1 Lost Arms in a Crystal World, 20042-part installationDetail: bw-print110 x 150 cmCourtesy Meyer Riegger (für sämtliche Abbildungen)»... wie die Pillen, die im Blutkreislauf und letztlich im Gehirn ankommen.Man wird zum Echo, zu einer inneren Struktur des Körpers. Oderman sieht: Auch Landschaft ist nur ein Teil der Kultur als Echo desMenschen, als Membran zwischen dem Rationalen und dem Unerklärlichen.Der Unterwelt, dem Inland, dem weissen Rauschen, das unsalle umfängt«.(Dr. Gregor Jansen anlässlich der <strong>Daniel</strong>-<strong>Roth</strong>-Ausstellung Inland in Karlsruhe)
Michael Hüblüber <strong>Daniel</strong> <strong>Roth</strong>Erfindung ist WahrheitSchächte, Stollen, unergründliche Gänge, die sich im Erdinnerenverlieren: Die Zeichnungen, Objekte und Installationen von<strong>Daniel</strong> <strong>Roth</strong> erinnern manchmal an eine bestimmte Art vonComputerspielen. Man betritt eine menschenleere Landschaft,und das einzige, das einen begleitet, ist das Bewusstsein, esmüsse da ein Geheimnis verborgen sein. Ein winziger Felsvorsprung,ein unscheinbares Stückchen Holz, eine spezielleSchraube in einer gleichmäßigen Reihe gleichartiger Schraubenkönnte den Schlüssel liefern zu einem neuen Abschnitt desSpiels. Hat man die richtige Stelle getroffen, geht ein Tor aufund öffnet den Zugang zu einem – meist unterirdischen – Pfad,auf dem neue ludische Herausforderungen warten. Wie ein Grubenarbeiter,ein Hauer oder ein Mineur gräbt sich der Spieler inein virtuelles Gebirgsmassiv hinein, und es sieht so aus, alswürde er tiefer und tiefer zum Erdkern vorstoßen. Dabei bewegter sich lediglich innerhalb der mathematischen Algorithmen,nach denen diese Produkte aufgebaut sind.Hier liegt ein erster wichtiger Unterschied zu den Arbeiten von<strong>Daniel</strong> <strong>Roth</strong>. Bei <strong>Roth</strong> dringt die reale Wirklichkeit ins Bild, undscheint sie noch so abwegig oder absurd zu sein. Da ist etwavon einem Kriegsschiff in einem Park die Rede, von einemSchiffsinnenraum nur wenige hundert Meter entfernt von einerHotellobby, fast so, als sei <strong>Roth</strong> während des Gestaltungsprozessesin einen Phantasy-Roman gerutscht. Aber die Umstände,die der Künstler im Begleittext zu seiner Arbeit beschreibt,basieren auf einer konkreten Situation. Das erwähnte Schiff istdie Puglia, ein Kreuzer aus dem Ersten Weltkrieg, den sich Gabrieled’Annunzio 1923 von der italienischen Marine schenkenließ und dessen vordere Hälfte bald darauf in die ausgedehnteGartenanlage seines Anwesens Vittoriale degli Italiani eingebautwurde. Ein Farbfoto der Puglia, deren Rumpf sich zwischen Zypressenund anderen Gewächsen in die Landschaft reckt, istTeil der Arbeit D’Annunzio - Pension Hohl (2000/2003), und wiemeist bei seinen größeren Arbeiten hat <strong>Daniel</strong> <strong>Roth</strong> auch hierunterschiedliche Gestaltungselemente zusammengebracht:Großformatige Zeichnungen, Fotografie, Leuchtschrift, einschwefelgelbes Objekt, das wie ein wuchtiger Sulfatbrocken aneine Wand montiert ist, bilden die Bausteine von D’Annunzio -Pension Hohl. Das real Greifbare wechselt mit visuellen Repräsentationenvon tatsächlichen oder fiktiven Gegebenheiten.Imaginäre WeltenDie Zeichnungen wirken als Bindeglieder zwischen den Realitätsebenen.<strong>Roth</strong> verknüpft in den strikt linear entwickelten Blätternzwei Optionen des graphischen Mediums. Die dokumentarische,positivistisch-exakte Wiedergabe offensichtlicherSachverhalte geht nahtlos über in die andere Seite des Zeichnens– in das freie Entwerfen und in die scheinbar punktgenaueDarstellung imaginärer Welten. So meint man etwa auf einer derD’Annunzio-Zeichnungen Pflanzen, Felsgestein und – sehr abstrahiert– den Rumpf der Puglia wahrzunehmen; alles deutetauf Landschaft und Außenraum, passt aber doch nicht bruchloszusammen, weil sich von oben eine Art Sonde in die Szenesenkt und durch drei Linien der Eindruck eines Innenraums simuliertwird, in dessen Decke sich eine viereckige Luke öffnet.Pforten, Tore, ein Durchlass oder Durchschlupf – das sind stetigwiederkehrende Motive in <strong>Daniel</strong> <strong>Roth</strong>s Kunst, und die Zeichnungdient dabei als Instrument, um in Bereiche zu gelangen, indenen der logische Zusammenhang außer Kraft gesetzt scheint.Dort, wo das nicht der Fall ist, bleibt zumindest ungewiss, obdas Bild auf Fakten beruht oder ob es bloßer Erfindung entwuchs.Die Spannung zwischen diesen beiden Möglichkeiten wirddurch fotografische Erzeugnisse wie Postkarten, Architekturaufnahmenoder vermeintliche Schnappschüsse aufrecht erhalten,ja aufgeladen. Zusammen mit den Zeichnungen und materiellenObjekten, die <strong>Roth</strong> für seine Installationen verwendet, bilden sieein lockeres Gefüge heterogener Elemente. Die Beziehungenzwischen ihnen bleiben rätselhaft, so dass man vermuten könnte,sie träfen zufällig aufeinander, gleichsam in der methodischenTradition des Comte de Lautréamont und seiner surrealistischenNachfolger. Tatsächlich sind jedoch die einzelnenBausteine der Arbeiten <strong>Roth</strong>s genauestens aufeinander abgestimmt.Dabei dienen die Fotos meist als Schwelle, über dieman auf weiter führende Erkenntniswege und in sich verzweigendeGedankengänge gelangt. So markiert etwa die KombinationD’Annunzio - Pension Hohl nicht nur den Gegensatzzwischen einer banalen Touristenunterkunft und dem quasisakralenLebensraum eines Dichters, der sich selbst als Seher(»Vate«) bezeichnete. Vielmehr bedeutet jede der beiden Aufnahmen,die zu der Arbeit gehören, einen Einstieg in die Geschichtedieser Orte. Dabei stellt sich dann heraus, dass diewerbewirksam aufbereitete Ansichtskarte der Pension Hohl keinenbeliebigen Beherbergungsbetrieb, sondern ein Gebäudeabbildet, das nur rund 200 Meter von d’Annunzios Vittoriale entferntliegt.In einem kleinen Begleittext suggeriert <strong>Roth</strong>, dass die zwei Örtlichkeitendurch einen unterirdischen Gang miteinander verbundenseien. Der Betrachter kann diese Behauptung nicht überprüfen.Was die beiden Orte aber zweifelsfrei verbindet, ist dieGeschichte des industrialisierten 19. Jahrhunderts, ist der Aufbruchin die Moderne, mit dem ein Ausbrechen aus zivilisatorisch-merkantilerEnge und die Suche nach Ursprünglichkeit,Natur und Sommerfrische einhergingen. Gegenden wie derGardasee waren gewissermaßen prädestiniert, diesem BedürfnisBefriedigung zu verschaffen. Das Großbürgertum ließ sich –zurückhaltend oder protzig, prunkvoll oder bescheiden – Villen3