TFH-Presse 3/2007 - Beuth Hochschule für Technik Berlin
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tfh 3|07<br />
campus<br />
Mit der Strömungslehre durch den Alltag<br />
Die Strömungslehre und ihre Phänomene begleiten uns jeden Tag unbewusst<br />
24 Stunden lang: Nachts im Schlaf arbeitet das Herz als Pumpe <strong>für</strong> den Blutkreislauf.<br />
Schon Goethe wusste, dass Blut »ein besonderer Saft« ist und im Gegensatz zu<br />
Wasser feste Teilchen und ein verändertes Strömungsverhalten besitzt.<br />
Beim Öffnen des Wasserhahns fällt auf,<br />
dass das Wasser entweder gleichmäßig<br />
(laminar) oder fast undurchsichtig und<br />
verwirbelt (turbulent) ausströmt, zwei<br />
unterschiedliche Strömungszustände mit<br />
verschiedenen Folgen. Außerdem kann<br />
man im Waschbecken einen Wassersprung<br />
beim Auftreffen des Wassers aufs<br />
Porzellan beobachten. Trifft ein Wasserstrahl<br />
stattdessen auf eine Wasseroberfläche,<br />
springt ein Tropfen wieder aus der<br />
Oberfläche heraus.<br />
Hängt man nach dem Waschen das<br />
Handtuch an den Haken, wird dieser oft<br />
durch einen Saugnapf (Hydrostatischer<br />
Unterdruck) gehalten. Mit derselben<br />
<strong>Technik</strong> werden große Glasscheiben<br />
transportiert.<br />
Damit das Wasser aus dem Hahn<br />
fließen kann, muss der Wasserdruck in<br />
der Leitung höher sein als der Umgebungsdruck<br />
in der Luft (Hydrostatischer<br />
Überdruck). Dies wird u.a. mit Kreiselpumpen<br />
(Strömungsmaschinen) bewerkstelligt.<br />
Wassertürme halten diesen Druck.<br />
Den Umschlag laminar/turbulent – er<br />
lässt sich mittels einer dimensionslosen<br />
Kennzahl (Reynolds-Zahl) angeben –<br />
kann man auch beim Aufsteigen von<br />
Zigarettenrauch beobachten: anfangs<br />
gleichmäßig, um später in eine verwirbelte<br />
Strömung überzugehen. Schon Leonardo<br />
da Vinci hielt Wirbelbildungen hinter<br />
Steinen und Bäumen in Flüssen mittels<br />
Zeichnungen fest. Bei gleichen Bedingungen<br />
wird die Strömung turbulent bei<br />
höheren Geschwindigkeiten. Auch die<br />
Zähigkeit des strömenden Mediums hat<br />
einen deutlichen Einfluss auf das Strömungsverhalten.<br />
Honig »fließt« anders<br />
als Wasser. Erreicht die Strömungsgeschwindigkeit<br />
sogar die Schallgeschwindigkeit,<br />
treten weitere Effekte auf (Verdichtungsstoß,<br />
starke Druckänderungen,<br />
Überschallknall in der Luft beim bzw.<br />
beim Peitschenknall). Zur Beschreibung<br />
wird eine dimensionslose Kennzahl<br />
(Mach-Zahl) verwendet. Flüssigkeiten<br />
und Gase werden in der Strömungslehre<br />
allgemein unter dem Begriff Fluide<br />
zusammengefasst (Fluiddynamik).<br />
Morgens nach dem Kaffeetrinken<br />
(weiße Milch macht die strömungstechnische<br />
Vermischung mit dem schwarzen<br />
Kaffee sichtbar) geht es zur <strong>TFH</strong>. Vor dem<br />
Haus Gauß flattern an den Masten die<br />
Fahnen im Wind. Selbst wenn keine<br />
Fahnen befestigt sind, bewegen sich die<br />
Halteseile (ein strömungstechnisches<br />
Phänomen: Galopping/Buffeting).<br />
Auf dem Campus versorgen Rasensprenger<br />
die Pflanzen mit Wasser. Die<br />
Spitzen der hohen Bäume erhalten dabei<br />
das lebensnotwendige Wasser durch<br />
Kapillarwirkung, die auch bei Löschpapier<br />
und Schwämmen eine Rolle<br />
spielt. Etwas heftiger wird die Luftströmung,<br />
wenn der Wind weht. Diese Kräfte<br />
(durch Umströmung eines Körpers) werden<br />
Widerstandskräfte genannt. Sie entstehen<br />
durch Reibung und/oder durch<br />
die Körperform, so dass hinter dem<br />
Körper ein verwirbeltes Totwassergebiet<br />
(Unterdruck) gebildet wird. Widerstandsvermindernde<br />
Anordnungen durch<br />
Fahren im Windschatten machen sich<br />
Radrennfahrer und Inline-Skater zunutze.<br />
cw-Werte<br />
In der <strong>Technik</strong> rechnet man Widerstandskräfte<br />
mit geeigneten Referenzwerten<br />
in dimensionslose Widerstandsbeiwerte<br />
(cw-Werte) um. Bekannt sind<br />
diese vor allem von Kraftfahrzeugen.<br />
Strömungsgünstige Autos aus der Serienfertigung<br />
erreichen cw-Werte von 0,26.<br />
Zum Vergleich: Der cw-Wert einer senkrecht<br />
angeströmten Platte beträgt 1,11.<br />
Den niedrigsten cw-Wert (0,05) hat die<br />
Tropfenform. Je strömungsgünstiger ein<br />
Kraftfahrzeug ist, desto geringer ist der<br />
Spritverbrauch.<br />
Totwassergebiet hinter einer Scheibe<br />
Foto: Korschelt<br />
Geprüft wird das Strömungsverhalten<br />
meist im Windkanal die Strömung wird<br />
durch aufgeklebte Wollfäden oder Rauch<br />
(bzw. Farbzugabe) sichtbar gemacht. Es<br />
bilden sich sogenannte Stromlinien, die<br />
die Umströmung der Körperkontur aufzeigen.<br />
Ein amerikanischer strömungsgünstiger,<br />
älterer Wohnanhänger ist danach<br />
benannt (Streamliner).<br />
BMW brachte vor ca. 30 Jahren ein<br />
Motorrad mit im Windkanal getesteter<br />
Verkleidung heraus. DaimlerChrysler hat<br />
die Form eines Kofferfisches als Grundlage<br />
zum Entwurf eines strömungsgünstigen<br />
Kraftfahrzeuges genommen, ein typisches<br />
Beispiel der Bionik. Auch Skifahrer<br />
und Bobfahrer lassen ihre optimale Haltung<br />
mit geringstem Widerstand im Windkanal<br />
testen.<br />
In Ermangelung eines Windkanals zu<br />
seiner Zeit ließ Eiffel Körper vom später<br />
nach ihm benannten Turm <strong>für</strong> die Weltausstellung<br />
in Paris fallen und berechnete<br />
daraus cw-Werte.<br />
Der kleine Windkanal im Labor <strong>für</strong> konventionelle<br />
und erneuerbare Energien hat<br />
einen Austrittsquerschnitt von ca. . m2 und ermöglicht Modellversuche. Windkanalversuche<br />
sind teuer und zeitaufwändig,<br />
mit Hilfe von Computerprogrammen<br />
(CFD: Computational Fluid Dynamics)<br />
wird versucht, Strömungen zu berechnen.<br />
Auch Rennwagen der Formel 1 kommen<br />
ohne umfangreiche Tests nicht aus,<br />
sowohl experimentell als auch theoretisch.<br />
Luftleitbleche (Spoiler) in Form kleiner<br />
Abrisskanten sind heutzutage an vielen<br />
Kraftfahrzeugen zu sehen, um das<br />
Totwassergebiet dahinter zu beeinflussen<br />
und zusätzlich auch die Fahrstabilität<br />
der Fahrzeuge zu verbessern.<br />
... Fortsetzung auf Seite 37