»So habe ich im Sommer fest gearbeitet«Bartóks KontrasteBudapest, ein halbes Jahrhundert zuvor: »Nun wird also derRespekt und Einfluß dieses Lügnersystems in Europa nochmehr überhandnehmen. Man müßte weg irgendwohin – aberwohin?! […] Was nun mich anbelangt, so habe ich im Sommerfest gearbeitet: das Violinkonzert beendet, und zwei Stücke(auf Bestellung) für Szigeti und den amer. Jazz-KlarinettistenBenny Goodman geschrieben (eigentlich 3 Stücke, zusammen16 Minuten). Da aber damit ein[e] Ausschließlichkeit des Aufführungsrechtes– auf 3 Jahre – verbunden ist, so kann es hierin Europa so lange nicht gehört werden.« (Béla Bartók an dieVertraute Annie Müller-Widmann in Davos, 9. Oktober 1938)Der Geiger Joseph Szigeti erinnerte sich einige Jahrespäter: »Ich habe niemals ein Werk, das ausschließlich zu meinereigenen Verfügung gedacht war, in Auftrag gegeben; ichbrachte es auch ohne das irgendwie immer fertig, genug zutun zu haben. Am nächsten dran an einem „Auftrag“ war ich,als ich in einem Geistesblitz Benny Goodman den Vorschlagmachte, er solle mich dazu bevollmächtigen, Bartók zu fragen,ob er ein Stück für uns drei schreiben wolle – für Goodman,Bartók und mich – und Benny würde die finanzielle Absicherungübernehmen. Das Ergebnis war Kontraste, das wir mehrereMale spielten und auch aufnahmen. Über unsereEinstudierung erzählt Benny interessante Dinge in seiner AutobiografieThe Kingdom of Swing. Da gab es alle möglichenKomplikationen, unter anderem Bennys Hoffnung – jedochnicht seine Bedingung –, dass das Stück auch die richtigeLänge haben möge, um auf eine doppelseitige, 12-Inch-Langspielplattezu passen. Dies war nicht der Fall, und Bartókmeinte, sich für die „Überlänge“ irgendwie entschuldigen zumüssen, als er mir die Zeitkalkulation für das Stück nannte. Esist viel über dieses Werk geschrieben worden, aber eins istdabei immer übersehen worden: dass es nämlich am 24. September1938 in Budapest fertiggestellt wurde – an jenem Tagalso, als Hitlers Ansprüche auf das Sudetenland Europa beinaheschon in Flammen gesetzt hätten, so aber hatte er nochelf Monate länger Zeit für seine Aufrüstung […] Das Bild eines10 <strong>kammermusik</strong><strong>festival</strong><strong>hohenstaufen</strong>
Béla Bartók,Joseph Szigetiund BennyGoodman beieiner Aufnahme -probe derKontraste imColumbia-Studio in NewYork, April 1940kreativen Künstlers, der zu einer Zeit, in der die ganze Welt denAtem anhält, noch einmal sorgfältig letzte Hand an sein Werklegt, hat etwas Tröstendes und Aufmunterndes.« (With StringsAttached: Reminiscences and Reflections, New York, 1947)Als Bartók 1945 in New York starb, widmete ihm der Musikteildes Time Magazine vom 8. Oktober ganze sieben Zeilen.Das einzige darin erwähnte Werk des großen Komponistenwar das Trio, für das er von Goodman damals 300 $ erhaltenhatte. Über diesen »Nachruf« empörte sich Ernst Křenek ineinem Essay mit dem Titel Gespräch nach Mitternacht: »Diesesieben Zeilen sind für den Musiker beinahe genauso erschütterndwie der Inhalt der Notiz selbst. […] Man könnte den Eindruckgewinnen, daß Bartók diese beiläufige Erwähnunglediglich der Tatsache zu verdanken hat, dass eins seinerWerke mit Benny Goodmans „sanft dahinplätschernder Klarinette“in Zusammenhang gebracht werden kann. Denn wennes auch heißt, er habe zahlreiche Werke verfasst, so wird keinweiteres Werk von ihm namentlich erwähnt, und das eine ausgewähltenimmt allein drei von den ganzen sieben Zeilen desNachrufs in Anspruch.«<strong>kammermusik</strong><strong>festival</strong><strong>hohenstaufen</strong>11