30.11.2012 Aufrufe

Fatma lernt Lesen und Schreiben - Biss

Fatma lernt Lesen und Schreiben - Biss

Fatma lernt Lesen und Schreiben - Biss

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

22<br />

Sei gscheit!<br />

Lebenslänglich<br />

Hausaufgaben<br />

Angeblich hat nur Erfolg, wer<br />

sich ständig weiterbildet. Doch<br />

wollen wir wirklich pausenlos<br />

lernen?<br />

Bildung gehört seit 1948 zu den Menschenrechten,<br />

neuerdings hierzulande<br />

auch zu den Bürgerpfl ichten, <strong>und</strong> zwar<br />

von der Wiege bis ins Grab. Senioren, die<br />

was auf sich halten, lösen keine Kreuzworträtsel<br />

mehr, sie betreiben Gehirnjogging<br />

auf Teufel komm raus, besuchen<br />

Kurse bei der VHS, frischen ihr Schulenglisch<br />

auf, surfen im Internet um die<br />

Wette. All das hilft gegen Gedächtnislücken<br />

<strong>und</strong> beugt dem vorzeitigen Schw<strong>und</strong><br />

der grauen Zellen vor – das behaupten zumindest<br />

Ges<strong>und</strong>heitsapostel <strong>und</strong> Medien.<br />

Früh übt sich. Kaum geboren, bekommt<br />

das Baby sein persönliches Trainingscenter<br />

vor die Nase gehängt: das<br />

Mobile. Wenn möglich, gibt es dazu ein<br />

chinesisches Au-pair; wenn nicht, meldet<br />

man den Sprössling unbedingt in einem<br />

zweisprachigen Kindergarten an. Ein paar<br />

Sätze Türkisch oder Griechisch könnte<br />

er locker von den Nachbarn mitnehmen,<br />

aber das würde die Karriereaussichten<br />

nicht verbessern. Englisch, Französisch<br />

<strong>und</strong> Mandarin schon eher. Der Nachwuchs<br />

muss von Anfang an gefördert<br />

werden, <strong>und</strong> das deutsche Schulsystem<br />

ist minderwertig – diese Botschaften haut<br />

man uns ständig um die Ohren. Die Pisa-<br />

Studie hat dem nationalen Selbstbewusstsein<br />

einen ziemlichen Schlag versetzt,<br />

die Wirtschaftskrise gibt ihm den Rest.<br />

Nachsitzen muss die ganze Bevölkerung.<br />

Wer sich, wie ich damals, auf den<br />

letzten Schultag irrsinnig gefreut hatte<br />

<strong>und</strong> felsenfest daran glaubte, endlich frei<br />

zu sein, wird eines Besseren belehrt: Es<br />

ist nie vorbei mit den Hausaufgaben. Wer<br />

nicht bereit ist, sich ständig wieder welche<br />

aufbrummen zu lassen, braucht nicht zu<br />

jammern, wenn er seine Arbeit verliert.<br />

Oder von vornherein keine fi ndet. Heimtückisch<br />

gibt man uns zu verstehen, dass<br />

in Zeiten globaler Katastrophen unsere<br />

Politiker ihr Bestes geben, um das System<br />

zu retten. Wenn es für einige von uns<br />

doch nicht klappt, sind wir selber schuld.<br />

Wir sind nicht gut genug, unterqualifi -<br />

ziert oder im falschen Beruf – wer wissen<br />

möchte, welcher richtig ist, fragt am<br />

besten einen Wahrsager. Oder geht zur<br />

Arbeitsagentur; hier werden Bildungsgutscheine<br />

verteilt. R<strong>und</strong> 14000 Bildungsanbieter<br />

servieren den Lernwilligen<br />

an die 400 000 zertifi zierte Maßnahmen.<br />

Damit kann man die berufl iche Biografi e<br />

für potenzielle Arbeitgeber schmackhafter<br />

machen, sein Hirn mit Informationen<br />

zustopfen <strong>und</strong> seine Freizeit dermaßen<br />

reduzieren, dass einem keine St<strong>und</strong>e für<br />

selbstständiges Denken übrig bleibt.<br />

Etwa 17 Millionen Bürger sollen angeblich<br />

„maßnahmenberechtigt“ sein.<br />

Das kann so aussehen: anderthalb Jahre<br />

wieder die Schulbank drücken, jeden<br />

Abend <strong>und</strong> jedes Wochenende pauken,<br />

ein schlechtes Gewissen haben,<br />

wenn man doch ein paar Tage nach Italien<br />

fährt. Sozialleben auf Eis gelegt. Am<br />

Schluss bleiben ein schönes Zeugnis, die<br />

Hoffnung auf eine sichere Stelle <strong>und</strong> die<br />

Frage, ob man nicht lieber die Zeit mit<br />

den Kindern verbracht oder etwas ge<strong>lernt</strong><br />

hätte, was einen wirklich interessiert.<br />

Wenn die Arbeit Mangelware wird,<br />

überzieht man das Land mit Bildungsterror,<br />

dann werden aus Erwachsenen handsame<br />

Schüler, die niemals auf dumme<br />

Gedanken kommen. Doch die Zahl der<br />

Renitenten wächst. Und von ihnen werden<br />

wir eines Tages hören. Hoffentlich.<br />

Text: Fabienne Pakleppa

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!