Christel Wemheuer und Jürgen Trittin - Pony
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Die Platten am Anfang ihrer Alben integriert. Diesmal fiel die Wahl auf ein<br />
Vier Farben Bass<br />
der ausklingende Sommer bringt vier<br />
Farben Bass – <strong>und</strong> das ist nur ein Mini-<br />
Ausschnitt eines exzellenten Jahres.<br />
Zomby, der Produzent, der seine Identität<br />
nicht preisgeben möchte, hat Dubstep mit geprägt.<br />
Ein Happy-Hardcore-Album hat er veröffentlicht,<br />
<strong>und</strong> klang dabei immer frisch <strong>und</strong> selbst<br />
anbauend. Für »Dedication« ist er zum Indie 4 AD<br />
gewechselt, zu einer Firma also, die bereits Lieblingen<br />
wie den Cocteau Twins <strong>und</strong> den Pixies ein Zuhause<br />
bot. »Dedication« ist eine Überraschung:<br />
hochkonzentrierte Bassforschermusik für Zuhause.<br />
Jede Tonspur ist entschieden gesetzt, jeder Fiep<br />
feinjustiert. Was dabei an jugendlichem Vorpreschen<br />
verloren gehen mag, wird durch Dramaturgie<br />
ersetzt: Hochspannung, ein Album für die<br />
Endlosschleife.<br />
Mehr »street« dagegen klingt »Room(s)«, das<br />
neue Album von Machinedrum. Was für eine<br />
Überraschung es doch war: Hinter dem zärtlichverträumten<br />
Post-Step des Hotflush-Acts Sepalcure<br />
verbirgt sich Travis Stewart. Der New Yorker hat<br />
sich mit räumlich ausbalancierter Electronica seit<br />
mehr als zehn Jahren einen Namen machen können.<br />
Jetzt kehrt er zurück unter seinem gewohnten<br />
Pseudonym Machinedrum <strong>und</strong> sorgt mit dem Album<br />
»Room(s)« auf Planet Mu schon wieder für Irritationen:<br />
mit seriell gecutteten, in der Tonhöhe beschleunigten<br />
Wirbelstürmen.<br />
Wobei betont werden muss, dass es noch krasser<br />
geht: Mit DJ Diamonds »Flight Muzik«<br />
(Planet Mu) veröffentlicht zum ersten Mal ein<br />
europäisches Indie-Label aus dem Hardcore-Continuum-Kontext<br />
ein Juke-Solo-Album. Neben dem<br />
mächtigen Kick ist es die Zeitorganisation, die diese<br />
Musik so glitzern <strong>und</strong> gegenwärtig erscheinen lässt.<br />
Mit dem Time Stretch, dem Zerdehnen der Zeit, hatte<br />
Drum ‚n‘ Bass vor etwa fünfzehn Jahren in das<br />
Zeitempfinden beim Anhören elektronischer Musik<br />
eingegriffen. Wer zum ersten Mal Tracks von<br />
Goldie hörte, diesem stilprägenden Terminator aus<br />
dem Jahr 1992, dem offenbarte sich die akustische<br />
R<strong>und</strong>umperspektive eines konkreten Moments. Der<br />
24-jährige Karlis Griffin von der West Side Chicagos<br />
hält diesen Blick fürs Genre Juke auf ganzer Track-<br />
Länge, nicht zuletzt auf dem nach seiner Produzenten-Clique<br />
benannten Longplayer »Flight Muzik«.<br />
Es ist tatsächlich möglich, sich unter diese Musik<br />
zu schmeißen. Was im Film bereits vor gut zehn<br />
Jahren möglich war – als sich Keanu Reeves unter<br />
den Kugeln der Matrix-Agenten wegduckte. Reingehen,<br />
von oben drauf blicken, Musik als zeitbasiertes<br />
Medium sofort begreifen, ohne dass Zeit überhaupt<br />
Thema wäre. Erstaunlich.<br />
Das Album mit dem Popappeal ist schließlich<br />
das selbstbetitelte Debüt des Londoners Aaron Jerome,<br />
der lange ein Geheimnis um das Pseudonym<br />
SBTRKT gemacht hat. Seine gleichnamige Stücke-<br />
Sammlung auf dem Younk-Turks-Label zeigt: Er hat<br />
einen Sinn für den jüngeren, zerbeulten Instrumental-HipHop,<br />
die Champagner-Eleganz des 2-Step <strong>und</strong><br />
überhaupt die ganze Subwoofer-Historie. Seine Slow-<br />
Motion-Hymne »Wildfire« schleicht durch 808s <strong>und</strong><br />
dezente Subbässe <strong>und</strong> legt sich wie eine Schmusekatze<br />
auf den Sommer. Nur einer von vielen Hits, die<br />
durch ihre Mitsingqualitäten niemals cheesy wirken,<br />
sondern immer den Enthusiasmus des Do-it-yourself<br />
beibehalten: Ab in die Disco! Christoph Braun<br />
the rapture In the Grace of Your Love<br />
DFA | Cooperative Music | Universal<br />
vieLLeicht kann man »Sail Away«, den ersten<br />
Song auf dem neuen Album von The<br />
Rapture, mit »Lisztomania« von<br />
Phoenix vergleichen: Denn so wie der<br />
Opener auf der gleichnamigen Platte unserer französischen<br />
Lieblingspopband ist auch »Sail Away«<br />
der kaum zu überbietende, superhymnische Auftakt<br />
eines freilich auch auf Gesamtlänge verdammt hymnischen<br />
Albums. Ein weiteres Mal wird hier überzeugend<br />
demonstriert, wie viel Dancepopplatten<br />
modernen Möglichkeiten der Kompression zu verdanken<br />
haben – so satt brummen <strong>und</strong> rollen die<br />
(synthetischen) Bässe <strong>und</strong> Bassmelodien. Das gerade<br />
gespielte Schlagzeug treibt einen geradewegs auf<br />
den Dancefloor, <strong>und</strong> Sänger <strong>und</strong> Gitarrist Luke Jenner<br />
gibt einem als wahnsinnig verliebter, todunglücklicher,<br />
aufgekratzt aus Haut <strong>und</strong> Herz fahrender<br />
Sänger & Entertainer einer virtuellen Disco den<br />
Rest. Also gerade genug.<br />
Die Entwicklung ihres Labels DFA legte den Gestaltwandel<br />
von The Rapture von einer nervös zuckenden<br />
Neo-Postpunkband zur (Retro-)Discopopband<br />
durchaus nahe. Die Frage, ob das Album des New<br />
Yorker Trios – Bassist Matt Safer ist fort – ein weiteres<br />
Beispiel ist für die grassierende »Retromanie«,<br />
darf man ohne Umschweife bejahen. Gleichwohl<br />
taugt diese Beobachtung – wie übrigens bei<br />
allen Bands, die herausragend sind – kaum als Vorwurf.<br />
Denn es ist ja so, dass zwingende Ideen, w<strong>und</strong>erschöne<br />
Hooks, verschwenderisch verabreichte<br />
Dosen von Energie immer schon genug sind – fürs<br />
Publikum, für sich, für die Welt der Musik. Ist die ästhetische<br />
Qualität hoch <strong>und</strong> doll genug, schrumpft<br />
der Diskussionsbedarf gegen null. Das Spektakel genügt<br />
sich selbst, weil es jedes Motiv <strong>und</strong> jede Konsequenz<br />
beseitigt. Es ist die Feier des Augenblicks.<br />
Doch Augenblicke sind schnell vorüber. Genau wie<br />
dieses Album. Michael Saager<br />
devon sprouLe I Love You, Go Easy<br />
Tin Angel Records | Indigo<br />
vergLeichBar mit der frühen Joni Mitchell<br />
oder auch mit Joanna Newsom, repräsentiert<br />
jedes Album von Devon Sproule<br />
einen Lebensabschnitt. Zeichneten<br />
ihre »Upstate Songs« (2003) jenen<br />
New-York-Exkurs der Ökodorf-Sozialisierten aus<br />
Virginia in leiser Folk-Blues-Manier nach, so beschrieb<br />
»Keep Your Silver Shined«(2007) auf mitreißend<br />
swingende Weise ihre Hochzeit mit Paul Curreri<br />
<strong>und</strong> »Don‘t Hurry for Heaven« (2009) gewitzt<br />
den Alltag eines heimatverb<strong>und</strong>enen Songwriter-<br />
Pärchens, das vorwiegend in Europa unterwegs ist.<br />
Auch der mit Klarinette, Querflöte <strong>und</strong> Posaune facettenreich<br />
arrangierte Folk-Jazz des neuen Werks,<br />
das in Sproules Geburtsstadt Toronto mit Sandro<br />
Perri (Constellation Records) als Produzenten <strong>und</strong><br />
dem Postrock-Trio The Silt als Backingband aufgenommen<br />
wurde, lebt vom optimistischen Tenor ihrer<br />
Poesie. Selbst wenn es um todkranke Fre<strong>und</strong>innen<br />
<strong>und</strong> Grenzen partnerschaftlicher Empathie<br />
geht, findet die 29-Jährige den richtigen, da nie sentimentalen<br />
Ton.<br />
Bei einer so versierten Künstlerin ist es natürlich<br />
spannend zu sehen, welche Fremdkompositionen<br />
sie in die dramaturgisch durchdachte Liederfolge<br />
32 Jahre altes Lied der Free-Folk-Schwestern The<br />
Roches (»Runs in the Family«), das sich zwischen<br />
»Monk/Monkey«, einer »Knapp-vor-dreißig«-Reflexion<br />
im Lullabye-Stil, <strong>und</strong> dem an Crazy Horse erinnernden<br />
»The Warning Ball« ebenso gut einfügt<br />
wie »Body‘s in Trouble« der kanadischen Postpunk-<br />
Ikone Mary Maragret O‘Hara hinter Devons zärtlichem<br />
Nachruf an die beste Fre<strong>und</strong>in (»The Faulty<br />
Body«). Der beschwichtigende <strong>und</strong> gleichsam aufmunternde<br />
Albumtitel ist bei dieser tollen Songkollektion<br />
Programm! Markus von Schwerin<br />
fire! (with Jim o’rourKe) Unreleased?<br />
Rune Grammophon | Cargo<br />
der Ausflug nach Tokio hat Fire! wirklich<br />
gut getan. Beim Debüt »You Liked Me<br />
Five Minutes Ago« (2009) fiel das norwegische<br />
Supertrio noch in seine Bestandteile<br />
auseinander: etwas The-Thing-Power,<br />
eine Prise Wildbirds-&-Peacedrums-Exzentrik <strong>und</strong><br />
ein paar Tape-Experimente, die sich energetisch von<br />
hinten an alten Blues <strong>und</strong> Captain Beefheart heranmachten.<br />
Jetzt hat man Jim O’Rourke in seiner Wahlheimat<br />
aufgesucht – <strong>und</strong> der alte Kämpe, um den es<br />
nach seinem Ausstieg bei Sonic Youth <strong>und</strong> der Umsiedlung<br />
nach Tokio etwas still geworden war, ist<br />
hier als Musiker <strong>und</strong> Produzent mit von der Partie.<br />
Großartig das Beharren der Rhythmusgruppe,<br />
bestehend Johan Berthling (Bass) <strong>und</strong> Andreas<br />
Werlin (Schlagzeug), wenn Gustafsson seltener<br />
als gewohnt die One Man Army am Saxophon gibt,<br />
wenn O’Rourke den altmodischen Synthesizer oder<br />
die M<strong>und</strong>harmonika auspackt oder die Gitarre traktiert.<br />
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: »Unreleased?«<br />
bietet eher Kraut-Rock-Abfahrten <strong>und</strong><br />
Drones als Free Jazz. Wer noch The Gun Club in deren<br />
Coltrane-Phase live erlebt hat, dürfte sich hier<br />
sehr heimisch fühlen. Und die Idee mit dem »Unreleased?«<br />
nimmt ja auch hübsch ironisch den gegenwärtigen<br />
Hang zur Nostalgie aufs Korn: Heutzutage<br />
wird ja wirklich alles auf die eine oder andere Weise<br />
(wieder-) veröffentlicht. Gleichwohl gab es tatsächlich<br />
Zeiten, da fragten erschöpfte, euphorisierte Zuhörer<br />
die Band nach dem Konzert: »Are you both<br />
still unreleased!?« – als Ausdruck eingestandener<br />
Komplizenschaft. Großes Album! Ulrich Kriest<br />
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