www.yeziden-colloquium.deAdi. Als er erfahren hatte, was geschehen war, fragte er vorwurfsvoll: „Er mag euch jagesagt haben, dass ihr nichts unternehmen sollt, aber wie konnte euer Gewissen dieScheich Adi zugefügte Ungerechtigkeit ertragen?“ Meme Reschan eilte hinaus und befreiteScheich Adi aus den Händen seines Entführers.Diese Anekdote weist eine interessante Parallele zur Verweigerung von Taus-i Melek auf,Adam anzubeten. In beiden Fällen standen Zivilcourage und Gerechtigkeitssinn über demblinden Befolgen von Befehlen.[54]Das Scheich-Adi-Tor mit seinem Hüter, dem Baba Schawusch.
www.yeziden-colloquium.de[55]Mamou Othman(Pir Mamo)Taus-i Melek oder der politische Gott der Weltreligionen? Ein Beitrag zur Theologie undReligionsgeschichte der <strong>Yeziden</strong>Die yezidische Religion ist nach Ansicht ihrer Gläubigen eine der ältesten Religionen, mitder sich Gott auseinander setzten musste. Die <strong>Yeziden</strong> glauben, dass sie ein Geheimnis bewahren,das erst am Tage der Auferstehung offenbart wird.Für mich persönlich ist es von großer Bedeutung, ein Angehöriger dieser Religion zusein. Ich bin und bleibe kulturell vom <strong>Yeziden</strong>tum geprägt, auch wenn ich im Folgendenversuche, historische Verortungen dieser Religion vorzunehmen. Die yezidische Mythologiehat sich mir tief eingeprägt. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich nicht meine intellektuellenFähigkeiten einsetze, um meine Religion zu hinterfragen und sie in einen religionshistorischenKontext zu stellen – auch wenn mir das den Vorwurf einbringen mag, die religiösenTraditionen „zerstören“ zu wollen und somit eine Gefahr für die yezidische Religion darzustellen.Der Versuch, die Religion zu enttabuisieren, aus ihr die Angst herauszunehmen, indemman über Tabus spricht und sie analysiert, ist der Versuch, den Glauben vom Mythologischenauf ein theologisches Niveau zu heben. Ich möchte den griechischen PhilosophenDemokrit (5./4. Jh. v. Chr.) zitieren:„Die Angst ist ein schreckliches Naturphänomen, das in der Religion verankert ist.“(zitiert nach Togariv 1976, S. 20)Natürlich ist es ein „gefährlicher“ Schritt, Erkenntnisse zu gewinnen und damit den seitJahrhunderten von Generation zu Generation überlieferten und praktizierten Glauben inFrage zu stellen. Ein solches Unterfangen kann gleichermaßen auf Ablehnung bei den Laienund der religiösen Führungsschicht stoßen. Aber ich entgegne, dass es mindestens ebensogefährlich, vor allem aber unweise ist, in der heutigen Zeit einen Vergleich der eigenen Religionmit anderen Religionen zu scheuen. Historisch gesehen haben sich Religionen jeweils„entwickelt“. Sie wurden im Laufe der Zeit von anderen Religionen beeinflusst, und siehaben Reste von Religionen, [56] die vor ihnen im gleichen Verbreitungsgebiet existierthaben und die sich in der Volksfrömmigkeit bewahrt hatten, übernommen.Ich habe nicht die Absicht, an den Grundfesten des yezidischen Glaubens zu rütteln. ImGegenteil, ich möchte vielmehr herausarbeiten, was im Vergleich mit anderen Religioneneines der wichtigsten Grundelemente unseres yezidischen Glaubens ist.Da die Glaubensinhalte und Riten der yezidischen Religion bisher nur den in die GlaubensgemeinschaftHineingeborenen zugänglich waren – eine Schutzmaßnahme in einerfeindlichen Umwelt – wird sie in westlichen Quellen oft als esoterischer Geheimkult oderals Geheimreligion bezeichnet. Nach Kriterien der abendländischen Kultur ist der Glaubeder <strong>Yeziden</strong> eine synkretistische Religion, eine Religion die keine Theologie im westlichenSinne besitzt, aber dringend eine solche benötigt (Yalkut-Breddermann 2001, S. 45-49).Im Folgenden werde ich – hauptsächlich am Beispiel von Taus-i Melek – einzelne Aspekteim Sinne einer solchen Theologie und Religionsgeschichte zur Diskussion stellen.1 Taus-i Melek im yezidischen GlaubenDie zentrale Gestalt des yezidischen Glaubens ist Taus-i Melek, der Engel Pfau. Die <strong>Yeziden</strong>verehren Taus-i Melek als Gott, nicht als Teufel, wie ihnen Anhänger anderer Religionenvorwerfen. Für die <strong>Yeziden</strong> ist Taus-i Melek wie Feuer mit dualistisch-elementarenFähigkeiten: Quelle des Lichts und des Feuers der Verbrennung, Gut und Böse in derselben