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Hört! - Das Magazin für Kunst, Architektur und Design

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FOTOS: © CHRISTIN SPRINGER<br />

Welcome<br />

to the<br />

Pleasure Dome<br />

SnowFunPark Wittenberg | Mischung aus Funktionalität <strong>und</strong> Alpen-Anklängen<br />

MODERNE FREIZEITVERGNÜGEN VERÄNDERN UNSERE<br />

ARCHITEKTURLANDSCHAFT. PLÖTZLICH TAUCHEN<br />

BAUTEN AUF, DIE KEINE VORGÄNGER KENNEN. AUF<br />

DEM FLACHLAND SCHIESSEN ÜBERDACHTE SKIPISTEN<br />

WIE PILZE AUS DEM BODEN. CHRISTIN SPRINGER ZU<br />

BESUCH BEI EINER INDOOR-SKIHALLE NAHE WITTENBURG<br />

IN MECKLENBURG-VORPOMMERN<br />

Wintersaison 2006/2007: Mangels Schnee müssen Skiläufer in den<br />

klassischen Skigebieten auf Nordic-Walking umsteigen, Wanderkarten<br />

werden en masse verkauft, Biergärten öffnen im Januar, auch der<br />

<strong>Kunst</strong>schnee bleibt nicht liegen. Angesichts der milden Temperaturen<br />

schlagen nicht nur die Tourismusverbände Alarm.<br />

Sommer 2007: In Indoor-Skihallen wagen Skiläufer bei konstanten<br />

Minusgraden auch im Hochsommer die Abfahrt. Selbst in Städten<br />

wie Madrid, Shanghai oder Dubai bieten moderne Freizeitparks bei<br />

Außentemperaturen von 35° bis 40°C Skivergnügen r<strong>und</strong> ums Jahr.<br />

Im südindischen Hyderabad soll aufgr<strong>und</strong> des großen Andrangs eine<br />

Reservierung erforderlich sein. Attraktiv sind Skihallen offenbar nicht<br />

nur <strong>für</strong> schnee-, sondern auch <strong>für</strong> gebirgslose Regionen. In Den Haag<br />

wurde Mitte der 90er Jahre die erste holländische Skihalle eröffnet.<br />

Inzwischen gibt es in den Niederlanden sieben der künstlichen Eiswelten.<br />

Auch im norddeutschen Flachland muss seit vergangenem<br />

Winter auf den Skisport nicht mehr verzichtet werden.<br />

Inmitten der Felder <strong>und</strong> Wiesen Mecklenburg-Vorpommerns, unweit<br />

der A24 Hamburg-Berlin, ragt ein Gebäude in die Luft, das mit 62 Meter<br />

Höhe den Turm der r<strong>und</strong> 800 Jahre alten Kirche im benachbarten<br />

Wittenburg bei weitem überragt. Der Ortsunk<strong>und</strong>ige wird kaum ahnen,<br />

worum es sich bei dem Bauwerk handelt, denn es überrascht<br />

vor allem durch seine ungewohnte Form: Die auf einer Vielzahl von<br />

Stahlträgern ruhende flache Satteldachhalle überwindet in einem<br />

Neigungswinkel von bis zu 30° eine Höhendifferenz von 57m. Genutzt<br />

wird sie als Ski- <strong>und</strong> Snowboardhalle des im Dezember vergangenen<br />

Jahres eröffneten SnowFunParks Wittenburg.<br />

Insgesamt stehen in Deutschland derzeit fünf Skihallen. Tendenz steigend.<br />

Die kühlen Freizeitparks überbieten sich gegenseitig in Superla-<br />

<strong>Architektur</strong> o.T. 19<br />

tiven. Geworben wird mit der längsten Piste, der größten Halle oder<br />

der höchsten Abfahrt. Und gleich mehrere wollen die Ersten gewesen<br />

sein: Laut Internet haben mal die Niederländer, dann wieder die<br />

Belgier die erste überdachte Skipiste der Welt gebaut. Die gedruckte<br />

Literatur verweist auf das Jahr 1987 <strong>und</strong> die südaustralische Küstenstadt<br />

Adelaide. Der Bautypus der Skihalle ist mit r<strong>und</strong> 20 Jahren also<br />

schon fast eine Generation alt.<br />

Dennoch konnte Mochtar Massumi auf kein vorhandenes Wissen zurückgreifen,<br />

als er vor der Aufgabe stand, die aufwändige Statik der<br />

Stahlhalle in Wittenburg zu bewältigen. „Die Besonderheit ist die,<br />

dass wir alles neu erfinden mussten. Wir hatten keine Möglichkeit,<br />

uns durch Literatur schlau zu machen“, sagt der Lüneburger Architekt.<br />

<strong>Das</strong> bei der Lösung der Probleme erworbene spezielle Know-how werde<br />

nicht weitergegeben, so Massumi. Kein W<strong>und</strong>er, wartet man doch<br />

auf Folgeaufträge. Der Architekt des SnowDome in Bispingen, der viel<br />

Lob wegen seiner pfeilerlosen Hallenkonstruktion erhielt, baut inzwischen<br />

<strong>für</strong> einen russischen Investor südlich von Moskau eine Indoor-<br />

Skihalle, selbstverständlich die größte der Welt. Auch Massumi hat<br />

Anfragen vor allem von ausländischen Investoren.<br />

Palmen, Sandstrand, Tropenstimmung im Wellness-Center Brandenburg,<br />

Westernranch <strong>und</strong> Cowboys in Disneyland Paris, Eiffelturm<br />

<strong>und</strong> ägyptische Pyramiden in Las Vegas: Freizeitarchitektur bedient<br />

Sehnsüchte, indem sie Illusionen erzeugt. Die Wittenburger Skihalle<br />

ist überraschend funktional. Kein aufgemaltes Alpenpanorama, keine<br />

Almhütte aus dem Baumarkt. Stattdessen ermöglichen Fenster in<br />

Abfahrthöhe den Blick nach draußen auf die Mecklenburgische Landschaft.<br />

Die Hallenkonstruktion ist unverkleidet. Abgesehen von der<br />

notwendigen Piste <strong>und</strong> dem <strong>Kunst</strong>schnee erinnert nur der Sessellift<br />

an Skiferien in Bayern. Auch andere Skihallen dienen in erster Linie<br />

dem Sport. Weniger sachlich geht es allerdings im Après Ski-Bereich<br />

zu. <strong>Das</strong> Entree zur Skihalle Wittenburg bilden Hotels <strong>und</strong> Restaurants<br />

mit Holzgiebelfassaden <strong>und</strong> Feldsteinfurnier. Alpenländisch sind auch<br />

Interieur <strong>und</strong> Küche des Restaurants Almdudler. Im SnowDome Bispingen<br />

bieten die Ötztaler Stuben österreichische Speisen im entsprechendem<br />

Ambiente. Befreit von klimatischen <strong>und</strong> geographischen Gegebenheiten<br />

– noch hält der Skisport fest an regionalem Sentiment.

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