat Kassetten<br />

afspelen ok in de Adventstiel passt,<br />

so maken wi fröher in de Schummertief<br />

een Adventsstunn mit de Kinner.<br />

Egentlich will ik ganz wat anners<br />

vertellen, denn bi uns höör dat<br />

Swienslachten, dat Slachtfest in de<br />

Adventstiel dorto. Ahn Slachtfest<br />

keen Wiehnachten.<br />

Also Maandag wullen wi slachten.<br />

Twee schööne, witte, korthorige<br />

Swien harrn wi in'n Stall. Dat mit de<br />

twee Swien hett ok sien Bewandnis.<br />

Een wullen wi jo man slachten. Aver<br />

een Swien fritt nich goot, ward fuul<br />

op Freten. Bi twee Swien kummt de<br />

Fuddernied dorto, jeder will dat<br />

mehrste wegschnappen. Un denn<br />

mutt ik noch seggen: Geburtsdag<br />

mussen se hatt hebben, wat dat<br />

heet? Se mussen över een fahr oolt<br />

sien, denn weern se allerbest.<br />

De Slachter woor bestellt. Eerst weer<br />

dat noch de Vadder Detel Klingforth,<br />

Iater denn de Söhn, unsen Klaas.<br />

Paar Daag vör dat Slachtfest keem<br />

noch de Fleeschkieker. Eerst weer<br />

dat ]ohann Kracht, Iater denn Klaus<br />

Haß, beid ul Ackenboe. "Na Käthe,<br />

wüllt ji slachten?" "]o, Maandag<br />

geihl loos." "Denn mutt ik dat Swien<br />

noch eerst levend sehn. jo, Minsch,<br />

schöön Swien, denn könnt ji slachten,<br />

mit mien Genehmigung."<br />

Dags vör dat Slachtfest gung't an't<br />

Vörbereilen. Een Ammer Kartüffeln<br />

woor schellt, een groolen Putt vull<br />

Rotkohl mit Appeln woor kaakl.<br />

Zwiebeln al in vöruut puult, vun de<br />

Wurst maakl warm schull. Wekkglöös<br />

putz, de groote Waschgrapen<br />

woor mit Water vull maakl. Grooten<br />

Dutten Klobenholt un Brikett worrn<br />

dorblang leggt.<br />

Un denn weer Maandagmorgen. Een<br />

Stunn woor eher opstahn. Denn<br />

woor as eerstes de Waschgrapen<br />

anbött. Dat Schiet wull mehrst nich<br />

brennen. Gau oole Zeitung her,<br />

tosamen knuudelt, rin in de Schosteen<br />

un ansteken. Meist klappt dat<br />

denn. De Schosteen weer to koolt,<br />

weer jo ok Winter un mehrst verkehrten<br />

Wind. ]iddelig warn wi ok al,<br />

wehe, dat Water kaakl nich, wenn de<br />

Slachter keem. Denngau in den<br />

Stall, Jodern un melken. Kaiver<br />

harrn wi in de Tiet hööchstens een<br />

oder twee. De Kinner wecken, fardig<br />

maken, müssen de eersten doch al to<br />

School.<br />

Wenn wi denn bi 'n Kaffee seten,<br />

Jung dat in de Waschköök al an to<br />

dampen. Man, dat Water kaakl so<br />

dull, kunnst keen Hand vör Ogen<br />

sehn. Un denn keem Klaus, de<br />

Slachter ok al mit dat Moped<br />

dörch 'n Appelhoff. Rucksack op den<br />

Puckel, baven keken de Saag un de<br />

Steel vun dat groote Biel ut. Un denn<br />

güng'tloos! "Na fungs," seggt he to<br />

Peter un Klaus ]oachim, "wokeen<br />

will den Swanz fastholen ?" Dar<br />

harrn de beiden nixmit in Sinn. Ik<br />

grapsch mi gau een groote Kruuk un<br />

een Schöttel. Richard söcht sik een<br />

Sträng un denn güng't to'n Stall. De<br />

Sträng woor um een Achterbeen<br />

vun't Swien anbunnen, Swienstallklappen<br />

rulhaut un denn gung dat<br />

na buten. Op de Opbohnbrüch<br />

schull dat loosgahn. Dat Swien weer<br />

fuul un neeschierig. Överall müss he<br />

noch maal rinkieken. Buten woor he<br />

noch an de Sars vun de Köökendöör<br />

anbunnen. De Saak mit de groote<br />

Äxt övernehm Richard. Later woor jo<br />

Zur sogenannten<br />

Hausschlachtung,<br />

die ausschließlich<br />

in der kalten<br />

Jahreszeit erfolgte,<br />

wurde der 'Hausschlachter'<br />

zu<br />

einem bestimmten<br />

Schlachttag bestellt<br />

sowie der<br />

Fleischbeschauer<br />

benachrichtigt.


.!)J. ~J .................. ....................... ....................... ......... ... ...... .tlr.\~.. ~.~-~:!.!! .. M,!.OT.::'i.q_ .!~P.. f.,\ ,~!.!W~.. M.t.'.•.m~ :! :! '·'. A~ . ! ; ~.!~!J;·.t.'!.! .<br />

Nachdem das<br />

Schwein getötet<br />

worden wm; ließ<br />

man das Tier<br />

durch einen Kehlschnill<br />

ausbluten.<br />

Unter ständigem<br />

Rühren wird das<br />

abfließ ende Blut<br />

aufgefangen.<br />

Nach dem Abbluten<br />

wird das<br />

Schwein gebrüht,<br />

und anschließend<br />

werden die Borsten<br />

mit Borstenkratzer<br />

und<br />

Messer abgeschabt.<br />

Dabei wird<br />

das Schwein in<br />

Abständen mit<br />

heißem Wasser<br />

übergossen.<br />

Im Anschluss daran<br />

wird es an<br />

einer Leiter aufgehängt.<br />

Mit dem<br />

Medianschnitt<br />

wird die Bauchdecke<br />

geöffnet, um<br />

die Eingeweide<br />

herauszunehmen.<br />

Danach werden<br />

Wirbelsäule und<br />

Kopf mit einem<br />

Schlachterbeil<br />

gespalten.<br />

een Schussgerät benutzt. Dal Swien<br />

Ieegg foorts op de Siel, Klaas keem<br />

mit dat Meß un dreep dal ümmer<br />

ganz genau. Dat weer een Saak vun<br />

Sekunnen. Ik in de Huuk dorvö1; de<br />

Schöttel an den Hals vun dat Swien<br />

um dat Bloot optofangen. Wenn se<br />

vull weer, rin in de Kroog, mit de<br />

linke Hand dat Blool in de Kroog<br />

rögen, darmit dat nich gerinnt, mit<br />

de rechte Hand dat Bloot opfa ngen.<br />

Klaas pump mit een Vörbeen dat<br />

letzte dar noch rut. Ik harr mien<br />

Arbeit daan. Dat Bloot woor noch<br />

dörch een Seef goten. Later woor dat<br />

bruk to Swartsuur, Blootwurst un<br />

Grüttwurst.<br />

De Mannslüüd gungen an dal Schrapen.<br />

Richard müss ümmer in een 10<br />

Liter Ketel kakend Water slepen un<br />

Klaas weer an't schrapen. De Schrap<br />

weer een kegelförmiges, blankes<br />

Gerät, viilicht 20 cm hoch. Mit dat<br />

hitte Water worrn de Haar löst un<br />

mit de Schrap rünnermokt. Wenn de<br />

Kraam fertig weer, woor de Hillledder<br />

an de Siet vun dat Swien leggt<br />

un mit oll Mann woor dat Swien<br />

dorop packt. De Achterbeen worrn<br />

an de böverste Spross mit 'n Slräng<br />

anbunnen. Un dann güng dat oll<br />

Mann togliek; de Ledder woor an de<br />

Wand stellt, so dat dat Swien mit<br />

den Kopp na ünnen bummeln de.<br />

Denn törn de Slachter mit dal groole<br />

Mess den Buuk op. An de Eer stünn<br />

een groote Zinkwann, dar fullen<br />

denn de ganzen Lümp un Darm rin.<br />

fi kennt dat beteras ,Innereien'. De<br />

Pese/ woor extra ruttörnt. Wenn ji<br />

nich weet, wat Pese/ heet, laat ju dal<br />

vun Vadder verklaren. Also de Pese/,<br />

ründüm noch een beten Speck an,<br />

de woor in'n Boom hungen. Dat weer<br />

dormaals Vagelfudder för de lütten<br />

Piepmätze. lntwüschen woor noch<br />

een lütten Kööm wegkippt. Dat Hartschlag,<br />

an't Hart hung noch de Lung<br />

un de Schlund mit an, woor afspölt<br />

und keem mil'n Fleeschhaken an'l<br />

Schölle/reck. Un ok de Lever to'n<br />

utsacken. Nu keem de Darms ran .<br />

Klaas kTempelt dat eerste Enn iim,<br />

Richard goot mit een grooten Melkputt<br />

warm Water darin, un so woor<br />

de Darm umkTempelt un de letzte<br />

Swienschiet rutspöölt. Denn woor<br />

dat Swien an de Ledder noch mit<br />

dat groote Biel de Rüch opk/oppl un<br />

nu hungen dar twee Swienshälflen,<br />

so lecker un schier wie ul Marzipan.<br />

An jede Butensiel bummeln noch de<br />

Flomenstücken rut, darmit se beler<br />

dörchköhlen kunn. Glieks geev dal<br />

noch een ut Glas, un denn weer ok<br />

al Meddag. Gau wat eten, un denn<br />

gung dat Koortenspelen Iaos. Vörher<br />

warm de Gummislevel noch schier<br />

mokt, jack uttrocken un denn woor<br />

Schaapskopp dösch. Dat weer viflicht<br />

een Hallo.<br />

Mit Kaffeetiet heel ok dat Koortenspelen<br />

op. Gau'n Tass Kaffee drinken,<br />

paar Pepernööt dorto un denn<br />

weer Klaus ok al wedder an't Mess<br />

sliepen, mit den Scharpmoker, dal<br />

weer de Stahl mit'n Greep an. Sien<br />

lüttes Warktüüg, de verscheedenen<br />

Mess un de Stahl seten in den<br />

Köcher mit Ledder, den he mit een<br />

Gördei um Lief dregen de. Reine<br />

witte Schärt woor vörbunnen un<br />

denn ran an dat Swien. Toeerst<br />

worrn de veer Fööt afsneden un de<br />

Kopp, de weer jo ok in 2 Hälften<br />

mok worrn. Allens keem in de Zinkwanns,<br />

de ründüm bi Siel stahn<br />

deen. Wi Fruunslüüd harrn intwüschen<br />

denn de Flom en dörch de<br />

Wurstmaschien dreiht un utbraad.<br />

Dat Smolt woor in fettdichte Tüten<br />

goten. Wenn de Flüssigkeit stief weer,<br />

woorn de Tüten dicht maakt un na'n<br />

Keller bröcht. Wat noch bleef, dat<br />

weern de Grieben, de keem mank de<br />

Grüttwurst. Aver eerst woor noch gau<br />

een schöön Stück Swattbrool mit


~t~ .~ . ~~(.J. I !.. ~.( !.!I\..\F.m.'.!.. f.!\ •):I.!J...If ..M.m .t:q~J:!.! ,..<br />

i\Y.Ii.IM:!,f;:p !................................................................................................. J .::ki.<br />

Grieben un beten Soll wegneihl. 0,<br />

dat smeckt. De Darms harrn wi ok al<br />

in een oolen Iesenputt op flaues<br />

Füür sell mit een orntliche Handvu/1<br />

Soll ünnerrögl; afspöll un denn<br />

wedder vun vörn: Solt, afspölt, bit se<br />

schier weern. Klaus un Richard<br />

harrn de Swienshölften op'n Disch<br />

!eggt, gau noch een lütten Kööm un<br />

denn gung dal an'l Tohauen. jede<br />

Abb. 112: Zum<br />

Auskühlen blieb<br />

das Schwein an<br />

der frischen Lufi<br />

hängen.


a -::~,..<br />

.~~ . !;) ................................................................................................ JlM. ~~.~.QI!A.~J~T!}.::-i.


.W.I!J:,f! .. ,~t . N..:\G.m" .. ~.T..:\.!?.:O"!.U!!~I\J~I .......................................................................................................................................... ~":Ji}.<br />

WILHELM NAGEL,<br />

STADTMUSIKANT7 9<br />

Karsten Wilhelm Nagel, gebürtiger<br />

Averflether, wirkte als Dirigent,<br />

Chorleiter und Komponist über<br />

fünfzig Jahre in Wilster. Das von<br />

ihm geprägte und beispiellos rege<br />

Musikleben der Wilstermarsch in<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

ist für uns heu te kaum mehr<br />

vorstellbar.<br />

Am 13. März 1870 erblickte WHhelm<br />

Nagel das Licht der Welt. Sein<br />

Vater war der den Averflethern<br />

wohl bekan nte Schuhmacher Peter<br />

Nagel. Nach dessen Willen sollte<br />

Wilhelm ein Handwerk erlernen.<br />

Deshalb begann er nach der Schulzeit<br />

und der Konfirmation eine<br />

Zimmermannslehre. Diese währte<br />

aber nur eine sehr kurze Zeit. WHhelm<br />

verunglückte und brach sich<br />

einen Arm. Danach half er im elterlichen<br />

Betrieb mit und widmete<br />

sich intensiv der Musik.<br />

Die Nagels beherrschten vielerlei<br />

Instrumente und haben oft am<br />

Abend musiziert. So wurde berei ts<br />

im Elternhaus seine Liebe zur<br />

Musik geweckt. Im Alter von etwa<br />

10 Jahren erhielt Wilhelm Nagel den<br />

ersten Klavierunterricht In dieser<br />

Zeit muss er auch das Geigenspiel<br />

erlernt haben, denn schon als Schüler<br />

komponierte er kleine Stücke für<br />

zwei Violinen. Mit 18 Jahren lief er<br />

regelmäßig quer durch die Marsch,<br />

um in der St. Margarethener Kapelle<br />

als Geiger und Trompeter mitzuspielen.<br />

Fünf Jahre später wechselte<br />

er dann ins "Profilager" über und<br />

spielte in der Stadtkapelle von<br />

Wilster, einem etwa zwölf Mann<br />

starken Ensemble von Berufsmusikern.<br />

Er spielte damals Geige, Klavier,<br />

Trompete und musste sich<br />

verpflichten, zusätzlich noch das<br />

Spielen der Klarinette und der<br />

Bratsche zu erlernen. Die Bratsche<br />

wurde später sein Lieblingsinstrument<br />

Um seinen Lebensunterhalt zu<br />

sichern, eröffnete er in Wilster ein<br />

Geschäft für Spiel- und Manufakturwaren,<br />

das dann von seiner Frau<br />

geführt wurde. 1919 wurde er zum<br />

Leiter der Stadtkapelle von Wilster<br />

ernannt. Unter seinem Dirigentenstab<br />

war zu allen Feierlichkeiten<br />

der Stadt aufzuspielen. Die neue<br />

Aufgabe motivierte ihn, sich darüber<br />

hinaus noch mehr in den Dienst<br />

der Musik zu stellen: Er organisierte<br />

beispielsweise große Konzerte.<br />

Besondere Aufmerksamkeit fanden<br />

u.a. seine sinfonischen Gedenkkonzerte<br />

für Franz Schubert (1928) und<br />

Abb. 114: Musiker<br />

und Komponist<br />

Wilhelm Nagel.<br />

Eine Gedenktafel<br />

am Standort des<br />

Geburtshauses<br />

Karsten Wilhelm<br />

Nagels in Averfleth,<br />

Nr. 12<br />

erinnert an dessen<br />

Leben und Wirken.


.ß.3..EJ ................................................... .......................................................... ............. ............ .W.!.t~!.m,.~~ .. N:\ 0.1iJ,, .. ~TM?I·~~! .. ~.~~.~\;\J.".<br />

Abb. 115: Wilhelm<br />

Nagel (stehend<br />

neben dem<br />

Schubert-Bild) mit<br />

dem Arbeitergesangverein<br />

Wilster<br />

und den Stadtkapellen<br />

Wilster und<br />

ltzehoe beim<br />

Schubert-Gedenkkonzert<br />

in Wilster<br />

im Jahre 1928.<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy<br />

(1929).<br />

Mit seinem unermüdlichen Schaffen<br />

konnte Wilhelm Nagel die<br />

Bevölkerung der Wilstermarsch für<br />

die Musik begeistern. So konstituierte<br />

sich beispielsweise in dieser<br />

Zeit ein Musikverein mit etwa 300<br />

Mitgliedern, der Nagel alljährlich<br />

mit der Durchführung von Konzertreihen<br />

betraute. Das Orchester<br />

setzte sich aus den Stadtkapellen<br />

Wilster und Itzehoe zusammen,<br />

etwa 20 bis 24 Musikern. Dazu<br />

kamen mitunter noch bekannte<br />

Solisten aus dem norddeutschen<br />

Raum. Die großen Konzerte fanden<br />

regelmäßig im Colosseum statt und<br />

wurden - trotz werktäglicher<br />

Abendtermine - von 500 bis 600<br />

Zuhörern besucht. Nagels Konzerte<br />

fanden auch in norddeutschen<br />

Zeitungen ein lobendes Echo.<br />

Neben sinfonischer Musik wurden<br />

den Bürgern auch regelmäßig Konzerte<br />

mit kleineren Besetzungen<br />

dargeboten wie Streichmusik und<br />

kammermusikalische Abende.<br />

Zudem spielte Nagel mit seinen<br />

Musikern häufig für wohltätige<br />

Zwecke. Im Sommer gab es Promenadenkonzerte<br />

im Bürgermeistergarten.<br />

Besonderen Wert legte Nagel<br />

auf erschwingliche Eintrittspreise,<br />

um alle Bevölkerungsschichten am<br />

Musikleben der Stadt teilhaben zu<br />

lassen. Regelmäßige Chorveranstaltungen<br />

standen außerdem auf dem<br />

Veranstaltungsplan. Im Laufe der<br />

Zeit leitete er alle fünf Chöre der<br />

Stadt. Besondere Erfolge hatte er<br />

mit dem Arbeitergesangverein WHster.<br />

Auch als Komponist war WHhelm<br />

Nagel mit Erfolg tätig. Stücke<br />

für die Stadtkapelle sowie für seine<br />

Gedenk-, Abonnements-, Chor- und<br />

Promenadenkonzerte komponierte<br />

er in beträchtlichem Umfang selber.


.W.~UU)l.M .. N.:\~f,J" .. ~IN?.IMY.~~~}~J ........................................................................................................................................... U.~.<br />

Neben dieser ,Gebrauchsmusik'<br />

schrieb er über 30 Sonaten sowie<br />

eine Vielzahl von Sonatinen, Trios,<br />

Duette bis hin zur Kirchenmusik.<br />

Auch Chorsätze und Liedvertonungen<br />

nach Gedichten von Chamisso,<br />

Liliencron und dem in Wilster<br />

geborenen Dichter Johann Meyer<br />

stammen aus seiner Feder.<br />

Nagel wollte seinen Mitbürgern<br />

,gute Musik' näher bringen, wie er<br />

immer wieder betonte. Er blieb<br />

seiner Kleinstadt treu und wurde<br />

deshalb über die Region hinaus nur<br />

wenig bekannt. Er fühlte sich als<br />

Autodidakt, und er war bescheiden.<br />

Zwar standen einige seiner Werke<br />

gelegentlich auf norddeutschen<br />

Konzertprogrammen, er blieb aber<br />

als Mensch und Musiker stets seiner<br />

engeren Heimat verbunden. Sein<br />

Name ist in keinem Musik-Lexikon<br />

zu finden (es gab etwa zur selben<br />

Zeit auch in Esslingen einen Musiker<br />

und Komponisten Wilhelm<br />

Nagel). Seine Kompositionen wurden<br />

nicht gedruckt. Im Stadtarchiv<br />

von Wilster ist lediglich ein einziger<br />

Notendruck zu finden, die ,Rheinsage',<br />

Komposition für Männerchor<br />

und Orchester nach einem Gedicht<br />

von Emanuel GeibeL Sie wurde<br />

1911 auf dem Bundessommerfest<br />

des Deutschen Sängerbundes in<br />

Harnburg uraufgeführt.<br />

Wilhelm Nagel starb am 6. Mai 1954<br />

in Wilster. Lange Zeit danach war es<br />

ruhig um ihn geworden. Es schien,<br />

als hätte man ,Onkel Wilhelm', wie<br />

man ihn liebevoll in der Stadt<br />

nannte, vergessen. Erst 1993 erhielt<br />

Nagel auf dem Friedhof in Wilster<br />

ein Ehrengrab, gestiftet von der<br />

Landesregierung, der Kirche und<br />

der Stadt. Auch eine Straße ist in<br />

Wilster nach ihm benannt worden.<br />

Später erhielt sein Geburtshaus eine<br />

Gedenktafel, nicht so das Haus<br />

Deichstraße 38, wo er über 50 Jahre<br />

als Musiker lebte. Ansonsten aber<br />

wurde es wieder ruhig um den<br />

großen Musiker der kleinen Stadt.<br />

Abb. 116: 'In der<br />

Marsch', von Prof<br />

Dr. h. c. Eberhard<br />

Rech/in.


.ß'~J .D ..... ............................... ........ ... ....................... ..... ................ ................................. P~9f ... Q~.· ... ~! .... r. •.. ~~~;.~' ·'·'\ .~. r. .. Rt(!.l !, !.~.<br />

Abb. 11 7- 120:<br />

Werke von Eberhard<br />

Rech/in:<br />

Unten:<br />

Ein Selbstporträt<br />

und zum Vergleich<br />

eine Fotografie.<br />

Nächste Seite oben:<br />

Kreidezeichnung<br />

einer Viehauktion<br />

unten:<br />

Dieses Gemälde<br />

erwarb die<br />

Gemeinde Neuendmj'und<br />

stellte es<br />

dem Amt Wilstermarsch<br />

als Leihgabe<br />

für eine<br />

Dauerausteilung<br />

zur Verfügung.<br />

PROF. DR. H. c.<br />

EBERHARD R.ECHLIN<br />

Ruhe und Abgeschiedenheit suchte<br />

er, als es Prof. Dr. h . c. Eberhard<br />

Rechlin 1977 nach Vorder-Neuendorf<br />

verschlug. Der Wahl-Schleswig­<br />

Holsleiner verliebte sich in die<br />

urwüchsige Marsch, wo er die erforderliche<br />

Muße für sein freies und<br />

kreatives Schaffen fand . Auf seinem<br />

Hof schuf er ein Refugium für Pflanzen<br />

und Tiere, zu denen er seit<br />

frühester Kindheil eine tiefe Zuneigung<br />

empfand und deshalb in den<br />

Mittelpunkt seines künstlerischen<br />

Schaffens stellte.<br />

Am 29. Juli 1928 in Berlin geboren,<br />

verbrachte Eberhard Rechlin seine<br />

Kindheit und Jugend in dem elterliehen<br />

Forsthaus in Mecklenburg an<br />

der Müritz. Schon früh wurde seine<br />

künstlerische Begabung erkannt,<br />

doch der Zeit entsprechend lehnte<br />

sein Vater das Malen als Broterwerb<br />

entschieden ab.<br />

Nach seiner Heirat 1952 begann er<br />

ein Studium und arbeitete zur<br />

Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

seiner 7-köpfigen Familie gleichzeitig<br />

als Eisengießer und Bergmann<br />

unter Tage. Nach dem Studium<br />

wurde er Beamter im öffentlichen<br />

Dienst. Nebenbei belegte er Kurse<br />

für Malerei und Grafik. 1970 gab er<br />

den sicheren Beamtenberuf jedoch<br />

zugunsten der Malerei auf und die<br />

zahlreichen internationalen Auszeichnungen<br />

rechtfertigten im<br />

Nachhinein diesen Schritt. 1986 ist<br />

er aufgrund seiner Qualifikation<br />

und in Würdigung seiner Arbeit von<br />

der Europäischen Akademie in<br />

Namur, Belgien, zum Professor<br />

ernannt worden. Am 29. November<br />

1990 verstarb Eberhard Rechlin im<br />

Alter von 62 Jahren. Dabei hatte er<br />

zuvor wiederholt den Wunsch geäußert,<br />

er möchte 100 Jahre alt werden,<br />

damit ihm genügend Zeit zur<br />

Verfügung stünde, wenigstens einen<br />

Bruchteil der zahlreichen Motive<br />

einzufangen, um sie in Öl , Aquarell,<br />

Tusche, Kreide, Feder oder Bleistift<br />

festzuhalten. Als Jagdmaler im Inund<br />

Ausland geschätzt, verstand es<br />

Rechlin, das Besondere, das Charakteristische<br />

des Wildtieres, der Landschaft<br />

und der Personen wiederzugeben.


. P.~.Qf, .. P.~.· .. B.· .. ~ •.. ~w;~ .. ~.Q~J.J!'S ................ ................. .................................................................................................... ~~.


.0022. ... ............ ... .. .. ........ ... .. ..... ...... ... ..................... .......... .. .. ............... .. .. ..... .......... ........... J.NJ.':.~m.J:rf.~ . .ff.9~WX:K\JNHY:l.~ .<br />

Abb. 121 (rechts):<br />

Gern wurden<br />

August Haaclcs<br />

künstlerischen<br />

Fertigkeiten auch<br />

für größere<br />

Gemälde in Anspruch<br />

genommen.<br />

Abb. 122 (unten):<br />

Diese Ansicht<br />

malte seinerzeit<br />

Markus Haack.<br />

Sie zeigt den<br />

einstigen Verlauf<br />

des Spritzenhausweges<br />

(heute G1K<br />

41) in Richtung<br />

Dückerstieg, bevor<br />

dessen Streckenführung<br />

beim<br />

Ausbau Ende der<br />

60er Jahre leicht<br />

verändert wurde.


. J.M",.ITI'.W.~.'!T . .tl.Q.I}.~Y.:K~.~~TIJ.':J.t ........ ........................................................................ ............................................................... a~.<br />

TALENTIERTE<br />

HOBBY-KÜNSUER<br />

Der bereits im Kapitel zum Handwerk<br />

und Gewerbe erwähnte Malermeister<br />

August Haack aus Hackeboe<br />

war nicht nur Maler im handwerklichen<br />

Sinn, sondern auch ein<br />

begabter Künstler. In seiner freien<br />

Zeit malte er viele Bilder und wendete<br />

dabei die verschiedensten<br />

Techniken an. Er fertigte sowohl Ölund<br />

Aquarellgemälde als auch<br />

Bleistift-, Kohle- und Federzeichnungen.<br />

Sein Bruder Markus war<br />

ebenso talentiert. Ihnen verdanken<br />

wir zahlreiche Ansichten der<br />

Gemeinde Neuendorf aus den<br />

20er/30er Jahren des 20. Jahrhunderts.<br />

Abb. 123 (links):<br />

August Haack in<br />

seiner der alten<br />

Werkstatt, Hackeboe<br />

34.<br />

Abb. 124 (unten):<br />