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6 DOSSIER REF.INFO / KIRCHENBOTE BIRS / LAUFENTAL / 12. DEZEMBER 2006<br />

� heute sind es die stressige Erwerbsarbeit<br />

und die Konsumarbeit während<br />

der Freizeit. Das immense Warenund<br />

Dienstleistungsangebot bringen es<br />

nämlich mit sich, dass der moderne Konsument<br />

immer mehr Zeit aufwenden<br />

muss, um Dinge zu erwerben. Zwar wird<br />

ihm diese Konsumarbeit mit ungeheurem<br />

Werbeaufwand als lässiges Freizeitvergnügen<br />

schmackhaft gemacht. Letztlich<br />

bleibt er damit aber im ökonomischen<br />

Kreislauf von Erwerben-Konsumieren-Ausgeben<br />

gefangen. Und genau<br />

darum geht es: Dieser Kreislauf soll ununterbrochen<br />

und ungehindert in Gang<br />

gehalten und wenn möglich zeitlich<br />

noch ausgedehnt werden.<br />

FREIHEIT = KONSUMFREIHEIT? Damit<br />

wird ein weiterer Aspekt der neoliberalen<br />

Wirtschaft sichtbar: Nicht, was unsere<br />

Gesellschaft braucht, ist wichtig, sondern<br />

was gewissen ökonomischen Interessen<br />

am besten dient: Was für die Wirtschaft<br />

gut ist, ist auch für die Gesellschaft<br />

gut. Freiheit ist nichts anderes als<br />

individuelle Konsumfreiheit.<br />

Dass Freiheit auch ein kollektiv geschützter<br />

Raum der Ruhe und der<br />

Beziehungspflege, des Abschaltens und<br />

des Sichbesinnens sein könnte, kommt<br />

den wirtschaftsliberalen Geistern mit ihrem<br />

individualistisch verkürzten Freiheitsverständnis<br />

gar nicht mehr in den Sinn.<br />

Dabei geht es im ursprünglichen Verständnis<br />

des Ruhetags genau darum: um<br />

Unterbrechung, um eine zeitlich begrenzte,<br />

aber möglichst radikale Unterbrechung<br />

gerade der ökonomischen<br />

Zwänge! Und zwar nicht nur für jeden<br />

Einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaft.<br />

Denn bleibt die Unterbrechung<br />

nur individuell, kann sich die Besinnungskraft<br />

dieser Institution gar nicht<br />

entfalten.<br />

Die Gesellschaft als Ganze soll sich regelmässig<br />

unterbrechen lassen und zur<br />

Besinnung kommen. Das hat unsere gestresste,<br />

beschleunigte, in jeder Beziehung<br />

intensivierte moderne Lebensweise<br />

nötiger denn je. Hat nicht eine eidgenössische<br />

Kommission kürzlich gefordert,<br />

dass den Kindern mehr Ruhe gegönnt<br />

werden sollte, da sie in jeder Beziehung<br />

überreizt seien?<br />

Vielen Erwachsenen geht es nicht<br />

anders. Wenn diese Gesellschaft etwas<br />

braucht, dann bestimmt nicht noch mehr<br />

Zeit und noch mehr Orte zum Konsumieren.<br />

Was sie eigentlich braucht, ist tatsächlich:<br />

mehr Ruhe! Was sie eigentlich<br />

braucht. LUKAS SCHWYN<br />

Beim Ruhetag<br />

geht es um<br />

Unterbrechung,<br />

um eine möglichst<br />

radikale<br />

Unterbrechung<br />

der ökonomischen<br />

Zwänge<br />

LUKAS SCHWYN<br />

ist Pfarrer in Signau und<br />

Dozent für Ethik an der<br />

privaten Hochschule<br />

Wirtschaft (PHW) in Bern<br />

Kühe kennen keinen Feiertag: Bauer Felix Meisterhans aus Meisterschwanden im Stall beim Melken, der ganz normalen Sonntagsaufgabe.<br />

«Nach dem Fussball waren<br />

die Sonntagskleider verschwitzt»<br />

MEINUNGEN/ Eine Werberin, ein Lehrer, eine Hausfrau und ein DJ beschreiben ihren<br />

eigenen Sonntag. Jeder ist anders, doch eines ist für alle gleich: Der siebte Tag der Woche<br />

ist etwas besonderes. Und das möchte keine und keiner missen.<br />

GISELA WIDMER<br />

Sonntagsbraten<br />

Es war einmal eine Zeit, lange ist<br />

es her, als es am Sonntag Sonntagsbraten<br />

gab und alle am Tisch<br />

grosse Freude hatten. Das ist<br />

jetzt nicht mehr so.<br />

Logo lebt unsereins am Puls der<br />

Zeit. Weshalb ich ganz selbstverständlich<br />

zwei Sonntagsbraten<br />

bot: einen richtigen aus Fleisch<br />

und Blut für die karnivoren und<br />

einen falschen aus Sojamehl und<br />

Nüssen für die nur Pflanzen essenden<br />

Gäste.<br />

Dann kamen die Ersten – Panik-<br />

Röbi und Gemahlin Dorothe –,<br />

und das Sonntagsbratendebakel<br />

begann: Röbi, einer der letzten<br />

grossen Fleischesser des frühen<br />

21.Jahrhunderts, hatte an diesem<br />

Morgen wohl einen Do-it-yourself-Cholesterintest<br />

gemacht. Jedenfalls<br />

waren sämtliche zehn<br />

Fingerspitzen mit Heftpflaster<br />

verklebt, und er wollte partout<br />

nichts anderes mehr zu sich nehmen<br />

als «vielleicht ein Gläschen<br />

Lebertran, weil nur Eskimos garantiert<br />

keinen Herzinfarkt kriegen».<br />

Fast zeitgleich verriet Gemahlin<br />

Dorothe, dass sie momentan<br />

auf einer Hay-Diät sei und<br />

darum keine Kohlenhydrate mit<br />

Proteinen oder umgekehrt mischen,<br />

also sozusagen gar nichts<br />

essen dürfe.<br />

Ich reduzierte die Ofentemperatur<br />

auf 140 Grad.<br />

Als Zweite kamen Elsi und Emilio.<br />

Sie erzählten vom «grossen Ur-<br />

Anfang Tai-ki», leiteten über zum<br />

«männlich-schöpferischen Prinzip<br />

Yang», berichteten dann vom<br />

«weiblich-empfangenden Prinzip<br />

Yin» und eröffneten mir, dass sie<br />

momentan in einem Yin-Defizit<br />

steckten, weshalb sie meinen mit<br />

Zwiebeln, Erdnüssen und Karotten<br />

(Yang-Gemüse) an.<br />

SAMUEL GEISER<br />

Sonntagnachmittag<br />

Verregneter Sonntagnachmittag<br />

in den Sechzigern: Mutter am<br />

Stubentisch, angestrengt über<br />

ein Kreuzworträtsel gebeugt,<br />

Vater hinter der «Zofinger Zeitung»<br />

(so hiess die Sonntagszeitung<br />

damals) im Fauteuil versunken,<br />

und der zwölfjährige<br />

Sohn, auf dem Liegebett, mit<br />

Karl May im wilden Kurdistan in<br />

waghalsige Abenteuer verstrickt.<br />

Eine schläfrige Stille<br />

liegt über diesen weit auseinander<br />

liegenden Oasen, wohin die<br />

drei mit ihren Gedanken und<br />

Sehnsüchten geflohen sind.<br />

Aber wehe, Mutter hat das letzte<br />

Feldchen mit Buchstaben gefüllt<br />

und das Kreuzworträtsel auf die<br />

Seite gelegt und geht jetzt zum<br />

Plattenspieler, um die Ouvertüre<br />

zu «Wilhelm Tell» oder den Gefangenenchor<br />

aus «Nabucco»<br />

aufzulegen. Zwar leise nur. Doch<br />

den Sohn im fernen Kurdistan<br />

elektrisiert das. Er schnellt zum<br />

Familienradio und kurbelt nervös<br />

an den Knöpfen: Mittelwelle,<br />

Beromünster. «Sport und Musik».<br />

Auch er habe ein Recht auf<br />

Musik, auf seine Musik, jammert<br />

er. Nur Vater kann den Kulturkampf<br />

um den Äther im Wohnzimmer<br />

dämpfen. Er besitzt eine<br />

Geheimwaffe: Fast ohne die Zeitung<br />

zu senken, fragt er: «Muss<br />

ich mich wohl ans Harmonium<br />

setzen und ein Lied aus dem<br />

‹Psalter› anstimmen?»<br />

MARIANNE VOGEL KOPP<br />

Sonntagsschule<br />

Ich bin im letzten Jahrhundert in<br />

die Sonntagsschule gegangen.<br />

Meine frommen Eltern haben<br />

dieser christlichen Erziehung<br />

nicht zuletzt deshalb Vorschub<br />

geleistet, weil wir Kinder – wir<br />

waren zu viert! – damit allsonntäglich<br />

gut betreut ausser Haus<br />

waren. Also, da war einmal die<br />

Sonntagsschule der <strong>ref</strong>ormierten<br />

Kirchgemeinde, die parallel<br />

zum Gottesdienst stattfand. Anschliessend<br />

wechselten wir hinüber<br />

in den «Hoffnungsbund»<br />

vom Blauen Kreuz. Dort sorgte<br />

Grossonkel Ernst, ein pensionierter<br />

Lehrer, für die eindrücklichen,<br />

Abstinenz fördernden Experimente:<br />

Das Stück Zucker,<br />

mit Alkohol übergossen, wurde<br />

tatsächlich steinhart! Neben<br />

ihm erschütterte Tante Marieli<br />

mit rührenden Kinderschicksalen<br />

unser Gemüt. Am Nachmittag<br />

stand dann noch die Kinderbibelstunde<br />

der lokalen Chrischonagemeinde<br />

auf dem Programm.<br />

Ich kann es nicht leugnen:<br />

Meine Seele war offen, und<br />

das Buch der Bücher hat sich<br />

nachhaltig darin eingenistet.<br />

Womit nun endgültig geklärt wäre,<br />

wie ich zur Theologie gekommen<br />

bin.The silly Macintoshes<br />

abused five quite speedy<br />

elephants, because one<br />

pawnbroker laughed, yet five<br />

Macintoshes auctioned off two<br />

irascible wart hogs. Five Macintoshes<br />

ran away, although umpteen<br />

chrysanthemums marries<br />

two trailers,<br />

RICHARD REICH<br />

Sonntagsschuhe<br />

Sagt jemand Sonntagsschuhe,<br />

denke ich an die Sechzigerjahre.<br />

Damals marschierte ich jeden<br />

Sonntagmorgen in unsere Dorfschule,<br />

wo mangels Kirche der<br />

Gottesdienst stattfand. Unser<br />

Pfarrer war ein Progressiver, er<br />

predigte meistens im Anzug,<br />

und auch wir Kinder hatten unsere<br />

besten Kleider und Schuhe<br />

an. In diesem festlichen Aufzug<br />

standen wir hinter der Gemeinde<br />

und warteten darauf, dass<br />

der Pfarrer nach einer Viertelstunde<br />

Gottesdienst sagte: «Die<br />

Kinder gehen jetzt in die Sonntagsschule»,<br />

was wir noch so<br />

gern taten. An die Sonntagsschule<br />

selber habe ich zwar wenig<br />

Erinnerungen, dafür an die<br />

Zeit danach: Kaum hatten wir<br />

aus, stürmten wir auf den Pausenplatz,<br />

um Fussball zu spielen<br />

– ein Vergnügen, das regelmässig<br />

in eine Katastrophe mündete.<br />

Weil nämlich der Pausenplatz<br />

gekiest war, schlug man sich die<br />

Knie blutig, und spätestens bei<br />

Halbzeit waren die Sonntagskleider<br />

verschwitzt, die Schuhe<br />

verstaubt. «Ich habe fünf Tore<br />

geschossen!», brüllte ich begeistert,<br />

wenn ich später (zu spät)<br />

an den familiären Mittagstisch<br />

stürmte. «Schön, aber wie sehen<br />

denn deine Sonntagsschuhe<br />

aus?!», seufzte meine Mutter<br />

dann resigniert, sogleich sekundiert<br />

von meinem Vater, der<br />

sonst nicht zu Volksweisheiten<br />

neigte: «Rechte Leute erkennt<br />

man an ihren Schuhen, mein<br />

Sohn!» Noch tiefer aber hat sich<br />

ein Satz eingeprägt, den mir<br />

mein älterer Bruder an jenem<br />

Festtag sagte, als ich erstmals in<br />

die Stadt aufs Gymnasium durfte:<br />

«Ab heute, Brüderchen.

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