MARIEN konkret - St. Marien-Krankenhaus Siegen
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weise eine Krebserkrankung nicht<br />
mehr geheilt werden kann oder die<br />
ständigen Schmerzen das Nervensystem<br />
verändert haben. „Krebspatienten<br />
möchten diese ständige<br />
Verstärkung unterbrechen. Sie streben<br />
dabei jedoch nicht Schmerzlosigkeit<br />
an, sondern möchten einen<br />
Schmerz im unteren Bereich einer<br />
imaginären Skala empfinden“, erklärt<br />
Prof. Dr. med. Winfried Gassmann.<br />
Die Angst vor dem Schmerz<br />
soll nicht übermächtig werden und<br />
das Leben dominieren. Er verweist<br />
dabei auch auf die ambulante Palliativversorgung<br />
in der Region, die<br />
Leuchtturmcharakter in ganz Nordrhein-Westfalen<br />
aufweise.<br />
Ullrich hebt die fatalen Folgen der<br />
Angst noch einmal hervor: „Sie verhindert,<br />
dass Patienten Dinge unternehmen,<br />
die ihnen Freude bereiten.“<br />
Dies schränkt die körperlichen<br />
und sozialen Aktivitäten immer<br />
mehr ein, was wiederum Schmerzen<br />
und Depression fördert. Schließlich<br />
ziehen sich die Patienten komplett<br />
zurück und gehen nirgendwo mehr<br />
hin, weil sie überzeugt sind, dass sie<br />
unmöglich längere Zeit stehen, gehen<br />
oder sitzen können, selbst wenn<br />
es doch einmal möglich wäre. Lässt<br />
sich dieser verhängnisvolle Kreislauf<br />
durchbrechen? Davon sind die<br />
Siegerländer Mediziner überzeugt:<br />
Die Kombination aus Medikamenten<br />
und Verhaltenstherapie kann<br />
neue Lernprozesse anstoßen. Hierbei<br />
sollen alte und unangenehme<br />
Gedächtnisinhalte quasi überschrieben<br />
werden. „Ein Genusstraining<br />
kann da die eine oder andere positive<br />
Entwicklung herbeiführen“, so<br />
Dr. Ullrich. Das geflügelte Wort des<br />
lebenslangen Lernens gilt also auch<br />
hier. Deshalb ist es möglich, neue<br />
Erfahrungen im Gehirn abzuspeichern,<br />
wodurch alte, unangenehme<br />
und schmerzhafte Erinnerungen<br />
allmählich verblassen, wenn diese<br />
nicht ständig wieder aufgefrischt<br />
werden. Das Gehirn kann demnach<br />
lernen, einen chronischen Schmerz<br />
zu verändern, zu kontrollieren – und<br />
mitunter auch wieder zu vergessen.<br />
Entwicklung einer <strong>St</strong>rategie<br />
„Auch nach einer bereits eingetretenen<br />
Chronifizierung“, davon ist<br />
Schmerztherapeutin Dr. med. Ute<br />
Weyand, Oberärztin der Anästhesiologie<br />
im Kreisklinikum <strong>Siegen</strong> überzeugt,<br />
„sind durch eine konsequente<br />
und langfristige Behandlung Erfolge<br />
möglich.“ Allerdings brauchen Arzt<br />
und Patient neben verschiedenen<br />
Medikamenten, Bewegungstherapie<br />
und psychologischen <strong>St</strong>rategien<br />
insbesondere viel Geduld. Es dauert,<br />
Report<br />
bis die überaktiven Nervenzellen gedämpft<br />
und das Schmerzgedächtnis<br />
durch neue Verhaltensmuster überschrieben<br />
werden kann. „Sucht ist da<br />
eher ein geringes Problem“, antwortet<br />
Dr. med. Hamid Awwad auf die<br />
Frage der Redakteure nach den Folgen<br />
einer langfristigen Schmerzmitteleinnahme.<br />
In den letzten Jahren<br />
habe es erhebliche Fortschritte bei<br />
der Dosierung und Individualisierung<br />
der Medikation geben. „Medikamente<br />
müssen auf jeden Fall unter ärztlicher<br />
Kontrolle regelmäßig eingenommen<br />
werden und können später auch wieder<br />
abgesetzt werden“, so Dr. med.<br />
Awwad. Das Schlucken von Tabletten,<br />
sobald der Schmerz auftritt sei da<br />
der falsche Weg und führe überdies<br />
zu einem Zuviel an Medikamenten.<br />
„Von besonderer Bedeutung ist bei<br />
der Entwicklung einer <strong>St</strong>rategie, dass<br />
die Patienten die Erfahrung machen,<br />
dass ihr Schmerz kontrollierbar ist“,<br />
sagt Dr. med. Julia Hartmann. Denn<br />
dann verlieren sie die Angst vor der<br />
nächsten Attacke. Tritt der Schmerz<br />
bei bestimmten Aktivitäten, die früher<br />
Schmerzen verursachten, nicht<br />
mehr oder kaum noch auf, ist darum<br />
der erste Schritt getan. Die Angst wird<br />
zurückgedrängt und die Voraussetzungen<br />
für das Überschreiben alter<br />
und das Erlernen neuer Verhaltensmuster<br />
sind gelegt.<br />
Schmerz wird oft unterschätzt<br />
<strong>Marien</strong> <strong>konkret</strong> 67/12<br />
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