10 TITELTHEMA › Foto: Kinderberg tungen, die durch das Waschen ausgelöst werden könnten, die eigene Körperpflege bis zu drei Tage postpartum hinaus. Da sie vor der rituellen Waschung als unrein geltend ihr Kind nicht anlegt, muss durch den verzögerten Milcheinschuss mit weiteren Stillproblemen gerechnet werden. Auch eine drastische Einschränkung der Ernährung während der Schwangerschaft und Stillzeit erscheint kritisch. Manche Speisen, zwischen „warm und kalt“ differenziert, werden für Mutter und Kind als unverträglich bzw. schädlich erachtet und gelten daher als Tabu. In der Folge beobachten wir viele Frauen, die sich sehr unausgewogen ernähren und besonders als Mehrfachgebärende und schwer körperlich Arbeitende Defizite und Mangelerscheinungen aufweisen. In diesem Kontext sei auch der Fastenmonat Ramadan erwähnt, von dem Schwangere und <strong>Stillen</strong>de ebenso entbunden sind, wie Kranke und Kinder. Allerdings zeigt die Praxis im afghanischen Alltag, dass auch stillende Mütter überwiegend die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme über Tag ablehnen. Auf Grund mangelnden Vertrauens kann auch der Einsatz traditioneller Hausmittel vielmals der „westlich orientierten Gesundheitsfürsorge und Aufklärung“ und damit auch der Stillberatung durch Hebammen vorgezogen werden. Dies entspringt einem großen Schamgefühl und Hemmung der Frau, mit einer fremden Person über private intime Probleme zu sprechen. „Wie kann man mit einem Fremden, der kein Familienmitglied ist, über die eigenen Probleme sprechen?“, hieß es dann oft. Dazu ist es für eine afghanische Frau auf dem Land unmöglich alleine zu einer Gesundheitsstation zu gehen und erfolgt in der Regel nur in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds, was bei weiten Fußmärschen von oft mehr als drei Stunden im schweren Arbeitsalltag problematisch für die gesamte Familie ist. Für Mütter ist es schwierig, sich festverankerten Ritualen zu entziehen, auch wenn sie gefühlsmäßig anders handeln würden. Mullahs, Imame, Familienoberhaupte, Ehemänner und vor allem die Schwiegermütter sind die Entscheidungsträger, denen sie sich zu unterwerfen haben und kaum widersetzen können. Das Risiko, in Missgunst zu geraten oder gar Schande über die Familie zu bringen, ist besonders in einer Gesellschaft, in der die Wahrung der Familienehre ein zentrales Anliegen ist, sehr groß. Dieser Sachverhalt verdeutlicht, wie wichtig die Einbindung des gesamten sozialen Umfeldes, v.a. von angesehenen Religions- und Autoritätspersonen ist, um Tabus zu brechen und Mythen über das <strong>Stillen</strong> abzubauen. Als Konsequenzen für die praktische Stillarbeit von KBI vor Ort werden daher Personen, die gesellschaftlichen Einfluss genießen, aktiv in die Arbeit eingebunden. Mittels ihrer Autorität und Unterstützung kann die Schärfung des Bewusstseins für ausschließliches <strong>Stillen</strong> innerhalb der Bevölkerung deutlich vorangetrieben werden. Die Unterstützung von Gesundheitsschulungen, Beratung und Aufklärung, besonders an Mädchenschulen, hat sich durch die Nutzung der Multiplikator-Effekte als sehr nützlich erwiesen. Zudem haben sich die Schaffung örtlicher Netzwerke, welche die Frauen zu eigenverantwortlichem und aktivem Handeln ermutigen sollen, sowie der Einsatz von Dorfgesundheitshelfern und Gesundheitsinitiativen (Health Action Groups) als positive Instrumente und Maßnahmen bewährt. Insbesondere stellt jedoch die fachliche Fortbildung und kontinuierliche Qualifizierung von weiblichem Fachpersonal zu Stillberaterinnen ein nachhaltiges Ziel dar, welches KBI langfristig verfolgt. Als Handout finden Sie diesmal eine Stillinformation ohne Worte. Beachten Sie dazu auch den Link zu unserer Homepage mit Erläuterungen in verschiedenen Sprachen. www.elacta.eu/de/neuhilfreiche-dokumentefuer-ihre-arbeit-neu. html Sabine Becker Diplom-Betriebswirtin für Non- Profit-Organisationen, DGKS/IBCLC, ist seit 2002 als Projektmanagerin in Afghanistan vor allem im Bereich Mutter-Kind-Gesundheit für die deutsche Hilfsorganisation KinderBerg International e.V. (KBI) mit Sitz in Stuttgart tätig. www.elacta.eu <strong>Laktation</strong> & <strong>Stillen</strong> 2 • 2015
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