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Wunsch_2012 - Das Lebendige bei Heidegger - Philosophie

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gemessen <strong>Heidegger</strong> die Grundfrage der traditionellen philosophischen Anthropologie, wasder Mensch sei, hält. Denn sie fragt nicht nach einem existenzialen Strukturzusammenhang,den wir jeweils selbst instantiieren, sondern nach etwas vermeintlich Vorhandenem. Entsprechenderklärt <strong>Heidegger</strong> mit Bezug auf die traditionelle Bestimmung des Menschen als zÖonlógon Écon: „Die Seinsart des zÖon wird aber hier verstanden im Sinne des Vorhandenseinsund Vorkommens.“ (Ebd., 48)Die Kritik, die <strong>Heidegger</strong> auf diese Weise gegen die traditionelle Anthropologie eröffnet,hat jedoch eine Kehrseite, die von ihm in Sein und Zeit nicht reflektiert wird. Der begrifflicheRahmen von Existenz und Vorhandenheit, von Existenzialien und Kategorien ist zugrob, um die Seinsart und Seinsbestimmungen von Tieren oder allgemein von Lebewesen zuerfassen. Den Begriff der Existenz reserviert <strong>Heidegger</strong> – entgegen dem üblichen Sprachgebrauch– für das Sein des <strong>Das</strong>eins, also für die menschliche Seinsweise. Im Rahmen seinerTerminologie kann daher von Tieren und Pflanzen ebenso wenig wie von Steinen oder Stühlengesagt werden, sie existierten. Zudem scheinen für die ersteren die ontologischen Begriffenicht zu passen, die <strong>Heidegger</strong> mit Blick auf die letzteren prägt. ‚Vorhandenheit‘ scheint <strong>bei</strong>ihm für die Seinsart bloßer Dinge wie Steine und Stühle reserviert zu sein; und auch der Begriffder Zuhandenheit, mit dem er diese Seinsart ursprünglicher zu fassen sucht (SuZ 69 ff.),scheint nicht auf Tiere zu passen. <strong>Das</strong> Problem lässt sich so formulieren: Dinge sind zuhandenoder vorhanden; Menschen existieren; was aber ist mit anderen Lebewesen und insbesondereden Tieren? Diese Frage scheint in Sein und Zeit ungeklärt zu bleiben. 3 Es sieht auf den erstenBlick so aus, als würde schon das begriffliche Instrumentarium fehlen, um eine ontologischeBestimmung des Tieres zu formulieren.Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass dieser Eindruck nicht ganz richtigist. Denn an einigen wenigen Stellen von Sein und Zeit wird deutlich, dass <strong>Heidegger</strong> zwischender Seinsart der Dinge und der der Menschen eine weitere Seinsart vorsieht: Leben.„Leben ist weder pures Vorhandensein, noch aber auch <strong>Das</strong>ein.“ (SuZ 50) Schlagwortartiggesagt, entspricht der Folge „Stein – Tier – Mensch“ in ontologischer Hinsicht die Folge„Vorhandenheit – Leben – Existenz“. 4 Die Frage nach der Seinsart der Tiere (und der Pflan-3Auch Jacques Derrida, der auf die Strukturierung der existenzialen Analytik von Sein und Zeit durch dasBegriffspaar ‚Existenzialien – Kategorien‘ hinweist, erklärt in diesem Sinne, dass „sich das Tier mitexistenzialen und kategorialen Mitteln nicht denken“ lässt (Derrida 1988, 69).4Siehe hierzu <strong>Heidegger</strong>s Vorlesung Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz(SoSe 1928): „Existenz ist der Titel für die Seinsart des Seienden, das wir je selbst sind, das menschliche<strong>Das</strong>ein. Eine Katze existiert nicht, sondern lebt, ein Stein existiert nicht und lebt nicht, sondern istvorhanden.“ (GA 26, 159). Vgl. auch die Vorlesung Einleitung in die <strong>Philosophie</strong> (WS 1928/29): „Sokönnen wir mit Rücksicht auf diese verschiedenen Arten des Seins des Seienden scheiden: dasExistierende: die Menschen; das Lebende: Pflanzen, Tiere; das Vorhandene: die materiellen Dinge; das3


zen) lässt sich demnach mit dem Lebensbegriff beantworten. Diese Antwort wirft allerdingsneue Probleme auf. Sie ergeben sich aus <strong>Heidegger</strong>s Tendenz, ontologische Begriffe exklusivzu formulieren. <strong>Heidegger</strong>s Begriffe der Existenz und der Vorhandenheit sind insofern ungewöhnlich,als es aus seiner Sicht falsch wäre zu sagen, dass Steine existieren oder Menschen(<strong>Das</strong>ein) vorhanden sind. Mindestens ebenso ungewöhnlich wäre es aber, wenn der Begriffdes Lebens auf die tierische und die pflanzliche Seinsweise beschränkt bliebe. Denn dannwird, was sich von selbst versteht, unverständlich: dass Menschen Lebewesen sind oder <strong>Das</strong>einlebendig ist. Es fällt auf, dass <strong>Heidegger</strong> derartige Aussagen in der Tat vermeidet.Der Grund liegt darin, dass <strong>Heidegger</strong> befürchtet, die Wahl von „Leben“ als Ausgangspunktin der Bestimmung des Menschen lege ihn auf ein, wie ich es nennen möchte, anthropologisches‚Additionsmodell‘ fest, in dem Menschen als Lebewesen plus X konzipiert werden,wo<strong>bei</strong> das X je nach anthropologischem Ansatz mit Rationalität, Sprache, Sozialität,Transzendenz etc. belegt wird. <strong>Das</strong> <strong>Das</strong>ein, behauptet <strong>Heidegger</strong> gegen all diese Ansätze, „istontologisch nie so zu bestimmen, daß man es ansetzt als Leben – (ontologisch unbestimmt)und als überdies noch etwas anderes“ (SuZ 50). Aus <strong>Heidegger</strong>s Sicht müssen Additionsmodelledes Menschen in methodischer und ontologischer Hinsicht als verfehlt gelten. Mit dervon ihnen eingenommenen theoretischen Einstellung wird derjenige Ansatzpunkt übersprungen,der <strong>Heidegger</strong> zufolge allein sicherstellt, dass sich das <strong>Das</strong>ein „an ihm selbst von ihmselbst her zeigen kann“: das <strong>Das</strong>ein „in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit“ (ebd., 16).Die anthropologische Frage nach dem Wesen des Menschen hat, sofern sie es unterlässt, sichden Strukturen unserer praktischen Lebensvollzüge und des In-der-Welt-seins zuzuwenden,die unerlässliche Vorfrage nach dem Sein des Menschen vergessen und bleibt daher „in ihrenentscheidenden ontologischen Fundamenten unbestimmt“ (ebd., 49). Anders gesagt: Solangenicht das Sein des Menschen aufgeklärt wird, solange die ‚Komponenten‘, aus denen derMensch angeblich besteht, nicht existenzial bestimmt, sondern unreflektiert im Sinne der Vorhandenheitangesetzt werden, muss diesem jede Wesensbestimmung äußerlich bleiben. Ummit Sein und Zeit der „Bedürfnislosigkeit“ entgegenzuwirken, nach dem Sein desjenigen Seiendenzu fragen, das wir selbst sind, möchte <strong>Heidegger</strong> zur Bezeichnung dieses Seienden „dieAusdrücke ‚Leben‘ und ‚Mensch‘ […] vermeiden“ (ebd., 46).Resultat dieser Vermeidungstaktik ist, dass das Leben des <strong>Das</strong>eins in Sein und Zeitkaum thematisiert wird. 5 Wenn dort also vom Leben die Rede ist, wird es um die Seinsart des-Zuhandene: die Gebrauchsdinge im weitesten Sinne […]“ (GA 27, 71).5Ich werde auf die wenigen und zweifellos wichtigen Stellen, die es zum Leben des <strong>Das</strong>eins gibt und die inerster Linie den „Zusammenhang des Lebens“ (SuZ 373-375) sowie das Verhältnis von Leben und Todbetreffen (SuZ 246 f.), hier nicht gesondert eingehen können. Siehe dazu Kühn 1991 und Liebsch 1996.4


jenigen Seienden gehen, das weder daseinsmäßig noch bloß dingmäßig ist. Im Fokus steht da<strong>bei</strong>jedoch nicht die inhaltliche Bestimmung dieser Seinsart, sondern lediglich die methodischeFrage nach dem angemessenen Zugang zu ihr. Die Art und Weise ihrer Beantwortung istdurch den grundsätzlichen Ansatz von Sein und Zeit bestimmt. <strong>Heidegger</strong> zielt auf die Ausar<strong>bei</strong>tungder Seinsfrage, der Frage nach dem Sinn von Sein. 6 Die existenziale Analytik des <strong>Das</strong>einskann seines Erachtens die Rolle eines Durchgangsstadiums auf diesem Weg übernehmen,da sich das <strong>Das</strong>ein schon seiner ontischen Struktur nach – es geht ihm ja (wie bereits erwähnt)„in seinem Sein um dieses Sein selbst“ – „in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeitin seinem Sein“ versteht, also „Seinsverständnis“ besitzt (SuZ 12). Da <strong>Heidegger</strong> der Auffassungist, dass dieses Seinsverständnis „gleichursprünglich das Verstehen von so etwas wie‚Welt‘ und Verstehen des Seins des Seienden [betrifft], das innerhalb der Welt zugänglichwird“, schließt er: „Die Ontologien, die Seiendes von nicht daseinsmäßigem Seinscharakterzum Thema haben, sind demnach in der ontischen Struktur des <strong>Das</strong>eins selbst fundiert“ (ebd.,13). Diese Ontologien, insbesondere die Ontologie des Lebens, sind damit der Ontologie des<strong>Das</strong>eins, die dadurch zu einer „Fundamentalontologie“ wird (ebd.), nachgeordnet. 7 <strong>Heidegger</strong>spezifiziert diese These mit Hilfe des Privationskonzepts: „Leben ist eine eigene Seinsart,aber wesenhaft nur zugänglich im <strong>Das</strong>ein. Die Ontologie des Lebens vollzieht sich auf demWege einer privativen Interpretation“ (ebd., 50). In verschiedenen Parallelstellen wird die Alternativlosigkeitdieses Vorgehens betont; die entsprechende Behauptung soll im Folgenden<strong>Heidegger</strong>s ‚Privationsthese‘ heißen: „Die ontologische Grundverfassung von ‚leben‘ ist […]nur auf dem Wege reduktiver Privation aus der Ontologie des <strong>Das</strong>eins aufzurollen“ (ebd.,194); Leben ist eine Seinsart, die „nur in privativer Orientierung am <strong>Das</strong>ein ontologisch fixiertwerden“ kann (ebd., 246).Die Privationsthese sollte nicht als Behauptung einer sachlichen Abhängigkeit verstandenwerden, als gäbe es Leben nicht unabhängig von <strong>Das</strong>ein, sondern als Behauptung einesmethodischen Vorrangs: Zuerst ist die existenziale Analytik des <strong>Das</strong>eins durchzuführen, umdann aus der ontologischen Bestimmung des <strong>Das</strong>eins eine ontologische Bestimmung des Lebenszu gewinnen. – Leider bleibt in Sein und Zeit ganz unklar, wie das näher zu verstehen ist,und welche Vorteile die Privationsthese verspricht. Müssen wir, um das Phänomen des Le-Eine wichtige Herausforderung insbesondere für die Interpretation des Verhältnisses von Leben und Todhat Derrida formuliert: „Was ist der Tod für ein <strong>Das</strong>ein, das nie wesentlich als Lebewesen bestimmt wird?“(Derrida 1988, 138).6In der Formulierung dieser Frage setzt <strong>Heidegger</strong> „Sein“ zuweilen in Anführungszeichen und spricht vonder „Frage nach dem Sinn von ‚Sein‘“; gleich zu Beginn von Sein und Zeit finden sich <strong>bei</strong>deFormulierungen auf einer Seite (SuZ 1). Zu <strong>Heidegger</strong>s Seinsfrage siehe kritisch Tugendhat 1992.7Vgl. unmittelbar dazu <strong>Heidegger</strong>s Rede von „der einer Ontologie des Lebens vorgeordneten Ontologiedes <strong>Das</strong>eins“ (SuZ 247).5


ens ontologisch zu bestimmen, vom <strong>Das</strong>ein Abstriche machen? Wenn dem so ist, wie lässtsich dann entscheiden, an welcher Stelle und in welchem Maße? Und gesetzt den Fall, dasssich hierüber Klarheit erzielen lässt, warum sollte dieses Vorgehen dem von <strong>Heidegger</strong> kritisiertentraditionellen Vorgehen der Anthropologie vorzuziehen sein? Wird nicht einfach dasfür unbefriedigend gehaltene Additionsmodell des Menschen durch ein ebenso unbefriedigendesSubtraktionsmodell des Lebewesens ersetzt, in dem tierisches oder pflanzliches Leben als<strong>Das</strong>ein minus X konzipiert wird?Vor dem Hintergrund dieser Probleme ist es interessant, dass <strong>Heidegger</strong> seine Privationsthesean einer Stelle von Sein und Zeit einzuschränken oder gar aufzugeben scheint: „Inder Ordnung des möglichen Erfassens und Auslegens ist die Biologie als ‚Wissenschaft vomLeben‘ in der Ontologie des <strong>Das</strong>eins fundiert, wenn auch nicht ausschließlich in ihr.“ 8 Währendder Beginn des Satzes der Privationsthese nahe steht, formuliert der von mir hervorgehobeneNachsatz eine wichtige Einschränkung: Die „Wissenschaft vom Leben“ ist nicht exklusivin der Ontologie des <strong>Das</strong>eins fundiert. Man kann dies je nach Betonung in dem eher harmlosenSinn verstehen, dass die „Wissenschaft vom Leben“ auch andere Fundamente als ontologischehat, d. h. ontische bzw. empirische, oder in dem stärkeren Sinn, dass diese Wissenschaftauch solche ontologischen Fundamente hat, die nicht aus der <strong>Das</strong>einsontologie stammen.Während der Nachsatz, sofern er im ersten, harmlosen Sinn genommen wird, ohne weiteresmit der Privationsthese verträglich ist, läuft ihr der stärkere Sinn des Nachsatzes zuwider.Warum? Da als ontologische Fundamente, die nicht aus der <strong>Das</strong>einsontologie stammen,nur solche einer Ontologie des Lebens in Frage kämen, müsste Leben dem auf diese Weise interpretiertenNachsatz zufolge auch auf anderem Wege ontologisch zu fassen sein als in reduktiverPrivation aus der Ontologie des <strong>Das</strong>eins. Dies widerspricht aber der Privationsthese. 9In Sein und Zeit lassen sich meines Erachtens keine direkten Belege finden, die die eine oderdie andere Lesart des genannten Nachsatzes erzwingen. Nach Maßgabe der Interpretationsmaximedes principle of charity ist es dann jedoch geboten, sich für die schwache Lesart zu ent-8SuZ 49 f.; Hvh. v. mir, M. W.9Auch Axel Beelmann erkennt die Relevanz des genannten Nachsatzes (Beelmann 1994, 47-49). Erübergeht allerdings die wichtige Differenz zwischen den hier unterschiedenen Lesarten. Daher sieht ernicht, dass der Nachsatz, wenn er strikt interpretiert wird, keinen „theoretischen Freiraum“ für diephilosophische Interpretation des Lebens (ebd., 48), sondern einen Widerspruch zur Privationsthesegeneriert, kann aber auch nicht auf die harmlose Lesart setzen, da der Umstand, dass die Biologie ontischbzw. empirisch fundiert ist, zu trivial ist, um Beelmanns anspruchsvolle Rede von einer „zweifache[n]Fundierung der Ontologie des ‚Lebens‘“ (ebd., 49) zu rechtfertigen. Meines Erachtens kann daher auchBeelmanns Einschätzung nicht überzeugen, dass hinsichtlich der methodischen Grundfragen einer<strong>Philosophie</strong> des „Lebens“ zwischen Sein und Zeit sowie <strong>Heidegger</strong>s späterer Vorlesung Die Grundbegriffeder Metaphysik Kontinuität bestehe.6


scheiden, da es sich auf diese Weise vermeiden lässt, <strong>Heidegger</strong> eine inkonsistente Positionzuzuschreiben.2.Die Privationsthese, auf die Sein und Zeit demnach festgelegt ist, wird in den folgenden Jahrenvon <strong>Heidegger</strong> einer kritischen Überprüfung unterzogen. Der entscheidende Text in diesemZusammenhang ist seine im Wintersemester 1929/30 gehaltene Vorlesung Die Grundbegriffeder Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit. Sie enthält nicht nur in methodischer,sondern auch in inhaltlicher Hinsicht <strong>Heidegger</strong>s intensivste Auseinandersetzung mit dem Begriffdes Lebens, der auch hier wieder für die „Seinsart von Tier und Pflanze“ reserviert wird(GA 29/30, 277, 282 u. ö.). Diese Auseinandersetzung ist in den zweiten Teil, den Hauptteilder Vorlesung eingebettet, der mit der Frage „Was ist Welt?“ einen der „Grundbegriffe derMetaphysik“ ins Zentrum stellt. Dem voran geht zum einen die „Vorbetrachtung“, die die gesamteVorlesung einleitet und in der <strong>Heidegger</strong> seine Perspektive auf das Problem der Metaphysikdarlegt, und zum anderen der erste Teil der Vorlesung, der der „Weckung einer Grundstimmung“des <strong>Philosophie</strong>rens dient, und zwar der tiefen Langeweile, aus der heraus das metaphysischeFragen in Gang gebracht werden soll.Da der Hauptteil der Vorlesung der Frage nach der Welt gewidmet ist, stellt sich dieFrage, auf welchem Wege die Ontologie des Lebens in diesem Kontext zum Thema wird. Andersals in Sein und Zeit wird die Frage „Was ist Welt?“ in Die Grundbegriffe der Metaphysiknicht von dem her gestellt, wie wir alltäglich Welt verstehen und uns in ihr bewegen, sondernim Rahmen einer „vergleichenden Betrachtung“ von bloß materiellen Dingen, Tieren undMenschen in ihrem jeweiligen Verhältnis zur Welt (GA 29/30, 262 f., 273 f.). <strong>Heidegger</strong>sAusgangspunkt liegt in den Thesen „Der Stein ist weltlos“, „<strong>Das</strong> Tier ist weltarm“ und „DerMensch ist weltbildend“. 10 Von diesen drei Thesen ist es die mittlere, mit Blick auf die sichdas Problem der „Lebendigkeit des Lebenden“ für <strong>Heidegger</strong> stellt. Näherhin geht es hier umdie sachliche Frage, als was das Wesen des Lebens zu bestimmen ist, sowie die methodischeFrage, wie „<strong>Lebendige</strong>s als solches – die Tierheit des Tieres und die Pflanzlichkeit der Pflanze– ursprünglich zugänglich“ ist (ebd., 265 f.). 1110Aus der Kontrastierung der Thesen geht hervor, dass <strong>Heidegger</strong> „Tier“ nicht als Gattungsbegriff, unterden auch die Menschen fallen, versteht.11Derrida hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die drei genannten Thesen der Grundbegriffe derMetaphysik nicht nur Antworten auf die Frage nach der Welt vorbereiten: „Sie sind auch Antworten aufeine bestimmte Frage nach dem Leben: Wie ist das Wesen des Lebens überhaupt zu bestimmen, aufwelchen Wegen kann das Leben in seinem Wesen zugänglich werden?“ (Derrida 1988, 59)7


Vor dem Hintergrund einer Reflexion auf den damaligen Stand der Wissenschaften vomLeben 12 nimmt <strong>Heidegger</strong> in der Zugänglichkeitsfrage nun erstmals von der PrivationstheseAbstand. Er stellt fest, „daß alle Disziplinen, die vom <strong>Lebendige</strong>n handeln, heute in einermerkwürdigen Umbildung begriffen sind, deren Grundtendenz dahin geht, dem Leben sein eigenständigesRecht zurückzugeben. <strong>Das</strong> ist nicht ohne weiteres selbstverständlich und leicht,wie die ganze Geschichte des Problems zeigt. In der ganzen Geschichte des Lebensproblemskönnen wir beobachten, daß versucht wird, das Leben, d. h. die Seinsart von Tier und Pflanze,vom Menschen her zu deuten, oder andererseits das Leben zu erklären mit Hilfe der Gesetzesvorgänge,die wir der materiellen Natur entnehmen.“ (GA 29/30, 282) <strong>Das</strong> Zitat liest sich wieeine Selbstkritik von Sein und Zeit. Denn dort war es <strong>Heidegger</strong> selbst, der sich mit der Privationsthesefür die Interpretation der Seinsart des Lebens vom Menschen (<strong>Das</strong>ein) her aussprach.Es sieht so aus, als erschiene ihm dieses Vorgehen nun ebenso unangemessen wie daseines Physikalismus, der glaubt, dass sich biologische Vorgänge vollständig auf physikalischeGesetze zurückführen lassen. Sich gegen <strong>bei</strong>de Ansätze abgrenzend, formuliert <strong>Heidegger</strong> dennun offenbar von ihm favorisierten Zugang: „Was <strong>bei</strong> alldem fehlt, ist der entschlossene Versuchund die Einsicht in die notwendige Aufgabe, das Leben von sich selbst her in seinemWesensgehalt primär zu sichern.“ 13 Indem <strong>Heidegger</strong> eine Ontologie des Lebens damit auf direkteWeise – vom Leben selbst her – projektiert und nicht im Umweg über eine existenzialeAnalytik des <strong>Das</strong>eins, scheint er die Privationsthese hinter sich gelassen zu haben.Im Fortgang der Vorlesung stellt sich allerdings heraus, dass <strong>Heidegger</strong>s methodischeÜberlegungen komplexer und spannungsreicher sind als die Eindeutigkeit des bisher Skizziertenvermuten lässt. Im Zentrum seiner Untersuchung der Lebendigkeit des <strong>Lebendige</strong>n steht,wie erwähnt, die These der Weltarmut des Tiers. „Weltarmut“ selbst ist aber eine privativeBestimmung. Sie scheint nur von der Fülle aus Sinn zu machen, die zur Welthaftigkeit oder„Weltbildung“ gehört, wie sie <strong>Heidegger</strong> zufolge für den Menschen charakteristisch ist. Zwarwehrt <strong>Heidegger</strong> ein Verständnis ab, in dem die Differenz zwischen der Weltarmut des Tiersund der Weltbildung des Menschen mit Hilfe von Gradunterschieden etwa auf einer Vollkommenheitsskalakonzipiert wird (GA 29/30, 284 ff.); sein Ziel ist da<strong>bei</strong> aber nicht, den privativenCharakter von „Weltarmut“ zu leugnen, sondern ihn in einem besonders radikalen Sinnzu betonen.12Die für <strong>Heidegger</strong> in diesem Zusammenhang maßgeblichen Autoren sind Hans Spemann, Hans Drieschund Jakob von Uexküll.13GA 29/30, 283. In der bisherigen philosophischen Diskussion hält <strong>Heidegger</strong> Max Scheler (<strong>bei</strong> allerKritik an dessen Stufenmodell) für denjenigen Philosophen, dessen Fragestellung am ehesten in dieseRichtung geht und da<strong>bei</strong> „in vielen Hinsichten wesentlich und allem Bisherigen überlegen“ ist (ebd.).8


Um das zu verdeutlichen, ist es hilfreich auf Aristoteles’ Privationsbegriff („stæresiV“)zurückzugehen 14 und mindestens zweierlei zu unterscheiden: Erstens lässt sich in jedem Falldes Fehlens von etwas an etwas von Privation sprechen; so kann man Aristoteles zufolge einerPflanze eine Privation der Augen zuschreiben – sie hat keine Augen. Zweitens lässt sichauch in einem engeren Sinn von Privation sprechen, „wenn etwas, das seiner Natur nach etwashaben kann […], es nicht hat“. In diesem Sinn lässt sich keiner Pflanze eine Privation desSehens zuschreiben, aber <strong>bei</strong>spielsweise einem blinden Menschen oder einem Maulwurf. Indas semantische Feld von „Privation“ fällt die Rede von der gewaltsamen Wegnahme oderBeraubung. Sie kann jedoch nur für Fälle der Verwendung des engeren Privationsbegriffssinnvoll sein. Pflanzen können nicht der Augen beraubt sein, Menschen des Augenlichtsschon.Vor diesem begrifflichen Hintergrund könnte es sich <strong>bei</strong> der Weltarmut von Tieren inzweierlei Sinn um eine Privation der Welt handeln. In <strong>bei</strong>den Fällen wäre Welt, was Tierenicht haben; doch während sie in der ersten Variante ihrer Natur nach Welt haben können, istdies in der zweiten Variante ausgeschlossen. <strong>Heidegger</strong> konzipiert den privativen Charakterder Weltarmut entlang der ersten Variante, weil er die Tiere so darstellt, als seien sie der Weltgewissermaßen beraubt. Deutlich wird dies in den Ausgangsbestimmungen, die für sein Weltarmutskonzeptzentral sind: „Armsein heißt Entbehren“ und „Weltarmut ist ein Entbehren vonWelt“ (GA 29/30, 287, 289). Denn entbehrt werden kann offenbar nur dort etwas, wo grundsätzlichein entsprechendes Haben möglich ist. <strong>Heidegger</strong> stimmt dem ausdrücklich zu, indemer von „Armut (Entbehren) als Nichthaben im Habenkönnen“ spricht (ebd., 307).Welche Konsequenzen zieht <strong>Heidegger</strong> daraus für sein Vorgehen in der Aufklärung undBegründung der These, dass das Tier weltarm ist? Oder systematischer gefragt: Welche Konsequenzenmüsste er ziehen? In dem skizzierten Horizont sind grundsätzlich zwei Weisen desVorgehens möglich: <strong>Das</strong>s das Tier weltarm ist, ließe sich (i) vom Wesen des Tiers selbst heroder (ii) vom Menschen und seiner wesentlichen Bestimmung, weltbildend zu sein, her verdeutlichen.Nicht im ersten, sondern nur im zweiten Fall verfolgte man, was sich am bestenals eine ‚privative Methode‘ bezeichnen lässt. Der entscheidende Zusammenhang zwischender mit Aristoteles getroffenen Unterscheidung verschiedener Privationsbegriffe und demKonzept der privativen Methode besteht nun darin, dass die Verdeutlichung eines engerenPrivationsbegriffs, näherhin eines solchen, in Bezug auf den die Rede von Beraubung sinnvollist, eine privative Methode verlangt. Begriffe, die in einem weniger strikten Sinn privativeBestimmungen sind, müssen demgegenüber nicht durch eine privative Methode verdeutlicht14Zum Folgenden vgl. Aristoteles, Metaphysik, 1022 b 22 ff.9


werden. Dieser Zusammenhang lässt sich in Hinblick auf <strong>Heidegger</strong>s These der Weltarmutdes Tiers und ihrer Entfaltung konkretisieren. Soll das Wesen einer als Entbehren von Weltangesetzten Weltarmut des Tiers aufgeklärt werden, so wird das nur vom Wesen dessen hermöglich sein, was entbehrt wird (Welt) oder nicht in dieser Weise entbehrend ist (Mensch).Anders gesagt: Da „Weltarmut“ eine strikte Privationsbestimmung ist, müsste ihr Wesendurch die privative Methode verdeutlicht werden. Die Aufklärung ihres Wesens wäre umgekehrtnicht auf diese Methode festgelegt, wenn „Weltarmut“ eine weniger strikte Privationsbestimmungwäre.<strong>Heidegger</strong> müsste also, da er „Weltarmut“ als ein „Entbehren von Welt“ und damit alsdenkbar strikte Privationsbestimmung konzipiert, in seiner Aufklärung ihres Wesens eine privativeMethode verfolgen. Tatsächlich, so stellt man überrascht fest, unterlässt er dies jedoch.<strong>Das</strong> zeigt sich zum einen darin, dass er sich der These „Der Mensch ist weltbildend“ erst imletzten Kapitel der Vorlesung widmet (GA 29/30, 397 ff.), also nachdem die Wesensaufklärungder Weltarmut des Tiers schon abgeschlossen ist. Der Aufbau seiner Analyse entsprichtalso einem Vorgehen „von unten nach oben“ – wie es für die von ihm abgelehnte PhilosophischeAnthropologie charakteristisch wäre 15 – und nicht einem privativen Vorgehen. Zum anderenskizziert die Überschrift des Kapitels, das der genannten Wesensaufklärung gewidmetist, die da<strong>bei</strong> verfolgte Methode: „Aufklärung des Wesens der Weltarmut des Tieres auf demWege der Frage nach dem Wesen der Tierheit, des Lebens überhaupt, des Organismus“ (ebd.,295). Die Wesensaufklärung der Weltarmut des Tiers verläuft demnach direkt über die Untersuchungdes Wesens des Tiers und nicht im Umweg über eine Untersuchung des Menschenund seines Wesens. Da außerdem an vielen Stellen des Kapitels deutlich wird, dass <strong>Heidegger</strong>auch hier wieder nur das nicht-menschliche Leben vor Augen hat ebenso wie ausschließlichden nicht-menschlichen Organismus, gehört der in der Kapitelüberschrift genannte Weg offenbarnicht zu einem privativen Vorgehen. <strong>Das</strong> bedeutet, <strong>Heidegger</strong>s Ansatz ist durch eineUnverträglichkeit gekennzeichnet: Einerseits wird der Inhalt von „Weltarmut“ durch einestrikte Privationsbestimmung angezeigt, andererseits wird aber in der Aufklärung ihres Wesensauf die privative Methode verzichtet.Obwohl an einer Stelle der Eindruck entstehen mag, als wolle <strong>Heidegger</strong> diese Diskrepanzdurch eine Annäherung an ein privatives Vorgehen beseitigen (siehe GA 29/30, 302 f.),beharrt er in Abgrenzung zu der noch in Sein und Zeit vertretenen Privationsthese letztlich aufder (oben schon zitierten) Rede von der „notwendige[n] Aufgabe, das Leben von sich selbst15Zur Frage, wie nah <strong>Heidegger</strong> der Philosophischen Anthropologie mit seiner Vorlesung DieGrundbegriffe der Metaphysik kommt, siehe <strong>Wunsch</strong> 2010.10


her in seinem Wesensgehalt primär zu sichern“ (ebd., 283): Wir werden hier, so <strong>Heidegger</strong>,nicht den Weg einschlagen: „zuerst das Positive“ (Welt, Weltbildung) „und dann das Negativeund den Mangel“ (Weltarmut), also nicht die privative Methode verfolgen, sondern „versuchen,aus der Aufhellung der Tierheit selbst dem Wesen der Weltarmut näherzukommen“(ebd., 310). Er rechtfertigt dieses Vorgehen, indem er zeigt, dass die privative Methode defizitärist: Selbst wenn das Wesen der Welt geklärt wäre und sich von daher schlussfolgern ließe,was unter ‚Weltentbehrung‘ zu verstehen ist, wäre noch nicht geklärt, „daß und wie das Tierdergleichen wie Welt entbehrt“ (ebd.). Denn für letzteres ist „ein ureigener Blick auf die Wesensartdes Tieres“, eine „ureigene[] Charakteristik der Tierheit“ unabdingbar (ebd.).Die erläuterte Unverträglichkeit zwischen der Ablehnung der privativen Methode unddem inhaltlichen Ansatz, Weltarmut streng privativ zu bestimmen, ist dadurch jedoch nichtbeseitigt. Anders gesagt: Wenn es <strong>Heidegger</strong> um die Aufklärung der These der Weltarmut desTiers geht, wird seine initiale Absicht, nicht der privativen Methode zu folgen, dadurch konterkariert,dass er „Weltarmut“ nicht nur als weite, sondern als denkbar strikte Privationsbestimmungansetzt. Um zu klären, warum <strong>Heidegger</strong> seinen Ansatz in dieser Weise belastet,wäre daher nach Gründen für die Wahl dieser streng privativen Bestimmung der Weltarmutzu fragen.3.Ein möglicher Grund dafür, Weltarmut streng privativ zu bestimmen, ist naheliegend. Er ergibtsich aus <strong>Heidegger</strong>s vergleichender Betrachtung von Steinen und Tieren in ihrem jeweiligenVerhältnis zur Welt: „Stein und Tier haben <strong>bei</strong>de keine Welt. Allein, das Nicht-Habenvon Welt ist in <strong>bei</strong>den Fällen nicht im gleichen Sinne gemeint.“ (GA 29/30, 289) Man kannnun auf die Idee kommen, dass wir, um diese Differenz im Nicht-Haben von Welt verständlichzu machen, auf die Unterscheidung zurückgreifen müssen, die oben mit Blick auf Aristoteles’Privationsbegriff eingeführt wurde: Sowohl für Steine als auch für Tiere ist eine Privationder Welt charakteristisch, aber nur von letzteren kann man sagen, sie seien gewissermaßender Welt beraubt. <strong>Heidegger</strong>s Überlegung scheint in genau diese Richtung zu gehen: „Weltlosund weltarm sind je ein Nichthaben von Welt. Weltarmut ist ein Entbehren von Welt. Weltlosigkeitist eine solche Verfassung des Steines, daß der Stein dergleichen wie Welt nicht einmalentbehren kann.“ (Ebd.)Man kann <strong>Heidegger</strong> zugestehen, dass Stein und Tier in verschiedener Weise keineWelt haben und dass es zumindest möglich ist, diese Verschiedenheit im Rekurs auf den strik-11


ten Privationsbegriffs des Entbehrens zu erläutern. Dies mag auch in der Tat <strong>Heidegger</strong>s Motivfür die Wahl der streng privativen Bestimmung der Weltarmut gewesen sein. Allerdings istdiese Wahl nicht alternativlos. Um die Fälle des Nicht-Habens von Welt <strong>bei</strong> Steinen und Tierenbegrifflich zu unterscheiden, ist man keineswegs zu der Einschätzung gezwungen, dassTiere in dem Sinne keine Welt haben, dass sie sie entbehren. Wie man seiner Vorlesung entnehmenkann, verschließt sich auch <strong>Heidegger</strong> selbst dieser Einsicht nicht ganz. In einer sorgfältigenphänomenologischen Analyse zeigt er, dass dem Stein „das, worunter er auch vorhandenist, wesenhaft nicht zugänglich ist“ (GA 29/30, 290). Es ist zwar richtig, wenn <strong>Heidegger</strong>dann feststellt, dass der Stein aufgrund dieser wesenhaften „Zugangslosigkeit“ „überhauptnicht entbehren kann“ (ebd.); der springende Punkt ist aber, dass sich der Stein aufgrund dieserZugangslosigkeit in jedem Fall vom Tier unterscheidet, das heißt unabhängig davon, obdieses als Welt entbehrend konzipiert wird oder nicht. Denn die Seinsart des Tiers, „die wirdas ‚Leben‘ nennen, ist nicht zugangslos zu dem, was auch noch neben ihm ist, worunter esals seiendes Lebewesen vorkommt“ (ebd., 292).Geht nun aber, wenn Tieren auf diese Weise Zugang zu Seiendem zugesprochen wird,nicht der Ausgangsgedanke verloren, dass Tiere keine Welt haben? Dafür dass dies keineswegsder Fall sein muss, steht exemplarisch Jakob Johann von Uexküll, dessen Überlegungenzum Umweltbegriff in den verschiedenen philosophisch-anthropologischen Ansätzen <strong>bei</strong> MaxScheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen eine wichtige Rolle spielen. Tiere haben zwarkeine Welt, leben aufgrund ihres Bauplans aber in einer artspezifischen Umwelt. Auch <strong>Heidegger</strong>greift Uexkülls Gedanken auf: „Man sagt, […] das Tier hat seine Umwelt und bewegtsich in ihr. <strong>Das</strong> Tier ist in seiner Umwelt in der Dauer seines Lebens wie in einem Rohr, dassich nicht erweitert und verengt, eingesperrt.“ (GA 29/30, 292) Mit der Rede vom Eingesperrtseinbringt <strong>Heidegger</strong> hier zwar erneut seine Position zum Ausdruck, das Nicht-Habenvon Welt (in der Gestalt des Habens einer Umwelt) sei durch eine strikte Privationsbestimmung(‚Freiheitsberaubung‘) gekennzeichnet; eine derartige Bestimmung gehört aber nichtzum Begriff der Umwelt als solchem. 16 Der Umweltgedanke erlaubt es, die Beschaffenheitdes Zugangs der Tiere zu Seiendem von der unseres Zugangs zu Seiendem zu unterscheiden.Ihr Zugang ist umwelt- oder umgebungsgebunden, während unserer weltoffen (Scheler) oder16<strong>Heidegger</strong> selbst räumt dies implizit ein, indem er Uexkülls Umweltbegriff von seinem eigenen Begriffdes „Enthemmungsrings“ her interpretiert. Er erklärt, das Tier sei von solchem umringt, das sein „Fähigsein‚angeht‘, an-läßt“ (GA 29/30, 369). Er nennt dieses Anlassen des Fähigseins des Tieres ‚Enthemmen‘(ebd.) und den Umring, „innerhalb dieses oder jenes Enthemmende enthemmen kann“, den„Enthemmungsring“ des Tiers, der zu seiner „innersten Organisation“ gehört (ebd., 370 f.) und „eine ganzbestimmte Umringung möglicher Reizbarkeit“ festlegt (ebd., 374). In <strong>Heidegger</strong>s Auffassung meintUexkülls Ausdruck ‚Umwelt‘ „faktisch nichts anderes als das, was wir als Enthemmungsringgekennzeichnet haben“ (ebd., 383).12


weltbildend (<strong>Heidegger</strong>) ist. <strong>Das</strong>s es Bestimmungen gibt, die den Zugang des Menschen zuSeiendem als einen welthaften auszeichnen und den Zugang der Tiere nicht erfassen, impliziertnicht, dass sie dieser Bestimmungen beraubt sind oder entbehren, sondern nur ihr Nicht-Haben von Welt. Der Umweltgedanke ermöglicht es also, den Tieren einen Zugang zu Seiendemzuzusprechen und zugleich daran festzuhalten, dass sie keine Welt haben. 17Wenn man also die Rede von der Weltarmut des Tiers aufgreifen möchte und das Tiervom Stein einerseits und vom Menschen andererseits in ihren jeweiligen Verhältnissen zurWelt voneinander abgrenzen möchte, ist weder in dem einen noch in dem anderen Fall einestreng privative Bestimmung der Weltarmut erforderlich. <strong>Das</strong>s <strong>Heidegger</strong> sich gleichwohl fürdie strikte Privationsbestimmung von „Weltarmut“ entscheidet, muss also, wenn es überhauptbegründet ist, andere Gründe haben.Vielleicht lassen sich solche Gründe in dem schon erwähnten Kapitel finden, das dieausführliche Wesensaufklärung der Weltarmut des Tiers enthält (GA 29/30, 295-388). <strong>Heidegger</strong>versucht dort in den meines Erachtens fruchtbarsten Überlegungen seiner Vorlesung,das „Grundwesen des Organismus“, die „Wesensstruktur des Tieres“ unter dem Titel „Benommenheit“herauszuar<strong>bei</strong>ten (ebd., 376, 347). Den Hintergrund bildet da<strong>bei</strong> die Rede vomSichbenehmen des Tieres, die <strong>Heidegger</strong> der vom Sichverhalten des Menschen kontrastiert.„<strong>Das</strong> Benehmen des Tieres ist nicht ein Tun und Handeln, wie das Verhalten des Menschen,sondern ein Treiben“ (ebd., 346). Mit dem Treiben des Tiers – seinem Sehen, Hören, Jagen,Greifen etc. – geht keinerlei Distanznahme oder Feststellen einher; in seinem Treiben ist eszwar auch auf etwas bezogen, aber nur in der Weise, dass es davon bzw. durch es „hingenommen“oder „benommen“ ist (ebd., 352-4). <strong>Das</strong> Benommensein ist <strong>Heidegger</strong> zufolge nichtbloß ein temporärer Zustand des Tiers, sondern struktureller Art. Jedes einzelne Benommensein,<strong>bei</strong>spielsweise das Saugen einer Biene, wird, wenn es gehemmt oder abgebrochen wird,prinzipiell durch ein weiteres Benommensein ersetzt, etwa das Zurückfliegen in den Bienenstock.„<strong>Das</strong> Treiben hört nicht einfach auf, sondern die Getriebenheit des Befähigtseins wirdumgesteuert in einen anderen Trieb.“ (Ebd., 353)17Bei G. Agamben werden die skizzierten Zusammenhänge nicht ganz klar. Er sieht zwar richtig, dass die„animalische Umwelt“ mit <strong>Heidegger</strong> als „offen, aber nicht offenbar“ bestimmt werden kann, fügtseltsamerweise aber hinzu, dass das Seiende dem Tier „nicht zugänglich“ sei (Agamben 2003, 63), obwohl<strong>Heidegger</strong> an verschiedenen Stellen explizit das Gegenteil behauptet (GA 29/30, 292, 299, 390). Vonsolchen Kleinigkeiten abgesehen, fällt vor allem auf, dass es Agamben nicht für erforderlich hält, zu<strong>Heidegger</strong>s These, das Tier sei weltarm im Sinne von weltentbehrend, verteidigend oder problematisierendStellung zu nehmen. Er gibt auch nicht zu erkennen, dass er ihre Tragweite richtig einschätzt, wenn ererklärt, die Weltarmut werde durch die „Öffnung ohne Offenbarung definiert“ (Agamben 2003, 63; Hvh. v.mir, M. W.). Der sachlich interessante Beitrag, den Agamben zu <strong>Heidegger</strong>s Vorlesung liefert, betrifft dieFrage des Verhältnisses zwischen menschlicher Langeweile und tierischer Benommenheit (siehe insbes.ebd., 70 f., 77), liegt damit aber thematisch nicht innerhalb der hier verfolgten Problemstellung.13


In dem hier verfolgten Problemzusammenhang ist <strong>Heidegger</strong>s Wesensaufklärung derWeltarmut des Tiers nicht um ihrer selbst willen, sondern vor allem mit Blick auf die Fragevon Interesse, inwieweit privative Bestimmungen für sie maßgeblich sind. Aus diesem Grundverdienen einige negative Formulierungen <strong>Heidegger</strong>s besondere Aufmerksamkeit: „<strong>Das</strong> Saugenan der Blüte ist nicht ein Sichverhalten zur Blüte als etwas Vorhandenem“ (ebd., 353);zum Sichbenehmen des Tieres gehört „kein Vernehmen des Honigs als eines Vorhandenen“(ebd., 354). Während <strong>Heidegger</strong> hier nur mit einfachen Abgrenzungen ar<strong>bei</strong>tet – dem Treibendes Tiers abspricht, was unser Denken und Handeln prägt: die Als-Struktur –, scheint er an einerspäteren Stelle eine strikte Privationsbestimmung ins Spiel zu bringen, indem er die Genommenheitdes Vernehmens als ein Strukturmoment der Benommenheit einführt: „Die Bieneist in all dem Treiben bezogen auf Futterstelle, Sonne, Stock, aber dieses Bezogensein daraufist kein Vernehmen des Genannten als Futterstelle, als Sonne und dergleichen […]. Es ist keinVernehmen, sondern ein Benehmen, ein Treiben, das wir so fassen müssen, weil dem Tier dieMöglichkeit des Vernehmens von etwas als etwas genommen ist, und zwar nicht jetzt undhier, sondern genommen im Sinne des ‚überhaupt nicht gegeben‘.“ (Ebd., 360; Hvh. v. mir;M. W.)Die zitierte Passage ist überaus problematisch und ambivalent. Denn erstens kann einemWesen, von der Wortbedeutung her argumentiert, nur das „genommen“ werden, was eshat. <strong>Das</strong> gilt offensichtlich auch für Möglichkeiten wie die des Vernehmens von etwas als etwas.Vor diesem Hintergrund erscheint es einfach unzutreffend, dass dem Tier diese Möglichkeitgenommen ist. Zweitens argumentiert <strong>Heidegger</strong>, dass wir das Treiben des Tiers nur deshalbals Benehmen fassen dürfen, weil dem Tier die Möglichkeit des Vernehmens genommenist. Auch dies erscheint falsch. Um das Treiben des Tiers als Benehmen zu fassen, wird dieAnnahme, dass ihm diese Möglichkeit genommen ist, nicht benötigt; es reicht aus, dass es sienicht hat. Drittens: Ihr Schillerndes erhält die zitierte Passage schließlich durch den Zusatz„[…] genommen im Sinne des ‚überhaupt nicht gegeben‘“. Die in ihm enthaltene Neubestimmungder Wortbedeutung von „Genommenheit“ hat den Anschein desWillkürlichen. Der Grund dafür ist inzwischen bekannt: Was einem „überhaupt nicht gegeben“ist, kann einem auch nicht genommen sein; man hat es einfach nicht.Sieht man von diesen Schwierigkeiten ab, so scheint es aber sinnvoll zu sein, dem Zusatz„[…] genommen im Sinne des ‚überhaupt nicht gegeben‘“ die Funktion zuzumessen, die„Genommenheit“, <strong>bei</strong> der es sich der Wortbedeutung nach um eine strikte Privationsbestimmunghandelt, rhetorisch in eine lose Privationsbestimmung zu transformieren. Denn <strong>Heidegger</strong>sAusführungen werden auf diese Weise nicht mit der These belastet, die Tiere seien der14


Möglichkeit eines Vernehmens von etwas als etwas beraubt, wo es doch ausreicht zu sagen,ihr Zugang weise diese Als-Struktur nicht auf. So zu argumentieren, hieße aber, <strong>Heidegger</strong>eine Brücke zu bauen, die er gar nicht betreten möchte. Denn wo er seine Untersuchung desWesens des <strong>Lebendige</strong>n mit Blick auf die Weltarmutsthese bilanziert, greift er auf die strengprivative Bestimmung der „Genommenheit“ zurück: „Zur Benommenheit gehört als ein Wesensmomentdie Genommenheit von Welt“ (GA 29/30, 393), wo<strong>bei</strong> Genommenheit von <strong>Heidegger</strong>offenbar als maßgebliche Stütze für seine Konzeption der Weltarmut als Entbehren insSpiel gebracht wird. Denn die Frage im Kontext der zitierten Stelle ist lediglich, ob (i) die Benommenheitals „der Organismuscharakter des Tieres […] die Bedingung der Möglichkeit derWeltarmut“ im Sinne des Entbehrens von Welt ist, oder ob umgekehrt (ii) die so verstandeneWeltarmut „die Bedingung und der Wesensgrund für den Organismus und seine innere Möglichkeit“ist (ebd.). <strong>Heidegger</strong> erläutert zuerst, dass hier nicht die zweite, sondern nur die ersteAlternative in Frage kommt. Da die Genommenheit „nur ein konstitutives Moment der Wesensganzheitdes Organismus – der Benommenheit – ausmacht“ und der einzige Anhaltspunktfür die Weltarmut als Entbehren ist, kann diese nicht die Bedingung der Möglichkeit des Wesensganzender Benommenheit sein (ebd.); vielmehr, so <strong>Heidegger</strong>, sei umgekehrt „die Benommenheit[…] die Bedingung der Möglichkeit der Weltarmut“ als Entbehren (ebd., 394).Der Sache nach, so ist kritisch einzuwenden, ist allerdings auch diese Alternative nichtüberzeugend. Denn sie basiert darauf, dass „Genommenheit“ als Strukturmoment der Benommenheitnicht schon mittels der oben zitierten Neudefinition („im Sinne des ‚überhaupt nichtgegeben‘“, 360) entschärft ist, sondern als eine strikte Privationsbestimmung gilt. Denn nurdann lässt sich der Schritt vom Begriff der Genommenheit von Welt zu dem der Weltarmutals Entbehren machen. Doch dass den Tieren Welt oder die Möglichkeit des Vernehmens vonetwas als etwas tatsächlich genommen ist, konnte <strong>Heidegger</strong> bisher nicht einmal annäherndverständlich machen.Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur gut nachvollziehbar, sondern auch überfällig,dass <strong>Heidegger</strong> gegen seine These, es handele sich <strong>bei</strong> dem für die Tiere charakteristischenNichthaben der Welt um ein Entbehren von Welt, schließlich einen Selbsteinwand erhebt. Indem letzten Paragraphen vor dem Übergang zur Untersuchung des Weltproblems und derThese „Der Mensch ist weltbildend“, also nach der gesamten Wesensaufklärung der Weltarmutdurch die Untersuchung des Wesens des <strong>Lebendige</strong>n (GA 29/30, 295-388) erwägt <strong>Heidegger</strong>,ob wir die Bedeutung der Weltarmutsthese „am Ende […] nicht nur reichlich zurückschrauben“müssen, sondern ob auf diese These überhaupt zu „verzichten [ist], weil sie – ge-15


ade auf das Wesen der Tierheit gesehen – irreführt, d. h. die verkehrte Meinung erweckt, alssei das Sein des Tieres in sich und an sich ein Entbehren und Armsein“ (ebd., 394).Wie schwer der Einwand wiegt, zeigt sich darin, dass sich <strong>Heidegger</strong>, obwohl der Kernseiner Konzeption des <strong>Lebendige</strong>n auf dem Spiel steht, weder um eine Widerlegung nochauch nur um eine Zurückweisung des Einwandes bemüht – es geht ihm lediglich um eine„Entkräftung“ (GA 29/30, 392). Er schlägt dazu zwei Wege ein. Auf dem einen versucht ernoch einmal das Konzept der Genommenheit für seine Zwecke fruchtbar zu machen. „Wennwir zuvor betont haben, die Genommenheit der Möglichkeit der Offenbarkeit von Seiendembilde nur ein Strukturmoment der Benommenheit und könne deshalb nicht der Wesensgrunddes Ganzen als solchen sein, dann ist dem jetzt zu entgegnen, dass wir am Ende die wesenhafteOrganisation des Organismus noch gar nicht hinreichend geklärt haben, um über die Bedeutungdieser Genommenheit zu entscheiden, und dass wir sie nicht klären können, solangewir nicht das Grundphänomen des Lebensprozesses und damit des Todes mit hineinziehen.“(Ebd., 396) Mit anderen Worten: Bei weiterer Untersuchung könnte sich herausstellen, dassder systematische Ort der Genommenheit von Welt tiefer liegt als bisher angenommen, dassGenommenheit also nicht nur ein Strukturaspekt, sondern der Grund des Strukturganzen derBenommenheit ist. Diese Überlegung ist für <strong>Heidegger</strong>s Zwecke m. E. weniger hilfreich, alses den Anschein haben mag. Denn die Frage des systematischen Orts der Genommenheit vonWelt stellt sich nur dann ernsthaft, wenn überhaupt gerechtfertigt ist, dass dem Tier Welt genommenist. Genau diese Rechtfertigung blieb <strong>Heidegger</strong> aber schuldig. 18 – Auf dem anderenWeg erklärt <strong>Heidegger</strong>, es sei angesichts der Ungeklärtheit des Weltbegriffs zu früh, die Thesevon der Weltarmut des Tieres aufzugeben. „Wir wissen bisher nur ein Geringes vom Wesender Welt und vom Grund ihrer Möglichkeit gar nichts; und erst recht nichts von der Bedeutungdes Weltphänomens in der Metaphysik. Steht es aber so, dann haben wir jetzt zummindesten noch kein Recht, unsere These ‚das Tier ist weltarm‘ abzuändern und zu nivellierenauf den indifferenten Satz: das Tier hat keine Welt“ (ebd., 395). Die Äußerung erscheintseltsam. Denn selbstverständlich besteht das Recht, eine These abzuändern, die von Beginn anweder plausibel noch hinreichend motiviert war und die sich auch nicht in der dann folgendenumfangreichen Untersuchung erhärten ließ. Es scheint sogar umgekehrt geboten, eine so beschaffeneThese zu suspendieren.18Mit Beelmann ist hinzuzufügen, dass auch wenig Hoffnung zu bestehen scheint, dass sich aus der„todesbezogenen Analyse der Prozessualität des Lebens“ eine Rechtfertigung dafür gewinnen lässt, dassdem Tier die Möglichkeit der Offenbarkeit des Seienden genommen ist bzw. dass es Welt entbehrt(Beelmann 1994, 148 f.). Denn als Hauptergebnis einer solchen Analyse kann (wie schon in Sein und Zeit)wohl „nur erwartet werden, daß <strong>Lebendige</strong>s nicht stirbt, sondern verendet“ (ebd., 149).16


Beide Versuche <strong>Heidegger</strong>s, den Selbsteinwand gegen seine These, dass das Tier in einemstreng privativen Sinn weltarm ist, zu entkräften, haben etwas Gemeinsames: Ihr Erfolghängt von zukünftigen Untersuchungen ab, davon, dass die jeweils anvisierten UntersuchungenResultate zeitigen, die die Weltarmutsthese unterstützen. Doch zeigt sich die Haltlosigkeitvon <strong>Heidegger</strong>s Position nicht genau darin, dass er dem zentralen Einwand gegen sie schließlichnur begegnen kann, indem er eine Hypothek auf nicht durchgeführte Untersuchungenaufnimmt? Gerade die Hauptthese seiner Erörterung des Wesens des <strong>Lebendige</strong>n, die These,das Tier sei in dem Sinne weltarm, dass es Welt entbehrt, hängt also in der Luft.Die Autorität, die <strong>Heidegger</strong> für seine These am Ende allein noch ins Feld führen kann,ist die der Dichtung und die religiöser Texte. Mit Bezug auf die verbleibenden Aussichten,„das Nichthaben von Welt <strong>bei</strong>m Tier doch als ein Entbehren zu verstehen und in der Seinsartdes Tieres als solchen ein Armsein zu finden“ (GA 29/30, 395), erklärt er: „Daß vielleicht nurdie Dichter gelegentlich davon reden, ist ein Argument, das die Metaphysik nicht in den Windschlagen darf. Am Ende bedarf es nicht erst des christlichen Glaubens, um etwas von jenemWort zu verstehen, das Paulus (Römer VIII, 19) schreibt von der Âpokaradoka t²VktsewV, von dem sehnsüchtigen Ausspähen der Geschöpfe und der Schöpfung, deren Wege,wie auch das Buch Esra IV, 7, 12 sagt, in diesem Äon schmal, traurig und mühselig gewordensind.“ (Ebd., 396)Es bleibt allerdings unklar, welchen argumentativen Status es hat, wenn Dichter in einerWeise sprechen, die mit den Besonderheiten von <strong>Heidegger</strong>s Weltarmutsthese verträglich ist.Ist gemeint, dass sich Weltarmut zu Recht als strikte Privationsbestimmung verstehen ließe,sofern die Welt der Dichtung und ihre ‚Wahrheit‘ gegenüber unserer metaphysisch vorrangigwäre? Doch es ist nicht einzusehen, wie ein solcher Vorrang begründet werden sollte. – Konkretscheint sich <strong>Heidegger</strong> dann letztlich auf das zu verlassen, was er in einigen religiösenTexten findet, etwa auf Paulus’ Rede vom sehnsüchtigen Ausspähen der Geschöpfe, die aufdiejenige Entbehrung anspielt, die der Heilsausstand mit sich bringt. 19 Doch auch religiöseTexte können selbst <strong>bei</strong> größtmöglicher Dignität Argumente nicht ersetzen. Argumente sindin der <strong>Philosophie</strong> aber unverzichtbar.19Beelmann wertet die Passage so, dass <strong>Heidegger</strong> hier „theologische Bestände requiriert, von denen ervorgibt, sie seien philosophisch ableitbar“ (Beelmann 1994, 66), kommt im Fortgang seiner Untersuchungaber zu dem Resultat, dass <strong>Heidegger</strong> keine solche Ableitung leistet.17


Literatur:Agamben, Giorgio 2003, <strong>Das</strong> Offene. Der Mensch und das Tier. Frankfurt a. M.Beelmann, Axel 1994, <strong>Heidegger</strong>s hermeneutischer Lebensbegriff. Eine Analyse seinerVorlesung „Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit“.Würzburg.Derrida, Jacques 1988, Vom Geist. <strong>Heidegger</strong> und die Frage. Franfurt a. M.<strong>Heidegger</strong>, Martin, Gesamtausgabe. Frankfurt a. M. 1975 ff. [= GA]–, Sein und Zeit. Tübingen 16 1986. [= SuZ]–, Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz, in: GA 26, hrsg. v.K. Held. Frankfurt a. M. 1978.–, Einleitung in die <strong>Philosophie</strong>, in: GA 27, hrsg. v. O. Saame u. I. Saame-Speidel. Frankfurta. M. 1996.–, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, in: GA 29/30, hrsg. v.F.-W. v. Hermann. Frankfurt a. M. 1983.Kim, Jae-Chul 2001, Leben und <strong>Das</strong>ein. Die Bedeutung Wilhelm Diltheys für den DenkwegMartin <strong>Heidegger</strong>s. Würzburg.Kühn, Rolf 1991, „Zum Verhältnis von Leben und <strong>Das</strong>ein“, in: <strong>Das</strong>einsanalyse 8, 184-198.Liebsch, Burkhard 1996, „<strong>Das</strong>ein in der Zwischenzeit und Zweideutigkeit von ‚Leben‘:<strong>Heidegger</strong>“, in: ders., Geschichte im Zeichen des Abschieds. München, 153-163.Tugendhat, Ernst 1992, „<strong>Heidegger</strong>s Seinsfrage“, in: ders., Philosophische Aufsätze.Frankfurt a. M., 108-135.<strong>Wunsch</strong>, Matthias 2010, „<strong>Heidegger</strong> – ein Vertreter der Philosophischen Anthropologie?Über seine Vorlesung ‚Die Grundbegriffe der Metaphysik‘“, in: Deutsche Zeitschrift für<strong>Philosophie</strong> 58, 543-560.Xolocotzi, Angel 2002, Der Umgang als „Zugang“. Der hermeneutisch-phänomenologische„Zugang“ zum faktischen Leben in den frühen ‚Freiburger Vorlesungen‘ Martin<strong>Heidegger</strong>s im Hinblick auf seine Absetzung von der transzendentalen PhänomenologieEdmund Husserls. Berlin.18

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