20.11.2012 Aufrufe

MEMORIAV BULLETIN

MEMORIAV BULLETIN

MEMORIAV BULLETIN

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

16 M EMORIAV <strong>BULLETIN</strong> NR.1 4<br />

DER ANGEKÜNDIGTE TOD VON VHS<br />

der VHS und Betamax den Massenmarkt<br />

zu erobern begannen, musste sich Philips<br />

mit Ankündigungen zufriedengeben; als<br />

Video2000 endlich präsentiert werden konnte,<br />

hatte das VHS-Lager bereits ein breites, auch<br />

europäisches Konsortium für seine Produkte<br />

gewonnen, so etwa im stark wachsenden Markt<br />

Deutschland die Traditionsunternehmen Saba,<br />

Nordmende, Blaupunkt und Telefunken. Mit<br />

der steigenden Angebotspalette sanken auch<br />

die Preise. In der BRD kamen bereits 1982<br />

Geräte für unter 1000 Mark in den Handel;<br />

fünf Jahre früher hatte ein VHS-Rekorder noch<br />

über 3000 Mark gekostet. 1984 gaben sich<br />

Philips und Grundig geschlagen und begannen<br />

mit der Produktion von VHS-Geräten, ein<br />

Jahr später wurde Video2000 ganz eingestellt.<br />

Porno für das Heimkino?<br />

Es wird immer wieder kolportiert, die Pornoindustrie<br />

trage die Hauptverantwortung für die<br />

Durchsetzung des VHS-Formats. Einleuchtender<br />

ist allerdings die These, dass der stark steigende<br />

Marktanteil und die weitere Verbreitung<br />

von VHS die Pornoproduzenten auf das siegende<br />

Pferd setzen liessen. Fest steht, dass die<br />

Durchsetzung eines Videoformats an sich für<br />

breite Schichten bereits eine Revolution des<br />

Unterhaltungsmarktes bedeutete. Zwar gab es<br />

schon vor den 80er-Jahren Kinotheken, die auf<br />

Schmalfilm ganze oder gekürzte Kinoproduktionen<br />

anboten. Mit den neuen Videosystemen<br />

für den Massenmarkt eröffneten sich der Filmindustrie<br />

aber Absatzkanäle, die nicht nur den<br />

Kassenschlagern, sondern auch Flops und<br />

B-Movies ein weiteres langes Leben nach der<br />

Kino- und TV-Auswertung bescherten. Es versteht<br />

sich von selbst, dass auch die Hardcore-<br />

Produzenten goldene Zeiten vor sich sahen.<br />

Ein Blick in die ersten Nummern des Schweizer<br />

Videomagazins zeigt, dass «Sex and Crime»<br />

von Beginn weg, also seit Anfang der 80er-<br />

Jahre, hoch im Kurs standen. Kung-Fu-Filme<br />

wie «Sie nannten ihn Knochenbrecher» oder<br />

der italienische Erotikstreifen «Wilde Betten»<br />

mit Ursula Andress, die auf VHS, Betamax,<br />

Video2000 und Super8 auf den Markt kamen,<br />

wurden ausführlich besprochen. Sittenwächter<br />

identifizierten «Video» denn auch gleich als<br />

neue, die Jugend ins Verderben stürzende<br />

Gefahr. Allerdings war Heimkino Anfang der<br />

80er-Jahre noch ein reichlich kostspieliges Vergnügen.<br />

Neben den hohen Investitionskosten<br />

für die Abspielgeräte wurden für Videokassetten<br />

mehr als Fr. 200.– verlangt.<br />

Kein Wunder, begannen Videotheken aus dem<br />

Boden zu schiessen. Ein Blick in deren Angebot<br />

zeigt, dass VHS das Terrain von Beginn weg<br />

besetzte. Von über 130 im Schweizer Videomagazin<br />

1983 aufgelisteten Videoverleihern<br />

konnte Betamax lediglich in 20 und Video2000<br />

in 31 Geschäften gemietet werden; nur zwei<br />

führten keine VHS-Kassetten im Sortiment.<br />

Qualität ist nicht das einzige Argument<br />

Für Beobachter des Videomarktes blieben die<br />

weiteren 80er-Jahre eine spannende Zeit. Denn<br />

kaum hatte sich VHS von der Konkurrenz abgesetzt,<br />

wurde der neue «Weltstandard» Video8<br />

mit viel Pomp an den internationalen Fachmessen<br />

angekündigt. Enthusiastisch diskutierte<br />

die Fachgemeinde, ob das neue Format<br />

das frühere Durcheinander ersetzen könnte.<br />

Als die ersten Geräte 1985 in Europa auf den<br />

Markt kamen, freuten sich die Amateurfilmer<br />

über leichtere Kameras und schärfere Bilder. In<br />

den Bereichen Heimrekorder und bespielte<br />

Filme waren dem neuen Wunderformat aber<br />

formale Grenzen gesetzt: Die maximale Spielzeit<br />

einer Kassette betrug 90 Minuten, was für<br />

grosses Kino und Fernsehen ungenügend war.<br />

Der gleiche Makel haftete den Laserdiscs an.<br />

Sie versprachen zwar auch bessere Bildqualität<br />

und waren speziell für das Heimkino konzipiert.<br />

Ihre physische Grösse, die auf 60<br />

Minuten beschränkte Spielzeit pro Seite und<br />

die Tatsache, dass nicht selber aufgenommen<br />

werden konnte, verhinderten, dass diese erste<br />

optische Platte (bis Ende der 1990er-Jahre)<br />

mehr als ein Schattendasein für Fans führen<br />

konnte.<br />

Während rund 20 Jahren – bis zur Adoption der<br />

DVD durch Hollywood – war die Heimkinodominanz<br />

von VHS erdrückend. Daran änderte<br />

auch das qualitativ stark verbesserte S-VHS-<br />

Format nichts. Das breite Publikum war nicht<br />

bereit, neue Rekorder und Fernseher mit angepassten<br />

Anschlüssen anzuschaffen, und die<br />

Filmindustrie verzichtete angesichts des<br />

Nischendaseins, neue Filme auch auf S-VHS<br />

herauszubringen.<br />

Beispielhaft und einzigartig<br />

Der Blick zurück zeigt, dass die Geschichte des<br />

VHS-Formates einerseits beispielhaft ist, weil<br />

sie zeigt, dass nicht allein Qualität für die<br />

Durchsetzung einer Technologie verantwortlich<br />

ist. Andererseits ist sie auch einzigartig,<br />

weil kein anderes Format sich so lange der<br />

Obsoleszenzbedrohung hat entziehen können.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!