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Juni 2009 - Die Gesellschafter.de

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Integr ation<strong>Juni</strong> <strong>2009</strong> 21John Wayne war ein kleiner MannMänner mit Behin<strong>de</strong>rung sprechen über Rollen, Erwartungen, Selbstbil<strong>de</strong>r und KatastrophenVon Erik HeierIrgendwann musste es japassieren. Ihm auch. Wie sovielen an<strong>de</strong>ren. Sven Königverliebte sich in eine Stu<strong>de</strong>ntin,eine Krankenpflegerin.Eine „von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>renSeite, sag’ ich mal“. SeineSeite, das ist <strong>de</strong>r Rollstuhl,die Behin<strong>de</strong>rung eine spastischeLähmung. „Ich habeihr meine Liebe gebeichtet“,erzählt Sven. „Es war eineKatastrophe.“ <strong>Die</strong> jungeFrau zog sich sofort zurück.Er sich dann auch. In sichselbst. „Da habe ich daserste Mal in meinem Lebenmeinen Rollstuhl verflucht.“Das sagt er in einem Klassenzimmer<strong>de</strong>r Grundschule amBran<strong>de</strong>nburger Tor in Berlin.Es ist ein Gesprächskreis vonzehn behin<strong>de</strong>rten Männern.Man duzt sich, spricht sich mitVornamen an. GesprächsleiterFabian Schwarz sagt: „Ganzhäufig verliebt man sich ja inseine Betreuer.“ Kevin nickt:„Oh ja, dauernd.“ Jürgen, nebenihm: „Da können wir unsdie Hand reichen.“Der Kreis heißt: „Kein Cowboy– aber ein Mann!“ SeinTitel spielt auf einen Schlagervon Gitte Haenning an, „Ichwill ’nen Cowboy als Mann“,von 1963. Es geht um dasMännerbild von Menschen mitBehin<strong>de</strong>rungen. <strong>Die</strong> meistensitzen wie Sven im Rollstuhl,einige können sich aber an<strong>de</strong>rsals er nicht mehr verbaläußern, allenfalls über Bil<strong>de</strong>rundBuchstabentafeln.Fabian Schwarz, 35, istkleinwüchsig, er bewegt sichDer BVKM„Kein Cowboy – aber einMann!“ – unter diesem Slogandiskutierten Männermit Behin<strong>de</strong>rung über Liebe,Sex und Partnerschaft.Anlass war ein Jubiläum:Anfang Mai hat <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sverbandfür körperundmehrfachbehin<strong>de</strong>rteMenschen (BVKM) in Berlinseinen 50. Geburtstaggefeiert, mit Foren undVorträgen, Workshops un<strong>de</strong>inem Fest.Foto: Johannes BackesEine bittere Erfahrung für Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung: Statt mit zu re<strong>de</strong>n, wird über sie gere<strong>de</strong>t.behän<strong>de</strong> mit Hilfe eines Metallgestellsauf Rollen, eingebürtiger Berliner. Er arbeitetim Bun<strong>de</strong>sverband für körperundmehrfachbehin<strong>de</strong>rte Menschene.V. Dort koordiniert erdie Männergruppen, 15 gibtes bun<strong>de</strong>sweit, und 30 Frauengruppen.<strong>Die</strong> Männer re<strong>de</strong>nüber Liebe, über die Schwierigkeiten,Partner zu fin<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>rnur Frem<strong>de</strong> anzusprechen.Über Sex auch. Eigentlich aberüber alles. Das Leben.Da ist zum Beispiel RolandMiksch, 53, aus Eisenach, <strong>de</strong>rauf Krücken geht, ein Sarkastikerund James-Bond-Fan,<strong>de</strong>r viel wegstecken kann undlei<strong>de</strong>r oft auch muss, vor allemvon Jugendlichen. Er wur<strong>de</strong>mal nie<strong>de</strong>rgeschlagen, einfieser Raub, wegen 30 Cent.Seiner Freundin hauten sieein an<strong>de</strong>res Mal die Gehhilfenweg. Nur dieses eine Wort,„Krüppel“, das hat er nie ertragenwollen, „wenn ich konnte,habe ich <strong>de</strong>nen noch einenKnüppel ins Kreuz geworfen.“O<strong>de</strong>r Jürgen Gerster, 38,aus Kempten, <strong>de</strong>r so gernmal eine Freundin hätte undAutos über alles liebt. SeinGeld gehe größtenteils fürAutomagazine drauf, sagt er,ein lustiger Kerl. In seiner WGfür Schwerstbehin<strong>de</strong>rte gäbedas gelegentlich Ärger, seinZimmer ist einfach zu klein fürso viel Papier, „ich muss allehalbe Jahre Hefte wegtun, dasschmerzt schon.“ Aber er willsich einfach nicht reinre<strong>de</strong>nlassen, „ich muss doch schonauf so viel verzichten, wer<strong>de</strong>niemals Auto fahren, keinenBeruf mit Autos machen.“O<strong>de</strong>r eben Sven König,41, aus Plauen, verschmitztesLächeln, <strong>de</strong>r Mann mit <strong>de</strong>renttäuschten Liebe, damalsmit 25. Der nun mit einer Frau,auch im Rollstuhl, zusammenlebt,seit sechs Jahren schon.Sex von Behin<strong>de</strong>rten, sagt er,sei doch ein Tabuthema. Einmalwäre eine Beraterin vonPro Familia gekommen – ummit <strong>de</strong>n Betreuern darüberzu sprechen. Nur mit <strong>de</strong>nen.„Da wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r nur überuns Behin<strong>de</strong>rte gere<strong>de</strong>t.“ DasWort „über“ betont Sven. Esklingt bitter.Einmal lässt Fabian Plüschtiereholen. Je<strong>de</strong>r soll eines davonals Symbol für seine Behin<strong>de</strong>rungauswählen. Jürgen: einEichhörnchen. „Wenn Gefahrim Verzug ist, läuft es schnellweg. Wie ich.“ Sven: eine Schildkröte.„Es ist eine Art Schutz. Siekann sich, wenn ihr alles zuvielwird, zurückziehen.“ Roland:ein Pinguin. „Meistens tritt erin <strong>de</strong>r Gruppe auf. Darin kannman sich, wenn es Schwierigkeitengibt, verstecken. Einzelnist man gefähr<strong>de</strong>t.“Fabian spricht an diesemFreitag viel von Selbstbewusstseinund Selbstbehauptung.Dazu dient zum Beispiel einRollenspiel. Fabian rollt auf Michaelzu: „Ich bin jetzt <strong>de</strong>r blö<strong>de</strong>Arsch und mache dich dumman.“ Michael, leise: „Hey.“ Fabian:„Kannst du das auch lauter?“Michael, schüchtern: „AufBefehl kann ich das nicht.“ Eratmet tief durch. Plötzlich einDonnerschrei, aus voller Kehle,von ganz tief unten: „Hey!!!“Alle zucken zusammen. Ehe siejubeln. „Das war ziemlich gut“,sagt Fabian.Denn Mann zu sein, dasbe<strong>de</strong>ute manchmal auch, Verantwortungzu übernehmen.Auch wenn man nicht laufenkönne.Am En<strong>de</strong> bilanziert Sven:„Es war eine lehrreiche Erfahrung,dass man nicht allein istmit seinen Problemen.“ Manmüsse sich zu helfen wissen.Dann sagt Fabian langsam:„Wisst ihr, John Wayne warein kleiner Mann. Deswegenhaben sie ihm beim Filmdrehdie Türen niedriger gebaut– damit er größer wirkte.“<strong>Die</strong> Männer sehen sich füreinen Moment an. Dann lachensie los. Wie befreit.

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