Schulzeitung MCG Juni 2007
Schulzeitung MCG Juni 2007
Schulzeitung MCG Juni 2007
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
32<br />
TheMa ‘08<br />
„Hast du schon etwas für Tante Agathe, zum<br />
Geburtstag?“, schrie meine Mutter gegen den<br />
Bass der Anlage an. Shit! Das hatte ich glatt<br />
vergessen, was ich nun wohl auch ihr eingestehen<br />
musste. „Bastle ihr doch etwas“, schlug meine<br />
Mutter vor, „oder mal ihr ein Bild.“<br />
„Liebe Dante, is habe dir zu teinem kepurtstag ein<br />
Bild demalt! Defällt es dir?“ So, oder schlimmer,<br />
musste ich mit etwa 3 bis 5 geklungen haben, als<br />
ich meiner Tante, wie auch allen anderen<br />
Familienangehörigen ständig Bilder gemalt hatte,<br />
egal ob Geburtstag, Grillfest oder zu viel<br />
Langeweile im Kindergarten. Mit dreizehn aber<br />
war ich aus dem Alter schon längst raus.<br />
Verdammt.<br />
Zwei Tage vor Tante Agathes Geburtstag: Ein<br />
neuer Song aus dem Zimmer meines Bruders,<br />
Bert drehte den Sound voll auf. Das würde mich<br />
für gewöhnlich nicht unbedingt stören, aber unsere<br />
Zimmer sind direkt nebeneinander und eine seiner<br />
Boxen ist so gegen die Wand zwischen uns<br />
gehängt, dass bei mir alles wackelt, sobald sie an<br />
ist, also quasi den ganzen Tag. „Das muss“, hatte<br />
er gesagt als ich ihn darauf ansprach, „fürn<br />
Sound!“ Was er damit aber in Wirklichkeit<br />
bezwecken will, ist, dass besagte Wand durch die<br />
Schallwellen immer weiter in mein Zimmer<br />
vorgedrückt wird, bis sie an der<br />
gegenüberliegenden anliegt. Das passiert<br />
natürlich nur langsam, es fällt kaum auf, aber in<br />
einigen Monaten wird es so weit sein, denke ich.<br />
Wieder einmal kam meine Mutter in mein Zimmer,<br />
um mit mir den gleichen Dialog zu führen wie<br />
gestern. Bloß ihr Gesicht wurde zunehmend<br />
verzweifelter, als sie von meiner Abneigung,<br />
gegenüber ihrer Bildidee und meiner Ratlosigkeit<br />
erfuhr. Nach kurzem Grübeln hellte sich ihr<br />
Gesicht jedoch auf. „Back Tante Agathe doch<br />
was!“<br />
Ja, dagegen war nichts einzuwenden. Gleich<br />
Morgen wollte ich mich daran machen<br />
Ein Tag vor Tante Agathes Geburtstag: Gemütlich<br />
saß ich vorm Fernseher und sah mir irgendetwas<br />
an. Worum es ging, wusste ich nicht genau,<br />
anscheinend konnte man Berts Anlage noch lauter<br />
stellen, und so war ich gezwungen gewesen, mir<br />
Ohrstöpsel in die Ohren zu stecken. Anhand der<br />
Gesichtsausdrücke versuchte ich nun zu<br />
verstehen, worum es eigentlich ging, wer welche<br />
Emotionen empfand. Es war Samstagabend, nach<br />
neun. Meine Mutter steuerte in meine Richtung<br />
und machte den Mund auf und zu. Das (im<br />
Wohnzimmer nur sanfte) Ruckeln im Haus ließ<br />
nach und Bert schlurfte ins Bad. Ich konnte also<br />
die Gefahr eingehen, die Stöpsel meiner Mutter<br />
zuliebe aus den Ohren zu nehmen. Das bereute<br />
ich natürlich gleich wieder, denn sie stellte mir<br />
eine Frage, die mich zunächst in einen tiefen<br />
Schock versetzte: „Und, schon fertig gebacken?“<br />
Von wegen gebacken, nicht einmal Zutaten<br />
gekauft oder wenigstens aus dem Schrank geholt<br />
hatte ich! Ich sprang auf, gerade so, als sei ein gar<br />
widerliches Ungetüm in meinen Schoß<br />
gesprungen. „Was ist denn los?“, fragte meine<br />
Mutter verblüfft. Ich antwortete nicht, sondern eilte<br />
in die Küche und überließ sie sich selbst. Backbuch her! Ich riss es aus dem<br />
Regal, dass einige der nebenstehenden Bücher, wie zum Beispiel „Sushi für<br />
Anfänger – Wie man rohen Fisch mit Seetang vereint“ oder „Mit Suppen durchs<br />
Schaltjahr – 366 Rezepte von Frühlingssuppe bis Wintereintopf“ ohne<br />
Vorwarnung mitgerissen wurden. Irgendwas Kleines musste es sein, was<br />
trotzdem beeindruckte und für das wir noch die Zutaten hatten, da sah ich unter<br />
wildem Durchblättern die Kapitelüberschrift: „Pralinen – klein und trotzdem<br />
beeindruckend“. Das war doch genau das Richtige! Nur was für Pralinen sollten<br />
das werden? Schokolade hatten wir keine mehr, die brauchte man für fast alles,<br />
da stach mir schon wieder etwas ins Auge: „Petit Fours, Pralinen ohne<br />
Schokolade.“ Bert kam gerade aus dem Bad und ich steckte mir wieder Stöpsel in<br />
die Ohren und überflog die Zutatenliste: Puderzucker hatten wir noch; Wasser<br />
hoffentlich auch; Rotebeetesaft, das könnte schwer werden ... Aber man<br />
brauchte ihn um den Zuckerguss zu färben, da würde auch Lebensmittelfarbe<br />
reichen. Konfitüre war dann wieder ein kleineres Problem, ein Glas<br />
Erdbeermarmelade hatte ich noch heute Morgen angebrochen;<br />
Marzipanrohmasse, auch nicht schwierig, irgendwo war sicher noch eine dieser<br />
mit Schokolade überzogenen Würste zu finden, von denen es zu Weihnachten<br />
immer überall wimmelte; diverse Zutaten um Biskuit zuzubereiten, na ja, diese<br />
Löffelbiskuitkekse würden schon reichen; je eine halbe Mandel zum Verzieren der<br />
fertigen Pralinen, aber wann hatten wir das letzte Mal Mandeln im Haus gehabt?<br />
Zum Schützenfest wahrscheinlich, in gebrannter Version, die waren natürlich<br />
längst weg, aber güldene Zuckerperlen hatten wir noch zum Verzieren. Das<br />
würde eine lange Nacht werden… Zuerst sollte ein Biskuitboden gebacken<br />
werden, einen Tag vor der eigentlichen Prozedur, doch dann durchfuhr mich ein<br />
Schreck: Wir hatten keine Biskuitkekse mehr! Ich durchwühlte den Kühlschrank<br />
nach etwas, das dem nahe kam, doch das einzige, was ich fand, waren diese<br />
rechteckigen Waffeln, die es in jedem Supermarkt zu kaufen gibt. Nun gut, dann<br />
strich ich eben die einseitig mit der „Erdbeermarmelade wie von Mutti“ ein.<br />
Marzipan sollte ausgerollt werden, doch das war mir bei der Schokoladenmarzipanrolle,<br />
die mir zur Verfügung stand und bei der ich zunächst die gesamte<br />
Schokolade hätte entfernen müssen, eindeutig zu viel Arbeit, und so schnitt ich<br />
sie einfach in grobe Scheiben, so lieblos, dass die Schokolade von selbst abfiel.<br />
Die Waffeln schnitt ich in Stücke, auf die jeweils eine Marzipanscheibe passte, so<br />
weit war ich also fertig. Jetzt ging es an den Zuckerguss!<br />
Das mit dem Saft war ja klar gewesen, so was gab es in unserem Haushalt nicht,<br />
aber leider hatten wir auch keine rote Lebensmittelfarbe und so musste ich mich<br />
zwischen Niveadosenblau und Lindengrün entscheiden. Grün war zwar eindeutig<br />
die natürlichere Farbe, aber was an diesem Zuckerzeug war schon natürlich? Ich<br />
entschied mich also für blau. Als der Guss angerührt war, warf ich die „Pralinen“<br />
der Reihe nach hinein, zog sie mit einer Gabel heraus und stellte sie dann zum<br />
Trocknen auf ein Backblech. Ich wartete kurz, bis der Guss angetrocknet war, da<br />
ich von Haus aus mit einer enormen Geduld versehen bin, waren das etwa fünf<br />
Sekunden. Irgendwie blieben die Zuckerperlen dann auch nicht am Guss kleben,<br />
jedenfalls nicht an dem auf den Pralinen. So kam es, dass letztendlich auf jeder<br />
der zwölf Pralinen eine Perle aufsaß, an meinen Armen und Händen jedoch etwa<br />
fünfzehn klebten. Ich ließ die Pralinen stehen und schlich hundemüde in mein<br />
Zimmer, der nächste Tag würde es in sich haben.<br />
Tante Agathes Geburtstag: Ich hatte Recht gehabt, der Tag hatte es in sich!<br />
Tante Agathe hatte schon immer eine Vorliebe dafür, mit ihren Reden unendlich<br />
wichtige Ereignisse aus ihren Geburtstagen zu machen, wie auch diesmal: Sie<br />
stand vorne, erzählte wie gerührt sie über unser und aller anderen Kommen war<br />
und nahm dann die Geschenke entgegen. Allerlei Zeug, was man eh nicht<br />
braucht, wie zum Beispiel einen Apfelentkerner, der die Äpfel gleichzeitig achtelt,<br />
oder einen Bananenwärmer, der verhindert, dass die Bananen zerquetscht<br />
werden. Dann kam Bert an die Reihe und ab dem Moment ärgerte ich mich<br />
schwarz: Er hatte sich den Blumenstrauß, den unsere Mutter für Tante Agathe<br />
gekauft hatte, geschnappt und überreicht ihn feierlich. Agathe war zu Tränen<br />
gerührt und wollte nun auch mein Geschenk annehmen. Zitternd kam ich nach<br />
vorne. Heute Morgen noch hatte ich die Pralinen liebevoll, einzeln in eine Tüte<br />
packen wollen, doch Bert hatte bloß „Mach ma hin, hab kein Bock zu warten“,<br />
gerufen und ich hatte den Rest lieblos, wie ich auch alles andere an den Pralinen<br />
hergestellt hatte, in die Tüte gekehrt, jetzt kam die Strafe für diese Untat. Bert<br />
hatte im Auto wenigstens traurig, fast schuldbewusst dreingeblickt, vielleicht hatte<br />
er die strafende Gewalt damit täuschen können, doch mich nicht: Ich wusste,<br />
dass die einzige Schuld, die sein Gewissen bedrückte, das vorzeitige Dahingehen