Fatma lernt Lesen und Schreiben - Biss
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Große Namen<br />
für kleine Ecken<br />
28<br />
Um die Ecke<br />
Münchner Künstler <strong>und</strong> ihr Viertel:<br />
Anatol Regnier auf Spurensuche in Bogenhausen<br />
Als die Alpen ihre Verantwortung noch<br />
kannten, war es auf ihrer Südseite heiß<br />
<strong>und</strong> auf ihrer Nordseite kalt. Heute brät<br />
man in München <strong>und</strong> fröstelt in Rom.<br />
Letzten Sommer war es in München so<br />
unverschämt heiß, dabei so drückend<br />
schwül, dass ich beschloss, einen langen<br />
Gang zu tun. Mir fi el sowieso nichts ein –<br />
für einen Autor oder einen, der sich dafür<br />
hält, kein guter Zustand –, <strong>und</strong> ich fühlte<br />
mich alt <strong>und</strong> verbraucht. Und wenn ich<br />
mich so fühle, kann ich mir meist nicht<br />
vorstellen, dass es irgendwann wieder<br />
besser wird.<br />
Ich durchschritt die Straßen des Villenviertels<br />
Bogenhausen. Wer mag hier wohnen,<br />
in diesen Palästen, die dahinträumen<br />
unter altem Baumbestand? Neureiche aus<br />
der Computerbranche? Rechtsanwälte<br />
mit teuren, schönen Autos? Oder sind die<br />
alle schon wieder weg <strong>und</strong> nur die ver-<br />
Ob anonyme Graffi ti-Wand<br />
oder prominente Gassi-<br />
Strecke – Anatol Regnier<br />
löst Bogenhausener<br />
Straßennamen-Rätsel<br />
armten Erben sind geblieben, deren Vorfahren<br />
diese Häuser einst erbauten <strong>und</strong><br />
die jetzt, wie ich, vielleicht K<strong>und</strong>en beim<br />
Penny-Markt am Herkomerplatz sind?<br />
Apropos Herkomerplatz: Woher hat<br />
er seinen Namen? Ich wusste es nicht,<br />
bis mich ein Film auf BR-alpha aufklärte:<br />
Der Platz ist nach Hubert Herkomer benannt,<br />
einem Schreinerssohn aus Waal in<br />
Bayern, der als Kleinkind mit den Eltern<br />
in die USA ausgewandert ist <strong>und</strong> später<br />
ein berühmter Maler wurde, geadelt von<br />
Wilhelm II. <strong>und</strong> dem englischen König<br />
Edward VII. Im Nebenberuf war er Bildhauer,<br />
Musiker, Filmemacher, Schriftsteller<br />
<strong>und</strong> Pionier des Automobilsports – die<br />
Sieger seiner bis 1907 ausgetragenen Tourenwagen-Ralley„Herkomer-Konkurrenz“<br />
erhielten eine von ihm entworfene,<br />
vierzig Kilogramm schwere Trophäe aus<br />
reinem Sterlingsilber. 1914 ist er als Sir<br />
Hubert Ritter von Herkomer in Devonshire<br />
gestorben. Welch ein Talent, welch<br />
eine Karriere! Geblieben ist ein Platz mit<br />
einem obskuren Namen, einer Verkehrsinsel,<br />
verschiedenen Bus- <strong>und</strong> Tramlinien<br />
<strong>und</strong> einem Penny-Markt.<br />
Angeweht von Wüstenwind, ging<br />
ich „an der Kante entlang“ in Richtung<br />
Oberföhring <strong>und</strong> stieg über den Andersen-Weg<br />
in die Isarauen ab. Ist der Märchendichter<br />
Hans Christian gemeint? Die<br />
frei stehenden Riesenbäume, die düsteren<br />
Misteln, die auffl atternden <strong>und</strong> sich<br />
wieder niederlassenden Krähenschwärme<br />
hätten dem depressiven, an Verfolgungswahn<br />
<strong>und</strong> versteckter Homosexualität<br />
leidenden Dänen bestimmt<br />
gefallen, der kleine Steig, der möglicherweise<br />
an ihn erinnern soll, vielleicht weniger.<br />
Auch Max Halbe wird angesichts<br />
des etwa fünfzig Meter langen, ungepfl<br />
asterten Wegs, der die Mauerkircherstraße<br />
mit der Isar verbindet <strong>und</strong> seinen<br />
Namen trägt, nicht eben in Hurra-Rufe<br />
ausgebrochen sein. Denn Max Halbe war<br />
einer der meistgespielten Dramatiker seiner<br />
Zeit, dessen Stück „Jugend“ einer äußerst<br />
einfl ussreichen Zeitschrift den Namen<br />
lieh <strong>und</strong> dem berühmten Jugendstil<br />
als Anregung diente. Ein wenig mehr hätte<br />
es schon sein können.<br />
Verlegenheit auch an der Isar: Der<br />
Uferweg, ein Jogger-, Radfahrer-, Spaziergänger-<br />
<strong>und</strong> H<strong>und</strong>eausführparadies,<br />
heißt „Heinrich-Mann-Allee“ – eine Eh-