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Reportagen - Interviews - Hintergründe - Haller Kreisblatt

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NeueZeiten,neueSeiten<br />

Vom sprechenden Knochen<br />

zum Land der Sendeantennen<br />

Der Siegeszug der Handys oder ein Statussymbol wird Allgemeinbesitz<br />

VONANDREASGROßPIETSCH<br />

¥ Altkreis Halle(HK).VomStatussymboleiniger<br />

weniger zum<br />

fast unverzichtbaren Störenfried<br />

für fast alle Menschen –<br />

auch solässt sichkurz dieEntwicklung<br />

des mobilen Telefonierens<br />

umschreiben.Zwar gab<br />

es auch1982 schondieMöglichkeit,unabhängig<br />

vom Festnetz<br />

zu telefonieren,doch voneinem<br />

Handy hätte angesichts kiloschwerer<br />

Geräte niemand zu<br />

sprechengewagt.<br />

»Autotelefon« lautete die Bezeichnungdamals,als<br />

das <strong>Haller</strong><br />

<strong>Kreisblatt</strong>gerade100 Jahrealt geworden<br />

war. Ein durchaus passender<br />

Name,dennmankonnte<br />

Recycling: Auch längst erloschene<br />

Industrieschornsteine haben wieder<br />

eine sinnvolleAufgabe.<br />

schon ein Automobil brauchen,<br />

um angesichts von Stromverbrauch<br />

undGewicht der Geräte<br />

zummobilenTelefonieren übergehen<br />

zu können.UndbeiGerätepreisen<br />

um die 12000 Mark<br />

waren ohnehin die wenigsten<br />

Menschen in der Lage, dieses<br />

technische Wunder zu nutzen.<br />

Einmonatlicher Grundpreis von<br />

270 Mark undextremhoheGebührenfür<br />

Anrufeebenso wiefür<br />

Anrufer taten das Übrige, um<br />

das mobileTelefonieren zumexklusivenVergnügender<br />

Reichen<br />

undMächtigen zu machen.<br />

Das wurde anders, als 1985<br />

das so genannte C-Netz inBetrieb<br />

ging. Die ersten mobilen<br />

Telefone dieser<br />

Art waren mit<br />

dem Adjektiv<br />

»tragbar« versehen–angesichts<br />

von Größe und<br />

Gewicht eines<br />

Kofferradios einedurchausangemesseneAusdrucksweise.<br />

Zum unverzichtbaren<br />

»Lifestyle-<br />

Accessoire«<br />

taugte so etwas<br />

natürlich nicht.<br />

Was nicht so<br />

schlimm war,<br />

weil sich dieser<br />

Begriff ebenfalls<br />

noch nicht eingebürgert<br />

hatte.<br />

Immerhin war<br />

man mit einem<br />

C-Netz-Telefon<br />

aber (fast) im<br />

ganzenLand unter<br />

einer einheitlichen Telefonnummer<br />

erreichbar geworden.<br />

Ebenfalls noch nicht in den<br />

allgemeinen Sprachgebrauch<br />

eingegangen war der Begriff<br />

»Handy« – übrigens eine zwar<br />

amerikanisch-englischklingende<br />

Wortschöpfung, die aber aus<br />

Deutschland kommt und sich<br />

weltweit durchzusetzen scheint.<br />

Eines der erstenGeräte,das diese<br />

Bezeichnung verdient gehabt<br />

hätte, war das »Motorola International<br />

3200«. Das kam aus<br />

Amerika, wo man übrigens anstatt<br />

von Handys lieber von<br />

»Cell-Phones« spricht, wurde<br />

Armlang:Das Motorola International<br />

3200 markiert denAnfang<br />

einer dynamischenEntwicklung.<br />

74<br />

aber inDeutschland nicht als<br />

Handy bekannt,sondern erhielt<br />

den schönen Spitznamen »Der<br />

Knochen«.<br />

Ein Pfund schwer, fast einen<br />

halbenMeter lang und von seiner<br />

Form her etwas an einenKnochenerinnernd–<br />

solautet dieeine<br />

Erklärung für diesen etwas<br />

seltsamenNamen.Eine vielleicht<br />

nicht wahre,aber hübschereGeschichteist<br />

dieAbleitungdes Namens<br />

von der 70er-Jahre-Fernsehserie<br />

»Catweazle«. Dieser<br />

Catweazle war einZauberer aus<br />

dem Mittelalter, der in der damaligen<br />

Jetztzeit gelandet war.<br />

UndnaturgemäßelektrischeGeräte<br />

als mächtige Zaubereien<br />

identifizierte –<br />

unddas Telefon<br />

als »sprechenden<br />

Knochen«<br />

bezeichnete.<br />

Wo-ran sich einige<br />

erinnerten,<br />

die diesen Namen<br />

für das<br />

Motorola International<br />

3200<br />

prägten.<br />

Doch das legendäre<br />

Gerät<br />

erlitt das Schicksal,<br />

das allen<br />

mobilen Telefonen<br />

quasi am<br />

Tag ihrer Herstellungeingebaut<br />

ist: Es war<br />

mit demTagdes<br />

Verkaufs veraltet.Das<br />

nächste<br />

Modell ist immer<br />

das bessere,<br />

ist leichter,kleiner<br />

und mit mehr Funktionen<br />

ausgestattet.DieneuestenWinzlingehabenInternet-Zugang,spielenMusikab<br />

und sindinder Lage,<br />

noch etwas wackeligeFotos<br />

oder sogar<br />

Videos aufzunehmen<br />

und an<br />

andere zu versenden.<br />

Diese Vorteile<br />

überzeugten immer<br />

mehr Menschen,bis es im<br />

Jahr 2000 erstmals vollbracht<br />

war:Es gabmehr Mobiltelefon-<br />

Anschlüsse als solche fürs Festnetz.NeueGeräte<br />

vereinen sogar<br />

Land der Antennen:EinPlätzchen<br />

findet sich überall– steteErreichbarkeit<br />

hat ihrenPreis.<br />

beides ineinem undauchder Tag<br />

des tragbaren Miniaturfernsehens<br />

mit Live-Verbindunginalle<br />

Winkel dieser Erde dürfte nicht<br />

mehr fern sein.<br />

Doch währenddieGeräteimmer<br />

kleiner und unauffälliger<br />

wurden,haben sichdieBegleiterscheinungen<br />

zu unübersehbaren<br />

Installationen in der Alltagswelt<br />

gemausert.Keinhohes Gebäude<br />

mehr ohne Sendeanlage, selbst<br />

schonlangenicht mehr rauchende<br />

Schornsteine sind plötzlich<br />

wieder nützlich. Woes nicht anders<br />

geht, wird halt ein Sendemast<br />

indieLandschaft gebaut –<br />

die ständige Erreichbarkeit hat<br />

ihrenPreis nicht nur für Handy-<br />

Nutzer.<br />

Zudem gerät der Vorteil der<br />

Handys inzwischen oft auch zu<br />

ihrem Nachteil. Telefonierende<br />

MitmenscheninEisdielen,Nahverkehrszügen<br />

oder gar beim<br />

Konzert nerven ebenso wie die<br />

Klingeltöne ihrer Handys. Die<br />

Bitte umAbschaltungder Geräte<br />

gehört zu den(oft genug<br />

missachteteten) Standardfloskeln<br />

zu Beginn<br />

jeder Rede.<br />

Der wahre Luxus,<br />

so wurde auch<br />

schon propagiert,<br />

sei nicht mehr die<br />

ständigeErreichbarkeit<br />

– sondern der<br />

freiwillige Verzicht darauf.SiehättedasZeug,zumneuen<br />

Statussymbol zu werden –<br />

aber wer kann sichdas schonleisten?

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