Hysterie oder sinnvolle Wachsamkeit? - Landeskrankenhaus Feldkirch
Hysterie oder sinnvolle Wachsamkeit? - Landeskrankenhaus Feldkirch
Hysterie oder sinnvolle Wachsamkeit? - Landeskrankenhaus Feldkirch
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Nachgefragt<br />
Schweinegrippe & Co.:<br />
<strong>Hysterie</strong> <strong>oder</strong> <strong>sinnvolle</strong><br />
<strong>Wachsamkeit</strong>?<br />
Ob Schweinegrippe, TBC <strong>oder</strong> HIV. Als räumlich und zeitlich<br />
unbegrenzt auftretende Krankheiten – sog. Pandemien<br />
– lösen sie vielerorts Angst und Schrecken aus. Jeder will<br />
sich verständlicherweise bestmöglich vor einer Ansteckung<br />
schützen. „LKH luag a!“ fragt bei den Experten der Abteilung<br />
für Krankenhaushygiene und Infektionsvorsorge nach,<br />
wie begründet die weltweit geschürten Ängste im Fall der<br />
Schweinegrippe tatsächlich sind.<br />
LKH luag a!: Wie beurteilen Sie den Umgang<br />
1. der Medien, 2. der Bevölkerung und 3. der<br />
Behörden mit dem Thema Schweinegrippe?<br />
Hygiene-Team: Am Beginn der Schweinegrippeepidemie<br />
Ende April 2009 war das Thema breit in den<br />
Medien vertreten. Also bereits zu einem Zeitpunkt,<br />
wo es noch wenige gesicherte Erkrankungen gab.<br />
Anfang August gab es in Europa dann rund 30.000<br />
gesicherte Fälle, mit 40 Todesfällen. In den Medien<br />
war das Interesse aber zu der Zeit bereits spürbar zu-<br />
p Sie wachen über Bakterien, Viren & Co.: Das Team der Abteilung<br />
für Krankenhaushygiene und Infektionsvorsorge (v.l.n.r.<br />
DGKS Erika Gut, oA Dr. Martina Türtscher, DGKS Jaqueline Maier,<br />
DGKS Miriam Kalcher, Leiterin oA Dr. Gabriele Hartmann, DGKS<br />
Karin Schindler, stv. Leiter DGKP Hans Hirschmann, DGKP Perikles<br />
Mylonas, nicht abgebildet).<br />
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rückgegangen, da die Erfahrungen<br />
gezeigt haben, dass die Schweinegrippe<br />
eigentlich eine sehr<br />
mild verlaufende Grippeform ist<br />
und in der Relation zur normalen<br />
saisonalen Grippe die Sterblichkeit<br />
sogar geringer zu sein schien.<br />
Angesichts dieser Meldungen<br />
war auch in der Bevölkerung<br />
keine große Verunsicherung mehr<br />
zu spüren: Die Anfragen an die<br />
Gesundheitsbehörden hielten<br />
sich in Grenzen, der Ansturm bei<br />
Hausärzten und Spitälern war ausgeblieben<br />
und die Behörden waren<br />
dank des Pandemieplanes gut vorbereitet.<br />
Vor diesem Hintergrund<br />
war es für uns nur schwer nachzuvollziehen,<br />
warum bis August<br />
2009 alle Verdachtsfälle stationär<br />
aufgenommen werden mussten.<br />
Wie sinnvoll sind aus Ihrer<br />
Sicht überhaupt Pandemiepläne,<br />
und wann sollten Sie<br />
zum Einsatz kommen?<br />
Pandemiepläne sind bei schwer<br />
verlaufenden pandemischen<br />
Erkrankungen wichtig, um die<br />
Krankenversorgung sicher zu stellen<br />
und die öffentliche Sicherheit<br />
und Ordnung aufrecht zu erhalten:<br />
Unter Umständen müssen nämlich<br />
Massenanstürme auf Kranken-<br />
VORARLBERGER LANDESKRANKENHÄUSER<br />
Das magazin Der Vorarlberger lanDeskrankenhäuser<br />
p Anlässlich von Pandemien<br />
wie der „Schweinegrippe“<br />
werden auch Impfungen<br />
heiß diskutiert.<br />
häuser und Panikreaktionen in der<br />
Bevölkerung bewältigt sowie die<br />
geordnete Abgabe von Medikamenten<br />
und die Funktionsfähigkeit<br />
von Rettung, Feuerwehr und Polizei<br />
durch geeignete Maßnahmen<br />
sicher gestellt werden.<br />
Wie sinnvoll sind die in Österreich<br />
getroffenen Vorsorgemaßnahmen,<br />
wie Einlagerung<br />
von Impfstoffen, Ankauf von<br />
Schutzmasken etc.?<br />
Die Bevölkerung fühlt sich durch<br />
derartige Maßnahmen sicherer<br />
und kann beruhigt werden. Ob<br />
der Schweinegrippeimpfstoff, der<br />
bereits in sehr großen Mengen<br />
bestellt wurde, auch tatsächlich<br />
gebraucht wird, kann jetzt noch<br />
nicht gesagt werden. Es könnte ja<br />
auch sein, dass im Herbst / Winter<br />
die saisonale Grippe vorherrscht<br />
und nicht die Schweinegrippe.<br />
Auch das Grippemittel ‚Tamiflu’<br />
ist in großen Mengen eingelagert<br />
und die Versorgung weiter Teile<br />
der Bevölkerung im Bedarfsfall sichergestellt.<br />
Um dessen Wirksamkeit<br />
nicht zu gefährden, sollte das<br />
Medikament aber nicht zu schnell<br />
eingesetzt werden.<br />
VORARLBERGER LANDESKRANKENHÄUSER<br />
Das magazin Der Vorarlberger lanDeskrankenhäuser<br />
Wer profitiert von einer weltweiten<br />
<strong>Hysterie</strong> wie bei der<br />
Schweinegrippe?<br />
Vorsichtig ausgedrückt, kann man<br />
sagen, dass die mediale Aufmerksamkeit<br />
ganz sicher kein Nachteil<br />
für die Pharmaindustrie bedeutet.<br />
Und auch die WHO kann in<br />
einem solchen Fall ihre Bedeutung<br />
unter Beweis stellen... Und es ist<br />
sicherlich auch kein Nachteil, wenn<br />
die Politik zeigen kann, wie professionell<br />
sie auf drohende Gefahren<br />
reagiert. Insgesamt ist es auch für<br />
die Medizin bzw. das gesamte<br />
Gesundheitssystem kein Nachteil,<br />
die Kompetenz im Krisenfall unter<br />
Beweis zu stellen...<br />
Welche Krankheiten sind aus<br />
Ihrer Sicht wirklich „Pandemie-gefährlich“?<br />
Es gibt aus heutiger Sicht eine<br />
Menge Erkrankungen, die in der<br />
Lage sind, weltweit wesentlich<br />
mehr Todesfälle zu fordern, als die<br />
Schweinegrippe. Dazu zählt die<br />
normale, jährlich wiederkehrende<br />
saisonale Grippe mit geschätzten<br />
3000 Todesfällen jährlich – vor<br />
allem alte, abwehrgeschwächte<br />
Personen – alleine in Österreich.<br />
Das wären hochgerechnet auf die<br />
Weltbevölkerung ca. 2,6 Mio. To-<br />
desfälle pro Jahr weltweit. Weitere<br />
gefährliche Pandemien sind Malaria<br />
mit ca. 2 Mio. Todesfällen pro<br />
Jahr, Tuberkulose mit ebenfalls 2<br />
Mio. Fällen, HIV/AIDS mit 2 bis<br />
3 Mio. Opfern <strong>oder</strong> auch Masern<br />
mit bis zu 600.000 Todesopfern,<br />
v.a. in Entwicklungsländern. Es<br />
gibt aber auch andere gefährliche<br />
Pandemie-Arten, wie etwa Übergewicht,<br />
das ca. 1 Mrd. Menschen<br />
betrifft. Die schwerwiegenden<br />
Folgen sind Herz- Kreislauferkrankungen,<br />
degenerative Erkrankungen<br />
des Bewegungsapparates,<br />
Stoffwechselerkrankungen wie<br />
z.B. Diabetes mellitus.<br />
Welche Auswirkungen könnten<br />
schwere Pandemie-Fälle<br />
nach sich ziehen?<br />
Wenn wirklich eine schwer behandelbare,<br />
leicht übertragbare und in<br />
vielen Fällen zum Tode führende<br />
Erkrankung auftauchen würde,<br />
dann könnte dadurch das ganze<br />
öffentliche Leben zusammenbrechen,<br />
Wirtschaftskrisen entstehen<br />
<strong>oder</strong> bestehende verschlimmert<br />
werden. Zur Zeit sehen wir aber in<br />
den entwickelten Ländern keine<br />
derartige Erkrankung auf uns<br />
zukommen - schon gar nicht die<br />
Schweinegrippe.<br />
Gibt es in der neueren Ge-<br />
schichte dramatische Beispiele<br />
einer Pandemie?<br />
Wenn wir weit zurückgehen,<br />
so war die Pest im Mittelalter<br />
schon sehr dramatisch. Ca. ein<br />
Drittel der Bevölkerung Europas<br />
ist damals daran verstorben. Die<br />
Spanische Grippe in den Jahren<br />
1918 bis 1920 z.B. hat weltweit<br />
ca. 20 Mio. Todesopfer gefordert.<br />
HIV bzw. AIDS hat in Teilen Afrikas<br />
dramatische Auswirkungen,<br />
die wir uns in Europa gar nicht<br />
vorstellen können: Die Lebenserwartung<br />
der Bevölkerung ist durch<br />
AIDS um mindestens zehn Jahre<br />
gesunken, die Wirtschaftsleistung<br />
sinkt durch Wegfall von Arbeitskräften<br />
dramatisch, das Gesundheitssystem,<br />
welches vorher schon<br />
nicht berühmt war, ist absolut an<br />
seine Grenzen gestoßen bzw. zusammengebrochen.<br />
Viele Waisen<br />
sind zu versorgen. Die Zustände<br />
werden – in diesem Fall von den<br />
internationalen Medien relativ<br />
unbeachtet – heute noch täglich<br />
schlimmer. n<br />
Nachgefragt<br />
Ansteckende<br />
Krankheiten lösenverständlicherweise<br />
Ängste<br />
aus – <strong>Hysterie</strong> ist<br />
jedoch nicht angebracht.<br />
q<br />
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