Wenn Erzieherinnen überzeugt davon sind,dass Autonomieerfahrungen wichtig für dieEntwicklung der Kinder sind, dann kommensie an den Punkt, an dem sie eine Entscheidungtreffen und fragen: Was können wir verändern,damit die Kinder dieses Grundbedürfnisnach Selbstbestimmung befriedigen können?Gerade, was das Essen angeht, stoßen wirErwachsenen häufig an unsere eigenenGrenzen. Die meisten von uns haben als Kinderganz andere Erfahrungen gemacht. Diemeisten von uns sind mit dem Spruch erzogenworden: „Es wird gegessen, was auf denTisch kommt.“ (Für uns waren nach der Uhrzeitgeregelte Mahlzeiten schon zu Säuglingszeitenselbstverständlich.) Wann immerwir mit Erzieherinnen über ihre eigene Kindergartenzeitsprachen, wurden als negativeErfahrungen der Zwang zum Essen und derzum Schlafen genannt. Diese Erfahrungensind schmerzlich.Die Herausforderungen für Erzieherinnen,sich mit dem Thema auseinanderzusetzenund Dinge zu verändern, liegen auf der Hand.Was brauchen die Erzieherinnen, um dazu inder Lage zu sein?Sie brauchen das Wissen über die Wichtigkeitvon Selbstbestimmung und Beteiligung für diekindliche Entwicklung. Sie müssen außerdemdie Möglichkeit – die Zeit und den Raum –haben (bzw. nehmen), sich im Team auszutauschenund zu reflektieren. Dabei ist es förderlich,wenn das Team für einen Rahmen,ein Klima sorgt, in dem es möglich ist, offenzu sein, Gefühle zu äußern und Fragen zustellen. Welche eigenen Erfahrungen habendazu geführt, wie ich jetzt bin, denke undfühle? Wo sind meine Grenzen, meine Befürchtungen?Auf dieser Basis kann gemeinsamüberlegt werden: Was wollen wir, waskönnen wir verändern, und wie wollen wir dastun?Wir haben die Erfahrung gemacht, dass inden meisten Kitas die Erzieherinnen sich zuwenig Zeit nehmen, um über ihre pädagogischePraxis nachzudenken. Dabei sind dieHerausforderungen, die eine Veränderungdes Bildungsverständnisses, des Kindbildesund der Erzieherinnenrolle bedeuten, ambesten im gegenseitigen Austausch zu meistern.Im Projekt „Demokratie leben“ ist esüblich, dass die Erzieherinnen ihre Beobachtungenund die daraus ersichtlichen Themender Kinder mit den Kolleginnen besprechenund sich gegenseitig durch ihre unterschiedlichenPerspektiven vielfältige Impulse zumWeiterdenken geben.Wie hilfreich es sein kann, dass die Erzieherinnendie Zeit und den Raum für eine gemeinsameReflexion haben, soll das nächsteBeispiel zeigen:In einer Gruppe von Kolleginnen stellte eineErzieherin ihre Beobachtungen aus ihrer Kindergruppevor. Es sollte darum gehen, in denverschiedenen Situationen der Kinder einSchlüsselthema zu finden, anhand dessen siemit den Kindern ein Projekt entwickeln konnte.Sie war sich unschlüssig, welches derThemen, die die Kinder beschäftigten, daswichtigste wäre. Nebenbei kam sie bei derBeschreibung auch auf die soziale Situationin der Gruppe zu sprechen; ein Mädchenwurde seit längerem von den anderen Kindernausgegrenzt. An dieser Stelle fragten die34 KINDER ERFAHREN DEMOKRATIE …
Kolleginnen nach; und so beschrieb sie ausführlicherdie Situation (das Mädchen wurdegehänselt und durfte nie mitspielen) und auchihre erfolglosen Versuche, etwas daran zuändern. Bisher hatte sie nämlich versucht, dieSticheleien zu unterbinden und die Kinderdurch Ermahnungen dazu zu bringen, sichdem Mädchen gegenüber fairer zu verhalten.Im Gespräch mit den Kolleginnen wurde ihrzunehmend klarer, dass das soziale Thema inder Gruppe das Schlüsselthema war und amstärksten nach Veränderung drängte. DerBlick der Kolleginnen von außen, ihre Fragenund ihre Hilfestellungen ermutigten sie, sichdiesem Problem noch einmal von Neuemzuzuwenden und andere Handlungsmöglichkeitenauszuprobieren. Sie nahm sich vor,das Problem in der Kindergruppe nicht mehrexplizit anzusprechen, sondern sie überlegtesich: Wie kann ich die Kinder in Kontakt mitdem Mädchen bringen? Sie probierte eineIdee aus, indem sie mit ihr bastelte oder einSpiel spielte. Die Kinder, die durch die Aktivitätangezogen wurden, näherten sich überdie gemeinsame, interessante Beschäftigungauf neue Weise an sie an.Aber im Grunde genommen machte sie nichtviel mehr als sonst auch. Sie schenkte lediglichder Dynamik in der Kindergruppe imgesamten Alltag mehr Aufmerksamkeit. ZumBeispiel nutzte sie das zur Weihnachtsfeieranstehende Märchenspiel für eine Gruppenerfahrung.Sie beteiligte die Kinder bei derPlanung und achtete darauf, dass die Absprachenbei der Rollenverteilung und Kostümauswahlfair verliefen. Die Kinder gewöhntensich daran, viele Gespräche zu führen. Allmählichveränderte sich das Klima in derGruppe. Bald erkannten die Kinder, dass sieeinen festen Ort für Besprechungen brauchen,weil es viel zu klären und auszuhandelngab. Daraus entwickelte sich ein Projekt, beidem die Kinder im Raum eine „Sternenhimmel-Beratungsecke“mit Sitzkissen und Sternenhimmelaus Stoff einrichteten, in die siesich von da an immer dann zurückzogen,wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gab.Wie schwierig es ist, mit Entscheidungen derKinder umzugehen, wenn sie der Erzieherinproblematisch erscheint, zeigt das folgendeBeispiel:Eine Erzieherin einer Hortgruppe hatte sichentschieden, den Kindern zu überlassen, wiesie die Organisation des Tischdienstes regelnwollen. Sie wollte den Kindern den Lernerfolgermöglichen, ohne Steuerung durch ErwachseneAushandlungsprozesse zu bewältigen.(Das taten sie übrigens nicht zum ersten Mal.)Nachdem die Kinder einvernehmlich einenWeg gefunden hatten, fiel der Erzieherin auf,dass ein Junge, der besonders ruhig war,dreimal hintereinander den Tisch aufräumte.Das störte ihr Gerechtigkeitsgefühl derartig,dass sie den Jungen ansprach: „Du musstnicht jeden Tag den Tisch aufräumen, wenndu nicht willst.“ Er aber antwortete: „Aber ichwill doch!“ Da sie sich vorgenommen hatte,sich nicht in die Angelegenheiten der Kindereinzumischen, ließ sie es dabei bewenden.Aber sie fühlte sich nicht wohl dabei. Siebefand sich in einem inneren Konflikt zwischenihren eigenen Wertvorstellungen unddem Anspruch, diese den Kindern nicht überzustülpen.Diesen Konflikt löste sie so, dasssie immer, wenn die Kinder sich versammel-KINDER ERFAHREN DEMOKRATIE … 35
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