Christel Wemheuer und Jürgen Trittin - Pony
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how i ended this summer von Alexei Popogrebsky aB 1.9. ÜBer uns das aLL von Jan Schomburg<br />
aB 15.9.<br />
Katz <strong>und</strong> Maus im ewigen Eis Nuancen von Bedeutung<br />
Andreas Busche<br />
wer freiwillig einen Job am Nordpolarkreis annimmt,<br />
ist entweder nicht ganz dicht oder er hat<br />
was auf dem Kerbholz. Für den wortkargen Sergei<br />
gilt zweifellos Ersteres. Er arbeitet seit Jahren auf<br />
einer entlegenen Wetterstation im arktischen Meer,<br />
kontrolliert den Grad der Radioaktivität dieser kargen<br />
Gegend. Hin <strong>und</strong> wieder schreibt er eine SMS<br />
an seine Frau. Der junge Pavel sitzt die meiste Zeit<br />
in der Gegend herum, hört Musik oder spielt einen<br />
Ego-Shooter. Mit Sergei zu reden, ist kein Vergnügen:<br />
Meist bekommt der »Praktikant« blöde Sprüche<br />
zu hören, oder es setzt Hiebe. Pavel hatte sich<br />
seine dreimonatige Forschungsreise wirklich etwas<br />
abenteuerlicher vorgestellt: Während Sergei zum<br />
Fischen rausfährt, bewacht er das Funkgerät. Zum<br />
Glück ist das Ende des Sommers in Sicht. Ein Schiff<br />
soll die beiden in einer Woche abholen.<br />
Alexei Popogrebskys dritter Spielfilm »How I Ended<br />
This Summer« ist eine lakonische Studie über<br />
Einsamkeit. Drei Monate verbrachte das Drehteam<br />
auf einer verlassenen Wetterstation. Die Bilder sehen<br />
spektakulär aus, zeigen ewiges Eis, endlose Horizonte<br />
<strong>und</strong> atemberaubende Gletscher. Dass die beiden<br />
Protagonisten in dieser Kulisse nicht verschwinden,<br />
verdankt der Film seinem Hang zu subtiler Komik am<br />
Rande des Lagerkollers. Gleichwohl könnte »How I<br />
Ended This Summer« fast in kleinteiligen Arbeitsroutinen<br />
<strong>und</strong> dem meditativen Fluss der Tagesabläufe<br />
erstarren. Es kommt dann aber noch anders: Pavel<br />
erhält über Funk eine Nachricht von Sergeis Familie,<br />
die er Sergei aus Feigheit verschweigt. Zunächst<br />
ist er damit beschäftigt, seinen Kollegen vom Funksprechgerät<br />
fernzuhalten. Als er ihm die Nachricht<br />
schließlich doch übermittelt, dreht Sergei durch. Die<br />
Arbeitskollegen liefern sich eine Jagd im ewigen Eis.<br />
Popogrebsky treibt seine Geschichte mit stoischer<br />
Gelassenheit auf die Spitze, ohne dass »How I Ended<br />
This Summer« darüber seinen lakonischen Ton verliert.<br />
Die Einstellungen bleiben ruhig <strong>und</strong> dokumentarisch.<br />
Nur einmal, als Pavel vor einem Eisbären fliehen<br />
muss, wird der Schnitt etwas hektischer. Doch so wie<br />
Popogrebsky diese ungeschickte Flucht inszeniert,<br />
muss man sofort an Aki Kaurismäki denken, bei dem<br />
Drama <strong>und</strong> Komödie ähnlich dicht beieinander liegen.<br />
Das Katz-<strong>und</strong>-Maus-Spiel zwischen Sergei <strong>und</strong> Pavel<br />
nimmt fast schon sportive Züge an – beinahe so, als<br />
würden sich die Männer schlicht die Zeit vertreiben.<br />
Eisbären können das unmöglich verstehen.<br />
Russland 2009 | 124 Min. | Grigory Dobrygin | Sergei Puskepalis u. a.<br />
zuletzt anhand der unterschiedlichen Lesarten, die<br />
der Film offeriert. Und um die Hitchcock-Analogie<br />
noch ein wenig weiter zu strapazieren: Ȇber uns das<br />
All« wäre <strong>und</strong>enkbar ohne seine faszinierende, blonde<br />
Hauptdarstellerin Sandra Hüller. Mit ihrer Präsenz, ihren<br />
Blicken <strong>und</strong> allerkleinsten Gesten füllt sie die Leinwand<br />
aus wie sonst kaum eine andere im deutschen<br />
Gegenwartskino. Ihr Spiel erschafft eine Figur jenseits<br />
aller Klischees. Der Boden wird ihr jäh unter den Füßen<br />
weggerissen; <strong>und</strong> auch wenn es bedeutet, die Realität<br />
ein Stück weit zu leugnen, stellt sie sich einem<br />
Neuanfang, so schmerzhaft er auch sein mag.<br />
In der kompakten Komposition von Ȇber uns das<br />
All« ist jedes Bild von elementarer Bedeutung, jede<br />
Nuance eines Stimmungsumschwungs präzise platziert.<br />
Der Perspektivenwechsel in der Mitte des Films<br />
erweitert den klassischen Suspense-Thriller des Anfangs<br />
um eine psychologische Tiefe, die für ein Erstlingswerk<br />
außerordentlich ist. Nicht nur unter den<br />
aktuellen deutschen Produktionen ragt Schomburgs<br />
Arbeit weit hervor: »Über uns das All« ist selbst im internationalen<br />
Vergleich einer der bemerkenswertesten<br />
Filmbeiträge des Kinojahres 2011.<br />
D 2011 | 88 Min. | Sandra Hüller | Georg Friedrich | Felix<br />
Knopp u. a.<br />
22 Kino Kino<br />
23<br />
Carsten Happe<br />
wann kennt man einen Menschen wirklich? Wann sind<br />
seine Geheimnisse keine dunklen Schatten mehr?<br />
Wann wächst eine Beziehung derart fest zusammen,<br />
dass sie nichts <strong>und</strong> niemand ins Wanken bringen könnte?<br />
Martha Sabel glaubt, diese seltene Art von Glück gef<strong>und</strong>en<br />
zu haben. Die Ehe der jungen Lehrerin mit Paul,<br />
einem angehenden Mediziner, verläuft augenscheinlich<br />
überaus harmonisch. Seine Doktorarbeit sei zudem<br />
ein Meilenstein auf ihrem Gebiet, so Pauls Professor.<br />
Ein Jobangebot aus Marseille ermöglicht den<br />
ersehnten Karrieresprung, birgt aber auch die latente<br />
Gefahr der Veränderung. Paul fährt voraus, während<br />
Martha den Umzug regelt. Bis die Nachricht von Pauls<br />
Selbstmord alles einstürzen lässt, was Marthas Leben<br />
bislang zusammenhielt. Die Doktorarbeit – ein Plagiat,<br />
so ein Professor – hat ihren »Verfasser« nie zuvor gesehen.<br />
Pauls gesamtes Leben: eine einzige Lüge.<br />
»Aus dem Reich der Toten« lautete seinerzeit der<br />
Untertitel von »Vertigo«. Auch wenn es vermessen<br />
scheint, Jan Schomburgs Debütfilm in einem Atemzug<br />
mit Alfred Hitchcocks Meisterwerk zu nennen,<br />
birgt »Über uns das All« doch einige Momente, deren<br />
gedankliche Größe <strong>und</strong> Abgründigkeit ihn in die<br />
Umlaufbahn dieses Klassikers katapultieren – nicht