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DOI - Yeziden - Yeziden-Colloquium

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www.yeziden-colloquium.demen organisiert lebten. Es gab sogar Stämme, die sich sowohl aus muslimischen als auchaus yezidischen Mitgliedern zusammensetzten. Selbst wenn diese nicht untereinander heirateten,mussten sie sich doch zusammen organisieren. Es konnten also durchaus unterschiedlichepolitische Loyalitäten entstehen.Die Sozialorganisation nach Stämmen hatte zur Folge, dass es keine politische Zentralgewaltgab, die für alle Kurden bzw. <strong>Yeziden</strong> hätte sprechen und handeln können. Stattdessen fühlte man sich zuerst einmal der eigenen Familie verpflichtet, dann dem engerenund weiteren Verwandtenkreis und schließlich dem Stammesführer. Eine übergeordneteAutorität aller <strong>Yeziden</strong> gab es nur in dem Maße, in dem sich die Stammesverbände freiwilligdem Mir von Shaikhan unterzuordnen bereit waren.Zur geographischen und politischen Heterogenität kommt eine religiöse hinzu, und diesin mehrfacher Hinsicht: Zum einen gilt das <strong>Yeziden</strong>tum als ein so genanntes „synkretistisches“Glaubenssystem. Das bedeutet, dass in ihm unterschiedliche Aspekte verschiedenerreligiöser Traditionen zu einem eigenen, neuen System verschmolzen sind. Dieser Umstandmacht es den Religionswissenschaftlern bis heute schwer, zu eindeutigen Aussagenüber den Ursprung der yezidischen Religion zu kommen. Hinzu kommt das [71] Fehleneiner ausformulierten Theologie, das heißt, eines zusammenhängenden Systems vonstrengen Regeln, die den Gläubigen in jeder Situation genau vorschreiben, was sie zu tunund zu denken haben. Bei den <strong>Yeziden</strong> herrscht das Ideal der rechten Lebensführung, derOrthopraxie, vor. Was aber zur rechten Lebensführung gehört, d. h. wie man sich als Yezidebzw. Yezidin in bestimmten Situationen „richtig“ zu verhalten hat, das ist immerauch Aushandlungssache.Schließlich wurde die yezidische Religion bis vor Kurzem in Form von Liedern, Gebetenund religiösen Hymnen ausschließlich mündlich weitergegeben, und zwar von religiösenSpezialisten, allen voran Scheichs und Pirs. Da es ebenfalls keine (in unserem Sinne)theologische Ausbildung der religiösen Würdenträger gibt – denn als Scheich oder Pirwird man geboren, nicht berufen – kann es zu durchaus unterschiedlichem religiösen Wissenund auch zu einem variierenden Engagement in der Betreuung der zugeordneten Laienkommen.Berücksichtigt man darüber hinaus die bereits erwähnte geographische Zerstreuung,die dazu führte, dass die Qewals aus Lalesh – wenn überhaupt – nur einmal im Jahr diejeweiligen Dörfer besuchen konnten, so wird deutlich, dass sich im Laufe der Jahrhundertedurchaus unterschiedliche Bestände religiösen Wissens entwickeln konnten, dass also<strong>Yeziden</strong> aus Syrien, der Türkei oder Georgien durchaus abweichende Vorstellungen überEinzelheiten ihres Glaubenssystems haben können.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man nicht ohne weiteres von einer homogenen,d. h. einheitlichen und allgemein gültigen yezidischen Kultur und Religion ausgehenkann. Man muss vielmehr ihre Heterogenität, d.h. die geographische Zerstreuung und diedaraus resultierenden unterschiedlichen politischen Loyalitäten und religiösen Praxen inRechnung stellen.Für solche zerstreut lebenden Gruppen, deren Erfahrung von häufiger Verfolgung undFlucht geprägt ist, gibt es den klassischen Begriff der Diaspora (der nichts anderes als„Zerstreuung“ heißt). Und das klassische Beispiel in diesem Zusammenhang ist sicherlichdie jüdische Diaspora.[72]2 Diaspora: das Beispiel der JudenDer Begriff der Diaspora bezog sich eine lange Zeit ausschließlich auf den Aufenthalt derJuden im babylonischen Exil. Nachdem die Juden einen Aufstand gegen das mesopotamischeReich gewagt hatten, hatte König Nebukadnezar II. Strafaktionen gegen sie befohlen,in deren Verlauf 586 und 597 v. Chr. die Bevölkerung von Juda sowie die Oberschicht des

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