im Blick - Wirtschaftsförderung Recklinghausen
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TITELTHEMA n n n<br />
Wertschöpfungspotenzial der Generation 50+<br />
n ES klingt erst einmal wie ein Widerspruch: Die<br />
Arbeitswelt wird in den kommenden Jahren deutlich<br />
bunter – und grauer wird sie auch. Bunter deshalb, weil<br />
in den Büros und Fabrikhallen neue Arbeitszeitmodelle<br />
und flexible Dienstpläne <strong>im</strong>mer stärker althergebrachte<br />
Strukturen ablösen. Dazu werden sich Belegschaften<br />
aus <strong>im</strong>mer mehr Frauen und Arbeitnehmern mit<br />
Migrationshintergrund zusammensetzen. Der demographische<br />
Wandel wird außerdem dazu führen, dass<br />
die Zahl der älteren Arbeitnehmer wächst: Die Köpfe<br />
in den Betrieben werden grauer.<br />
Zum Beispiel: Karl-Heinz Kus. Wer mit Mitte 50 längere<br />
Zeit arbeitslos ist, der findet eigentlich keinen<br />
Job mehr und kann zu Hause auf die Rente warten,<br />
so lautet die landläufige Meinung – jedenfalls bisher.<br />
Doch die Zeiten ändern sich. „Die Chancen älterer<br />
Arbeitnehmer sind deutlich besser geworden“, weiß<br />
Astrid Neese, die Leiterin der Recklinghäuser<br />
Agentur für Arbeit. In letzter<br />
Zeit habe sich in den Betrieben der<br />
Anteil erfahrener Arbeitnehmer erhöht.<br />
Die Folge: Die Zahl der Arbeitslosen<br />
über 55 Jahre ist 2007 <strong>im</strong> Kreis <strong>Recklinghausen</strong><br />
um knapp ein Fünftel gesunken.<br />
Von diesem Trend hat auch Karl-Heinz<br />
Kus profitiert. Er arbeitet bei der Elektro-<br />
Maschinen-Zentrale GmbH (EMZ) in<br />
<strong>Recklinghausen</strong> Süd.<br />
Der Hersteller von Elektromotoren und<br />
Transformatoren hat ihn vor drei Jahren<br />
nach längerer Arbeitslosigkeit eingestellt.<br />
Zunächst begann der heute 59-Jährige <strong>im</strong><br />
Vertrieb, stellte dann aber schnell fest: „Verkaufen ist<br />
nicht mein Ding.“ Nach ein paar Wochen begann er<br />
daher, die Wickelei <strong>im</strong> Betrieb an der Richardstraße<br />
aufzubauen. Kus: „Ich bin froh, dass der Chef mir<br />
dazu die Chance gegeben hat.“<br />
Verkaufen ist nicht mein Ding<br />
Der Chef heißt Stefan Beese und Karl-Heinz Kus ist<br />
in seinem Unternehmen kein Einzelfall. Im Außendienst<br />
sind für EMZ zwei gestandene Vertriebsmitarbeiter<br />
unterwegs, die bei ihrer Einstellung beide deutlich<br />
älter als 50 Jahre waren. Beides seien erfahrene<br />
Leute in der Branche, die man weniger führen müsse<br />
als Neulinge, so Beese. Strategisches Denken, die<br />
richtige Einschätzung der Kunden, das angemessene<br />
Auftreten vor Ort, die Erfahrung – für den EMZ-<br />
Geschäftsführer große Vorteile, die die älteren<br />
Arbeitnehmer gerade <strong>im</strong> Außendienst mitbringen<br />
würden. Diese Einschätzung der Jahrgänge zwischen<br />
1948 und 1958 setzt sich <strong>im</strong>mer mehr durch. Alter sei<br />
ein Garant für berufliche Erfahrung mit einem hohen<br />
Potenzial für Problemlösungen, persönliche Reife<br />
und Engagement, so Agentur-Chefin Astrid Neese.<br />
Dazu kann die „Generation 50+“ mit soliden<br />
Abschlüssen und beruflicher Qualifikation glänzen:<br />
Selbst bei den Arbeitslosen haben 57 Prozent einen<br />
Beruf erlernt, acht Prozent sind Meister oder Techniker<br />
und 13 Prozent haben einen Hochschulabschluss.<br />
So mancher der Älteren hat eigentlich bereits mit<br />
4 Wirtschaft <strong>im</strong> <strong>Blick</strong><br />
dem Job aufgehört und kehrt aus seinem Ruhestand<br />
doch noch einmal in den Beruf zurück. Bei EMZ ist<br />
ein Mitarbeiter, der zuvor bei Siemens beschäftigt<br />
war, auf Teilzeitbasis <strong>im</strong> Büro tätig. Stefan Beese:<br />
„Mit seinem enormen Erfahrungsschatz ist er ganz<br />
wichtig für uns.“ Bewusst setzt Beese allerdings nicht<br />
auf Ältere: „Alter ist weder ein Negativ- noch ein<br />
Positivkriterium.“ Allerdings sei etwa der Arbeitsmarkt<br />
für Ingenieure schon ziemlich leergefegt. Und<br />
auch die Meister würden rar, so Beese. Das Rezept<br />
des Recklinghäuser Unternehmers gegen das Verschwinden<br />
von Fachkräften lautet daher: regelmäßige<br />
Aus- und Fortbidung <strong>im</strong> Betrieb und<br />
keine Scheu bei der Einstellung von schon ergrauten<br />
Mitarbeitern.<br />
Redakteur Markus Schwardtmann (r.) <strong>im</strong> Gespräch mit EMZ-<br />
Geschäftsführer Stefan Beese: „Wertvoller Erfahrungsschatz“<br />
Arbeitgeber für 1500 Mitarbeiter<br />
Drei Jahre innerhalb von sieben Jahren – so lautet die<br />
Formel des demographischen Wandels in der Kreisverwaltung<br />
<strong>Recklinghausen</strong>. Das Durchschnittsalter<br />
der Beschäftigten lag in 2000 bei gut 42,3 Jahren;<br />
mittlerweile ist es auf 45,5 Jahre gestiegen. In weiteren<br />
zehn Jahren, so lautet die Vorhersage, werden<br />
zwei Drittel der Mitarbeiter über 50 sein. Eine rasante<br />
Entwicklung. Kein Wunder, dass die Verantwortlichen<br />
in der Behörde reagiert haben. Im November<br />
2006 wurde eine Dienstvereinbarung zur altersgerechten<br />
Personal- und Organisationsentwicklung<br />
abgeschlossen. Ihr Inhalt u. a.: Umsetzung altersge-<br />
rechter Ergonomiestandards, Förderung der Zusammenarbeit<br />
von jüngeren und älteren Beschäftigten,<br />
Altersstrukturanalysen, Gesundheitsförderung oder<br />
Vorbereitung auf den Ruhestand. Die Kreisverwaltung<br />
macht sich fit für die Zukunft. „Der demographische<br />
Wandel wird zu einem Gerangel um die<br />
Nachwuchskräfte führen. Hier gilt es für die Öffentliche<br />
Hand, sich in finanziell schwierigen Zeiten gleichwohl<br />
als attraktive Arbeitgeberin aufzustellen“, sagt<br />
Kerstin Kiefer, Mitglied der Projektleitung des Demographieprojektes<br />
„Zirkel 55+ - erfahren und gesund“<br />
be<strong>im</strong> Kreis. So werden den Mitarbeitern – jung und<br />
alt – Sportkurse und Betriebssportgemeinschaften,<br />
vorbeugende Massagen, regelmäßige Fortbildungen<br />
oder ganz einfach unter Beteiligung der Betriebsärztin<br />
und des Arbeitsschutzes eine Analyse angeboten, ob<br />
Stuhl, Schreibtisch oder der Computer am Arbeitsplatz<br />
korrekt eingerichtet sind. Die Kreisverwaltung<br />
kooperiert u. a. mit den Krankenkassen, Unfallversicherungsträgern<br />
und örtlichen Sportstudios.<br />
Auf den ersten <strong>Blick</strong><br />
Zudem sollen ältere Mitarbeiter künftig rechtzeitig<br />
und besser auf den Ruhestand vorbereitet werden.<br />
„Das reicht von einfachen Infos, welche Ämter später<br />
zuständig sind und besucht werden müssen, bis hin<br />
zur mentalen Auseinandersetzung“, so Kerstin Kiefer.<br />
Auf den ersten <strong>Blick</strong> überraschend bei den über 50<br />
Jährigen ist das Thema „Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf.“ Auch hier<br />
schlägt die Demographie zu. Bei<br />
<strong>im</strong>mer mehr Menschen, die kurz vor<br />
dem Ruhestand sind, leben noch die<br />
Eltern bzw. der Vater oder die Mutter.<br />
Im Pflegefall wird’s dann für die Arbeitnehmer<br />
häufig schwierig. „Wir müssen<br />
da auch über Teilzeitmodelle für Ältere<br />
reden“, so Expertin Kiefer. Sowohl der<br />
Mittelständler EMZ mit 55 Mitarbeitern<br />
als auch die 1500 Köpfe starke Kreisverwaltung<br />
versuchen, den Wissensverlust<br />
zu mindern, wenn erfahrene Beschäftigte<br />
in Rente gehen. Wenn’s gut läuft, werden<br />
die Nachfolger eingearbeitet. Nicht ganz<br />
einfach übrigens bei der Kreisverwaltung.<br />
Hier bleiben Stellen in der Regel wegen<br />
des Nothaushaltsrechtes ein Jahr lang<br />
unbesetzt. Durch die Einbindung ausgeschiedener<br />
Beschäftigter über den Ruhestand hinaus hat man<br />
aber eine Möglichkeit gefunden, Wissen zu erhalten<br />
und für später verfügbar zu machen. So ist der ausgeschiedene<br />
Leiter der Kämmerei weiter in der Projektleitung<br />
zum Demographieprojekt <strong>im</strong> Kreishaus aktiv.<br />
Kerstin Kiefer: „Das Einbringen seines Know-hows<br />
ist für ihn persönlich, aber auch für die Ergebnisse<br />
und die Umsetzung aus dem Projekt sehr wertvoll.“<br />
Auch EMZ-Mitarbeiter Karl-Heinz Kus gibt sein<br />
Know-how gern an seine beiden Auszubildenden weiter:<br />
„Mir macht der Job Freude und so lange ich fit<br />
bin, mache ich gern weiter.“<br />
Markus Schwardtmann n