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MEMORIAV BULLETIN

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nicht einmal als förderungswürdige Tätigkeit.<br />

Offenbar vertreten sie die Auffassung, Archivmaterial<br />

liege fixfertig bereit und füge sich<br />

demzufolge nahtlos in einen Dokfilm ein.<br />

Vorhandenes Archivmaterial wird gern als<br />

«konventionell» abqualifiziert. Wenn man –<br />

wie wir dies zum Beispiel in der kurz vor der<br />

Fertigstellung befindlichen Filmdoku über<br />

den Schweizer Komponisten Paul Burkhard («O<br />

mein Papa») tun – Aktuelles mit Vergangenem<br />

verbindet, wird man besonders gern als «ewig<br />

gestrig» abqualifiziert. Archive sollen zwar<br />

gepflegt und genutzt werden, aber die Nutzung<br />

soll nicht auch noch beklatscht werden.<br />

Den Experten ist es lieber, wenn ein Dokumentarfilmer<br />

lustvoll fabulierend in neue<br />

Bilderwelten eintaucht, anstatt mit Archivausschnitten<br />

eine Beweiskette für die zeitgenössische<br />

Wahrnehmung von Ereignissen und<br />

Persönlichkeiten zu liefern. Ein fiktives Beispiel:<br />

Für ein Dokumentarfilmprojekt über den<br />

Bündner Maler Alois Carigiet stünden gute<br />

Archivsequenzen zur Verfügung. Ein Projekt<br />

über den 1910 verstorbenen Albert Anker wäre<br />

jedoch kaum ohne Spielszenen zu realisieren,<br />

welche in schön ausgeleuchteten Bauernstuben<br />

mit Schauspielern inszeniert werden müssten.<br />

Teuer, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

sehr förderungswürdig. Weil hier Beleuchter,<br />

Maskenbildner, Bühnenhandwerker, Ausstatter<br />

usw. zum Einsatz kommen. Die Akzente werden<br />

hier primär durch das Förderungssystem diktiert.<br />

Für eine sinnvolle Verwendung von Archivmaterial<br />

ist diese Sichtweise natürlich fatal.<br />

Vom kreativen Umgang mit Archivmaterial<br />

Mit Archivmaterial sinnvoll umgehen, bedeutet<br />

für mich keineswegs, ganze Sequenzen tel quel<br />

in ein neues Projekt einzubauen. Meistens geht<br />

es ohnehin nur um kurze, in der Regel neu<br />

montierte Einschübe. Mit Hilfe von Computern<br />

müssen unterschiedlich gealterte Sequenzen<br />

untereinander angeglichen und zwischen aktuelles<br />

Material eingepasst werden. Ein Vorgang,<br />

der kompliziert, aufwendig und teuer ist. Die<br />

Bearbeitung von Archivmaterial ist zweifellos<br />

der mühsamste Vorgang im kreativen Prozess<br />

der Entstehung eines Dokumentarfilms. Es<br />

lohnt sich aber unbedingt, weil dadurch «Echtheit»<br />

und «Wahrheit» gewährleistet sind.<br />

Wer noch nie mit einem Video-Editor Klebestellen,<br />

Kratzer und vom Zahn der Zeit angenagte<br />

Einzelbilder eliminiert und neu zusam-<br />

VISIBILITE<br />

Inszenierte Glückwunschkarte der Familie Chaplin 1957/58.<br />

Foto: Yves Debraine, Le Mont-sur-Lausanne<br />

mengefügt hat, wird sich vom Wert dieser<br />

Arbeiten kaum ein Bild machen können. Leider<br />

haben viele jüngere Filmschaffende wenig<br />

Ahnung von diesen technischen Vorgängen im<br />

Umgang mit Archivmaterial, weil sie gewissermassen<br />

schon farbig auf die Welt gekommen<br />

sind. Schwarz-Weiss liegt für sie im Bewusstsein<br />

viel weiter zurück, als dies tatsächlich der<br />

Fall ist: Noch vor 30 Jahren hat das Schweizer<br />

Fernsehen Beiträge mehrheitlich in Schwarz-<br />

Weiss auf 16-mm-Film produziert.<br />

«Kurzschluss» mit Folgen<br />

Der ziemlich lieblose und kritische Blick auf<br />

eine kreative «Wiederbelebung» von audiovisuellen<br />

Dokumenten bleibt leider keineswegs<br />

auf Förderungsstellen beschränkt. Die Archivare<br />

der Medienunternehmen sind vor allem<br />

Anfang der 1990er-Jahre von Betriebswirtschaftern<br />

gezwungen worden, sogenannt<br />

unwichtige Dokumente «auszusortieren» – ein<br />

etwas vornehmerer Ausdruck für «entsorgen».<br />

Schuld an diesen weit verbreiteten Aktionen<br />

war ausgerechnet der Fortschritt. Indem es<br />

möglich geworden war, Radio- und TV-Sendungen<br />

ohne grossen Aufwand aufzuzeichnen,<br />

drohten die Archive rasend schnell ins Uferlose<br />

zu wachsen. Im gleichen Zeitabschnitt vermochten<br />

sich die Controller der New Economy<br />

fast überall mit ihrer Theorie durchzusetzen,<br />

es müssten künftig die Kubikmeterkosten aller<br />

genutzten Räume berechnet und mit der Nutzungsdichte<br />

verglichen werden. Mit anderen<br />

BEAT HIRT<br />

<strong>MEMORIAV</strong><br />

Jahrgang 1939, Autor und Filmproduzent,<br />

gründete 1966 mit<br />

Jürg Marquard das legendäre<br />

«Pop», erfand und realisierte<br />

TV-Comedy-Sendungen (u.a.<br />

«Ventil») und drehte Dokumentarfilme.<br />

«Weihnachten auf<br />

der Weihnachtsinsel» wurde<br />

von Fernsehstationen in 35<br />

Ländern ausgestrahlt. 1999<br />

gründete er die Produktionsfirma<br />

Mesch & Ugge AG, mit<br />

Schwerpunkt auf neo-historischen<br />

Dokumentationen.<br />

Letzte Arbeiten: «Back Around<br />

The Clock – 50 Jahre Rock in<br />

der Schweiz» (2005), Jolly<br />

Roger – ein Kapitel Schweizer<br />

Mediengeschichte» (2004).<br />

M EMORIAV <strong>BULLETIN</strong> NR.1 4 41

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