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Programmheft herunterladen - Münchner Philharmoniker

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Da s P roblem des Fragment a r ischen<br />

Edieren oder vervollständigen ?<br />

Verfasst 1987 als Entwurf zu einem Antwortschreiben,<br />

aus Krˇeneks Nachlass herausgegeben<br />

von Stephan Kohler<br />

Zur Frage von Mahler X: Sie wissen wohl, wie<br />

meine Beteiligung daran zustande kam. Ich<br />

war damals eine kurze Zeit mit Mahlers Tochter,<br />

Anna, verheiratet, und als ihre Mutter,<br />

Alma, mich aufforderte, die Zehnte zu „vollenden“,<br />

konnte ich nicht gut nein sagen. Sie<br />

dachte vermutlich: wenn man schon neun hat,<br />

wäre mit zehn ein noch besseres Geschäft zu<br />

machen.<br />

Beim Studium der Skizzen bekam ich den Eindruck,<br />

dass der 1. Satz von Mahler selbst in<br />

dem Sinn vollendet war, dass offensichtlich<br />

nichts fehlte außer den Pausenzeichen in den<br />

leeren Takten. Wozu Franz Schalk, dem ich auf<br />

Almas Wunsch meine Edition zeigen musste,<br />

da er die Uraufführung dirigieren sollte, bemerkte,<br />

das sei ein Beweis, dass das „Adagio“<br />

doch nicht fertig sei, denn Mahler hätte bei<br />

der Vollendung einer Partitur immer Pausenzeichen<br />

in die leeren Takte gesetzt; das schien<br />

mir absoluter Unsinn, denn es würde heißen,<br />

dass in dem definitiv vollendeten Satz alle Instrumente<br />

die ganze Zeit zu spielen hätten –<br />

aber wer war ich, um mit Franz Schalk zu streiten<br />

? Die Vollendung der Partitur des „Purgatorio“,<br />

das möglicherweise der 2. Satz werden<br />

sollte, glaubte ich verantworten zu können, da<br />

in der von Mahler selbst hergestellten Partitur<br />

in der wörtlichen Reprise nur ein ganz kurzer<br />

Ernst Krˇenek<br />

– 2 9 –<br />

Abschnitt fehlte, den man aus dem genauen<br />

Particell vorsichtig ergänzen konnte.<br />

Zu Almas großer Enttäuschung lehnte ich es<br />

kategorisch ab, die anderen Sätze anzurühren,<br />

da es für diese auch nicht die Spur einer Partitur<br />

von Mahlers Hand gab, sondern nur flüchtige<br />

Skizzen, manchmal über Seiten hinweg<br />

nur eine Geigenstimme, so dass man hätte die<br />

ganze Musik neu erfinden müssen.<br />

Was Mahler an dem praktisch fertigen „Adagio“<br />

vielleicht noch geändert hätte, wenn er<br />

hätte länger leben können, lässt sich auf keinen<br />

Fall erraten. Aber das sollte uns nicht hindern,<br />

dieses schöne Stück zu spielen. Andernfalls<br />

dürfte man eigentlich gar nichts spielen,<br />

weil man nicht wissen kann, ob der Komponist<br />

das Werk nicht verändert hätte, wenn er Zeit<br />

gehabt hätte. Bedenken Sie, wie viele verschiedene<br />

Fassungen Verdi von mehreren seiner<br />

Opern gemacht hat – und niemand kann sagen,<br />

welche die endgültige ist. Ich selbst habe keine<br />

Neigung, frühere Arbeiten neu zu formulieren –<br />

ich will sie lieber als Zeugnisse einer bestimmten<br />

Periode betrachtet wissen und vielleicht<br />

manche ganz zurückziehen, wenn sie mir<br />

nicht mehr behagen.<br />

Meine Arbeit an Mahler X betrachte ich als<br />

„edieren“, nicht vollenden. Ich habe keine<br />

Note hinzugefügt oder verändert. Die „Vollendung“<br />

von Cooke halte ich für höchst befremdlich<br />

und unverantwortlich.

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