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UniReport 5/11 | Goethe-Universität Frankfurt

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UniInternational<br />

Deutsche Polizisten in Afghanistan<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Politikwissenschaftler beobachtet die Polizeiausbildung im Kriegsgebiet<br />

In der deutschen Debatte um den Afghanistan-Einsatz<br />

steht die Bundeswehr im Vordergrund.<br />

Weniger bekannt ist das deutsche<br />

Polizeiprogramm, obwohl dieses nicht weniger<br />

erstaunlich als der Bundeswehreinsatz ist.<br />

Deutschland trennt aufgrund der Erfahrungen<br />

während des Nationalsozialismus streng zwischen<br />

polizeilichen und militärischen Aufgaben.<br />

In Afghanistan, wo schon seit einigen<br />

Jahren Krieg herrscht, ist eine solche Trennung<br />

aber schwierig aufrechtzuhalten.<br />

Im Sommer 20<strong>11</strong> hat der <strong>Frankfurt</strong>er Wissenschaftler<br />

Dr. Cornelius Friesendorf in Kabul<br />

und dem nördlichen Mazar-i-Sharif Gespräche<br />

mit deutschen Polizisten geführt und<br />

die Polizeiausbildung beobachtet. Friesendorf<br />

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts<br />

für Politikwissenschaft der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong><br />

mit dem Schwerpunkt Internationale Organisationen<br />

und der Hessischen Stiftung Friedens-<br />

und Konfliktforschung (HSFK).<br />

Mikrokredite sind Kleinstkredite für arme<br />

Leute, die keinen Zugang zum formalen<br />

Kreditmarkt haben. Mit innovativen Methoden<br />

wie der Gruppenkreditvergabe werden<br />

Probleme wie fehlende Sicherheiten zur Kreditrückzahlung<br />

oder fehlende Informationen<br />

zur Kreditgeschichte umgangen. Mithilfe von<br />

Kleinstkrediten können die Kunden geschäftliche<br />

Tätigkeiten auf- und ausbauen und somit<br />

zusätzliches Einkommen generieren.<br />

Mittlerweile ist der Sektor der Mikrofinanz<br />

gereift, und viele Mikrofinanzinstitutionen<br />

(MFIs) bieten neben den Standardkrediten<br />

weitere Kreditprodukte oder andere Mikrofinanzleistungen<br />

wie Versicherungen oder<br />

Sparmöglichkeiten an. Da bei diesen Mikrofinanzleistungen<br />

oft regulatorische und organisatorische<br />

Hindernisse bestehen, werden<br />

alternative Kreditprodukte bevorzugt, um den<br />

Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden.<br />

In unserem Forschungsprojekt haben wir<br />

eine Kooperation mit Gramyasheel Micro-<br />

16<br />

Dr. Cornelius Friesendorf in einem von<br />

Deutschland gebauten Polizeitrainingszentrum<br />

bei Mazar-i-Sharif in Afghanistan<br />

Die Reise hat den Eindruck von drei früheren<br />

Forschungsreisen in das Land am Hindukusch<br />

bestärkt: Deutschland versucht, soweit<br />

wie möglich am zivilen Polizeiaufbau in<br />

Afghanistan festzuhalten. Um die afghanische<br />

Polizei steht es weiterhin schlecht. Wegen vieler<br />

Fälle von Korruption und Menschenrechtsverletzungen<br />

vertrauen nur wenige Afghanen<br />

ihrer Polizei. Die meisten afghanischen Polizisten<br />

können keine Nummernschilder identifizieren<br />

oder Tatortprotokolle erstellen. Auch<br />

sterben fast jeden Tag Polizisten bei Anschlägen<br />

durch Aufständische.<br />

Um die Polizei effektiver zu machen, unterstützen<br />

Deutschlands NATO-Partner paramilitärische<br />

Einheiten der afghanischen<br />

Polizei und sehen die Rolle selbst der regulären<br />

uniformierten Polizei in der Aufstandsbekämpfung.<br />

Der Aufwand ist gewaltig: Pro<br />

Monat investiert die NATO über 200 Millionen<br />

Euro in den Polizeiaufbau, wobei rund 90 Pro-<br />

zent der Mittel aus den USA kommen.<br />

Die über 200 deutschen Polizisten in Afghanistan<br />

hingegen wollen eine bürgernahe<br />

Polizei aufbauen. Zwar bringen sie afghanischen<br />

Polizisten auch Fähigkeiten wie den<br />

Umgang mit der Kalaschnikow bei – die die<br />

meisten deutschen Polizisten zum ersten Mal<br />

bei ihrer Einsatzvorbereitung in der Hand halten.<br />

Schließlich müssen sich afghanische Polizisten<br />

gegen Angriffe schützen können. Ebenso<br />

wichtig sind aber Ausbildungselemente wie<br />

Menschenrechte und selbst heikle Themen<br />

wie sexuelle Gewalt, über die in Afghanistan<br />

nicht offen gesprochen wird.<br />

In Afghanistan kann jederzeit überall alles<br />

passieren. Das Spektrum reicht von Selbstmordattentaten<br />

über improvisierte Bomben<br />

und kriminelle Gewalt bis hin zu quasi-militärischen<br />

Auseinandersetzungen bei Demonstrationen.<br />

Um das Risiko für deutsche<br />

Polizisten so gering wie möglich zu halten, bilden<br />

die meisten Polizisten ihre afghanischen<br />

Kollegen nur innerhalb der Trainingszentren<br />

aus. Diese sind zwar stark gesichert, aber auch<br />

Innovative Mikrokredite in Nordindien<br />

Ein Forschungsbericht der Doktorandinnen Kristina Czura und Sarah Linders<br />

Von März bis Mai waren Kristina Czura, Doktorandin an der Messe <strong>Frankfurt</strong>-Stiftungsprofessur<br />

für Internationale Wirtschaftspolitik an der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong>, und Sarah Linders,<br />

Doktorandin am Südasien-Institut der Ruprecht-Karls-<strong>Universität</strong> Heidelberg, in Bihar, Indien,<br />

um Daten für eine Studie zu „Microfinance and Disaster Management“ zu erheben.<br />

finance initiiert, einer in Supaul im nordindischen<br />

Bundesstaat Bihar ansässigen MFI.<br />

Diese MFI möchte ein innovatives Finanzprodukt<br />

anbieten, das an die Bedürfnisse der<br />

Bevölkerung der Koshi-Region im Norden von<br />

Bihar angepasst ist. Die Region ist nach dem<br />

im nepalesischen Himalaya entspringenden<br />

Fluss Koshi benannt. Wegen zahlreicher<br />

Überschwemmung, die er immer wieder verursacht,<br />

wird der Koshi auch „The Sorrow of<br />

Bihar“ genannt.<br />

Durch Überflutungen werden Häuser und<br />

Felder zerstört und so der reguläre Einkommenserwerb<br />

be- oder verhindert. Die Partner-<br />

MFI möchte gerne einen speziellen „Disaster<br />

Loan“ entwickeln, der neben einem Standard-<br />

Mikrokredit angeboten wird und Haushalten<br />

helfen soll, die Folgen von Überschwemmungen<br />

zu bewältigen.<br />

Zum besseren Verständnis der wirtschaftlichen<br />

Auswirkungen von Einkommensschocks<br />

wie Überflutungen auf Haushalte in Entwick-<br />

Fotos: Privat<br />

Bevor es auf die Schießbahn geht,<br />

müssen afghanische Polizisten in einer Turnhalle<br />

lernen, mit der Waffe umzugehen<br />

lungsländern haben wir 400 Haushaltsinterviews<br />

durchgeführt. Mithilfe dieser Daten<br />

wird untersucht, welche Konsequenzen<br />

Haushalte nach Überschwemmungen erwarten,<br />

welche Bewältigungsstrategien sie im<br />

Falle von Überflutungen anwenden und wie<br />

sich Mikrofinanzklienten hierbei von Haushalten<br />

ohne Zugang zu formellen Krediten<br />

unterscheiden.<br />

Erste Eindrücke aus der Studie zeigen,<br />

dass ein Großteil der Haushalte Einkommen<br />

aus agrarwirtschaftlichen Tätigkeiten bezieht.<br />

Durch die häufigen Überschwemmungen gilt<br />

die Koshi-Region als besonders fruchtbar.<br />

Nichtsdestotrotz ist die Landwirtschaft besonders<br />

abhängig von Naturverhältnissen.<br />

Besonders nach der Flutkatastrophe in 2008<br />

ist ein großer Einkommensverlust aus der<br />

Landwirtschaft zu verzeichnen. Der Erholungsprozess<br />

wurde durch eine verheerende<br />

Dürre im darauffolgenden Jahr noch weiter<br />

erschwert. Dies betrifft sowohl die Landbesitzer<br />

als auch Tagelöhner in der Landwirtschaft.<br />

Neben Landwirtschaft sind Kleinunternehmen<br />

und Familienbetriebe eine weitere<br />

Einnahmequelle. Diese sind aber nicht<br />

immer ertragskräftig genug und werden häu-<br />

Nr. 5 I 21. Oktober 20<strong>11</strong><br />

nicht ungefährlich. So müssen die Deutschen<br />

bei der Schießausbildung darauf gefasst sein,<br />

angegriffen zu werden – die Infiltration durch<br />

die Taliban gilt als großes Problem. Die wenigen<br />

deutschen Polizisten, die mehr vom afghanischen<br />

Leben sehen, bewegen sich nur<br />

in relativ sichereren Distrikten und dies nur<br />

tagsüber.<br />

Viele deutsche Polizisten gestehen ein,<br />

dass diese Bedingungen der Schaffung einer<br />

effektiven, bürgernahen Polizei im Weg stehen.<br />

Gleichzeitig lehnen sie die US-dominierte<br />

Strategie ab, die afghanische Polizei zu einer<br />

leichten Infanterie zu machen; das deutsche<br />

Trennungsgebot zwischen Polizei und Militär<br />

ist in den Köpfen mindestens so stark verankert<br />

wie im Gesetz.<br />

Die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan<br />

erschwert auch die Arbeit von Forschern.<br />

Bis vor einigen Jahren waren die meisten<br />

Landesteile noch zugänglich. Mittlerweile<br />

gilt selbst die Hauptstadt Kabul, die von zehntausenden<br />

Soldaten und Polizisten gesichert<br />

wird, als gefährlich. Das Reisen in Afghanistan<br />

mit Sicherheitskräften erhöht das Risiko,<br />

Opfer eines Anschlags zu werden. Wer dagegen<br />

auf eigene Faust unterwegs ist, riskiert,<br />

Opfer einer Entführung zu werden.<br />

Die Versuchung ist daher für ausländische<br />

Forscher groß, es den Diplomaten gleichzutun<br />

und sich hinter Betonwällen und Stachel-draht<br />

zu verbergen und selbst für kurze<br />

Wegstrecken einen Wagen zu bestellen. Dies<br />

geht freilich auf Kosten eines besseren Verständnisses<br />

des Landes. Je mehr der Krieg in<br />

Afghanistan eskaliert, desto unauflösbarer<br />

wird dieses Dilemma.<br />

Die Vereinigung der Freunde und Förderer<br />

der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong> hat die Forschungsreise<br />

finanziell gefördert. UR<br />

fig ergänzend zur Landwirtschaft betrieben.<br />

Neben der starken Vulnerabilität ist der Zugang<br />

zum formellen Finanzsektor sehr eingeschränkt.<br />

Die meisten Haushalte müssen sich<br />

auf private Netzwerke wie Familie, Freunde<br />

und Nachbarn verlassen, um sich Geld zu leihen.<br />

Neben akuten Notfallsituationen wird<br />

auch Geld für Geschäftliches aus dieser Quelle<br />

bezogen. Besonders problematisch wird die<br />

Abhängigkeit von den informellen Krediten,<br />

wenn aggregierte Schocks, wie eine Überflutung,<br />

eine gesamte Region betreffen. Jeder<br />

ist auf seine eigenen Ersparnisse und Wertgegenstände<br />

angewiesen und kann anderen<br />

kein Geld leihen. Da zahlungskräftige Nachfrage<br />

nach finanziellen Mitteln nach solchen<br />

negativen Einkommensschocks vorhanden<br />

ist, könnte ein „Disaster Loan“ als Ersatz für<br />

informelle Netzwerke und nicht vorhandene<br />

Versicherungsmöglichkeiten dienen.<br />

Auf lange Sicht soll aus den gewonnenen<br />

Erkenntnissen in Zusammenarbeit mit Gramyasheel<br />

Microfinance ein neues Microfinance-Produkt<br />

entwickelt werden, das es armen<br />

Haushalten ermöglicht, die wirtschaftlichen<br />

Konsequenzen von Überflutungen<br />

besser zu bewältigen. Kristina Czura

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