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18 Sei gscheit! Blick in eine ungewisse Zukunft: vermutlich nur knapp die Hälfte der Schüler bekommt einen Ausbildungsplatz Berufsziel: Hip-Hop-Star oder Busfahrer Text: Daniela Walther Foto: Volker Schmitt Wer die Hauptschule abbricht oder noch keinen Ausbildungsplatz hat, muss auf die Städtische Berufsschule zur Berufsvorbereitung. Lust darauf hat fast kein Schüler – doch irgendwie funktioniert der Unterricht trotzdem Zum Beispiel Abdi. „Ein begnadeter Hip-Hopper“, erzählt sein Lehrer Siegfried Hummelsberger begeistert, bedauert jedoch gleichzeitig: „Aber was zählt das da draußen schon?“ Dabei hat sich schon manch ehemaliger Dauerschwänzer und Leistungsverweigerer im richtigen Umfeld und mit ein wenig Unterstützung doch als guter Schüler oder zuverlässiger Mitarbeiter entpuppt. Was also spricht dagegen, einem begnadeten Hip-Hopper eine Chance zu geben? Abdi aber hat noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. Herr Hummelsberger meint dennoch: „Man muss den Schatz nur heben.“
Oder Olcay. Der hat aufs Bewerbungen-Schreiben so gar keinen Bock mehr. „Das hat doch eh keinen Sinn“, weicht er aus, als der Lehrer ihn fragt, ob er noch Bewerbungen verschickt oder bei der Arbeitsagentur nach weiteren Lehrstellenangeboten gefragt habe. Aber: Olcay hat ein Ziel. Er will den Quali. Und dann will er unbedingt Trambahn- oder Busfahrer werden. Ob es Hip-Hop ist oder das feste Ziel, Trambahnfahrer zu werden: Das Gute im Schüler suchen, vielleicht scheitern, weitersuchen, darum geht es Hummelsberger. Dabei sind die Bedingungen, unter denen Lehrer und Schüler in der Städtischen Berufsschule zur Berufsvorbereitung am Bogenhausener Kirchplatz arbeiten, schwierig. Hier müssen – zumindest theoretisch – all jene Jugendlichen aus dem Großraum München, die die Hauptschule ohne Abschluss verlassen beziehungsweise noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, ein Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) absolvieren. Sofern sie auftauchen. Viele Jugendliche, die eigentlich noch schul- bzw. berufsschulpfl ichtig wären, erscheinen erst gar nicht zur Einschreibung. Andere brechen die Schule nach ein paar Tagen oder Wochen ab. Einige kommen zwar immer mal wieder, aber unregelmäßig. Zwei von den vier Sekretärinnen am BVJ sind deshalb ausschließlich mit der Abwesenheit von Schülern und Schülerinnen beschäftigt: Sie telefonieren hinter den Jugendlichen und nicht selten auch hinter deren Erziehungsberechtigten her, fordern telefonisch und schriftlich zum Schulbesuch auf, verwalten Fehlzeiten und dokumentieren schuldisziplinarische Maßnahmen, denen irgendwann Bußgeldbescheide folgen. „Aber es gibt eben auch die, die regelmäßig teilnehmen, die sich engagieren und das Ruder noch mal rumreißen wollen“, sagt Schulleiter Klaus Seiler. „Und diesen Jugendlichen wollen wir einen erfolgreichen Einstieg in die Berufsausbildung ermöglichen.“ Neben den Fachklassen, deren theoretischer wie praktischer Unterricht sich an acht Berufsfeldern aus dem Handwerk und dem Dienstleistungssektor orientiert, erhalten Jugendliche mit nichtdeutscher Muttersprache Unterricht in Deutsch als Zweitsprache. Außerdem stehen EDV, Sport und Arbeiten in der Produktionsschule auf dem Stundenplan. Bei der Suche nach Betriebspraktika arbeitet die Schule eng mit Partnern aus Wirtschaft, Industrie und Handwerk zusammen. „Fakt ist trotzdem“, konstatiert Georg Prahl, Fachbetreuer Metall, Computerlehrer am BVJ und seit 33 Jahren im Schuldienst, „dass unsere Schüler da draußen kaum Chancen haben. Um wirklich jeden Schüler und jede Schülerin dort abzuholen, wo er oder sie gerade steht, bräuchten wir kleinere Klassen und wieder mehr Praxisstunden. Da erleben sie die größten Erfolge und erwerben außerdem handwerkliche Grundfertigkeiten. Ausbildungsbetriebe wissen das zu schätzen.“ 2008 bekamen 46 Prozent des Jahrgangs einen Ausbildungsplatz. Die restlichen 54 Prozent landeten in Maßnahmen der Arbeitsagentur, bekamen Aushilfsjobs oder Hartz IV. Doch Schulleiter Klaus Seiler will den Erfolg seiner Schule nicht an schnöden Zahlen messen. Zahlen spiegelten nichts von den Leistungen und Erfolgen wider, die hier täglich von Schülern, Lehrkräften und Sozialarbeitern errungen würden. Bis auf Johannes, der im Anschluss an ein Praktikum bei einem Lebensmitteldiscounter auf 400-Euro-Basis übernommen wurde und den vom ersehnten Ausbildungsvertrag nur noch eine bestandene Qualiprüfung trennt, hat noch keiner etwas Konkretes in Aussicht. Adelina hat zwar einen Job als Aushilfe bei einer Drogeriekette, ausgezeichnete Noten und den Quali qua- si schon in der Tasche – eine Lehrstelle hat aber auch sie noch nicht. Michael will nach bestandenem Quali weiter zur Schule gehen und den Realschulabschluss versuchen. So kann er den Bewerbungsmarathon noch ein oder zwei Jahre aufschieben. Ein Erfolgserlebnis – das könnten sie alle brauchen: Dognay und Elif, die am liebsten Friseurinnen werden wollen, aber auch in den Verkauf gehen würden; Nadine und Vanessa, die beide von einer Ausbildung zur Kinderpfl egerin träumen. Noch eine Viertelstunde bis Schulschluss. Die zehnte Klasse setzt sich zum Stuhlkreis. Wie der Stand der Dinge so ist, will Hummelsberger wissen. Langsam wird’s ernst. Nach den Pfi ngstferien steht für einen Teil der Klasse der Quali an. Für die anderen heißt es weiterhin: Bewerbungen schreiben, sich – wenn möglich – persönlich in Ausbildungsbetrieben nach einer Lehrstelle erkundigen, bei der Arbeitsagentur nachfragen. Das ganze Programm eben. Andernfalls landen sie in irgendeiner Maßnahme der Arbeitsagentur – nicht selten der Beginn einer Karriere im sogenannten Übergangssystem. Das will keiner von ihnen: sich jahrelang von Maßnahme zu Maßnahme hangeln, immer nur pendeln zwischen unbezahlten Praktika, Bewerbungstrainings und Unterrichtseinheiten, an deren Ende – so sehr sich die zahlreichen Träger auch mühen mögen – selten wirkliche berufliche Perspektiven, sondern meist nur ein weiteres Praktikum oder eine weitere Maßnahme stehen. Diese Gefahr besteht vor allem für die Migranten unter den Schülern. Sabine Heckelmann ist Oberstudienrätin und hat früher an einer Berufsschule unterrichtet. Am Bogenhausener Kirchplatz ist sie in einer speziellen Migrantenklasse Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache: „Hier zählen nicht kleine, sondern kleinste Erfolge“, sagt sie – und wirkt dabei keine Spur verbittert oder resigniert. Im Gegenteil: Sie ist richtig fröhlich, wenn sie von ihren Schülern erzählt. Und das, obwohl sie die banalsten Dinge immer wieder erklären, kontrollieren und einfordern muss: wie Arbeitsblätter in eine Mappe einzuordnen und dass sie zur nächsten Stunde wieder mitzubringen sind; dass die Hausaufgabe richtig von der Tafel ins Heft übertragen und dann auch gemacht wird; dass Wörter und Sätze nicht irgendwie aufs Papier geschmiert, sondern auf eine Zeile geschrieben werden. Ihre Schüler gehören den unterschiedlichsten Nationen an. Manche sind allein und ohne Eltern als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und leben in Gemeinschaftsunterkünften. Andere wurden von ihren Familien im Rahmen des Familiennachzugs nachgeholt. So unterschiedlich der kulturelle Hintergrund und das soziale Umfeld der Jugendlichen auch sein mögen, allen gemeinsam sei, erklärt Heckelmann, eine gewisse Entwurzelung und eine sich durch alle Lebensbereiche ziehende Perspektiv- und Strukturlosigkeit. „Mit reiner Wissensvermittlung ist es nicht getan, wir müssen hier vor allem Erziehungs- und Elternarbeit leisten, sprich: Grundregeln, Werte und Schlüsselqualifi kationen wie Pünktlichkeit und Aufmerksamkeit, Leistungsbereitschaft und Respekt einüben und einfordern. Wir müssen streng sein, aber auch verständnisvoll; Grenzen setzen, aber Regeln auch fl exibel handhaben können. Viele machen hier zum ersten Mal die Erfahrung, dass ihnen jemand zuhört und sich für sie interessiert. Die Schule gibt ihnen Halt und ihrem Tag Struktur“, sagt sie. „Sie kommen zwar zu spät, aber sie kommen.“ Und irgendwann kommen sie dann pünktlich und haben sogar ihr komplettes Arbeitsmaterial dabei. Sabine Heckelmann muss sich über sehr kleine Erfolge freuen – und sie kann es. 19
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