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Programmheft herunterladen - Münchner Philharmoniker

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ten Erinnerungen. „In viele meiner Sachen ist<br />

die böhmische Musik meiner Kindheitsheimat<br />

mit eingegangen“, bekannte Mahler später<br />

ge genüber seiner Vertrauten Natalie Bauer-<br />

Lechner. In der Dichtung des „Wunderhorns“<br />

entdeckte er nun ganz ähnliche Stimmungen<br />

und Stoffe, die eine Welt an Gefühlen und Genres<br />

umspannten – Liebe und Trauer, Hoffnung<br />

und Klage, Parabel, Humoreske und dramatische<br />

Szene. Die romantische Sehnsucht nach<br />

verlorenen Paradiesen und versunkenen Epochen,<br />

nach dem Ursprünglichen und dem Naiven<br />

war auch Mahler nicht fremd. Gerade weil<br />

seine eigene Ära, die Gründerzeit, so stark vom<br />

Fortschrittsdenken und der Industrialisierung<br />

geprägt war, mochte der Wunsch, das Rad der<br />

Geschichte zurückzudrehen, erst recht gedeihen:<br />

alles auf Anfang zu stellen, wie es früher<br />

einmal war. Vor diesem Hintergrund erschien<br />

das Volkslied als etwas „Höheres“ – unverdorben<br />

und rein, noch ganz Natur...<br />

Dass es sich bei der Poesie des „Wunderhorns“<br />

nicht durchweg um originale Volksgedichte<br />

han delte, konnte Mahler allerdings nicht wissen.<br />

Der Frankfurter Kaufmannssohn Clemens<br />

Brentano und der märkische Adelsspross Achim<br />

von Arnim hatten dem Volk mitnichten „aufs<br />

Maul geschaut“; sie zogen auch nicht mit Block<br />

und Bleistift durch die Lande, um aufzuzeichnen,<br />

was ihnen vorgetragen wurde. Den Löwenanteil<br />

der 723 Gedichte, die ihre Sammlung<br />

vereint, fanden sie in Zeitschriften und Büchern,<br />

fliegenden Blättern oder überlieferten Handschriften;<br />

diese Vorlagen wurden zum Teil tief-<br />

Gust av Ma h ler : „Wunderhor n“-L ieder<br />

– 10 –<br />

greifend bearbeitet, umgeschrieben und den<br />

eigenen Intentionen angepasst. Gelegentlich<br />

haben die beiden Herausgeber auch selbst zur<br />

Feder gegriffen und ganz neue Verse gedichtet,<br />

die den verklärten Vorbildern nachempfunden<br />

waren. Doch selbst wenn Mahler von diesem<br />

Verfahren Kenntnis erhalten hätte, dürfte es<br />

ihn wohl kaum gestört haben – ging er doch<br />

zeitlebens ganz ähnlich vor: Als er in den<br />

1880er Jahren seine „Lieder eines fahrenden<br />

Gesellen“ komponierte, verfasste er drei der<br />

vier Gedichte kurzerhand selbst – und zwar<br />

stilgetreu im Volkston des „Wunderhorns“.<br />

Und bei den Vorlagen, die er direkt aus der<br />

Sammlung übernahm, schreckte er vor Eingriffen<br />

nicht zurück. Die Volkslieder waren<br />

für ihn Rohdiamanten, die er noch schleifen<br />

durfte.<br />

Wer will unter die Soldaten ?<br />

Ein signifikantes Beispiel für Mahlers Arbeit<br />

am Text bietet gleich die erste Vertonung, die<br />

Christian Gerhaher vorträgt, „Der Schildwache<br />

Nachtlied“, die Anfang 1892 entstand:<br />

das Gespräch zwischen einem Soldaten und<br />

einer jungen Frau, das oft als Anklage gegen<br />

Krieg und Gewalt gedeutet wurde. Das originale<br />

Gedicht endet damit, dass der Dialog<br />

durch das plötzliche Erscheinen eines patrouillierenden<br />

Hauptmanns unterbrochen wird:<br />

Mit dem Ausruf „Bleib’ mir vom Leib !“ versucht<br />

der Soldat, den Eindringling zu vertreiben.<br />

Diese letzten Worte der „Wunderhorn“-<br />

Vorlage blendet Mahler nun an einer frühe-<br />

Gustav Mahler in Hamburg, wo er die ersten „Wunderhorn“-Lieder komponierte (um 1892)

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